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Rudolf Letter auf seinem legendären Cartier an der EM 1991.
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Der Schimmelreiter auf dem Rückzug

25.10.2016 14:38
von  Peter Wyrsch //

Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre schob sich ein Aussenseiter in die von Willi Melliger und den Gebrüdern Thomas und Markus Fuchs dominierte Phalanx der Schweizer Springreiter vor: Rudolf, genannt «Ruedi», Letter, gebürtiger Zuger und ge­lernter Metzger, mit seinem imposanten Schimmel Cartier. Er war mit seinem Pferd des Lebens Mitglied der Schweizer Bronze­equipe 1991 in La Baule (FRA). Paul Schockemöhle machte eine Zwei-Millionen-Offerte, welche die Letters ausschlugen, ehe es stiller um seine internationale Karriere und Ambitionen wurde.

Heute lebt der 63-jährige Besitzer mit seiner Frau Heidy auf der Reitanlage Herdern in Eschlikon im Kanton Thurgau, steigt noch immer in den Sattel, bestreitet aber mit seinen Pferden seit einigen Jahren nur noch vereinzelt nationale und regionale Concours. Er befindet sich eigenen Angaben zufolge aus Altersgründen auf dem Rückzug. Drei eigene Schimmel und zwei Ponys hausen nur mehr im Stalltrakt der Letters; ein zweiter ist für Pensionäre reserviert. Der Schimmelreiter blickt auf eine steile, aber kurze Karriere zurück und hat glänzende Augen, wenn er ins Erzählen und Schwärmen für seine eins­tigen Cracks kommt.

Schmuckstück Cartier

Cartier ist in der Uhrenbranche seit mehr als 16 Dekaden ein französisches Schmuckstück des Schweizer Luxusgüterkonzerns Richmont. Für Ruedi und seine Heidy ist Cartier aber keine besondere Uhr fürs Handgelenk, sondern ihr Pferd des Lebens. Der bildschöne und sprunggewaltige Holsteinerschimmel von Capitol trug Rue­di Letter zu seinen gröss­ten Erfolgen.

Rudolf «Ruedi» Letter.

Und er blieb unverkäuflich, obwohl Paul Schockemöhle einst zwei Millionen Franken geboten hatte. «Wir haben den Kauf aus verschiedenen Gründen abgelehnt, obwohl das Angebot Anfang der 90er-Jahre unglaublich viel Geld für ein Springpferd war», begründet Letter den Verzicht. «Ausschlaggebend war letztlich, dass Cartier für uns wie ein Kind war. Er hatte eine abnormal innige Beziehung zu meiner Frau Heidy.»
Eher zufällig sei er damals auf Cartier gestossen. Mit Pferdehändler Hansruedi Gloor befand er sich 1985 auf einer Reise durch Holstein. «Bring ja kein Pferd nach Hause», gab ihm damals seine Freundin Heidy mit auf den Weg. Da verdrehte ein vierjähriger Schimmel dem gelernten Metzger den Kopf. «Bereits beim ers­ten Blick hatte ich Herzklopfen», erzählt Letter, der 17 Jahre in Unter­ägeri die Metzgerei seiner Eltern führte. «Ich sah ihn freispringen und machte mit ihm zwei, drei Sprünge über einen Meter. Der Züchter hatte einen guten Namen, vermittelte er doch einst auch Willi Melliger den grossrahmigen Schimmel Corso.» Letter war von seiner Entde­ckung so begeistert, dass er knapp vor Mitternacht seine Heidy anrief, mit der er damals noch nicht verheiratet war. Sein Puls ging hoch. Seine Stimme stock­te und bebte. «Der Preis war 30000 D-Mark. Ein stolzer Preis und viel Geld für uns, hatte ich doch eben einen Transporter angeschafft und Heidy einen Triumph Spitfire. Flüssig hatten wir wenig.» Der Kauf schien in weite Ferne zu rücken. «Das Pferd ging mir aber nicht aus dem Kopf und Heidy spürte meinen Kaufdrang und bot an, sogar ihr neues Auto zu verkaufen.» So fuhr Ruedi Letter 100 Kilometer zu­rück und ging das finanzielle Risiko ein. Es sollte sich lohnen. «Das war unser grosses Glück. Cartier legte den Grundstein zu unserem Geschäft. Ohne ihn wäre ich nirgends.»

EM-Bronze 1991

Die Resultate belegen Letters Worte. Mit dem 1981 geborenen Holsteiner stiess er in die Schweizer Elite auf. 1991 war das ers­te erfolgreiche Jahr, das mit der EM-Team-Bronze mit Melliger (auf Quinta), Markus Fuchs (Shandor) und Thomas Fuchs (Dollar Girl) in La Baule gipfelte. Im selben Jahr war der heutige Wahlthurgauer auch Dritter im Weltcupspringen in Helsinki und ritt Nationenpreise in Rotterdam, Calgary, Hickstead und St. Gallen. Nach dem dritten GP-Rang am CSIO Schweiz 1992 in Luzern rückte ein Start an den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona näher. Da erlitt Cartier eine Kolik, muss­te operiert werden und wurde noch im selben Jahr von der Familie Letter aus dem grossen Sport zurückgezogen. Insgesamt bestritt das harmonierende Paar 25 Nationenpreise.

Letters Reitanlage Herdern im thurgauischen Eschlikon.

Die Shettys Manolito (vorne) und dessen Mama Pearl gehören zum Pferdeinventar bei Letters.

Letter startete dreimal in Aachen, zweimal in Rom, Hickstead, Luzern, St. Gallen, Calgary und Rotterdam, um nur einige wichtige Destinationen zu nennen. «Und nie lieferte ich das Streichergebnis», fügt der Pferdemann an. «Nur an der EM 1991 hatte ich in der ersten Runde einen Sturz, kam aber im zweiten Durchgang mit einem Abwurf ins Ziel und trug mein Scherflein zum Medaillengewinn bei.»
Cartier verbrachte seinen Lebensabend mit einem Lungenleiden auf der Wei­de in Eschlikon. «Er war der Liebling meiner Frau und folgte ihr wie ein treu­er Hund. Wenn sie nicht zugegen war, wurde er krank. Andere Pferde waren ihm egal. Er war nur auf eine Person fixiert, meine Heidy.» 22-jährig wurde Cartier von seinem Leiden erlöst. In Erinnerung wird er den Letters aber immer bleiben.

Der Verkauf von Cockney

Dem Schockemöhle-Angebot widerstanden die Letters, dem für Cockney aber nicht. «Ihn habe ich auch über alles geliebt. Ich bildete ihn sechs Jahre aus. Es war eine innige Beziehung entstanden. Er hatte mich nie einen Tag geärgert.» Dennoch kam es zum Verkauf, weil Letters in Eschlikon eigenständig werden und ihren Beitrag für eine neue Reitanlage mit einer Reithalle (25 mal 50 Meter), 24 Pferdebo­xen, einem Sandplatz (27 mal 55 Meter), einer Führanlage, einem Wohnhaus und einem grosszügigen Reitareal nahe dem Fuss­ball- und dem Tennisplatz erwerben wollten.

Cockney unter Rudolf Letter am CSI Zürich 1998.

1999 wur­de der Holsteinerhengst Cockney zu Beezie Madden verkauft. Die US-Amazone gewann gleich den Grossen Preis in Valkenswaard. Da zog sich das Spitzenpferd eine Viruserkrankung zu, die nur ein Jahr nach dem Besitzerwechsel zu dessen Tod führte. «Als ich Cockney verkauft hatte, wollte ich eigentlich meine Aktiv­laufbahn beschliessen», erwähnt Letter. In 86,7 Prozent aller Springen, die er im Sattel des dunkelbraunen Calando-Sohnes bestritten hatte, war er platziert. 1999 hatte er mit dem Zuchthengst noch den letzten GP in Elgg gewonnen, ehe er schweren Herzens Abschied nahm.

Freude überwiegt

Nach diversen gesundheitlichen Rückschlägen reitet Ruedi Letter nur noch aus Freude. «Der Erfolg ist sekundär. Das hat mich das Leben gelernt.» Sein Tagwerk besteht aus Reitlektionen und der Ausbildung von jungen Pferden. «Jun­ge Pferde machen Spass. Sie zu schulen, ihre Talente zu fördern und Fortschritte zu erkennen, bereitet Freu­de.» Seit einigen Monaten sitzt der Reitersmann nur noch im Sattel von drei Schimmeln: Den achtjährigen und selbst gezogenen Inländer Quite Cockney aus der Quite-Capitol und Cockney-II-Linie schätzt er ebenso wie den gleichaltrigen Inländerwallach Casaretto, den er an einer Auktion in Frauenfeld als dreimonatiges Fohlen erworben hat. Mit Siegen und Platzierungen in regionalen Prüfungen bis 125 Zentimeter hat er seine Anlagen schon angedeutet. Auch von der erst sechs­jährigen Schimmelstute Lexxie verspricht sich der Ausbildner einiges.

Ruedi und Heidy Letter mit der Schimmelstute Lexxie.

«Ich bilde mich als Trainer ständig weiter. Die Sportentwicklung galoppiert rasant. Schnell ist man als Lehrmeister veraltet, wenn man sich nicht neuen Tendenzen und Errungenschaften anpasst. Stillstand bedeutet auch im Pferdesport und in der Ausbildung Rückschritt.»
Wie lange Ruedi Letter noch selbst in den Sattel steigt und Concours bestreitet, lässt er offen. Er, der nie Gemüse und Salat isst, dafür gerne (als gelernter Metzger ja selbstverständlich) Fleisch verzehrt und Süsses über alles liebt, überlegt sich auch, ob er seinen Betrieb, den er nun mit seiner Heidy seit 21 Jahren führt, verkaufen will. «Es gab schon einige Anfragen. Wir hatten bei­de gesundheitliche Probleme und sind in die Jahre gekommen. Wenn alles passt, überlegen wir ernsthaft. Wir möchten nämlich noch einige Jahre gemeinsam und ohne Arbeitsdruck und -stress geniessen.»

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 42/16)

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