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Der bis zu vier Tonnen schwere Hybrid-Omnibus unterwegs in der Region Wil.
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Erste Hybrid-Kutsche der Schweiz

08.04.2015 14:28
von  Werner Schönenberger //

Hans Schibli war lange Zeit Reitlehrer im Gillhof bei Henau. Als er den Reitbetrieb an seinen Sohn Mathias und an Bruno Fuchs übergab, hatte er plötzlich Zeit für anderes. Er kaufte sich in Wil ein Haus, das in einem Quartier mit geschütztem Ortsbild steht. Doch schon bald störte es ihn, dass er kein Gartenhaus nach seinen Vorstellungen neben seinem Haus bauen durfte. Er entschloss sich deshalb, eine Alternative in der Art eines Doppeldecker­busses zu suchen. In Nürnberg fand er über das Internet einen pferdegezogenen Omnibus. Kurz entschlossen kaufte er das Ungetüm, und der alte Besitzer lieferte ihm das alternative Gartenhaus auf einem Tieflader vor die Haustüre. Doch schon wieder musste er sein Konzept ändern, denn für ein Gartenhaus war dieses Gefährt einfach zu schade.

Die Vergangenheit des Omnibusses kennt Hans Schibli nur in Bruchstücken. «Der Unterbau dürfte etwa 100 Jahre alt sein, denn die Räder sind nicht neu und auf den Nabendeckeln ist Pons Marmetfil’s Cavaillon eingraviert», erklärt er. Weiter vermutet er, dass der Wagenkasten erst später, wahrscheinlich etwa vor 30 Jahren in Ostdeutschland hergestellt wurde.

Anspruchsvolle Entwicklungsarbeit

In der Schweiz angekommen, sorgte das zweieinhalb Tonnen schwere und 3,6 Meter hohe Ungetüm für Aufsehen. Für die Probefahrt spannte er mit Kollegen drei Freiberger Pfer­de ein. Im ebenen Gelände war alles kein Problem, aber aufwärts kamen die Pferde schnell ans Limit. Hans Schibli begann erneut zu überlegen und nach Lösungen zu suchen. Er stiess auf alte Fotos und Filme, wo im Grosstadtverkehr viele Omnibusse zu sehen waren. Gleichzeitig erfuhr er von alten Wilern, dass in der Pionierzeit der Eisenbahn auch in Wil ein Omnibus vom Bahnhof zum Hotel Schöntal verkehrte. Immer waren vor solche Doppeldecker aber nur zwei Pferde eingespannt. Obwohl das Ge­lände in der Region Wil hügelig ist, suchte er weiter nach Lösungen, um mit zwei Pferden Omnibusfahrten anbieten zu können. Schon bald stiess er in Deutschland auf «pferdelose» Kutschen mit Benzin- oder Elektromotoren, und in der Schweiz erfuhr er von einem Pilotprojekt für elektrounterstützten Pferdezug im Nationalgestüt in Avenches. Doch der Elektromotor, der über sensible Zugleistungssensoren gesteuert wurde, konnte ihn nicht überzeugen. In Osttirol inspizierte er eine Kutsche, die an einem Rad mit zuschaltbarem Elektroantrieb nachgerüstet wurde. In dieser Evaluationsphase führte er viele Gespräche mit anderen Kutschenmotor-Tüftlern, doch längst nicht alle verliefen kooperativ und konstruktiv. Hans Schibli wurde es in dieser Phase immer mehr bewusst: «Die optimale Lösung muss noch gefunden werden.»

E-Bike-Technik als Basis

Auf echtes Verständnis und Interesse stiess er viel später bei einem örtlichen Ausrüster von elektrobetriebenen Kommunalfahrzeugen. In Markus Brunner aus dem Nachbardorf Schwarzenbach fand er einen interessierten Landmaschinenmechaniker, der ihm bei der Suche und Entwicklung des Sekundärantriebes wert­volle Unterstützung bot. Als sie in Italien noch Differenzialantriebsachsen mit integrierten Trommelbremsen fanden, konkretisierten sich die Ideen von Hans Schibli immer mehr. Doch mit der reinen Mechanik war eine optimale Funktion noch nicht garantiert. Später fanden sie dann nach langem Suchen und Abklären in Deutschland auch noch einen interessierten Spezialisten für die Einstellung der Elektronik. Erst jetzt wurde es möglich, dass der Elektromotor seine Leistung optimal auf die Vorderräder übertragen konnte.

Hans Schibli misst die Batterieflüssigkeit.

Ein Elektromotor bringt über eine Differenzialachse mit einer Kette seine Leistung auf die Vorderräder.

«Es brauchte viele Testfahrten mit und ohne Pferde, bis die Technik richtig funktionierte», betont Hans Schibli. «Über ein Gaspedal kann ich nun den Elektromotor stufenlos und ganz nach Bedarf einsetzen und so die Pferde in gewissen Situationen entlasten. Den Elektroantrieb haben wir auf die Geschwindigkeit von maximale zwölf Stundenkilometer begrenzt, und die Bremsen funktionieren mit Energierückgewinnung. Für die Stromversorgung haben wir vier Traktorenbatterien seitlich unter dem Omnibus versteckt. Alles funktioniert ähnlich wie bei Elektrobikes; ohne zu treten läuft das Ding nicht lange, aber unterstützt durch Pferdekraft reicht die Leistung erstaunlich weit», erklärt Hybridkutschen-Pionier Schibli voller Begeisterung.

Tierschutzgerechte und ökologische Lösung

«Doch wer nun glaubt, durch die Elektromotorunterstützung könnten die Pferde einfach nur mitlaufen, der irrt sich», erklärt Hans Schibli. «Verwöhnen darf man die Pferde trotzdem nicht, sonst fehlt irgendwann plötzlich die ganze Unterstützung.» Bei einer Volllast von etwa vier Tonnen kommt keines seiner Pferde mehr richtig ins Schwitzen. «Jetzt muss kein Gast mehr Angst haben, die Pferde würden überfordert und überlas­tet», betont er. Damit hat Hans Schibli seinen Traum tiergerecht und ökologisch umgesetzt. Im Gespräch mit dem Pionier wird immer wieder deutlich: Diese Entwicklungsarbeit befriedigt ihn ungemein, und gerne gibt er seine Erfahrung auch weiter. Hans Schibli lacht dabei: «Von den Omnibusfahrten muss ich nicht leben können, umso mehr Spass steckt dahinter.»

Auch am Steuer des Elektro-Omnibusses hat Hans Schibli seinen Spass.

Seine Begeisterung für die Hybrid-Kutsche ist auch noch zu spüren, als die Pferde nicht mehr vor dem Wagen stehen. Er kann jetzt zeigen, wie problemlos und ohne Kraftanstrengung er den schweren Omnibus parkiert – wieder steigt er auf, steckt das Steuerrad mit der Lenkstange in den Boden des Kutschbockes und fährt ganz ohne Pferde und Probleme vorwärts, rückwärts, aufwärts und abwärts.

Apéro- und Dessertfahrten

Nachdem der Omnibus immer praxistauglicher wurde, kaufte Hans Schibli in Vorarlberg zwei junge Norikerpferde; zwei typische Mohrenköpfe, die er später zu Max und Moritz umtaufte. Sie zeichnen sich durch ihr ausgeglichenes Temperament und ihren unbändigen Leistungswillen aus. Diese vorteilhaften Eigenschaften entdeckte bereits auch die St. Galler Reitermusik. Sie haben die beiden Mohrenköpfe deshalb auch schon als Paukenpferde getestet.

Mit seiner Partnerin Ra­mo­na Remund hat er ein Geschäftsmodell für Apé­ro- und Dessertrundfahrten rund um die Stadt Wil entwickelt. Hans Schibli sorgt dabei für Abwechslung und Bewegung und seine Partnerin verwöhnt als selb­stän­di­ge Konditorin die mitfahrenden Gäs­te. Um den Komfort für die Gäste zu erhöhen, haben sie auf dem Dach die harten Bän­ke demontiert und durch bequeme Loungesessel ersetzt. So können sie bis zu 20 Personen auf dem Doppelstöcker verwöhnen.

In Wil werden mit der Hybrid-Kutsche Apéro- und Dessertfahrten angeboten.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 13/2015)

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