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Zahlreiche Hinterbeim-Gamaschen sind ab diesem Jahr verboten.
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«Gamaschen-Insel» Schweiz

12.02.2019 08:16
von  Florian Brauchli //

Seit dem 1. Januar ist in der Schweiz das neue Gamaschenreglement in Kraft. Neu sind bei regionalen und nationalen Veranstaltungen in der Schweiz an den Hinterbeinen der Pferde nur noch Gamaschen mit Klettverschluss und einer bestimmten Grösse zulässig. Initiiert wurden die neuen Richtlinien von der «Fédération Equestre Romande» (FER). Doch es regt sich Widerstand, vor allem im Lager der Reiter.

Nur noch die Hinterbeingamaschen für Jungpferde sind in der Schweiz erlaubt.

Stolz präsentiert Andrea Keller ihren Freundinnen beim Springturnier im zürcherischen Rümlang die neu gekauften Gamaschen in leuchtendem Grün, passend zur ebenfalls neu erworbenen Schabracke. Rund 150 Franken hat sie für das ganze Set bezahlt. Und sie bringen Glück – Andrea klassiert sich mit ihrem Wallach Luzius in der ersten Prüfung auf Rang drei. Doch sie hat sich zu früh gefreut, plötzlich bricht die 16-jährige Zürcherin in Tränen aus. «Disqualifikation? Wieso?», schluchzt sie. Der Steward erklärt ihr, dass die neuen Gamaschen nicht mehr dem neusten Reglement entsprechen. «Ab diesem Jahr sind nur noch Gamaschen mit Klettverschluss erlaubt», so der Offizielle. Die junge Reiterin ist am Boden zerstört, hat sie doch monatelang Geld zur Seite gelegt, um sich die neue Ausrüstung für ihren vierbeinigen Liebling leis­ten zu können. Eine fiktive Geschichte, zugegeben, doch «in jeder Fiktion steckt auch ein Funken Realität».

Keine Einstimmigkeit

Anfang 2016 trat das neue Reglement betreffend der Hinterbeingamaschen in Kraft. In B-Prüfungen durften – wie international bei Prüfungen für fünf- bis achtjährige Pferde – nur noch Gamaschen mit Klettverschluss, glatter Innenseite und einer maximalen Länge von 16 Zentimetern (innen) respektive fünf Zentimetern (aussen) benutzt werden. Ab 2019 wurde diese Regelung auch auf die R- und N-Prüfungen ausgeweitet. Neue Reglemente werden in der Reglementskommission diskutiert und verabschiedet. Wie dies funktioniert, erklärt Claudia Weber, die Präsidentin der Reglementskommission: «Die technischen Kommissionen der Disziplinen machen Anträge via SVPS-Geschäftsstelle, die dann von uns behandelt werden. In unserer Sitzung wird dann über die Anträge abgestimmt.» Das Gremium besteht aus sieben Personen: Thomas Bellmont (ZKV), Béatrice Meier (PNW), Patrizia Miscione (FTSE), Anne Pasquier (FER), Samuel Schär (ZVCH), David Stadelmann (VSCR), Peter Zeller (OKV) sowie Präsidentin Weber. «Die jeweiligen Anträge werden im Juni an die Mitgliederverbände verschickt, dort findet dann sozusagen die Vernehmlassung statt. An unserer Sitzung bringen die Vertreter dann die Meinungen, den Entschluss aus ihrem Verband mit. Die Anträge werden natürlich auch hinterfragt. Aber in der Kommission haben alle Ahnung von der Materie. Es wissen alle, wovon man spricht.» Der Entscheid zugunsten der neuen Gamaschenregelung sei nicht einstimmig gewesen. «Einig war man sich hingegen, dass die Bestimmungen für die Gamaschen angepasst werden müssen.» Pascal Burkhard, Vize­präsident der «Fédération Eques­tre Romande», welche das neue Reglement ini­tiierte, erklärt: «Wir haben die Abschaffung der Doppelhüllengamaschen an den Hinterbeinen mehrmals vorgeschlagen. Der Antrag der FER ist in einem Gesamtbild zu sehen: Wir sind der Meinung, dass diese Gamaschen ein mechanisches Doping darstellen und damit nicht ethisch vereinbar mit dem Reitsport sind. Wir legen einen starken Wert auf das Image des Pferde­sports.» Und was erhofft sich die FER von der neuen Regelung? «Wir erhoffen uns fairen Sport und hoffen, dass andere Länder uns vielleicht bald folgen. Vielleicht sehen wir in Zukunft wieder etwas mehr Hindernisfehler, ohne dass die Parcoursbauer überall die maximalen Ausmessungen benötigen. Die FEI hat dem Druck des Geldes nicht standgehalten, sie hatten jedoch am Anfang auch die Idee, diese Gamaschen zu verbieten.»


Kein Verständnis der Reiter

Diese «Insellösung» – das Schweizer Reglement hebt sich deutlich vom FEI-Reglement ab – ist der Hauptkritikpunkt der Reiter, mit denen die «PferdeWoche» gesprochen hat. «Das neue Reglement se­he ich aus Händlersicht positiv. Ich konnte schon viele neue Gamaschen verkaufen», meint Rapha­el Jud. Der national und international aktive Reiter glaubt aber nicht, dass sich der Verband mit der neuen Regel einen Gefallen getan hat. «Es geht meiner Meinung nach in die falsche Richtung. Ich glau­be, das Barren kommt nun wieder mehr in Mode, die Pferde werden zu Hause ‚besser‘ vorbereitet.» Generell sieht der Thurgauer keine grosse Änderung auf sich zukommen. «Ich werde zu Hause weiterhin mit ‚normalen‘ Gamaschen trainieren, damit die Pferde die richtige Technik lernen.» Ähnlich tönt es bei Philipp und Annina Züger. «Wir benutzen sowieso meistens die Gamaschen für Jungpferde, unsere Vierbeiner sind sich daran gewöhnt», meinen die Springreit-Geschwister.

Ab diesem Jahr in der Schweiz bei nationalen Veranstaltungen nicht erlaubte Gamaschenvarianten.

«Bei den Gamaschen wird der Manipulationsspielraum meiner Meinung nach aber überbewertet. Zwei von vielleicht 15 Ausführungen sind schlecht für das Pferd, mehr nicht.» Annina Züger ergänzt: «Generell können wir mit dem neuen Reglement leben, es ist okay. Was aber irritierend ist, dass die Schweiz eine eigene Lösung braucht.» Das sieht auch die Zürcherin Sabrina Crotta so. «Grund­sätzlich finde ich leichte Gamaschen als Hilfe sinnvoll. Es ist einfach Blödsinn, wenn die Schweiz alleine vorprescht und nicht zusammen mit anderen Ländern und dem Weltreitsportverband FEI eine gemeinsame Regelung sucht und findet.»

Proaktiver Verband

Thomas Häsler, nationaler Dressurrichter und internationaler FEI-Steward, begrüsst die neue Regelung. «In der Schweiz wird der Reitsport kritisch betrachtet, deswegen finde ich es gut, dass der Verband proaktiv agiert. Die Reiter haben an den Turnieren eine Vorbildfunktion und dafür braucht es konsequente Regeln.» Der Steward befürchtet aber keinen zusätzlichen Aufwand an den Turnieren. «Man muss sich laufend besprechen. Wir brauchen eine gemeinsame Linie und diese muss man durchziehen. Es gilt ja auch, die Reiter vor Unklarheiten und falschen Beschuldigungen zu schützen.» Häsler hat bisher positive Erfahrungen mit dem neuen Reglement gemacht. Das Allerwichtigste dabei sei der gegenseitige Respekt. «Die Kontrollen sollten diskret ablaufen, das ist schon viel besser geworden.»

Fehlender Dialog

Noch deutlicher wird Pius Schwizer: «Ich bin mir ganz sicher, je mehr solcher Regeln, die nicht zwingend notwendig sind, desto mehr wird im Verborgenen ‚getrickst‘. Dann kommen die Pferde ‚gut vorbereitet‘ auf das Turnier und schon am Donnerstag sind sie mit den Hinterbeinen ‚in den Wolken‘. Das kann nicht im Sinn des Pferdewohls sein. Diese Regelung ist so unsinnig, wie diejenige der Schlaufzügel, welche seit drei Jahren gilt.» Schwizer möchte ausdrücklich festhalten, dass dies keine Kritik an den Kommissionen ist. «Ich ha­be viel Respekt vor diesen Personen, die sich zu Recht für die Regeln einsetzen. Es braucht sie. Nur wäre es sicher sinnvoller, wenn auch aktive oder ehemalige Spitzensportler in diesen Gremien einsitzen würden.» Es brauche einen Dialog mit den Reitern – und zwar bevor neue Reglemente eingeführt werden! «Nun schimpfen alle hinter vorgehaltener Hand, viele sind es aber leid, sich zu wehren.»
«Toppfer­de sind schon richtige Charakter – ich hatte mit Pilgrim einen Hengst, den hätte ich mich nie getraut, ohne Schlaufzügel auf einem Turnier abzureiten, das wäre lebensgefährlich gewesen.» So etwas könne man nur beurteilen, wenn man selber ein internationaler Reiter ist oder war. «So werden wie bei vielen Regeln einfach alle bestraft.» Philipp Züger gibt Schwizer Recht: «Ja, Ethik im Pferdesport ist wichtig, aber der Schlaufzügel wird in den Lehrbüchern als Hilfsmittel dargestellt und die Regeln stellen ihn nun als Strafmittel dar, das ist doch unverständlich.»

Schweiz vs. FEI

Neben dem angenommenen neuen Reglement gab es einen zweiten Antrag, welcher vom SVPS-Vorstand angestossen wurde. «Es musste etwas passieren. Die Kompetenz, welche Regelung aus dem technischen Standpunkt sinnvoll ist, liegt bei der Disziplin Springen und der Reglementskommission», sagt SVPS-Präsident Charles Trolliet. Dieser beruhte auf dem FEI-Reglement für Amateure, Children, Ponyreiter und Senioren. Doppelhüllen mit maximal 20 Zentimeter Höhe mit zwei elastischen Bändern (jeweils minimal zweieinhalb Zentimeter breit) wä­ren erlaubt gewesen. Diese Regel gilt international ab 2020 auch für Junioren und Junge Reiter, ab 2021 für alle internationalen Wettbewer­be. «Wir müssen konsequent sein. Entweder sind die Hinterbeingamaschen schlecht und dann verbietet man sie oder sie sind tolerierbar. Eine stufenweise Einfüh­rung ist nicht sinnvoll. Es schmerzt die Pferde vielleicht nicht direkt stark am Bein, aber sie beeinflussen die natürliche Springmanier mit mittelfristigen Konsequenzen», so Trolliet. In der Schweiz wird es also vorerst nicht zu einer Angleichung kommen­­­­... Die Schweiz, eine Hochpreisinsel, nun auch eine «Gamaschen-Insel».

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 6/2019)

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