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An den «World Equestrian Games» in Tryon (USA) möchte Nadja noch einmal auf dem Treppchen stehen.
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Die neue Überfliegerin

13.02.2018 12:56
von  Barbara Würmli //

Die 23-jährige Nadja Büttiker ist seit vielen Jahren eine wichtige Stütze im Team von Voltige Lütisburg, das bereits Weltmeister und Vizeweltmeister wurde. Als Einzelsportlerin konnte die Toggenburgerin 2017 und 2018 grosse Erfolge erzielen. Sie gewann Bronze an den Europa­meisterschaften und durfte Ende Jahr in Salzburg ihren ersten Weltcupsieg feiern. Was man sich kaum vorstellen kann: Die elegante Turnerin steht im Alltag als Maurerin auf Baustellen ihren Mann.

Als jüngstes von vier Geschwis­tern in Kirchberg SG aufgewachsen, wur­de Nadja Büttiker das Pferde-Gen wohl in die Wiege gelegt, denn ihre Mutter war früher als Endurance- und Concours-Complet-Reiterin aktiv. Gleich drei Büttiker-Kinder fanden Gefallen am Voltigieren. Während der Bruder die Voltigierschuhe schnell wieder an den Nagel hing, ist Nadja 15 Jahre später immer noch aktiv und ihre ältere Schwester Martina als Voltigeleiterin tätig.

Jugend von Schule und Training geprägt

Obwohl Nadja Büttiker seit der fünften Klasse intensiv in der ersten Mannschaft von Voltige Lütisburg trainiert, empfand sie den Aufwand neben der Ausbildung nie als grosses Problem. Sie erinnert sich: «In der Oberstufe wurde es zwar schwieriger, da das Lernpensum stieg und das Voltigetraining gleich blieb. Aber ich setzte Prioritäten und akzeptierte, dass für andere Dinge als Schule und Training kaum Zeit blieb.» Sie ergänzt, dass es damals eine kurze Zeit gab, wo die Noten in den Fremdsprachen nicht so waren, wie es ihre Eltern erwarteten.

Nadja Büttiker mit dem 13-jährigen deutschen Sportpferd Keep Cool III.

Da hiess es, dass sich diese verbessern müssten, sonst müsse sie im Voltige kürzertreten. «Mir war klar, was es geschlagen hatte. Meine Trainerin Monika Winkler-Bischofberger ist selbst Lehrerin und es ist ihr wichtig, dass die schulischen Leis­tungen der Teammitglieder nicht unter dem Sport leiden. Glücklicherweise haben sich die Noten dann so eingependelt, dass es für alle Beteiligten zufriedenstellend war.»

Vom Zierpflanzengarten auf die Baustelle

Später wurde Nadja Zierpflanzengärtnerin, hat aber nach der Lehre entschieden, als Landschaftsgärtnerin zu arbeiten und kam zur Oberhänsli Bau AG in Mosnang, wo sie mit ihrer Familie heute auch wohnt. Im Winter, wenn die Gartenarbeit ruhte, wurde Nadja öfters auf der Baustelle eingesetzt und begann sich für den Hochbau zu interessieren.

Oben: Nadja bei ihrer täglichen Arbeit auf der Baustelle. Unten: Auf die Werbung auf ihrem Auto ist Nadja stolz, denn sie ist eine der wenigen Voltigierer, die einen Sponsor im Rücken haben.

Nun macht sie eine Zweitausbildung als Maurerin. Eigentlich kann man sich die junge Dame, die so filigran auf dem Pferd turnt, nicht auf dem Bau vorstellen, wo ein eher grober Umgangs­ton herrscht und sich eine Frau speziell beweisen muss. Nadja sagt dazu: «Ich hatte schon als Landschaftsgärtnerin überwiegend mit Männern zu tun. Das funktionierte gut und so war der Schritt zur Maurerin nicht so schwierig, wie sich das Aussenstehende vorstellen.»

Sport und Beruf ergänzen sich

Die Arbeit mit den Pferden und das Voltigieren brauchen sehr viel Fein­gefühl. Ausdrucksstarke Küren müssen zusammengestellt werden, es braucht Modebewusstsein, um die Kostüme passend zur ­Musik zu wählen und an den Wettkämpfen sind Schminken und aufwendiges Frisieren die Norm. Demgegenüber steht die Baustelle, wo sich Nadja in Arbeitskleidern, ungeschminkt und mit zusammengebundenen Haaren die Hände dreckig macht. Doch für sie ist das kein Widerspruch, sondern ein Ausgleich. Sie meint: «Zwar liebe ich es, mich für die Voltigeturniere zu stylen und elegant rüberzukommen, doch ich kann mir nicht vorstellen, an einem Arbeitsplatz tätig zu sein, wo ich mich schminken und frisieren und in schicken Kleidern erscheinen müsste.»

Immer motiviert

Auf die Frage, ob es in ihrer langen Voltigekarriere nie Zeiten gab, wo sie an’s Aufhören dachte oder zumindest ein Motivations­tief hatte, meint Nadja: «Nein, nie. Nur im Winter gibt es diese Tage, an denen ich lieber auf das Training verzichten würde, da diese unter der Woche immer abends bei Dunkelheit stattfinden und die Kälte in der Reithalle kein Zuckerschlecken ist.»

Nadja mit ihrer Trainerin und Longenführerin Monika Winkler-Bischofberger.

Sie betont aber, dass ihre Trainerin Monika Winkler-Bischofberger es schon immer geschafft habe, sie und das ganze Team bei Laune zu halten und eine gewisse Spitzensportlermentalität zu entwickeln. «Bei Monika lernt man von klein auf, dass Voltigieren nicht nur Spielerei ist, sondern ernsthafte Arbeit. Dafür bekommt man auch die Chance, es ganz nach oben zu schaffen und an Titelkämpfen teilzunehmen.»

Schattenseiten gibt es

Als negativ empfindet Nadja, dass Voltigieren als Randsportart nur wenig Beachtung und Anerkennung findet. Sie erzählt: «Vor allem, als wir 2014 mit der Gruppe Weltmeister wurden, war es frustrierend, dass in der Schweiz kaum jemand Notiz davon nahm, da Voltigieren ausser in der Reitsportfachpresse keine mediale Präsenz bekommt.» Die sonst so fröhliche Sportlerin wirkt ernst, als sie sagt: «Da ackert man jahrelang für den Erfolg, hat schluss­endlich eine Goldmedaille um den Hals, aber ausser dem engsten Umfeld feiert einen niemand. Und man verdient auch rein gar nichts, während Sportler in anderen Disziplinen nach einem Titel Siegprämien erhalten und lukrative Werbeverträge abschliessen können.»
Das führte bei Voltige Lütisburg dazu, dass nach diesem Titel ein Teil des Teams die Karriere beendete, weil die jungen Damen für sich keine Per­spektiven mehr sahen.

Nadja feierte mit der Gruppe Lütisburg etliche Erfolge.

Nadja blieb erfolgshungrig und machte weiter. Sie beschreibt die dann folgende Zeit als herausfordernd, denn die Gruppe musste neu aufgebaut werden. Somit mussten auch die Verbliebenen aus der Weltmeisterequipe während zwei Jahren kleinere Brötchen backen. «Wenn man einen grossen Titel gewonnen hat, braucht es ähnlich grosse Erfolge, um sich weiter zu motivieren. Bleiben diese aus, weil die neuen Teammitglieder noch nicht so weit sind, muss man sehr fokussiert bleiben, um die Freude nicht zu verlieren.»

Arbeitgeber als Sponsor

Da Nadja nicht nur im Team, sondern auch im Einzelvoltigieren erfolgreich ist, hat sie als eine der wenigen in ihrem Sport einen Sponsor gefunden. Und zwar ihren Arbeitgeber Damian Oberhänsli, der auch in sportlichen Belangen hinter seiner Lehrtochter steht. Dieser Batzen kommt Nadja persönlich zugute, nicht Voltige Lütisburg. Es handelt sich aber um eine überschaubare Summe, die vor allem dazu genutzt wird, neue Dresse nähen zu lassen oder die Reise­kos­ten an die Wettkämpfe zu schmälern. Bei Weltcupturnieren wird die Unterkunft zwar vom Veranstalter bezahlt, die Reise­kos­ten für Pferd, Voltigiererin und Betreuer muss aber selbst getragen werden. Es gibt sogar kleine Preisgelder, in Salzburg bekam Nadja 650 Euro für den Sieg. Davon werden aber Nenn- und Startgelder und die Stallgebühren abgezogen, sodass schlussendlich weniger als 500 Euro übrig bleiben. Nadja schmunzelt: «Verglichen mit den Preisgeldern in den prestigeträchtigen Pferdesportdisziplinen fühlt man sich ein bisschen veräppelt, denn unser Aufwand ist genauso gross und der Unterhalt unserer Voltigepferde ist genauso teuer.»
Obwohl ihr der Voltigesport finanziell nichts einbringt und sie im Privatleben Abstriche machen muss, ist Nadja Büttikers Karriereende nicht in Sicht. «Mir macht es immer noch Spass und das nächs­te Ziel ist die Qualifikation für die Weltreiterspiele im US-amerikanischen Tryon. Die Aussicht auf eine USA-Reise und die Chan­ce, nochmals auf das Weltmeisterpodest zu steigen, machen vieles wett, was mir der Sport abverlangt.» Sagt’s und stapft mit ihrem Gruppenpferd Rayo und den anderen Teammitgliedern im strömenden Regen Richtung Reithalle, um einmal mehr ein Wintertraining bei gars­tigen Bedingungen, aber ohne mit der Wimper zu zucken, zu absolvieren.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 6/2018)

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