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Der zehnjährige deutsche Fuchs-Wallach Luk ist Simones Liebling im Stall.
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Auf dem Höhenflug

12.03.2013 13:11
von  Sascha P. Dubach //

Am kommenden Wochenende findet in Braunschweig im deutschen Bundesland Niedersachsen der Weltcupfinal der Voltigierer statt. Als aussichtsreiche Kandidatin auf eine Spitzenplatzierung mit dabei ist auch die 26-jährige Zürcherin Simone Jäiser. Auf dem zehnjährigen Fuchs-Wallach Luk, longiert von ihrer Mutter Rita Blieske, strebt die engagierte Kauffrau einen Podestplatz an. Angefangen hat alles im elterlichen Reitschulbetrieb, wo Simone bereits früh mit dem Voltige-Virus in Kontakt kam.

Simone Jäiser strebt 2013 eine EM-Medaille an.

Im Moment weiss ­Simone Jäiser nicht wirklich genau, was Freizeit bedeutet. Da ist der 100-Prozent-Job im Backoffice der Firma Interhorse (Schweiz) AG – welche von ihrem Freund Markus Aebi geleitet wird – und da sind die letzten, intensiven Vorbereitungen auf den Voltige-Weltcup­final, der diesen Freitag mit dem erstmals durchgeführten Warm-up in Braunschweig (GER) startet. In der schmucken, heimeligen Wohnung, in der es sich das junge Paar vor rund zwei Jahren in Kindhausen-Volketswil gemütlich gemacht hat, «sind wir quasi nur noch zum Schlafen», schmunzelt Jäiser.
An den Final fährt Simone mit dem stolzen zweiten Rang aus der gesamten Qualifikationsphase im Gepäck. Zwei dritte Plätze in München und Salzburg, ein zweiter Platz in Leipzig sowie der Triumph in Bordeaux stärken das Selbstvertrauen für ihren insgesamt dritten Final. Im Vorjahr musste die ruhige und sympathische Pferdenärrin in der Wein-Metropole Bordeaux mit dem sechs­ten und letzten Platz noch Lehrgeld bezahlen. Das soll sich nun ändern: «Klar will man immer gewinnen, ein zweiter Platz ist aber das wohl realistischere Ziel.»

Unerschrocken auf den Pferderücken

Aufgewachsen ist die Zürcherin in ­Effretikon und Fehraltorf. Der Pferdevirus wurde ihr quasi schon in die Wiege gelegt. Vater Hanspeter Jäiser ist – wie Simone selbst sagt – zwar noch der grössere Hobbyreiter als sie selbst. Hauptverantwortlich für das «pferdige» Gen ist Mutter Rita Blieske, die einst eine ­Bereiterlehre machte und dann in die Selbstständigkeit wechselte. Sie betreut seit jeher den elterlichen Reitschulbetrieb, wo sich im Laufe der Zeit der Voltige-Sport immer mehr entwickelte und zum eigentlichen Standbein wur­de. Bereits im zarten Alter von vier Jahren turnte ­Simone unerschrocken auf den Rücken der Schulpferde umher. Nach dem Erwerb des Reiterbrevets und einer aktiven Zeit im regionalen Springsport setzte Simone entgütlig alles auf die Karte «Turnen zu Pferd».
Im Voltige-Verein Harlekin, benannt nach dem ers­ten eigenen Pferd von ­Simones Mutter Rita, werden mittlerweile rund 80 Kinder und Jugendliche betreut. Der Verein in Freudwil bei Uster ist Rita Blieskes ganzer Stolz. Sie ist es auch, die den verlässlichen, zehnjährigen deutschen Fuchs-Wallach Luk longiert, während ihre Tochter den Richtern und dem Publikum ihre dynamischen Küren vorführt. «Luk ist menschenbezogen und sehr verschmust. Er liebt es, wenn man mit ihm ‘rumblödelt’. Ihn kann nichts aus der Ruhe bringen, seine Galoppade ist sehr angenehm und gleichmässig. Ich liebe es auf ihm zu voltigieren», erzählt ­Simone mit leuchtenden Augen. Der Wallach kam 2009 in den heimischen Stall nach Freudwil. Ihm verdankt Simone ihren fast schon kometenhaften Aufstieg in die internationale Elite.
Nach dem Wechsel vor rund zwölf Jahren vom Gruppen- zum Einzel-Voltigieren gab es 2009 erstmals Gold an der Schweizer Meisterschaft. Ihren nationalen Titel wiederholte Simone 2011 sowie 2012. Aber auch mit der Gruppe kann sie bereits Edelmetall vorweisen. «Das Team von St. Gallen mit Annemarie Gebs als Trainerin und Longenführerin wurde 2003 und 2004 vom Verletzungspech geplagt. Ich wurde angefragt und dann auch gleich genommen», so Jäiser, die mit dem damaligen Vorzeige-Team sowohl an der Europa­meisterschaft in Saumur (FRA) wie auch an der Weltmeisterschaft in Stadl-Paura (AUT) die Silbermedaille gewann.

Grosser Aufwand


Erfolg kommt nicht von ungefähr. Doch fristet der Voltigesport nicht nur international, sondern auch national innerhalb des ­gesamten Pferdesportes nach wie vor ein Mauerblümchen-Dasein. Nur wenige Turniere stehen in ­Relation zu den enormen Aufwänden, die von den jungen Sportlerinnen und Sportlern erbracht werden müssen, um an der Spitze erfolgreich mitmischen zu können. «Ich trainiere fünf­mal in der Woche, während mindestens drei Stunden.» Seit rund einem Jahr gehört dazu auch ein intensiver Unterricht bei Daniel Kenel. Der freischaffende Tanzpädagoge ist Simones Choreograf und hilft ihr bei der künstlerischen und musikalischen Ausarbeitung der Küren. «Zuerst verbrachte ich viel Zeit im Tanzstudio, um mich in den Grundelementen der Dynamik zu verbessern, danach kam das Training auf dem Fass, dem Trocken­übungsgerät der ‘Voltis’, und nun trainieren wir mit den ‘richtigen’ Vierbeinern», erzählt die 26-Jährige. Kenel verhalf ­Simone zu mehr Ausdruck und Ausstrahlung und brachte die Voltigiererin auf ein neues Level.
Dazu werden drei weitere Trainingseinheiten auf dem Pferd und dem Fass, auch gemeinsam mit den Gruppen, absolviert. Simone trainiert neben ihrem eigenen Engagement auch noch die Gruppe Junioren II des Harlekin-Vereins. Voltigieren wird auch als Akrobatik zu Pferd bezeichnet. Dementsprechend müssen die Sportler auch in puncto Kraft und Koordination auf der obers­ten Stufe stehen und hart trainieren. An der Seite der Zürcherin steht dafür Gabi Schneider. Von der ehemaligen Kunstturn-Kadertrainerin kann sie in der Turnhalle enorm viel profitieren. Ein weiterer kleiner Mosaikstein also für die jeweils nur eine Minute lang dauernden Kür-Vorführungen. Ein riesiger Aufwand, um Perfektion und Konzentration auf einen einzigen wichtigen Moment zu fokussieren.

Simone verbringt mit ihrem Lebenspartner Markus Aebi fast mehr Zeit im Büro und den Wohnabteilen der grossen LKW-Pferdetransporter als in den eigenen vier Wänden.

«Ich will eine Medaille»

An diesem Wochenende wird Simone am Weltcup­final ihre bewährte Kür aus dem vergangenen Jahr unter dem Motto «Burlesque» vorführen. Unter Burlesque verstand man ursprünglich eine humorvolle theatralische Darstellung, die dann Einzug in das US-amerikanische Unterhaltungstheater des ers­ten Drittels des 20. Jahrhunderts hielt. Simone hat sich zusammen mit Daniel Kenel für Musik von Chris­tina Aguilera aus dem gleichnamigen Film von 2010 entschieden. «Die Kür ist äusserst dynamisch und mit vielen tänzerischen Elementen gepaart, welche ausdrucksstark ineinanderfliessen», beschreibt die ­Titel-Aspirantin ihren eigenen Auftritt.
Das Hauptziel in diesem Jahr ist aber nicht der Weltcupfinal, sondern die Europameisterschaft Anfang August auf der Anlage Magna Racino in Ebreichs­dorf bei Wien. «Da habe ich mir ein glaskares Ziel gesteckt: Ich will eine Medaille!» Kaum verwunderlich, denn im vergangenen Jahr verpass­te die ehrgeizige Sportlerin an der Weltmeisterschaft im südwestfranzösischen Le Mans als Vierte ganz knapp das Podest. «Das hat mich dann schon extrem geärgert!» Für die EM wurde nun über die Wintermonate eine neue Kür einstudiert und bereits paralell eingeübt. Der Feinschliff wird nun sukzessive nach dem Turnier in Braunschweig folgen. Zur Frage, wie es denn nach der EM aussehe, meint sie nur: «So lange ich noch besser werde, mache ich weiter.» Vielleicht startet sie auch eine zweite Karriere als Springreiterin, denn «gumpen» mache sie eigentlich noch ganz gerne als Ausgleich zum Voltigiersport.

Keine Angst vor «dicken Brummis»: Simone besitzt seit Kurzem die LKW-Prüfung.

Mit Zahlen jonglieren

Auch beruflich ist Simone voll engagiert. Als ausgebildete Kauffrau verdiente sie sich einst bei der Bau Rent AG in Effretikon, wo nicht nur ihr Vater, sondern auch Thomas Fuchs im Verwaltungsrat ist, ihre Sporen ab. Fuchs, Trainer von Olympiasieger Steve Guerdat, beorderte auch seinen Sohn Martin für ein Praktikum in das auf die Vermietung von Bau­maschinen spezialisierte Unternehmen. Und so kam es, dass Simone plötzlich für das Coaching des Europameis­ters der Jungen Reiter verantwortlich zeichnete. Und da war auch noch ein gewisser Markus Aebi, der als Filialleiter ebenfalls im Betrieb tätig war. Es dauerte nicht lange, bis es bei den beiden «funkte» und sich nebst der beruflichen auch eine private Beziehung entwickelte. Aebi gründete kurz darauf die Interhorse (Schweiz) AG, ein auf den Verkauf von Pferdetransport-Lastwagen spezialisiertes Geschäft. Bald darauf wechselte Simone zu ihrem Schatz in die neue Unternehmung. «Ich half ihm schon in der Gründungsphase in der Buchhaltung. Erfolg bringt Arbeit mit sich und so bin ich mittlerweile zu 100 Prozent in der Interhorse AG tätig.» Das Rösseler-Duo harmoniert hervorragend und Simone kann von Markus nur profitieren: «Er unterstützt mich enorm, wofür ich ihm dankbar bin. Für einen Vollblut-Sportler ist es nicht immer einfach, das geeignete Umfeld zu finden.» In der Zwischenzeit hat Simone auch die LKW-Prüfung bestanden und der Umgang mit den «dicken Brummis» ist für die zierliche, 157 Zentimeter grosse Sportlerin schon fast alltäglich geworden. «Im Moment bin ich gerade daran, mich für die LKW-Prüfung mit Anhänger vorzubereiten.» Dafür übernimmt sie auch ab und zu als «Chauffeuse» beispielsweise den LKW von Beat Mändli und fährt die edlen Vierbeiner zu Springturnieren quer durch Europa. Kein Wunder bleibt wenig Freizeit – denn ihr einzig grosses Hobby ist «Sightseeing» – und dafür findet sie meist nur in den prüfungsfreien Phasen an den internationalen Turnieren Zeit.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 10/13)

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