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Barbara Schnieper mit ihrem Gatten Urs Wiggli und Tochter Tjara. Rechts der vierbeinige Star Cicero F. Fotos: Caroline Schunk
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Im Eigenhof sesshaft geworden

18.12.2018 13:18
von  Peter Wyrsch //

«Ein wahrer Freund ist wie ein zweites Ich». Das ist eines der vielen Zitate, die einst der ­römische Philosoph, Redner und Schriftsteller Cicero der Nachwelt hinterliess. Mit Cicero ist auch Barbara Schnieper eng verbunden. Er ist auch ihr wahrer Freund und fast ihr zweites Ich. Doch ihr Cicero ist ein Pferd: Dem neunjährigen ­Oldenburger, im Besitz von Martin Hauser, hat die ins Elitekader aufgestiegene Springreiterin ihren Aufschwung an internationalen Turnieren zu verdanken. Der braune Wallach ist in den Stallungen des Eigenhofs im solothurnischen Seewen ihr Star und der vierbeinige Chef.

Konzentriert und fokussiert am Nationenpreisfinal in Barcelona: Barbara Schnieper mit Cicero F.

Die schmale, geteerte Strasse zum Eigenhof, rund 15 Kilometer südöstlich von Basel, ist kurvenreich und eng. Zwei Fahrzeuge können sich kaum kreuzen. Die Zufahrt ist von dichtem Wald und schroffen Felsen umgeben. Wanderer kreuzen sich wohl ­öfters als Personen- oder Lastwagen. Doch bald ist der landschaftliche Weiler vom basellandschäftlichen Grellingen herkommend erreicht. Mama Margrit Wiggli führt das nicht nur von Reitern geschätzte Bergrestaurant auf 544 Meter Höhe und stillt Hunger und Durst der Einkehrer. Daneben muhen Kühe, und Pferde sind auf dem Weidegang. Daselbst ist die 36-jährige Barbara Schnieper zu Hause, wenn sie denn zu Hause ist und nicht auf Turnierplätzen auf Pferderücken im In- und Ausland über Stangen springt.

Die reitende Mama

Die im luzernischen Rain aufgewachsene Springreiterin wohnt seit acht Jahren auf dem Eigenhof im Bezirk Dorneck in unmittelbarer Nähe der Kantonsgrenze Baselland/­Solothurn und unweit der Schweizer Landesgrenze. Auf dem einsamen Weiler im Bauern- und Pferdezuchtbetrieb der Familie Wiggli hat die tüchtige und ausgebildete Bereiterin auch ihr privates Glück gefunden. Der gelernte Landwirt Urs Wiggli, der den Eigenhof vor zwei Jahren von seinen Eltern übernommen hat, ist ihr Ehemann geworden. Seit Mai 2017 ist Tochter Tjara der Sonnenschein des jungen Ehepaares. «Wir betreiben Milchwirtschaft und züchten seit Jahren Pferde», sagt Urs Wiggli, der neben seinen Brüdern Fabian und Ivan auch zwei Bereiter und vier Lehrlinge im grossen Betrieb beschäftigt. «Der gesamte Betrieb umfasst 60 Hektaren, deren 26 sind Weideland. Rund 30 Milchkühe der Rassen Red Holstein und Suisse Fleckvieh sind in unserem Stall oder auf den Weiden. Die Zucht von Schweizer Sportpferden ist seit drei Generationen unser zweites Standbein. Ich bin mit Warmblütern aufgewachsen.»

Die Familie vor dem hofeigenen Bergrestaurant.

Bereits zweimal war Papa Josef Wiggli erfolgreichs­ter Züchter von Schweizer Sportpferden. Die Inländerwarmblüter «vom Eigen» sind mehrfach und mit Erfolg im Sport tätig und werden nicht nur von Barbara Schnieper geritten.

Pferde und Reiten

«Mein Alltag sind Pferde und Reiten», sagt die aus einer «Nicht-Rösseler-Familie» entstammende Amazone, der vor allem Anpassungsvermögen, Ge­duld und Nervenkraft attes­tiert wird. «Ich wollte schon als Kind immer reiten und tingelte von Bauernhof zu Bauernhof und fragte, ob ich helfen könne. So durfte ich bei verschiedenen Züchtern zuerst zahlreiche Stallarbeiten verrichten und kam so auch zum Reiten. Die erste Reitstunde hatte ich beim Luzerner Tierarzt Pascal Bucher in Retschwil. Mich fasziniert seit jeher die Zusammenarbeit mit Pferden. Ich versuche, mich auf jedes Pferd einzustellen, um eine Harmonie zu finden.»

Barbara mit ihrem Star Cicero.

Barbara Schnieper war beseelt, Reiterin zu werden und dazu das notwendige Rüstzeug zu erhalten. Ein Jahr lang war sie deswegen auch im Stall Etter in Müntschemier, acht Jahre ritt sie im Stall von Pferdezüchter Hans Schmalz in Büren an der Aare. Sie trainierte mit Pius Schwizer und wird nunmehr auch von Thomas Fuchs beraten. Fortschritte, die sie kontinuierlich entwickelten und Aufmerksamkeit erheischten. Sie führten zu ihrem Aufstieg ins Profilager und im Herbst 2018 auch erstmals in die Schweizer Equipe.

Einstieg dank Ragrusa

Die Teilnahme mit der Schweizer Mannschaft am CSIO Calgary in diesem Jahr war allerdings nicht ihr erster Nationenpreisstart. Barbara Schnieper erklärt: «Ich stand 2013 mit Ragrusa in der Equipe am CSIO San Marino in Arezzo. Ich glaube, wir hatten zweimal vier Punkte und wurden letztlich Zweite.»
Ja, Ragrusa. Barbaras Augen leuchten, wenn sie über die mittlerweile 20-jährige braune Niederländerstute erzählt, die ihr besonders ans Herz gewachsen ist und die ihr eigentlich den Einstieg ins nationale Schaufenster ermöglicht hat. So bezeichnet die als Alleinkind aufgewachsene Luzernerin, die ihren Mädchennamen behält («sonst kennt mich niemand mehr ...»), den Grand-Prix-Sieg 2012 am Zweisternturnier in Busto Arsizio als den ers­ten schönsten Erfolg ihrer Karriere. Mit der Stute, die gemäss eigener Wahrnehmung alles springen wollte und konnte, war sie auch Dritte am Top-Ten-Final 2013 in Ascona, Zweite im GP von Schaffhausen und als 16-jähriges Pferd auch Dritte in der SM-Qualifikation 2014 in Saignelégier.

Nachwuchshoffnung Ragrusa vom Eigen CH.

Sie ist mittlerweile als Zuchtstute im Einsatz, hat schon einige Fohlen zur Welt gebracht wie beispielsweise die sechsjäh­rige selbstgezüchtete Stute Ragrusa von Eigen, die mit Kannan einen prominenten Vater hat. Er war auch der Erzeuger von Steve Guerdats Olympiagoldpferd Nino des Buissonnets.

Aufstieg dank Cicero

Den Einstieg ins internationale Scheinwerferlicht ermöglichte zweifelsohne der braune Oldenburger Cicero. «Wir haben ihn siebenjährig bei Gerhard Etter in Müntschemier gekauft. Nunmehr ist er neunjährig, kommt ins bes­te Alter, ist begehrt und hat noch lange nicht seinen Zenit erreicht», ist Barbara Schnieper überzeugt. Spitzenresultate belegen ihre Zuversicht: Sieger im Final der mittleren Tour 2017 in St. Moritz, Vierter in diesem Jahr im Grand Prix in Crans-Montana in der Viersternkonkurrenz, Zweiter hinter Pius Schwizer im Cupfinal in Ascona, Vierter in den SM-Qualifikationen in Aarberg und Uster und – vor allem – die Spitzenrunden am CHI Genf vor Wochenfrist und am CSIO Calgary im September. Mit fünf Punkten im schwierigen Nationenpreiskurs nach einem Wasserfehler und leichter Zeitüberschreitung fiel das Paar ebenso positiv auf wie als 13. und erste Nichtklassierte im Grand Prix. Eine Premiere war auch die Nomination für den Nationenpreisfinal in Barcelona, wo im ersten Umgang im Team­event nur eine Stange fiel, in der Reprise am Tag danach aber drei Abwürfe zu beklagen waren und zu einer leisen Enttäuschung führten.

Zickig wie eine Stute

Ausdauer, Geduld, Biss und Anpassungsfähigkeit zeichnen Schnieper aus, Vorsicht, Vermögen, Mut und Unerschrockenheit den Oldenburger. «Cicero ist nervös vor dem Parcours, fokussiert aber im Paddock», weiss die Reiterin aus Erfahrung. Seine Rittigkeit sei noch zu verbessern, fügt sie an und verrät: «Er ist zickig, obwohl er ein Wallach ist, und ein Vielfrass. Er wünscht immer als Erster gefüttert zu werden.»
In seiner geräumigen Boxe im Eigenhof logiert er in der Stallmitte, damit er die Übersicht hat. Stars wollen ja nicht selten im Mittelpunkt stehen.

Mit Dickens gab es Klassierungen am CSIO Calgary und Dublin.

«Winner» mit For Winja

Cicero ist aber beileibe nicht der einzige Winner im Eigenhof. Da wäre auch die Inländerwarmblutstute For Winja zu erwähnen, die Robert Sägesser gezüchtet hat und ebenfalls Martin Hauser gehört. Dessen Tochter Lisa übrigens absolvierte eine Lehre als Bereiterin. Zurück zu For Winja, deren Kämpferherz Barbara besonders gefällt. Mit ihr gewann sie 2017 den GP über 150 Zentimeter am Dreisternturnier in Crans-Montana, den sie ebenfalls als einen ihrer schönsten Momente einstuft.

Idylle pur und beste Bedingungen für die ­Vierbeiner herrschen auf dem Eigenhof.

Und da wären noch Dickens, mit Klassierungen an den CSIO in Dublin und Calgary in diesem Jahr, Dolce Vita, unter anderem Siebte im GP in Galgenen 2016, Camara Bella und Nachwuchshoffnungen wie Othello von Eigen und, und, und.

Ruhig und kritisch

Barbara ist eine seriöse und auch etwas verschlossene Sportlerin. Sie hört erst zu, bevor sie redet und sich öffnet. «Vorsicht ge­hört zu meinem Charakter», meint sie und blickt fast etwas verlegen zu ih­rem redegewandteren Gemahl Urs hinüber, wäh­rend die aufgeweckte Tja­ra den in Eigenproduktion gewonnenen Honig nascht. Die Aufsteigerin in der ­hiesigen Concoursszene raucht nicht, trinkt selten Alkohol, mag dafür lieber (wie Pius Schwizer) Cola und schätzt Raclette, obwohl das eigentlich keine Luzerner Spezialität ist.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 50/2018)

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