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«Ich habe immer Pferde mit reellen Grundgangarten. Daraus möchte ich etwas entwickeln.»
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«Ich muss nur meinem Pferd gerecht werden»

20.11.2018 11:04
von  Katja Stuppia //

Hans Staub ist einer der renommiertesten Dressurreiter und Ausbilder in der Schweiz. Im Interview erklärt er, worauf es bei der Jungpferdeausbildung ankommt, was ihm die Pferde bedeuten und wie er die Entwicklung des Dressursports in der Schweiz sieht.

 

«PferdeWoche»: Hans Staub, zuletzt haben Sie in Rüti beide M-Prüfungen gewonnen, eine davon mit Lionel, den Sie selbst ausgebildet haben und mit dem Sie, ebenfalls in Rüti, auch gerade noch seine ers­te S-Klassierung holten. Worauf legen Sie bei der Ausbildung eines Jungpferdes besonderen Wert?
Hans Staub: Bei der Jungpferdeausbildung geht es mir zuerst einmal um das Vertrauen. Abwechslung ist ausserdem sehr wichtig.

Hans Staub.

Ich gehe gerne und oft mit meinen Pferden ins Ge­lände, fahre zwischendurch auch auf andere Plätze, um ihnen Neues zu zeigen. Ausserdem gehen meine Pferde so viel wie möglich auf die Weide. Dressurmässig geritten werden sie etwa dreimal pro Woche. Ich gehe dabei korrekt nach der klassischen Ausbildungsskala vor. Das hatte früher in der Kavallerie genauso Gültigkeit wie heute. In der Ausbildung eines Jungpferdes kann man nichts überspringen. Ich lege viel Wert auf die Rückentätigkeit. Gerade in der Festigungsphase in Richtung L/M und speziell dann S, wo die Aufrichtung ein Massstab ist, gründet alles in der guten Grundlagenarbeit des Jungpferdes. Mit anderen Worten: L-Lektionen sind die Grundlagen für alles andere. Gerade der einfache Wechsel kann mir in vielen anderen Lektionen helfen.

Sie haben ein vierjähriges Pferd unter dem Sattel. Wie sieht Ihr Trainingsplan aus?
Dreimal die Woche dressurmässig arbeiten, viel ausreiten, viel Weide – wann immer möglich und so lange es geht. Einmal pro Woche mache ich Bergtrab auf hartem Untergrund für Kondition und Abhärtung. Hie und da laufen unsere Pferde auch mal im Karussell. Das ist ganz gut, weil es auch mal scheppert rundherum. Ich bin übrigens kein besonderer Freund des Longierens. Ich kritisiere es nicht, habe es aber ab dem Zeitpunkt, wo das Pferd sicher unter dem Sattel läuft, nicht mehr in meinem Training eingeplant.
Ihre Erfolgsliste ist ellenlang. Machen Sie als Ausbildner heute etwas anders als vor 20 Jahren?
Mein Rucksack ist natürlich inzwischen gefüllter. Ich betrieb 20 Jahre lang intensiv einen Ausbildungsstall. Heute habe ich das Privileg, mir viel mehr Zeit für ein Pferd nehmen zu können. Ich möchte nicht mehr zehn Pferde im Tag reiten. Eine halbe Stunde im Gelände aufwärmen, das war früher nicht möglich, heute mit vier bis fünf Pferden am Tag aber schon.


Sie sagten einmal, zu keinem Pferd wie zu Ihrem Erfolgspferd Warbeau hätten Sie sich so viele Gedanken machen müssen. Er hätte Sie persönlich weitergebracht. Mussten Sie durch ihn neue Wege beschreiten?
Ich hatte das Pferd ausgebildet übernommen. Er hatte ein sensibles Nervenkostüm und war das erste Pferd, das ich ritt, das «feiner» war, keines vom «alten» Schlag. Mit ihm musste ich mir hie und da eingestehen, dass bestimmte Dinge an gewissen Tagen einfach nicht funktionierten. Ich musste dadurch lernen, den «Fünfer gerade sein» zu lassen und hie und da über etwas hinwegzusehen. An den Weltreiterspielen in Frankreich funktionierte im ers­ten Training überhaupt gar nichts, am anderen Tag klappte alles wie am Schnürchen. Ich muss heute niemandem mehr etwas beweisen, sondern nur meinem Pferd gerecht werden. Ich sehe mich auch als Bindeglied zwischen der alten und neuen Generation. Man soll sich Neuem nicht verschliessen, aber die klassischen Grundsätze sollten erhalten bleiben.

Sie haben Lionel als Jungpferd gekauft. Weshalb ihn?
Lionel habe ich von einem lieben Kollegen und Jungpferdeausbildner Dirk Seewald aus Deutschland erworben. Der Typ Pferd gefiel mir und als ich ihn ausprobierte, merkte ich, dass sehr viel Power im Pferd drin ist.

«Lionel hat einen hervorragenden Schritt und hohe Versammlungsmöglichkeiten im Trab und Galopp.»

Das sucht man heute viel mehr wie früher. Mein gutes Gefühl bewahrheitet sich bis heu­te. Ich hatte nie sogenann­te «Lampenaustreter», sondern Pferde mit reellen Grundgangarten. Daraus möchte ich etwas entwi­ckeln. Lionels Ausstrahlung imponierte mir schon damals. Egal, ob zu Hause oder auf dem Turnier: Er strahlt Freude und Präsenz aus.

Wie sah Lionels Werdegang bis jetzt aus, wo sind seine besonderen Talente?
Er hatte und hat viel Temperament, das war aber erwünscht. Ich möchte eine gewisse Energie und da darf auch hie und da ein Bocksprung dabei sein. Das Pferd darf gerne einen eigenen Willen haben und mitdenken. Lionel macht schon alle Lektionen im Ansatz in der Anlernungsstufe. Seine Stärke ist, dass er einmal alles ausgewogen und gleichmässig gut machen wird. Er hat einen hervorragenden Schritt und eine hohe Versammlungsmöglichkeit im Galopp und im Trab. Ziel ist es, ihn bis in den Grand Prix auszubilden. Ich möchte möglichst lange selbst als Reiter aktiv sein. Ein Pferd bis zur Grand-Prix-Stufe auszubilden, ist mein Lebenselixier.

Kann man als guter Ausbildner praktisch jedes einigermassen talentierte Pferd bis in die hohen Stufen ausbilden?
Ganz jedes nicht, und zwar aus ethisch-moralischen Gründen sollte man sowohl dem Pferd wie auch dem Besitzer gegenüber ehrlich sein und auch sagen, wenn man nicht weiterkommt. Ein Pferd sollte nie dazu da sein, den Ehrgeiz des Menschen zu befriedigen. Ich erlebte das genug oft und auf dieses Niveau möchte ich mich nicht herunterlassen.

Hans Staub ist ein gefragter Trainer. Im Bild unterstützt er Kaderreiterin Renée Stadler mit Cappucino beim Anpiaffieren.

Ich bin immer ehrlich und sage es den Besitzern, wenn es nicht weitergeht. Ich entscheide immer um des Pferdes Willen. Es kann ja schliesslich nicht jeder Mensch den Spagat lernen und nicht jeder wird ein Spitzentänzer. Einer, der den Takt nicht hat, lernt nie tanzen. Aber ich fördere ein Pferd gerne seinen Möglichkeiten entsprechend.

Sie haben sich auch als Trainer einen guten Namen gemacht. Wo legen Sie beim Training/bei der Ausbildung von Reitern besondere Schwerpunkte? Was ist Ihnen wichtig?
Ruhe und Sachlichkeit sind mir wichtig, kein Herumschreien. Ich bin zwar streng in der Sache, aber auch der Humor darf nicht fehlen. Der Reiter soll Freude an seinem Pferd und am Reiten haben. Alles Verbissene ist mir ein Graus.


Sie sind ein Kenner der Dressurszene in der Schweiz. Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial?

In Tryon und der momentanen Situation fehlt uns ein Spitzenpaar. Die Schweiz lebte immer von sehr guten Einzelreitern. Und dann gab es weitere, die zu einem guten Resultat beitrugen. Reiter haben wir gute, Pferde auch. Sponsoren haben wir zwar wenige, aber gute. Oftmals bringen die Dressurreiter ihre eigenen Privatpferde an die Spitze. Dies alles benötigt aber viel eigenes Kapital oder Unterstützung aus dem Umfeld. Wir haben gute Trainer in der Schweiz, die selbst Grand Prix ritten und etwas zu sagen hätten, die man aber oft etwas vergisst. Wir können nämlich durchaus mit dem Ausland mithalten.

«Der Reiter soll Freude an seinem Pferd und am Reiten haben.» Carol und Renée Stadler freuen sich gemeinsam mit Hans Staub über kleine Erfolgsschritte.

Hauptkritik ist aber – gerade hinsichtlich der letzten Turniere –, dass Schweizer Reiter zu wenig Selbstkritik neigen. Roger Federer sagt doch auch, wenn er schlecht gespielt hat oder nicht fit war. Wir Reiter neigen dazu, alles auf irgendetwas anderes abzuschieben. Es ist doch nicht schlimm, wenn etwas nicht klappt. Jeder hat mal einen schlechten Tag, aber wir müssen an uns selbst arbeiten und unser Tun reflektieren. Am Schluss hilft einem niemand. Nur wir sind für uns und unsere Pferde verantwortlich. Dazu gehören eine sorgfältige Turnierplanung, gute Vertrauensleute und eine seriöse Arbeit im kleinen Umfeld. Ein schlagkräftiges Team für grosse Championate wird immer von einem kleinen Kreis abhängig sein, der dies zum Erfolg führt.

Was hat sich in den Jahren, seit dem Beginn Ihrer Karriere, im Dressursport verändert?
Ganz klar das Pferdematerial. In den Prüfungen werden Pferde mit viel Gang vorgestellt. Leider aber wird viel mehr auf Show­tritte statt auf Lastaufnahme geachtet, auch von vielen Richtern. Ich weiss, die Richter leisten viel und gute Arbeit. Aber ich setze ein Fragezeichen bei der FEI und deren Grundsätzen. Und das ist ja die Perspektive, nach der wir uns richten müssen. Ich selbst sage mir, dass ich lieber mir und meinen Pferden treu bleibe. Mein Gefühl ist mir wichtiger als das Resultat, wenngleich ich natürlich gerne gewinne.

Blicken wir auf Ihre lange und erfolgreiche Karriere zurück, deren Höhepunkt bestimmt die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 war. Welches sind Ihre persönlichen unvergesslichsten Momente?
Mein siebter Rang an der WM in Den Haag in der Einzelwertung mit Dukaat, den ich selbst ausgebildet hatte und der noch jung und unerfahren war.

Vertraten die Schweiz an den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta: Hans Staub und Dukaat.

Dann natürlich die Olympischen Spiele in Atlanta, wo wir 1996 im Team Sechste wurden. Ein olympisches Diplom ist etwas Schönes, das immer noch mein Wohnzimmer ziert. Ich schaue aber gerne nach vorn. Die Erfolge waren schön, aber alles geht vorwärts und entwickelt sich.


Was bedeuten Ihnen die Pferde?

Sie sind mein Leben. Sie hatten von frühester Kindheit eine grosse Bedeutung für mich und machten aus mir das, was ich heute bin. Reiten ist eine charakterbildende Sportart. Winston Churchill sagte einmal: «Wenn du einem Kind etwas zuliebe tun möchtest, kaufe ein Pferd und lass es Reiten lernen.» Das unterschreibe ich.


Was macht Hans Staub, wenn er nicht bei den Pferden ist?

Dann bin ich mit meiner Partnerin im Allgäu in unserem umgebauten Bauernhaus. Ich gärtnere, schreinere, erhole mich, treffe mich mit Kollegen und lese gerne.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 46/2018)

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