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Was tun, wenn das Pferd an Bauchschmerzen leidet?
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Bauchweh – was nun?

27.05.2014 12:47
von  Garance Christen (ISME) und Nicole Basieux //

Kolik ist beim Pferd der häufigste Grund für eine notfallmässige Vor­stel­lung beim Tierarzt. Meistens ist der Verlauf mild. Er kann jedoch auch ernst und im schlimmsten Fall lebensbedrohlich werden. Was passiert im Verdauungstrakt des Pferdes? Was tun Tierärzte in welcher Situation? Und vor allem: Wie können Pferdehalter vorbeugen?

Ein Zum-Bauch-Schauen kann ein Anzeichen für Bauchschmerzen sein.

Das Wort Kolik bedeutet «Bauchschmerzen». Die Symptome können in ihrer Intensität und Dauer variieren, sind aber einfach zu erkennen. Ein Pferd, das unter Kolik leidet, wird eines oder mehrere der folgenden Symptome zeigen: Appetitlosigkeit, Anzeichen von Unwohlsein wie Scharren, Wälzen, wiederholtes Hinlegen, gegen den Bauch schauen oder sogar schlagen, Flehmen, starkes Schwitzen. Es ist wichtig zu wissen, dass die Intensität der Symptome eine Aussage über die Stärke der Kolik zulässt, manchmal jedoch auch irreführend ist. Esel beispielsweise zeigen oftmals wenig Symptome, auch wenn sie starke Schmerzen haben. Im Endstadium einer Kolik zeigen auch Pferde manchmal nur noch Apathie, also Teilnahmslosigkeit, obwohl ihr Zustand sehr schlecht ist.
Die Ursachen einer Kolik sind zahlreich und oftmals nicht genau zu eruieren. Eine gute Ernährung ist aber grundlegend, um dem Auftreten von Koliken vorzubeugen. Das Pferd ist ursprünglich ein Steppentier, das sich von kargem, energiearmem Gras ernährt. Beim Zusammenstellen einer Futterration gilt es, dies zu bedenken. Denn noch heute ist der Verdauungsapparat wie damals. Die Ration muss dem Einsatz des Pferdes entsprechend gestaltet werden. Ein Rennpferd wird anders gefüttert als ein Freizeitpferd. Abrupte Futterumstellungen sind zu vermeiden, damit die Darmflora Zeit hat, sich dem neuen Futter anzupassen. Der Weidebeginn ist eine heikle Zeitspanne in der Fütterung. Es ist wichtig, das Pferd langsam an das energiereiche Gras zu gewöhnen, um eine Nähr­stoff­über­la­dung zu vermeiden. Besonders auch im Herbst kann das Gras Blä­hun­gen verursachen. Ein Pferd, das auf sandigen Böden gehalten wird, kann gleichzeitig mit der Grasaufnahme eine beträchtliche Menge an Sand zu sich nehmen. Dieser Sand wird sich im Magen und im Dickdarm ansammeln und dort Schmerzen aufgrund einer Reizung verursachen. Zugang zu Was­ser muss stets gewährleistet sein. Dies ist vor allem auch im Winter wichtig, wenn die Wasserleitungen einfrieren können.

Mit einem Stethoskop kontrolliert die Tierärztin die Darmaktivität des Pferdes.

Besonders anfällig durch Körperbau

Die Anatomie des Pferdes ist in gewisser Weise prädisponierend für Kolik. Einige abdominale Organe sind nicht auf ihrer ganzen Län­ge fixiert und können sich deshalb verlagern, einklemmen oder abgedreht werden. Auf der gesamten Län­ge des Verdauungstraktes gibt es Engstellen, die im Falle einer Fut­ter­über­la­dung zu einer Verstopfung führen können. Der Magen des Pferdes ist mit seiner Grösse von zehn bis 15 Litern vergleichsweise sehr klein und aufgrund seiner Anatomie verunmöglicht er dem Pferd das Erbrechen. Deshalb kann es relativ schnell zu einer Überladung des Magens kommen.

Auch Blutkontrollen geben Aufschluss über den Verlauf einer Kolik.

Die Futterverdauung

Die Futterverdauung verläuft beim Pferd über mehrere Phasen. Im Magen und im Dünndarm werden die leichtverdaulichen Nähr­stof­fe absorbiert. Die im Gras, Heu oder in der Silage enthaltenen Nährstoffe sind hingegen für die Verdauungsenzyme nicht verdaulich. Das Darm­sys­tem des Pferdes umfasst zwei Gärkammern, wo das Futter mittels symbiotischen Bakterien verdaut wird. Die Nahrungsfasern werden von den im Dickdarm (Colon und Blinddarm) angesiedelten Bakterien aufgespalten. Erst dann können die darin enthaltenen Nährstoffe aufgenommen werden. Bei diesen Fermentierungsprozessen setzen die Bakterien Gas frei. Arbeitet die Verdauung problemlos, so werden diese Gase durch Flatulenz eliminiert.
Ist aus irgendeinem Grund das Ablassen der Gase nicht mehr möglich, zum Beispiel wegen einer Blockierung des Darms oder einer Stase, so sammelt sich im Darmlumen Gas an. Als Lumen bezeichnet man den Innenraum von Hohlorganen im Gegensatz zum Raum auf der Aussenseite. Diese Änderung des inneren Milieus führt zu einer Verlagerung des gasgefüllten Darms nach oben und eventuell verklemmt sich der Darm in den angrenzenden Strukturen. Die Darmverlagerung kann dann einen chi­rur­gi­schen Eingriff erfordern. Sammelt sich Gas im Blinddarm an, so kann allenfalls mit einer Punktion des betroffenen Darmabschnitts für das Abführen der Gase gesorgt werden.

Eine Ultraschalluntersuchung erlaubt Rückschlüsse auf die Ursache einer Kolik.


Tägliche Bewegung wichtig für Verdauung

Die tägliche Bewegung bewirkt eine Stimulierung der Magen-Darm-Aktivi­tät, weshalb ein Pferd, das nur in der Boxe gehalten wird, eher eine Kolik erleidet, als ein Pferd, das viel Auslauf hat. Zudem läuft ein Pferd, das in der Boxe bleiben muss, eher Gefahr, aus Langeweile seine Einstreu (zum Beispiel das Stroh) zu fressen und so eine Verstopfungskolik zu entwickeln. Eine Kolik ist immer ein ernstzunehmender Zustand und muss von einer kompetenten Person beurteilt werden. Zudem kann sich eine erst milde erscheinende Form in eine sehr ernste Kolik verwandeln. Ein Pferd, das unter starker Kolik leidet, kann für sein Umfeld und für sich selbst zur Gefahr werden.

Damit der Magen entleert werden kann, muss eine Nasenschlundsonde über die Nüstern eingeführt werden. Das Pferd verspürt beim Entleeren des Magens keine Schmerzen.

Die klinische Untersuchung

Die Ursache für eine Kolik kann grundsätzlich in jedem Darmabschnitt sein, wobei der Dickdarm am häu­figs­ten Probleme bereitet. In einigen Fällen ist das Darmlumen verstopft. Es kommt in der Folge zu einem Darmverschluss. Bei vielen Koliken ist der Auslöser dafür nicht bekannt. Je nach Grund der Kolik und nach einer gründlichen Untersuchung erfolgt die Einteilung der Patienten in solche, die eine konservative und solche, die eine chirurgische Behandlung benötigen. Da eine Kolik stets ein dynamischer Prozess ist und die Därme sich weiter bewegen, kann es auch nötig sein, ein konservativ therapiertes Pferd nach einer gewissen Zeit doch noch zu operieren.
Bei der Untersuchung eines Pferdes mit Kolik sind für die Lokalisation und die Suche nach der Ursache der Kolik mehrere Schritte nö­tig. Eine vollständige klinische Untersuchung ermöglicht die Beurteilung des Allgemeinzustandes und die Wahl der So­fort­mass­nah­men. Mit der rektalen Untersuchung kann ein Drittel der Bauchhöhle ab­ge­tas­tet werden. Falls pathologisch veränderte Anteile des Darms in diesem Bereich liegen, ist es in einigen Fällen möglich, die Ursache und den Schwe­re­grad der Kolik zu bestimmen.

Lauwarmes Wasser wird zum Spülen des Magens eingeflösst und danach wieder ausgepumpt.

Parasiten auch eine mögliche Ursache

Magen-Darm-Parasiten stellen eine weitere mögliche Ursache für eine Kolik dar. Die Pferdehaltung, wie sie in der Schweiz praktiziert wird, weist dahingehend einige Schwach­stellen auf. In der Natur legt das Pferd zur Wasser- und Futteraufnahme täglich mehrere Kilometer zurück, sodass die im Kot ausgeschiedenen Parasiten nicht direkt von Artgenossen wieder aufgenommen werden und der parasitäre Infektionsdruck in einem stabilen Gleichgewicht bleibt. Es ist also verständlich, dass die Domestikation der Pferde zu einem erhöhten Risiko einer parasitären Infektion führt. Zudem trägt bei Fohlen auch das noch mangelhaft entwickelte Im­mun­sys­tem zu einer erhöhten Sensibilität gegenüber Parasiten bei. Es existieren beim Pferd drei grosse Gruppen von Endoparasiten: Die Rundwürmer, die Plattwürmer und die Magendasseln. Diese drei Parasitentypen können beim erwachsenen Pferd und beim Fohlen zu Koliken führen. Bestimmte Würmer können die Darmwand durchwandern und so bedeutende, teilweise irreversible Schäden verursachen. Durch den häufigen Gebrauch von Wurmkuren haben viele Parasiten bereits Resistenzen ent­wi­ckelt. Das regelmässige Verabreichen dieser Medikamente wird deshalb heutzutage nur noch eingeschränkt empfohlen und durch eine gute Weidehygiene im Zusammenhang mit regelmässigen Kotuntersuchungen und gezielter Therapie betroffener Tiere ersetzt.

Die Rückenlage, die für eine Kolikoperation erforderlich ist, ist nicht ungefährlich.

Schmerzen lindern und konservative Behandlung

Ein Eckpfeiler bei der Behandlung von Koliken ist die Schmerzbehandlung. Ein schmerzhafter Darm schränkt seine Funktion ein. Das Funktionieren des Darms ist jedoch lebensnotwendig. Eine me­di­ka­men­tö­se Schmerzbekämpfung kann ein vollständiges Erliegen der Darmtätigkeit verhindern.
Stress kann bei gewissen Pferden die Darmmotorik zum Stillstand bringen, spas­tische Krämpfe verursachen und auf diese Weise Schmerzen bewirken. Die­se Art von Koliken ist relativ häufig und ist im Grossen und Ganzen leicht zu behandeln. Koliken auf Grund von Darmblockaden oder sogenannten Darm­stasen sind sehr häufig. In den meis­ten Fällen kann mit einer Nasen­schlund­son­de ein Abführmittel verabreicht wer­den, das den Darminhalt verflüssigt. Mit der Einführung einer Nasen­schlund­sonde lässt sich auch der Füllzustand des Magens schätzen und der Magen kann – falls nötig – entleert werden. Manchmal ist eine intravenöse Infusion notwendig, um das Herz­kreis­lauf­sys­tem zu unterstützen. Wie bei den oben beschriebenen Koliken ist es möglich, dass das angesammelte Gas nicht mehr entweichen kann, was schwerwiegende Komplikationen nach sich zieht. Die abdominale Ultraschalluntersuchung erlaubt weitere Rückschlüsse auf die Ursache der Kolik. Schliesslich kann eine Punktion der Bauchhöhle auch noch Hinweise auf den Zustand des Darms geben. Trotz all der aufgeführten diagnos­tischen Mittel ist ein Teil der Bauchhöhle nicht ohne eine Operation zu beurteilen.

Vorbeugen ist die beste Behandlung

Trotz aller Fortschritte in der Veterinärmedizin stellen Koliken immer noch die allerwichtigste Todesursache beim Pferd dar. Beim Versuch, unseren Pferden nur das Allerbeste anzubieten, hat der Mensch mit einer sehr effizienten Entwicklung – über tausende von Jahren – des Verdauungsapparates des Pferdes interferiert. Als Steppentier ist sein Verdauungsapparat am besten bedient mit kargem, trockenem, holzigem Futter. Die Entwicklung des Pferdes hat es zu einem ständigen Fresser oder nach Fressbarem suchenden Organismus gemacht. Wir stellen ihn in einen begrenzten Raum und bieten ihm zwei bis drei Mal täglich eine grosse Menge Futter an, das getrocknet wurde und sehr konzentriert ist. Es ist eigentlich erstaunlich, dass Pferde nicht häufiger an Kolik erkranken.
Es ist unbestritten, dass die beste Vorbeugung von Kolik darin besteht, möglichst wenig im Management zu ändern. Pferde sind Ge­wohn­heits­tie­re, sie brauchen Routine sowohl mental wie physisch. Folgende vorbeugende Massnahmen sind der beste Weg, um die Kolikanfälligkeit zu reduzieren:
• Ständiges Angebot an frischem, sauberem Wasser.
• Konsistente Diät; fü̈ttern Sie mindestens 60 Prozent der Ration (bezogen auf das Gewicht) als Raufutter (Heu oder Weidegang). Ein hoher Anteil an Körnerfutter erhöht die Kolikanfälligkeit drei bis vier Mal.
• Vermeiden Sie wenn auch möglich Futterwechsel. Das Kolikrisiko ist vier Mal grösser anlässlich eines Futterwechsels.
• Füttern Sie Heu von guter Qualität. Es darf weder zu grob noch zu fein sein. Vermeiden Sie Staub und Schimmel.
• Vermeiden Sie, dass das Pferd sein Futter vom blossen Boden (Sand) aufnehmen muss.
• Streben Sie ein Entwurmungsprogramm mit parasitologischer Kotuntersuchung als Kontrolle an (wirksame Medikamente in korrekter Dosierung und sicher verabreicht). Entfernen Sie den Kot von Auslauf oder Weide min­des­tens zwei Mal pro Woche, um den Parasitendruck zu vermindern.
• Jährliche Zahnkontrolle und wenn nötig Zahnbehandlung.
• Viel Bewegung unter dem Sattel oder auf der Weide.
Wenn wir die evolutionsbedingten Bedürfnisse des Pferdes im Sinne einer häufigen Aufnahme von Fasern guter Qualität erkennen, können die Fütterungsmethoden entsprechend angepasst werden, um eine bessere Funktion des Verdauungsapparates zu gewährleisten und gleichzeitig eine psychische Befriedigung zu erzielen. Ein Pferd leistet besser, wenn sein Bedürfnis nach ständigem Naschen befriedigt ist. Dies erfolgt, indem man Heu oder Gras zur freien Wahl anbietet und nur stark arbeitende Pferde oder schlech­te Futterverwerter zusätzlich mit Getreide, Öl und so weiter supplementiert. Ein Salzstein und Wasser müssen immer zur Ver­fü­̈gung stehen. Eine solche unkomplizierte Diät vermindert die Aufnahme von Sand, das Risiko einer Hufrehe, eine zu grosse Fettansammlung im Gekröse (Lipom) und das Risiko von Kolik durch Fütterung von reichhaltigen Futterstoffen.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 21/2014)

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