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Jérôme Voutaz.
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Ferien nur für die Pferde

12.06.2018 12:57
von  Peter Wyrsch //

Jérôme Voutaz kennt keine Ruhetage. Der Walliser Viererzugfahrer macht auch an seinem Geburtstag keine Pause. Am 24. Mai, an seinem 39. Wiegenfest, arbeitete der Pächter und Co-Chef der Renault-Garage Mont-Blanc Moulin in Martigny im Überkleid, reparierte Autos und empfing über Mittag die «Pferde­Woche» in seinem Heimatdorf Sembrancher. «Ich bin zu 100 Prozent Amateur und habe 40 Tage Ferien im Jahr. Und diese verbringe ich zusammen mit meinen Pferden. Pferde sind für mich Ferien.»

Jérôme Voutaz arbeitet Vollzeit in der Renault-Garage, die er mit seinem Kollegen führt.

R­­­otes Hemd, schwarzes Gilet, schwarze Hosen. Dazu ein Herz mit Schweizer Kreuz auf seinem schwarzen Helm und ein pochendes unter seiner Brust. Mutig, unerschrocken, konzentriert und ehrgeizig. Er zieht gekonnt die Leinen, kurvt eng um Hindernisse und holt aus seinem Gespann das Letzte heraus: Das ist Jérôme Voutaz, passionierter und erfolgreicher Schweizer Viererzugfahrer, Herzblut-Walliser und zweifacher Vize-Weltcupsieger. Sowohl in diesem Frühjahr in Bordeaux als auch ein Jahr zuvor in Göteborg liess sich der stolze Walliser nur vom australischen Master und nunmehr achtfachen Weltcupsieger Boyd Exell bezwingen, der immer mehr den heissen Atem seines Schweizer Rivalen in seinem Nacken spürt. «An ihm vorbeizukommen, ist schwierig. Er verfügt über ein Pferdearsenal und verbringt über zwölf Stunden täglich mit Pferden und auf dem Wagen. Er isst oft sogar auf dem Bock, um keine Zeit zu verlieren. Aber einmal habe ich ihn mit meinen Freibergern geschlagen», erzählt der gelernte Automechaniker stolz.

Champion Boyd Exell besiegt

Es war Ende Januar beim CAI in Leipzig. Die letzte Weltcupqualifikationsprüfung. Jérôme Voutaz und seine Grooms, Freundin Sophie Froidevaux und Pierre Emonet, setzten alles auf eine Karte. Volle Pulle, totales Risiko. Es machte sich bezahlt. Der Walliser Amateur schaffte mit seinen Freiberger Stuten die Sensation. Boyd Exell, der vierfache Weltmeister, war besiegt, die Freude riesig.

Das Tor zum Grossen St. Bernhard

Wer auf die Route des Grossen St. Bernhard in Martigny einbiegt, kommt an der Renault-Garage von Jérôme Voutaz vorbei. Er hat dort seine Automechanikerlehre absolviert, ist über 25 Jahre im Betrieb und seit Jahren mit seinem Copain Pascal Rausis der Patron von 13 Angestellten. Pferdestärken sind seine Leidenschaft, die natürlichen, ohne Motoren, insbesondere.

Jérôme Voutaz mit Lune vor dem umgebauten Stall. Fotos: Chantal Kunz

Bei Voutaz’ Garage beginnt die Passstrasse Richtung des Grand St-Bernard, wie ihn die Frankophonen nennen. Der Pass, schon zur Römerzeit einer der wichtigsten Alpenübergänge, verbindet das Rhonetal mit dem Aostatal und der Region Piemont in Italien. Vorbei an Rebbergen, felsigen Abgründen und entlang der Drance, die bei Martigny in die Rhone fliesst, führt die kurvige Strasse hinauf nach Sembrancher, dem Hauptort des Bezirks Entremont. Das Dorf kennt keine 1000 Einwohner, ist mitten in der Bergwelt, umgeben von saftigen Wiesen, Maisfeldern, Ehringer Kühen und Pferden.

Die Ferme des Moulins

Hier wohnt Jérôme Voutaz, auf der Ferme des Moulins. Da ist er geboren, da ist seine Heimat, da mahlen die Pferdemühlen. Da fühlt er sich wohl, im Schoss der Familie, seiner Freunde, den geschätzten Nachbarn und seinen Pferden. Sie grasen auf der Weide, können sich in der gesunden Walliser Alpenluft auf 717 Metern Höhe frei bewegen. Sie sind seine Lieblinge und sind bis auf wenige Ausnahmen Freiberger Stuten. Sie heissen Belle, Folie und Holliday (alle elfjährig), Flore (12), Eva und Leny (beide 14), Seniorin Coeur Fly (17) und die Zukunftshoffnungen Fée (6) und Lune (9). Der Chef heisst Leon, ist siebenjährig und ein Wallach, der weiss, wie man den Karren zieht. Einige sind miteinander verwandt, haben die gleiche Mutter oder stammen aus dem Zuchtbetrieb von Pierre Emonet, dem Co-Besitzer von Voutaz’ Pferden.

Links der Hof, wo Jérôme Voutaz’ Pferde leben. Rechts das Elternhaus sowie das Haus von Pierre Emonet.

Pierre Emonet ist der Nachbar von Jérôme. Er hat ihm wohl den Pferdevirus übertragen. Emonet ist Bauersmann, Herr über zwei Dutzend Milchkühe, bemüht sich mit Inbrunst um deren Aufzucht ebenso um Pferdezucht. Seine Frau Georgette kümmert sich um Hof und Pferde, wenn das Team zu Wettkämpfen unterwegs ist.

Sophie aus dem Jura

Jérôme Voutaz ist ledig, träumt aber von einer Familie. Das hört Sophie ­Froidevaux, seine Freundin, wohl gerne. Die Jurassierin ist seit geraumer Zeit sein Groom, aber auch seine Übersetzerin. Jérôme ist sprachlich weit weniger begabt als an den Leitseilen seiner Pferde und in handwerklichen Belangen. Der Walliser spricht weder Deutsch noch Englisch. Handwerk jedoch ist seine Begabung. So baute er eine Scheune, die nach dem CSI Verbier 2006 für eine Feuerwehrübung angezündet werden sollte, in einen Pferdestall um, wo nun seine Vierbeiner geräumig untergebracht sind. Da hausen alle eigenen Pferde, derzeit sind es deren zwölf.

Auch sein eigenes Wohnhaus hat er mit viel Holz erweitert und geschmackvoll umgebaut. Die Küche ist modern, an der Decke des Schlafzimmers hängen haufenweise Flots, die Jérôme mit seinen Pferden nach irren Passagen gewonnen hat. Der Keller wurde in eine kleine Bar umfunktioniert, die tiefen Temperaturen sind ideal für die Lagerung von mundigen Walliser Weinen. Da wird wohl schon manche Feier gestiegen sein.

Die liebe Dressur

Der derzeitige Vorzeigefahrer der einheimischen Vierspänner hat diverse Stärken, aber auch eine Schwäche. Im Marathon ist er Weltspitze, war an den letzten Europameisterschaften sowohl im Gelände als auch im Hindernisfahren Erster. Im Marathon verwies der Schweizer Meister von 2013 Könner wie den Niederländer Ijsbrand Chardon oder die Deutschen Christoph Sandmann und Georg von Stein auf die Ehrenplätze. Die Dressur aber ist nicht Voutaz’ Leidenschaft. Sie ist seine schwächste Disziplin. An der EM kam er lediglich auf Platz 20. Dieses Handicap vermochte er nicht mehr aufzuholen. Im Schlussklassement resultierte deshalb «nur» Rang neun. «Ich übe selten Marathon, in der Dressur habe ich aber Verbesserungspotenzial. Ich muss mich vermehrt mit den vorgeschriebenen Lektionen befassen und mich da­rauf konzentrieren. Das macht zwar weniger Spass, gehört aber dazu. Denn viel lieber lasse ich es rauschen, egal ob im Freien oder in der Halle. Und auch das ‘Töggelifahren’, diesen deutschen Ausdruck kennt der Romand, motiviert ihn mehr. «Da ist in hohem Tempo Präzision gefragt, das kommt meinem Wesen nahe.»

Dem Risiko, das Voutaz oftmals eingeht, zollte er schon Tribut. Er stürzte schon an Schweizer Meis­terschaften und zog sich 2016 am CAI in Donau­eschingen einen Beinbruch zu. Seither geht es aber sportlich stets bergauf. Die zweiten Plätze an Weltcup-qualifikationsturnieren in Mechelen und Budapest ragen nebst dem Sieg in Leipzig heraus. Und die beiden Vize-WM-Titel in Göteborg 2017 und Bordeaux 2018 haben Jérômes Elan noch zusätzlich angestachelt. Die Freiluftsaison 2018 hat er mit dem zweiten Platz im ungarischen Nationalgestüt in Mezöhegyes hinter dem Ungaren Jozsef Dobrovitz jun. hervorragend begonnen. Im Marathon wurde er Zweiter, im Hindernisfahren Sieger und in der Dressur reichte es für den vierten Rang.

Erstmals an WEG

Im September wird Jérôme Voutaz mit seinem Vierspänner die Schweizer Farben an den Weltreiterspielen in Tryon/North Carolina vertreten. «Ich war noch nie an einer WEG. Die USA sind diesbezüglich Neuland für mich. Ob ich ein Spitzenresultat erzielen kann? On verra. Ein Platz unter den Top Ten scheint realistisch.»

Bescheiden der sympathische Walliser, der weiss, was er will. Für Tryon wird er natürlich Ferien einziehen müssen. Die Renaults in seiner Garage müssen warten, wenn seine Pferde galoppieren und in engen Radien um Hindernisse kurven.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 23/2018)

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