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Jane Richard Philips.
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Der zweite WM-Anlauf

19.08.2014 16:31
von  Peter Wyrsch //

Jane Richard Philips ist ein Pferdefloh. Nur 53 Kilo wiegt die 163 Zentimeter kleine Spring­reiterin, Arzttochter und Mutter, die vor neun Jahren aus Evilard im Berner Jura auszog, um in Vinovo bei Turin ihr Leben mit Pferden und in einer Grossfamilie zu verbringen. Die 31-jährige Longines-Botschafterin schafft es, all ihre vielfältigen Aufgaben mit vorbildlicher Organisation und enormen Fleiss unter einen Hut zu bringen. Mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen gelang es der zierlichen Person mit tatkräftiger Hilfe ihres Mannes Ignace Philips, ein einst als unreitbar beschriebenes Pferd namens Pablo de Virton WM-tauglich zu machen. Jane Richard und Pablo gehören zu den Schweizer Hoffnungsträgern an den WEG in der Normandie.

Janes engster Vertrauter heisst nicht Tarzan, wie im Dschungelbuch, sondern Ignace aus Flamen. Ihr Ehemann ist zwölf Jahre älter als Jane, Belgier, ehemaliger Equipenreiter, Reitlehrer, Pferdezüchter und Zigarrenraucher. Ap­ropos Zigarren: Dr. Ernst Schneider, der 2009 im Alter von 88 Jahren verstorbene Patron des Zigarren- und Luxusgüter-Konzerns Oettinger-Davidoff, war Janes Grossvater und ihr erster Förderer. Er ermöglichte ihr den Einstieg in die Pferdewelt und unterstützte auch jahrelang Willi Melliger und den CSI Neuendorf als Hauptsponsor. «Mein Grossvater hat viel für mich und den Reitsport getan. Er war fasziniert von Pferden und deren Fähigkeiten, in hohem Tempo Hindernisse zu überwinden.» Diese Eigenschaft hat er seiner Enkelin vererbt. Jane wuchs in keiner Pferdefamilie auf. Sie sass auch nie auf einem Pony, sondern begann gleich mit Pferden.

Familie Richard (v.l.): Ignace Philips, Jane Richard Philips, Sohn Noah auf Pony Bingo, Nonna Isabelle Richard und Nonno «Hanspi» Richard.

 

Das Pferdereich La Madonnina

In der Societa Ippica La Madonnina in Vinovo vor den Toren der Fiat-Stadt Turin haben Jane und ihr Mann Ignace ihr Glück gefunden. Ihr Pferdereich wurde 2011 durch die Geburt ihres aufgeweckten Sohnes Noah gekrönt. Der Sonnenschein, der vorab italienisch parliert, aber auch deutsch und flämisch versteht, versüsste die rund einjährige Babypause der ehrgeizigen und ambitionierten Reiterin mit dem freundlichen Lächeln. «Noah reitet schon», erzählt die Mama. «Er sitzt gerne im Sattel seines Ponys Bingo. Ich glaube, er mag nicht nur uns und seine ihn enorm verwöhnenden Grosseltern, sondern auch Pferde.»

Das Pferdereich La Madonnina in Vinovo mit dem neuen Sandplatz...

...und dem neuen Wohnhaus für die Pferdefamilie Richard, Angestellte und Gäste.

Rund 80 Pferde beherbergt das Pferdereich La Madonnina, das auch mit dem berühmten italienischen Springreiter Graziano Manchinelli verknüpft ist. Der Name des 1992 in Bres­cia verstorbenen Olympiasiegers von 1972 in München prangt über dem Eingangstor des grossen Rasen-Paddocks. Zudem erinnert eine steinerne Büste mit Inschrift an den letzten Derby-Sieger am einstigen Turnier in Vinovo. «40 Pferde in unserem Stall sind Pensionspferde, deren fünf Schulpferde für den Unterricht und derzeit deren acht sind meine Turnierpferde. Der Rest sind Verkaufs- und Handels­pferde. Unser Betrieb mit nahezu 14 Hektaren Gelände, mit einem grossen Gemüsegarten, zwei gedeckten Reithallen, Stallungen mit gegen 100 Boxen, Sand- und Rasenplatz, Galoppbahn, Wohnhaus und zehn Angestellten muss auch finanziert werden können», erklärt Jane auf der Betriebsbesichtigung unmissverständlich. Am Montag jeweils sei der Stallbetrieb geschlossen. Zeit für Hufschmied, Tierarzt, persönliche Betreuung der Pferde, also ein Privat- und Ruhetag für die Vierbeiner, wie Jane eloquent anfügt.

Spitzenpferde auf Papier

Jane Richards Spitzenpferde hausen in ihren grossen Boxen (mindes­tens vier mal fünf Meter), mit Ausnahme von Dieu­donne de Guldenboom, auf Papierschnitzeln. «Papier ist hygienischer als Späne oder Stroh. So haben wir weniger Staub und sauberere Luft», begründet Jane ihre Wahl. Die Papierschnitzel bezieht die Pferdefamilie Richard Philips in Sizilien. Die Spezial-Einstreu sei allerdings kostspieliger als Späne oder Stroh.

Stolz zeigt Jane auf die Bildergalerie mit ihrem Spitzenpferd Pablo.

Mit ihrer Familie wohnt die einzige Amazone in der Schweizer WM-Equipe in der Beletage des neu erbauten Wohnhauses mit Aufenthaltsräumen (Klub-Home), Studios und Wohnungen für Angestellte und Gäste. «Von der Terrasse unserer Dachwohnung aus lässt sich das Areal ideal überblicken und kontrollieren», flachst Jane im Strohhut, der sie von der Sonne schützen soll. Sonne allerdings hätten sie diesen Sommer spärlich wie kaum zuvor, wie Caroline, die Schwes­ter von Ignace und Betriebsleiterin in La Madonnina ergänzt. Sie lebe nun 20 Jahre vor den Toren Turins, aber soviel Regen wie dieses Jahr hätten sie noch nie gehabt. Dabei werde es an Hitzetagen in Vinovo an die 40 Grad heiss und verhindere jeweils ein erträgliches Arbeiten bis in die späten Nachmittagsstunden vollends. Caroline, die ihrem Bruder und ihren Eltern, ehemaligen Blumengross­händlern und seit Jahren passionierten Pferdezüchtern (Guldenboom), ins Piemont gefolgt ist, kümmert sich um die Adminis­tration und Organisation im familieneigenen Betrieb und ist der Chef, wenn Jane, Ignace und deren Entourage an Turnieren präsent sind.

Von Cracks geschult

Jane wuchs als einzige Tochter der Arztfamilie Hanspeter und Isabelle Richard in Evilard (zu deutsch: Leubringen) bei Magglingen auf. Früh interessierte und engagierte sie sich wie ihr Bruder Pablo, der als Arzt in der Impfstoffindustrie in Miami tätig ist, für sportliche Betätigung neben der schulischen Ausbildung. Bruder Pablo spielte einst als Spieler in der Nationalliga B Tennis. Jane hat ebenfalls das Racket geschwungen, ist Rad gefahren, gejoggt und hat sich im Schnee auf Skiern und auf dem Snowboard amüsiert. Im Teenageralter hat sie aber besonders das Reiten fasziniert und sie hat damit auch ihre Familie infiziert. Sie nahm nebst ihrem Studium an der Uni in Bern, das sie mit dem Bachelor in Sportwissenschaft abgeschlossen hat, Reitstunden bei arrivierten Spring­reitern wie Thierry Gauchat, Willi Melliger und Pius Schwizer und profitierte von Weiterbildungen bei George Morris und Katie Monahan-Prudent. Mit ihrem ­ersten Pferd Flamenco ­
hat Jane die Lizenz erworben.

Jane mit Zekina Z am Longines Global Champions Tour-Turnier in Shanghai.

Von nun an ging’s bergauf, wenn auch nicht sprunghaft und mit Rückschlägen. Die ersten kleinen Höhepunkte erlebte sie als 15-Jährige im Sattel von El Rico und dem Sieg im Schweizer Final der Team-Trophy in Kerzers und ein Jahr später dem dritten Platz in ihrem ersten Grand Prix als Junge Reiterin auf Duchesse in Rosental TG. 2007 wurde sie als Schweizer «Rookie of the year» geehrt. Mit Jalla de Gaverie, einer verlässlichen Franzosen-Stute, die nach Saudi-Arabien zu Khaled al-Eid, dem Olympiadritten von Sydney, verkauft wurde, glückte ihr der Einstieg in die Elite-Liga der Springreiter. 2010 liess sie national und international aufhorchen. In Bern gewann sie auf Upanisad di San Patrignano SM-Bronze und mit der Zangersheider-Stute Zekina bestritt sie zahlreiche gelungene Einsätze in der Schweizer Equipe, klassierte sich als 14. des Weltcupfinals in Genf und wurde für die WEG in Lexington, Kentucky nominiert. Eingesetzt wurde sie aber nicht, «was mich sehr enttäuschte», wie Jane noch Jahre danach gesteht, wohlwissend, dass die Schweizer Verantwortlichen nicht auf die besten und gesündesten Pferde setzten und mit ihren Fehl-dispositionen prompt abstürzten.

Der Star im Stall

Nunmehr verfügt die ambitionierte Amazone, die fliessend deutsch, englisch, französisch, italienisch und flämisch spricht, über acht Turnierpferde. Davon sind deren fünf für GP-Einsätze auf verschiedenen Stufen  bereit. «Der Weg zurück nach meiner einjährigen Babypause und der fast zweijährigen Verletzungspause von Zekina war hart. Als Frau, Mutter und mit Wohnort in Italien hatte ich es schwer. Zudem traute der Equipenchef meinem neuen Hoffnungsträger Pablo und mir nicht.»

Auch wenn er grast ist Pablo de Virton von Jane Richard kaum zu halten.

Das hat sich geändert. Der Star und die Nummer eins im Stall in Vinovo heisst seit rund zwei Jahren Pablo de Virton. Er ist elfjährig, ein kastanienbrauner Franzosen-Wallach mit einem enormen Springvermögen. «Er galt einst als unreitbar. Wir haben ihn aber rittig gemacht», erzählt Jane zu Recht und voller Stolz. «Pablo ist ein äusserst temperamentvolles, heisses und vorsichtiges Pferd. Früher hat er sich oft übersprungen. Ignace und ich haben ihm mit viel Geduld beibringen können, dass er nicht nur wie ein Lift hochschnellt, sondern auch weit durch die Luft vorwärts springt. Mit den Jahren ging dies immer besser, und wir wurden erfolgreicher.»

Zweimal abgeworfen

Vor rund sieben Jahren waren Jane, ihr Vater Hans-Peter, der von seinem Grosskind nur «Nonno Hampi» genannt wird, auf Pferdesuche in Belgien. Rund 15 Pferde bei Züchtern und Händlern probierten sie aus. Keines passte. Kurz vor dem Einnachten besuchten sie noch einen Bauern. Jane setzte sich auf ein bockiges Pferd und wurde prompt zweimal abgeworfen. Erst als sich ein Bereiter in den Sattel schwang und einige Hindernisse überquerte, erkannte man die Sprungkraft des rohen Diamanten. Wie das Pferd denn heisse, fragte Janes Vater den Verkäufer. «Pablo», antwortete dieser. Da auch Janes Bruder Pablo heisst, war der Deal geritzt. Die Arbeit mit dem «ungehobelten» Flieger konnte beginnen.

Janes engste Vertraute: Ehemann Ignace und Sohn Noah.

Alleine die Erfolge in diesem Jahr beeindrucken und sprechen für eine WM-Berücksichtigung: Platz vier im GP von Basel, Platz fünf im GP von Zürich, drei Nationenpreis-Einsätze in der Spitzenliga (0+4 in La Baule, 8+0 in St. Gallen, 4+4 und beste Schweizerin in Rotterdam). Dazu Fünfte im GP von Rotterdam, Siebte im GP von Arezzo, Achte in Chantilly, Zehnte in Estoril und Zwölfte im GP von Madrid. Ausser einmal in Chantilly war das aussergewöhnliche Paar in sämtlichen Grossen Preisen klassiert.

Basel, Hongkong, Shanghai

Seit acht Jahren ist Jane Richard Botschafterin für die renommierte Schweizer Uhrenmarke Longines. «Ich profitiere sehr von dieser Zusammenarbeit, die für mich eine Ehre ist. Ich sammle laufend Erfahrungen in der Global Champions Tour, wo mir Startplätze garantiert sind. Ich muss aber an allen Turnieren teilnehmen, was eine gewissenhafte Planung erfordert.» Die Richards, zu denen sich ihr Mann Ignace und dessen Eltern Leon und Marie-Jeanne sowie oftmals Klein-Noah und meist der rumänische Pferdepfleger Patrik gesellt, sind fast jedes Wochenende unterwegs. Von Basel nach Antwerpen, von Zürich nach Hong­kong, von St. Gallen nach Shanghai, von Lyon nach Estoril. Der Etappenplan 2014 ist vielseitig und anstrengend.

Die weiteren Ziele

Jane Richard und ihr Pablo, der als Familienpferd trotz Millionenangeboten unverkäuflich ist, haben den Zenit ihres Könnens noch nicht erreicht. Ein Zwischenziel wurde mit der WM-Nominierung Tatsache. «In der Normandie möchte ich unser Potenzial abrufen können, sofern uns vertraut wird. Ich würde gerne mithelfen, die ersehnte Olympia-Qualifikation, ein Rang unter den besten Fünf, zu schaffen. Mein Fernziel heisst Rio. Wenn ich 2016 an den Olympischen Spielen in Brasilien starten könnte, ginge ein Traum in Erfüllung.»

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 33/2014)

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