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Doris Ramseier geniesst die freie Zeit im Salon mit der vierjährigen Cindy.
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Haushalt, Garten, Windhund und ein «Vogeltick»

28.11.2017 13:52
von  Peter Wyrsch //

Doris Ramseier ist 78-jährig. Über das Alter einer Dame spricht man höflicherweise nicht. Doch von der langjährigen, ehemaligen und erfolgreichen Zürcher Dressurreiterin sei dies erlaubt. Seit über 30 Jahren ist die 15-fache Medaillengewinnerin an Schweizer Meisterschaften und jahrelanges Mitglied der erfolgreichen Schweizer Dressurequipe Witwe. Seit über zehn Jahren reitet die rüstige Rentnerin keine Pferde mehr. Ihren 1961 mit Gatte Alfred gegründeten Dressur- und Handelsstall in Horgenberg hat sie nach über 60 Jahren an den Meilener Millionär Thomas Staubli verkauft. Doch zierlich, aufgeschlossen, humorvoll, adrett und hübsch gekleidet ist sie trotz ihres Alters und ihrer teilweisen Einsamkeit geblieben. Statt Dressurpferde halten sie Haushalt, Garten, Vögel und die italienische Windhunddame Cindy auf Trab. Drei Jahrzehnte sass Doris Ramseier, geborene Dürst, im Sattel von Pferden und bildete im familieneigenen Sport- und Handelsstall vor allem Dressurpferde aus. Für sich, aber auch für den Handel, für den vor allem Gatte Alfred als Kenner der Materie fungierte und einen internationalen Kundenkreis aufbaute. Doris Ramseier bildete jahrzehntelang Dressurpferde nach klassischen Grundsätzen aus und baute die helvetische Juniorenförderung auf. Früchte dieser Schulung waren beispielsweise ihr Sohn Daniel, Olympia-, WM- und EM-Medaillengewinner mit der Schweizer Equipe, und Susi Eggli, erfolgreiche nationale Reiterin, Trainerin und Richterin. Früh zeitigten Doris’ Küns­te in der hohen Schule auch nationale und internationale Erfolge. Zwar überragte sie international nicht wie Chris­tine Stückelberger oder Otto Hofer, welche jeweils als Leader das Schweizer Team zu Medaillengewinnen führten. Aber die Zürcherin mit Wurzeln im Glarnerland war stets ein verlässliches Equipenmitglied und eine natürliche Frohnatur. Doris Ramseier war zweimal an Olympischen Spielen: 1976, als Christine Stückelberger in Bromont/Mont­real mit ihrem unvergesslichen Granat den Olymp erklomm, war sie mit ihrem Roch Mitglied der Schweizer Silberequipe. 1992 in Barcelona wurde sie mit Renatus Teamsechste. 

Teampodest an den Olympischen Spielen 1976 (v. l.): Schweiz (Silber), Deutschland (Gold) und die USA (Bronze).

Mit Renatus gewann Doris Ramseier 1992 und 1993 Gold an der Schweizer Meisterschaft. 

Zwei WM-Medaillen

1982 in Lausanne gewann sie mit River King WM-Silber, 1986 im Cedar Valley nahe von Toronto mit ­Rochus WM-Bronze. Da herrsch­te insofern doppelte Freude und Genugtuung, weil Doris zusammen mit ihrem Sohn Daniel, der den Inländer Orlando vorstellte, Mitglied der Schweizer Equipe war, der auch Christine Stückelberger mit Gauguin de Lully CH und der Berner EMPFA-Bereiter Ulrich Lehmann mit Xanthos angehörten.

Eine EM-Medaille ...

Auch eine EM-Medaille der FEI, des Weltreiterverbandes, liegt in der Erfolgsvitrine von Doris Ramseier in Horgenberg: Die Silberauszeichnung mit Roch für das Schweizer Team 1975 in Kiew, als Christine Stückelbergers Stern endgültig aufging. «Ich war immer das dritte oder vierte Rad am Wagen», bekennt Doris Ramseier selbstkritisch. Es sei aber angefügt, dass ein «Wagen» nur rund läuft, wenn er auf mehreren Rädern steht. Lange musste die Tochter eines Bazar- und Gemischtwarenhändlers warten, ehe sie sich zur Schweizermeisterin küren lassen durfte. 1992 und 1993 triumphierte Doris Ramseier mit Renatus, «meinem besten Pferd, das ich je ritt. Er war mein Lieblingspferd. Dieser dunkelbraune Dänenwallach hatte seine Eigenarten, ‘explodierte’ sporadisch, war aber sehr sensibel und leicht zum Reiten». Und Roch, mit dem Doris doch die international beachtlichsten Erfolge feierte? «Er war zuverlässig und gut ausgebildet», erzählt sie memorierend und lächelnd, wohl bewusst, dass sie auch den Polenwallach wie alle ihre Pferde selbst geschult, gefördert und auf höchstes Level gehievt hat. «Ich hätte mir aber von Roch etwas mehr Temperament, mehr Blut, gewünscht.» Apropos: Roch wurde nach seinen Höhenflügen an einen Junioren nach Deutschland verkauft und wurde über 20-jährig. Geschäftstüchtig waren die Ramseiers allemal.

Die Schweizer Olympiadelegation feierte in Montréal 1976 den Schweizer Nationalfeiertag.

Ein kleiner Blick in Doris Ramseiers Medaillenvitrine.

... und 15 SM-Medaillen

Insgesamt eroberte Doris Ramseier an Schweizer Titelkämpfen in der Elite 15 Medaillen. Nebst den zwei goldenen Auszeichnungen, sechsmal Silber und siebenmal Bronze. Solche Erfolgsmeldungen an nationalen Titelkämpfen erreichte ihr Sohn Daniel nicht. Er kam auf elf SM-Medaillen, allerdings auf vier goldene. Dreimal in Folge, von 2000 bis 2002, schwang er mit Rali Baba, 2004 mit Palladio obenaus. International indes war Dani mit Olympia-Teamsilber 1988 in Seoul, WM-Silber 1992 und -Bronze 1986, EM-Gold bei den Jungen Reitern 1984, EM-Mannschaftsilber 1987 und Bronze 1989 sowie zwei sechsten Plätzen an den Weltcupfinals (1988 und 2002) noch etwas erfolgreicher. Er hat seit 2011 der Schweiz, seiner Heimat, den Rücken gekehrt. In ­Ibbenbüren in Deutschland in der Nähe von Müns­ter hat er eine hochmoderne, wunderschöne Reitanlage erworben, diese ­geschmackvoll ausgebaut und renoviert und führt mit seiner Partnerin einen renommierten Dressur-, Ausbildungs- und Handelsstall. «Dani war talentierter und erfolgreicher als ich», meint seine Mama und einstige Ausbildnerin. «Ihm fehlte aber die Geduld, der Biss. Er ist wie sein Vater eher ein Geschäftsmann, was man auch von seiner Tochter Sonja behaupten kann.» Sonja trägt ebenfalls das Ramseier-Dressurgen in sich und wurde 2011 Schweizer Juniorenmeisterin. Sie hat ihre Interessen aber ebenfalls verschoben, ein Masterdiplom erworben und ist zu ihrem Freund nach Oslo gezogen. 

R wie Ramseier

Es fällt auf, dass die meis­ten Namen der Ramseier-Pferde mit dem Buchstaben «R» beginnen: Roch, Rochus, Random, Relko, River King, Rali Baba, um nur einige zu nennen. Rochus, den die Ramseiers vor den Olympischen Spielen 1988 in Seoul dem inzwischen verstorbenen Samuel Schatzmann verkauft hatten, gewann also auch mit einem anderen Reiter olympisches Edelmetall.

Doris Ramseier vor ihrem Lieblingsgemälde in ihrer Wohnung.

Nach ihrem Rücktritt aus ihrer aktiven Karriere hält sie nurmehr Karussellpferde (r.) an den Zügeln.

Allein und verlassen?

Mama Doris allein und verlassen? «Nein, nein, nicht ganz. Ich habe einen Freund, ein Musikus und ehemaligen Kapellmeister, der mich oft besucht und meinen Sohn Michael, der in der Nähe wohnt.» Micha­el ist zwei Jahre älter als der nunmehr 54-jährige Daniel, sass als Junior ebenfalls im Pferdesattel, hatte aber alsbald andere Interessen. Er erlernte Koch, fasste lieber die Kochlöffel als die Pferdezügel und setzte danach nicht auf Pferde- sondern auf Motorenstärken. Seit Jahren führt er als erprobter Fahrlehrer in Zürich eine Motorbootfahrschule. Langweilig wird es der aufgeweckten Doris, deren Welt nie nur aus Pferden und Dressur bestand, nicht. Sie hat ihr stattliches Wohnhaus stilvoll mit Kunst, antiken Möbeln, farbenprächtigen Gemälden, edlen Teppichen und zahlreichen edlen Figuren aus verschiedenen Materialien eingerichtet. «Frü­­h­er sass ich täglich während rund acht Stunden auf Pferden. Jetzt besitze ich keine Pferde mehr. Seit über zehn Jahren bin ich nicht mehr auf einem Pferd gesessen. Einen Rückenschaden habe ich mir aber auch nicht zugezogen», schiebt sie nach. Doris hat nun genügend Zeit, in Galerien zu stöbern, regelmässig einen Wassergymnastikkurs zu besuchen, ihre geliebten Krimis zu lesen, gediegen zu dinieren und die prachtvolle Sicht auf Berge, die Rigi, den Pilatus, den Zürich- und den Zugersee zu geniessen. «Haushalt, Garten, meine Cindy und meine Vogelschar halten mich fit.»

Ein «Vogeltick»

Vogelschar? Amsel, Drossel, Fink und Star und eine ganze Vogelschar. Ja, Vögel nisten und fressen nicht nur in ihrem Garten. Es piepst in der Wohnung von Doris Ramseier oft und zu jeder vollen Stunde. «Ja, ich habe einen Vogeltick», gibt die gelernte kaufmännische Angestellte zu. «Ich halte zahlreiche, antike und teils singende Figuren von Ziervögeln verschiedenster Materialien. Sie singen und piepsen und bringen Leben in meinem Alltag.» Ein Alltag, eine langjährige Dressurlaufbahn, die Ende der 50er-Jahre begann, als sich die Wege der KV-Kraft Doris und des Autoverkäufers Alfred bei der Amag in Zürich kreuzten. Die Liebe zueinander und zu Pferden verband sie und führte 1961 zum Erwerb einer alten Scheune in Horgenberg. «Wir haben mit vier Pferdeboxen angefangen. Jeder hatte sein eigenes Pferd. Ich ein Rennpferd, einen Vollblüter namens Nostrano. Sukzessive haben wir uns vergrössert, erweitert, Pferde ausgebildet und erfolgreich gehandelt.» Mit viel Arbeit wurde der Name Ramseier ein Begriff und zu einer international bekannten Dressuradresse, «bis ich zu alt und der Betrieb für meinen Sohn Daniel zu klein wurde», wie Doris kleinlaut, aber keineswegs verbittert anfügt.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 47/2017)

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