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Die Kopflampe und das Maulgatter ermöglichen eine genaue Untersuchung der Zähne.
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Jedem «Gaul» schaut man ins Maul

09.05.2017 13:00
von  Chantal Kunz //

Nicht nur bei Menschen ist Zahnpflege ein grosses Thema, auch Pferdegebisse sollten regelmässig kontrolliert werden. Denn viele Probleme kommen von den Zähnen, auch wenn man nie daran denken würde und sie schnell als «Unart» abgestempelt werden. Kleine Auffälligkeiten geben oft einen Hinweis auf Zahnprobleme, welche behandelt werden sollten. Mit etwas Aufmerksamkeit kann man im Alltag auch schon Hinweise auf Zahnprobleme erkennen. Rund 16 Stunden am Tag verbringt das Pferd in der freien Natur mit der Futteraufnahme. Diese erfolgt durch die 36 bis 44 Zähne im Pferdemaul. So ist es naheliegend, dass diese ausschlaggebend sind für die Gesundheit der Tiere. Probleme mit den Zähnen und dem Gebiss können dazu führen, dass die Pferde das Futter verweigern, beziehungsweise nicht mehr aufnehmen können. Bevor es soweit kommt, haben betroffene Pferde oft schon seit längerem eine eingeschränkte Lebensqualität durch chronische Schmerzen, was jedoch für den Besitzer meist nicht einfach festzustellen ist. Um solche Situationen möglichst zu vermeiden, empfiehlt der Tierarzt vom Tierspital Zürich, Nico Bolz, eine jährliche Zahnkontrolle. «Gerade auch bei jungen Pferden sollte das Gebiss regelmässig kontrolliert werden, da sich das Gebiss durch den Zahnwechsel in kurzer Zeit stark verändert.» Angeborene Fehlstellungen, wie das Karpfengebiss, wo der Unterkiefer kürzer als der Oberkiefer ist, werden dadurch früh erkannt und die Zahnpflege entsprechend angepasst. Aber auch erworbene Fehlstellungen können in jungen Jahren eher verändert werden, als wenn das Pferd ausgewachsen ist. Ein Wellengebiss entsteht zum Beispiel, wenn nicht alle Zähne gleich stark abgeschliffen werden, wodurch sich zunehmend eine wellenförmige Kaufläche entwickelt. Frühzeitig erkannt, kann dieser Gebissfehler besser korrigiert werden. Wenn in einem solchen Fall nichts unternommen wird, kann die Futteraufnahme des Pferdes vor allem im Alter stark beeinträchtigt werden. Eine komplette Korrektur ist dann meist nicht mehr möglich. 

Mit Zange (Bild) und Spreizer bearbeitet die Tierärztin den Zahn, um ihn dann zu ziehen. Das Pferd ist dabei sediert und lokal betäubt.

Jährliche Kontrolle ist das A und O

Ob der Untersuch von einem Tierarzt oder von einem Spezialisten durchgeführt wird, müsse jeder Pferdehalter selber wissen, so Bolz. Die Gesellschaft Schweizer Tierärzte bietet Kurse an, in welchen sich die Veterinäre im Bereich Zahnpflege weiterbilden können. Nach Absolvieren mehrerer Kurse dürfen sie sich «Pferdezahnmediziner SVPM» nennen. «In der Schweiz gibt es sehr viele gute und erfahrene Tier­ärzte, die sich mit den Pferdezähnen auskennen.» Bei einer Kontrolle sei es wichtig, dass die Maulhöhle gründlich untersucht werde. Dazu empfiehlt das Tierspital Zürich in den meisten Fällen eine Sedation, damit für Pferd und Mensch keine Gefahr entsteht und eine genaue Untersuchung durchgeführt werden kann. So kann der Tierarzt das Maul von innen abtasten, die Zähne auch mit einem Spiegel kontrollieren und sie dann wo nötig abschleifen. Dazu braucht es auch eine gute Lichtquelle, wie eine Kopflampe. «Es gibt natürlich noch viele weitere Untersuchungsmöglichkeiten wie das Röntgen, die Endoskopie (Sonde mit Kamera) und die Computertomografie. Aber dies kommt erst zum Zug, wenn das Pferd ein Problem hat, das weitere Abklärungen benötigt», erklärt der Tierarzt. 

Zur Extraktion von Backenzähnen sind grosse Zangen notwendig. Je nach Position des Zahnes müssen sie kürzere oder längere Hebel haben.

Verschiedene Raspeln und Feilen dienen dem Tierarzt dazu, die Kanten und Haken optimal abzuschleifen.

Die häufigsten Erkrankungen

Die am meisten behandelten Zahnprobleme seien scharfe Kanten, Spitzen oder Haken. Diese würden die Beweglichkeit des Kiefers beeinträchtigen und die Schleimhaut schmerzhaft aufreissen, sagt Bolz. «Diese veränderten Abnutzungserscheinungen kommen von der Domestizierung. In der freien Natur sind Pferde viel länger mit der Futteraufnahme und mit Kaubewegungen beschäftigt als in der Box. Dadurch nützen sich die Zähne gleichmässig ab.» Oft würden durch solche Veränderungen an den Zähnen auch Rittigkeits­probleme entstehen. Bei Schmerzen verweigern manche Pferde die Trense, wehren sich gegen den Zügel oder wollen dem Schmerz durch Weg­drücken des Rückens entkommen. «Jedoch möchte ich betonen, dass nicht jedes Rittigkeits­problem vom Gebiss kommt. Meis­tens ist es ein Indiz auf Zahnprobleme, wenn vorher immer alles gut war und das Pferd dann plötzlich anders reagiert.» Zudem zeigen Pferde den Schmerz nicht immer auf dieselbe Weise. «Das Herdentier Pferd will auf keinen Fall zeigen, dass es krank ist», erklärt Nico Bolz. Auch aus diesem Grund sei die jährliche Kontrolle so wichtig, denn oft ist ein Zahnproblem nicht sehr deutlich zu erkennen. Vereinfacht gesagt führen die meisten Zahnerkrankungen in zwei Bereichen zu Problemen. «Zum einen gehört das Gebiss zum oberen Verdauungstrakt. Deshalb führen Zahnprobleme oft zu Abmagerung durch eine gestörte Futteraufnahme oder zu einer Kolik durch schlecht verkleinertes Futter. Der andere Bereich ist die Rittigkeit und das Wohlbefinden der Tiere.» Auch Speicheln, Kopfschlagen oder Kopfschiefhalten, Mundgeruch und Nasenausfluss können auf Zahnprobleme hinweisen.

Bei jungen oder alten Pferden können Probleme aufgrund des Alters entstehen. «Junge Pferde wechseln die Zähne – ausser die drei hinteren Backenzähne – in den ersten fünf Lebensjahren. Da kann es vorkommen, dass Milchzähne nicht ganz abgestossen werden und der neue Zahn nicht korrekt nachgeschoben werden kann, was für ein Pferd schmerzhaft sein kann», erklärt Bolz. Bei alten Pferden müsse man auf wackelnde, infizierte oder brüchige Zähne achten. Dies kann daher kommen, dass Pferdezähne ständig nachgeschoben werden. Im Alter wachsen sie aber nicht mehr nach und nur noch ihre dünnen, glatten Enden treten in die Maulhöhle. Auch Wolfszähne kommen bei einigen Pferden vor. Diese kleinen vorders­ten Backenzähne können störend im Maul wirken, besonders mit einer Trense. Solche Hengst- oder Wolfszähne kann der Tierarzt – wenn sie das Tier stören –  relativ einfach unter lokaler Betäubung ziehen. Die Entfernung eines Pferdezahnes stehe oft auch bei der Krankheit EOTRH (Equine Odontoclastic Tooth Resorption and Hypercementosis) zur Diskussion, so der Tierarzt. «Die Erkrankung verursacht Schmerzen, vor allem im Bereich der Schneidezähne, wodurch diese manchmal entfernt werden müssen.» Die Krankheit könne man vor allem daran erkennen, dass die betroffenen Tiere die Schneidezähne kaum mehr einsetzen und so zum Beispiel eine angebotene Karotte nicht mehr abbeissen können. Da man mittlerweile viele dieser Eingriffe stehend mit einer Sedation und lokalen Betäubung durchführe, sei dies meis­tens kein grosses Problem für das Pferd, erklärt Bolz. Ausserdem verheilen Wunden im Maul in der Regel sehr gut. Wichtig ist dabei aber, dass die Wunde in den ers­ten Tagen gründlich gespült und desinfiziert wird, damit sich keine Bakterien einnisten können. 

Das Werkzeug des Pferde-Dentisten: Maulspritze, Raspeln, Zangen und Maulpick (zum Entfernen von Futterresten). 

Ein Maulgatter bewirkt, dass das Maul des Pferdes offen bleibt, damit der Tierarzt in Ruhe die Zähne untersuchen kann.

Vorbeugen ist besser als reparieren

«Im Alltag ist es wichtig, dass die Pferde hochwertiges Heu mit einem guten Raufaseranteil bekommen. Dies sorgt für eine gleichmässige Abnutzung der Zäh­ne», empfiehlt Bolz. Das Kraftfutter solle der Leistung angepasst sein, also möglichst wenig, da es die Abnutzung der Zähne verändere, aber doch so viel, wie für die Leistung nötig sei. «Sportpferde, welche viel Kraftfutter bekommen, scheinen mehr Spitzen und Haken zu haben als Pferde, die hauptsächlich Raufutter bekommen.» Ausserdem empfiehlt der Veterinär eine bodennahe Fütterung. «Dadurch werden die Zähne in natürlicher Weise abgenutzt, da die Pferde dabei den Kiefer anders bewegen, als wenn sie den Kopf hochhalten müssen.» Das Wichtigste sei aber trotzdem die jährliche Kontrolle. «Da wir Menschen in die Natur eingegriffen haben und die Pferde anders halten, als sie es sich als Wildpferde gewohnt waren, müssen wir auch für eine gute Zahnqualität sorgen.» 

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 18/2017)

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