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Laura Graves mit Verdades.
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Ein amerikanischer Traum

10.07.2018 10:24
von  Text: Alexandra Koch/Fotos: Triple Stich Fotography, Dirk Caremans, Stefan L //

Dressurreiterin Laura Graves lebt den «American Dream of Life». Die 30-Jährige könnte damit locker die Story für einen Hollywoodfilm liefern. Denn von der Hairstylistin zur olympischen Medaillengewinnerin und Mitfavoritin für die Weltreiterspiele im eigenen Land – diese Geschichte können wohl nur wenige erzählen ...

Im Frühling feierte Laura Graves einen neuerlichen Erfolg. Beim Weltcupfinal in Paris holte sie Silber. Knapp wurde es letztendlich zwischen ihr und der Dressurlegende Isabell Werth, die mit Weihegold erneut zum Titel ritt. Vor einiger Zeit konnte sich Graves den Platz neben der sechsfachen Olympiasiegerin und siebenfachen Weltmeisterin nur schwer vorstellen, brach jedes Mal in Jubel aus, wenn sie neben ihr Platz nehmen durf­te. Doch nun scheint es ein Stammplatz zu werden. Und nach dem Grand Prix in Paris, da sass Graves sogar in der Mitte – dem Platz des Siegers.

Verdades als Karriereschlüssel
«Pferde sind praktisch Teil meiner DNA. Sie sind ein Teil von mir, den ich niemals verdrängen könnte», beschreibt Laura Graves die Liebe zu den Tieren, mit denen sie einen Grossteil jedes Tages verbringt. «Ich freue mich jedes Mal, wenn meine Pferde immer gleich glücklich wiehern, wenn sie mich sehen. Sie urteilen nicht über dich und selbst, wenn du einen schlechten Tag hast und sie das spüren, werden sie dir vergeben. Sie lieben dich schon allein dafür, dass du ihnen ‘Hallo’ sagst. Sie sind so ehrlich, auf eine Art und Weise, die es bei Menschen nicht gibt.»

Silber am Weltcupfinal von Paris 2018: Laura Graves auf Verdades.

Ein Pferd hat es ihr bekanntlich ganz besonders angetan, ihr Sieger Verdades, mittlerweile 16 Jahre alter KWPN-Wallach und Sohn des Florett As: «Verdades ist das klügste Pferd der Welt für mich – ganz ehrlich! Er liebt seinen Job so sehr und ist gerade im Prüfungsviereck unglaublich ehrlich und möchte immer sein Bestes geben. Mein Pferd würde mich einfach nie hängen lassen, wenn es wichtig ist für mich! Im Stall nennen wir Verdades ‘Diddy’ und er ist dort ein ganz anderes Pferd, nicht so ernst und fokussiert. Er liebt es, Streicheleinheiten zu bekommen und ganz viel Aufmerksamkeit und ‘Pflegesessions’. Ausserdem geht er liebend gerne nach draussen und auf den Paddock. Ich reite ihn, sobald die Turniersaison für ihn vorüber ist und er Pause hat, auch gerne einige Wochen ohne Hufeisen. Dann machen wir ganz gemütliche Ausritte ohne Sattel.»

Tausche Wasch­maschine gegen Pony
Laura Graves hatte die Liebe zum Pferd von frühes­ter Kindheit an begleitet. Mit acht Jahren ging sie regelmässig zur Reitschule. Dennoch waren die Eltern nicht gerade vermögend. Um Pferde für Laura und ihre Schwester zu kaufen, wurden kurzerhand eine Waschmaschine und ein Wäschetrockner verkauft. Zunächst hatte es Graves viel mehr als die Dressur die Vielseitigkeit angetan. «Daran hatte ich richtig Freude. Aber ich ritt ein kleines Quarterhorse, welches herausragend sprang und auch in der Dressur richtig gut war. Aber als die Hindernisse im Gelände immer mächtiger wurden, war mir schnell klar, dass ich dafür nicht die Nerven haben würde.

Laura Graves geht auch gerne mit den Pferden in die Natur.

Also entschied ich mich für einen in meinen Augen weniger gefährlichen und nervenaufreibenden Pferdesport. Mit zwölf Jahren konzentrierte ich mich dann auf die Dressur.» Nur drei Jahre später kaufte die Familie in den Niederlanden ein Fohlen namens Verdades, welches Laura Graves von da an begleitete. Verdades stellte sich jedoch als kein einfach zu reitendes Pferd heraus. Im Gegenteil, sein Temperament war so gross, dass es 2009 zu einem schweren Sturz kam, bei dem sich Graves eine Rückenverletzung zuzog und die weitere reiterliche Karriere fraglich war.

Entscheidung für den Sport
Graves konzentrierte sich vermehrt auf eine Ausbildung zur Kosmetikerin und arbeitete bald in Boston als Hairstylistin. Verdades soll­te zunächst verkauft werden, was sich jedoch als schwierig herausstellte. Und dann kam doch eines Tages die Entscheidung, die ihr Leben verändern sollte: «Ich dachte mir: jetzt oder nie! Ergreife deine Chance, du weisst nicht, ob es eine weitere geben wird. Ich dachte auch an mein Lebensmotto, ein Zitat von Eleanor Roosevelt. Sie sagte einst, dass man immer das tun sollte, was das Herz einem bedeutet, das richtig ist. Kritisiert wird man ohnehin, aber so kann man es mit sich selbst vereinbaren.»

Im harten Zweikampf um den Sieg duelliert sich Graves oft mit Isabell Werth (GER).


Laura Graves zog nach Florida und baute dort ab 2012 ihre eigene Reitanlage auf. Und Verdades entwickelte sich mehr und mehr zum zuverlässigen Partner, mit dem sie ab 2014 auf Grand-Prix-Level antrat. Bereits in jenem Jahr holten die beiden den fünften Platz bei den Weltreiterspielen in der Normandie. Zwei Jahre später ritt das Paar zu einem herausragenden vierten Rang im Einzel und Teambronze bei den Olympischen Spielen in Rio. «Das war für mich ein unglaublicher Traum, der wahr geworden ist. Überhaupt ins Olympische Team zu kommen und in einem derartigen Stadion zu reiten, war so grossartig. Vor allem werde ich mich immer an unsere wirklich intensive Kameradschaft in dieser Mannschaft erinnern. Ich bin so stolz, dabei gewesen zu sein!»

Alltag rund ums Pferd
In Laura Graves Alltag dreht sich mittlerweile alles restlos um Pferde. Gemeinsam mit ihrem Partner Curt Maes hat sie in Geneva nahe Orlando ein kleines Pferdeparadies aufgebaut. Auch um den Nachwuchs kümmert man sich hier natürlich, doch – so gibt Graves unumwunden zu – bislang reichen sie alle noch nicht an Verdades heran: «Natürlich sehe ich mich immer nach neu­en Stars um. Verdades wird ja auch nicht jünger. Aber selbstverständlich haben diese Youngster riesige Hufspuren zu füllen. Das macht einen schon ziemlich wählerisch. Doch die Zeit steht eben nicht still und der Nachwuchs wird seine Chance bekommen. Aktuell habe ich einen knapp Vierjährigen. Von ihm verspreche ich mir ziemlich viel. Wichtig sind immer drei sehr gute Grundgangarten. Doch noch viel wichtiger ist die Einstellung zum Sport. Das Pferd muss wirklich lernen wollen und seine eigene ‘Arbeitsmoral’ entwickeln. Dann kann man mit ihm zusammen diesen langen, harten Weg gehen.»

An den Olympischen Spielen 2016 holte Graves Bronze mit dem US-Team.


Im täglichen Ablauf ist Laura Graves trotz der vielen Erfolge nicht abgehoben und für jede Tätigkeit zu haben. «Ich liebe es immer noch, die ganz normale Arbeit im Stall mitzumachen. Das heisst, die Ställe sauber machen und meine Pferde selbst putzen und aufzäumen», erklärt sie. «Da ich nicht so viele Pferde täglich reite, ist mir das möglich. Nach dem Reiten füttere ich meine Pferde sehr gerne selbst oder wasche und putze sie. Ansons­ten ist aber mein Tag natürlich durch das Training bestimmt, wie bei wohl jedem anderen Profireiter auch. Ich habe zudem einige Schüler und gebe immer wieder Kurse. Wenn mir mal etwas Zeit jenseits des Stalles bleibt, dann verbringe ich diese am liebsten mit meinem Freund und meiner Familie. Ich koche dann sehr gerne oder entspanne einfach nach einem anstrengenden Tag.»
Seit 2014 trainiert sie zusammen mit der vielfachen Medaillengewinnerin Debbie McDonald, die einst mit der Stute Brentina herausragende Erfolge erzielte. «Sie ist eine grossartige Trainerin und Pferdekennerin», betont Graves. Sie gibt zu, dass sie in der täglichen Arbeit auch oft daran denkt, dass mit den Weltreiterspielen im eigenen Land das vermutlich grösste Ereignis ihrer gesamten Karriere bevorsteht und sie entsprechend ihre beste Leis­tung zeigen möchte. Dennoch weiss sie, dass es viel Bedeutsameres gibt im Leben – und dass sie mit ihrer bisherigen traumhaften Karriere wohl schon mehr erreicht hat, als sie sich das jemals hätte vorstellen können. «Im Grunde genommen habe ich deshalb auch keine grossen Ziele mehr, sondern einfach nur den wichtigsten Wunsch von allen: Ich möchte einfach gemeinsam mit den Menschen und Tieren, die ich liebe, ein gesundes und glückliches Leben führen.»

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 27/2018)

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