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Marie Etter im Sattel des wundersamen Admirable.
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Admirables wundersame Heilung

29.04.2014 13:50
von  Peter Wyrsch //

Seit Herbst 2013 haben die Schweizer Springreiter einen WM-Trumpf mehr in ihren Händen: Marie Etter Pellegrin mit Admirable, die 160 Zentimeter kleine Reiterin aus Marseille und ihren 14-jährigen Hannoveraner-Wallach mit einem Stockmass von 180 Zentimeter. Die zierliche französisch-schweizerische Doppelbürgerin und der gross­rahmige starke Dunkelbraune verbindet eine aussergewöhnliche Harmonie und eine verschworene Partnerschaft, die seit einem tragischen Vorfall noch enger geworden ist. Der bewundernswerte Admirable galt nach seiner zweiten Kolik während einigen Sekunden als klinisch tot.

Im Tierspital in Bern begann 2011 in einer lauen Sommernacht das zweite Leben des aussergewöhnlichen Pferdes, das einst Gerhard Etter, der Patron des gröss­ten Pferdestalles in der Schweiz, für seine Schwiegertochter in Frankfurt ent­deckt hatte. Daniel Etter, der 40-jährige Elitereiter und Gatte von Marie Etter Pellegrin, erzählt (nachdenklich): «Zwei Wochen nach einer schweren Kolik und geglücktem operativen Eingriff litt Admirable unter starken Schmer­zen. Wir fuhren unverzüglich ins Tierspital nach Bern, wo Admirable sediert wurde. Das Pferd wurde untersucht, behandelt und plötzlich setzten die Herztöne aus. Marie konnte die Tragik nicht mit ansehen. Sie weinte vor dem Spital bitterlich. Da begann ich instinktiv mit Herzmassage, pumpte wie eine Verrückte – und plötzlich setzten wie durch ein Wunder die Herztöne wieder ein.»

Marie Etter mit zwei ihrer Lieblinge: Goodtimes (links) und Chase Manhatten.

Admirable hatte eine Infektion im Dünndarm erlitten, wie die Fachärzte feststellten. Dem Pferd wurde während rund zwei Wochen eine kleine Überlebenschance gegeben. Und es wurde den Besitzern beschieden, dass Admirables Sportkarriere zu Ende sei. Doch es kam anders – auf wundersame Weise.

Die Kraft der Natur

Admirable baute seine Kräf­te allmählich wieder auf. «Wir haben alles gemacht für das Pferd, das mir seit seinen Operationen noch mehr ans Herz gewachsen ist», sagt Marie Etter. «Nie haben wir aufgegeben, jeden Tag, auch während seines Klinikaufenthaltes, war ich bei Admirable, dessen Wille wirklich bewunderswert ist. Die Kraft der Natur hat ihn wieder gesund gemacht. Er hört auf mich. Wir verstehen uns blind. Seit ich ihn erstmals gesehen und in seine Augen geschaut habe, wusste ich: Das ist mein Pferd. Ein solches gibt es nur ein-, höchstens zweimal im Leben eines Reiters.»

Marie in der «Ecurie Galoubet» und mit ihrer Hündin Lola (unten).

Marie Etter gerät ins Schwärmen. Sie respektive die «Ecurie Galoubet», deren Vorsitzende die zarte Marseillaise ist, wird als Besitzerin des Nachkommen von Jungle Prince – Rietta S aufgeführt. Als Dreijähriger wur­de er einst an einem Jahrmarkt angepriesen und von einem schwergewichtigen Frankfurter erworben. «Als Siebenjährigen haben wir ihn gekauft und angeritten. Mein Schwiegervater Gerhard sah in ihn in kleineren Springen in Deutschland über 100 und 110 Zentimeter springen und war überzeugt, mein Pferd gefunden zu haben. Er behielt recht», erzählt die Tochter eines renommierten Bijouterieunternehmens in der fünften Generation in Marseille. Admirable sei enorm intelligent und verfüge über aussergewöhnliche mentale und körperliche Kraft, fügt Marie an.

Die ehemalige EM-Gold-medaillengewinnerin bei den Junioren und den Jungen Reitern mit Frankreichs Equipe verzeichnete mit Admirable ihre bislang grössten Erfolge. Erwähnt seien lediglich die Blankorunden im Nationenpreis 2010 in Falsterbo, die weiteren Nationenpreis-einsätze mit der Equipe Tricolore in Rotterdam und Hickstead, was zur Nomination als Ersatzreiterin für die Weltreiterspiele 2010 in Lexington (Kentucky) führte. Nach der langen Verletzungspause scheint sich der Hannoveraner-Wallach wieder seinem einstigen Top-Niveau zu nähern, was die GP-Siege im November 2013 in Lyon und beiden GP-Triumphe im Früh­jahr 2014 an den Zweisternturnieren in Oliva Nova (ESP) verheissen.

2009 – das Erfolgsjahr

Admirables Stern ging 2009 auf und leitete das ganz grosse private und sportliche Erfolgsjahr der Etters ein. Am 22. Mai 2009 wurde geheiratet, genau fünf Jahre nachdem sich die Marie und Dani 2004 beim CSI in München ineinander verguckt hatten. Zwei Wochen nach der Heirat erblickte Sohn Louis das Licht der Welt. In den ersten Junitagen pendelte Daniel Etter zwischen den Schweizer Meis­ter­schaf­ten in Bern und der Geburtsklinik hin und her. Sein Nervenkostüm war arg strapaziert. Dennoch reichte es ihm auf dem Gelände des Nationalen Pferdezentrums in der Bundesstadt zu Meisterschaftsbronze – mit Admirable, den ihm seine Frau ausgeliehen hatte.

Daniel, Marie und Louis (v. l.).

Louis’ Geburt war schwierig. Er ist ein Kaiserschnittkind und lag einige Tage nach seiner Geburt auf der Intensivstation. Verständlich, dass die Gedanken jeweils nicht nur bei den Pferden und im Paddock weilten. Nach glücklich überstandenen Wochen des Ban­gens um Frau und Sprössling wuchs Daniel Etter an den Eu­ro­pa­meis­ter­schaf­ten in Windsor über sich hinaus. Mit Peu à Peu war er Mitglied der Schweizer EM-Gold-Equi­pe und als Sechster des Einzelklassements sogar bes­ter «Reitgenosse». Es folgten in der folgenden Wintersaison mit dem West­falen-Wallach die Siege in den Weltcupqualifikationen in Oslo, Helsinki und ‘s-Hertogenbosch. War 2009 also das Glücks- und Erfolgsjahr, wur­de 2010 zu einer Saison des Vergessens. Nach einer missratenen WM in Kentucky nahm die Besitzerfamilie Steiner Peu à Peu abrupt und nicht «peu à peu» vom Berner Seeländer weg. Daniel Etter verlor so den Anschluss an die internationale Spitze, den er seither sucht – und noch nicht ganz wiedergefunden hat.

Unternehmen Galoubet

Doch zurück zu Marie und ihren reiterlichen Wurzeln. Ihre Mutter war französische Meisterin im Spring­rei­ten, Papa Jean-François Pellegrin ritt Military – sorry Concours Complet. Und Grand-Papa gehörte dem berühmten Cadre Noir aus Saumur an. Das bekannteste Pferd im Stall der Pellegrins hiess Galoubet, der Selle-Français von Alme Z und einer Traberstute namens Viti. Mit Gilles Bertrand de Balanda erreichte der Hengst, der 2005 im Alter von 32 Jahren starb, Weltruhm. Nicht nur wegen seiner oft ausschlagenden und die Massen belustigenden Hinterhand, sondern mit seinen sportlichen Erfolgen. Hö­he­punkt war sicherlich das Mannschafts-Gold 1982 an den Weltmeisterschaften in Dublin. Der Hauptsitz der Ecurie Galoubet, die 1988 gegründet wurde und zu einem Unternehmen gewachsen ist, befindet sich noch immer in Marseille. Einen Ableger hat sie aber in Müntschemier. Da belegt Marie mit ihren Pferden einen eigenen klei­nen Stall mit sechs Boxen. Pikfein sauber erstrahlt alles. «Marie ist sehr ordentlich», ergänzt Dani. Zusammen mit ihrem Groom Olivier, einem Franzosen, der schon seit vier Jahren in ihren Diens­ten steht und der super zu Pferden sei, ist Marie glück­lich in ihrem eigenen Revier. Da haben bisweilen nur Lola, eine Mischung aus Berner Sennenhund und Rottweiler, na­tür­lich Gatte Dani, der Groom und Sohnemann Louis zutritt. Den Star im Stall, Admirable, findet man aber bei Frühlingsanfang nicht in seiner Box. Krank, verletzt? «Non, non», entgegnet Marie postwendend. «Er geniesst Wellness und Hydro-Therapie im Centre de Rollon in der Normandie. Er soll erholt, kräftig und gesund in die Freiluftsaison einsteigen können, von der ich mir einiges verspreche.»

Seit dem Herbst 2013 hat Marie Etter Pellegrin den Schweizer Pass. «Ich lebe seit zehn Jahren in der Schweiz und bin in meiner zweiten Heimat sehr glück­lich geworden. Deshalb reite ich für die Schweiz. Wenn es Admirable und mir gelingen sollte, konstant Spitzenleistungen auf höchstem Niveau zu zeigen, würde ich meine neue Heimat gerne an den Weltreiterspielen in meiner ehemaligen Heimat, in der Normandie, vertreten. Aber es wird schwierig werden. Die Konkurrenz ist auch in der Schweiz sehr gross.»

Der Götti ist Olympiasieger

Daniel Etter schaut auf die Uhr, als sein Handy mit einer bekannten Melodie das Gespräch im Centre Etter in Müntschemier unterbricht. «Es ist die Melodie des Filmes ‘Der Pate’», verrät Dani verschmitzt. «So weiss ich genau, dass mein Vater anruft.» Für seine Gattin Marie hat er einen anderen Klingelton gewählt: «Spiel mir das Lied vom Tod von Ennio Moricone...». Doch die Zeit ruft: «Wer holt Louis von der ‘Kita’ ab?», fragt Dani seine Gattin. «Du natürlich», erwidert sie. «Ich habe Gäs­te....» Parliert wird entweder in französisch oder in Bärndütsch mit Seeländer-Akzent. Wenige Minuten später ist Dani mit seinem fünfjährigen, aufgeweckten Sprössling von der Kindestagesstätte zurück, daheim im geschmackvoll ausgebauten Einfamilienhaus nur 70 Meter neben den Stallungen. Nun steht Louis im Mittelpunkt. Er erzählt von seinen Kita-Tagesaktivitäten und seinem Shetty-Pony Willi (ob da ein Zusammenhang mit Willi Melliger besteht?) und präsentiert seine zahlreichen Spielsachen, Autos, Traktoren, Musikins­trumente. Plötzlich zeigt er ein Foto, ein Bild von Steve Guerdat, dem Olympiasieger. «Er ist mein Götti und hat mir ein Schlagzeug geschenkt», strahlt der Klei­ne und trommelt besessen auf den Becken herum. Er sei ein lieber und gütiger Götti. Oft bringe er ihm wieder neue Spielsachen mit. Der ehrgeizige Jurassier, der am gleichen Tag wie Louis Geburtstag hat und für den Pferde alles bedeuten, scheint auch einen guten Draht zu Kindern zu haben. «Steve ist ein Freund der Familie», ergänzt Dani Etter. «Ich habe ihn schon oft zu grossen Turnieren begleitet. Und er ist innerhalb der Familie und Freunden anders als an Turnieren.»

Louis präsentiert seine Spielecke im Wohnzimmer.

Vielleicht kann Klein-Louis im September in der Normandie an den World Equestrian Games (WEG) Mama und Götti bestaunen, sofern die Leistungen zu Selektionen führen und Louis Etter Urlaub von der Kindertagesstätte erhält.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 17/2014)

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