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Andrea und Cornelia Heimgartner mit Hilton und White Talisman (v. l.).
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Kauf aus Zuneigung und Verbundenheit

10.02.2015 15:07
von  Melina Haefeli //

Eher zufällig als geplant kamen Andrea und Cornelia Heimgartner zu einem Hengst mit besonderen Qualitäten. Als die beiden Schwestern im April 2010 ihr erstes eigenes Pferd kauften, den heute 13-jährigen Wallach Hilton, hätten sie wohl nicht im Traum daran gedacht, schon zweieinhalb Jahre später ein zweites Pferd zu besitzen. Und dann noch eines wie dieses: Kermo’s White Talisman, Hiltons Bruder, 1995 geboren, 169 Zenti­meter gross, Dänisches Warmblut, gekörter Hengst – ein echtes Märchenpferd.

«Talis», so nennen ihn die Heimgartners, ist einer der letzten direkten Nachkommen des Hannoveraner Stem­pelhengstes Welt­mey­er, der über 90 gekörte Söh­ne und rund 190 Staatsprämienstuten hervorbrachte. Kermo’s White Talisman ist wie sein Vater mit herausragenden Grund­gang­arten ausgestattet und überzeugt auch mit seinen 20 Jahren noch mit frischem Auftreten, bes­ter Rittigkeit, enormer Leistungsbereitschaft und makellosem Interieur. Hill Hawk xx in White Talismans Mutterlinie vererbt sei­nen Nachkommen absolutes Leistungsblut, Ausstrahlung, Bewegung und insbesondere Gelassenheit. Mit der Welt-Hit-Dynastie weist White Talisman eine vorzügliche Ver­wand­ten­leis­tung auf. Sie sorgte mit der fast identischen Blutlinie – ebenso Weltmey­er als Vater und einer Mutter von Hill Hawk xx – in Zucht und Sport für Aufsehen. Sowohl Welt Hit I als auch Welt Hit II überzeugten im Dressurviereck und gaben ihr Talent den zahlreichen Nachkommen weiter.

Der 20-jährige Kermo’s White Talisman.

 

Shootingstar in Dänemark

White Talisman selbst qualifizierte sich als erster Reservesieger der Körung 1998 in Dänemark und überragender Sieger der dänischen Meisterschaft der vierjährigen Dressurpferde mit den Noten 9.5, 9, 9, 9.5, 9.5 für die WM der jungen Dressurpferde 2000 in Arnheim (NED). 2001 setzte eine Verletzung durch eine Stute beim Deckeinsatz seiner sportlichen Karriere leider ein abruptes Ende. Nach einigen Jahren im Deckeinsatz in seinem Heimatland wurde der weisse Schönling 2007 nach Norwegen verkauft. Dort wurde er im Folgejahr ebenso mit Höchstnoten gekört.

White Talisman brach­te unzählige Elitestuten und prämierte Fohlen hervor und prägte damit Dänemarks Zuchtlandschaft. «Er war wirklich ein bisschen der Shootingstar», so Andrea Heimgartner. Sie erinnert sich besonders an die Telefonate mit Spediteuren, um seinen Transport zu organisieren: «Egal mit wem wir telefonierten, alle kann­ten Talis.» Seine Nachkommen werden bis Grand-Prix-Niveau vorgestellt. So zum Beispiel Wizard (aus einer Ragazzo-Mutter), der an der WM der jungen Dressurpferde den hervorragenden vierten Platz belegte und danach nach Nord­amerika verkauft wurde. Heu­te läuft er im internationalen Dressursport unter Antonio Rivera Galarza (MEX) vor allem in Florida und Mexiko.

Einer der aktuell erfolgreichsten Nachkommen von White Talisman: Wizard unter Antonio Rivera Galarza (MEX) in Wellington. (Foto: Ken Braddick/dressage-news.com)

Mit Miss Holsteins Matinique beweist White Talisman, ein Doppelvererber zu sein: Die Stu­te – ebenso aus einer Ragazzo-Mutter – wurde bei der WM der jungen Springpferde in Lanaken 2012 bei den Siebenjährigen als Reservepferd nominiert.

Gutmütig und willig

Einige Eigenschaften von Talis beeindruckten Andrea und Cornelia von Anfang an: Seine ständige Bereitschaft, mitzuarbeiten und immer alles richtig machen zu wollen. «Er ist immer mit viel Freude und Engagement dabei», schwärmt Corniela. «Ausserdem», ergänzt Andrea, «strahlt er eine unglaubliche Güte aus, ist auch im Umgang total lieb und rücksichtsvoll.» Er bereite ihnen täglich viel Vergnügen und sei fantastisch zu reiten.

«Talis» unter dem Sattel von Cornelia.

«Sein Ausbildungsstand ist extrem hoch.» Schwierigste Lektionen wie Galopppirouetten oder Wech­sel mache er noch heute mit Lust und Leichtigkeit. Talis biete viel von sich aus an und konzentriere sich aber trotzdem extrem auf den Reiter. Ausserdem sei er sehr mutig. Und genau weil er immer alles besonders gut machen wol­le, probiere er grundsätzlich aus, was er nicht kennt. «Wir reiten ihn viel im Gelände und nehmen teilweise auch Hilton als Handpferd mit. Das alles funktioniert problemlos, obwohl er es früher auf den Hengststationen wohl kaum erlebt hat.» Er sei auch hoch­anständig, wenn andere Pferde vorbeigehen. «Er präsentiert sich zwar gerne und macht sein schönes Hälschen, wenn wir im Gelände eine Stute antreffen, aber es ist nicht mehr anstrengend für ihn, er bleibt total entspannt und verliert nie seinen Kopf.»

Zwei Brüder für zwei Schwestern

Aus Neugier darüber, wo ihr erstes eigenes Pferd Hilton herkommt, kamen die Schwes­tern in Kontakt mit seinem Züchter. Bei den Recherchen entdeckten sie den ge­körten Hengst, seinen Halb­bru­der aus der Mutter Lady Harmonie. «Hiltons Wurzeln und Familie interessierten uns einfach.» Über das Gestüt Kermo in Dänemark kamen sie in Kontakt zu White Talismans damaliger Besitzerin in Norwegen. Die alleinerziehende Mutter führ­te einen kleinen Zuchtbetrieb im Norden des Landes. Während rund zwei Jahren tauschten sie sich rege über die beiden Brüder aus. «Natürlich nie mit dem Ziel, Talis jemals zu besitzen. Wir dachten einfach: Wow, ist das ein schönes Pferd. Und wir waren neugierig, weil er Hiltons Bruder ist.» Doch die Norwegerin hatte plötzlich mit privaten Problemen zu kämpfen. «Alles drum und dran mit den Pferden schien ihr über den Kopf gewachsen zu sein.» So suchte sie ein gutes Plätzchen für Talis. Für Andrea und Cornelia war sofort klar, dass sie ihn nehmen würden, obwohl er schon 17 Jahre alt war, als sie ihn im November 2012 kauften. Es sei eine emotionale Entscheidung gewesen, die sie aber keineswegs bereuen. «Wir wussten nicht, was man mit diesem Pferd noch machen kann, ob er überhaupt noch zu reiten ist oder nicht. Das war uns aber auch nicht wichtig. Wir wollten ihm einfach ein schönes Plätzchen für seinen Lebensabend bieten.»

Wieder knackig und athletisch

Weil sich White Talismans Zustand als sehr vernachlässigt herausstellte, schickten Heimgartners den Hengst zuerst zu ihrem Trainer und Mentor Klaus Schöneich ins «Zentrum für anatomisch richtiges Reiten» nach Deutschland. Dort wur­de er während drei Monaten mit Boden- und Longenarbeit sorgfältig auf­gebaut. «Schöneich betreibt eine Ausbildungsform, die extrem auf die Biomechanik und Anatomie des Pferdes ausgerichtet ist. Das ist für uns der logische Weg, ein Pferd auszubilden und aufzubauen.» Trotz seiner 17 Jah­re habe sich Talis wahnsinnig schnell und gut regeneriert und schien zu seinen alten Kräften zurückgekommen zu sein. «Dies zeugt von seinem steten Willen und Kämpfergeist. Seither ist er kerngesund, topfit, ausgesprochen motiviert und kna­ckig.»

Reiten als «Meitliwunsch»

Geritten sind Andrea (36) und Cornelia (34) schon von Kindesbeinen an, betreuten Pflegepferde und gingen regelmässig in den Reitunterricht. Gelernt haben sie ursprünglich bei Rita Blieske, der Mutter der Schweizer Voltige-Grös­se Simone Jäiser. «Unsere Eltern hatten nie etwas mit Pferden zu tun», so Andrea. Mit dem Reiten zu beginnen, sei bei beiden aus dem klassischen «Meitliwunsch» entstanden.

Cornelia und Andrea (v. l.) betrachten es als Privileg, noch so viele schöne Stunden mit «Talis» verbringen zu dürfen.

Kermo’s White Talisman (vorne) und sein Bruder Hilton geniessen das Leben in Gretzenbach.

Aufgewachsen in Volketswil im Zürcher Oberland, leben sie heute in der Stadt. Andrea ist Stadtzürcherin und arbeitet dort als Grafikerin in einer Werbeagentur. Cornelia ist beim Bundesamt für Landwirtschaft als Übersetzerin tätig und wohnt in Bern. So ist es naheliegend, dass sich der kleine Privatstall, wo ihre zwei Schimmel heute stehen, in der Mitte der beiden «Metropolen» befindet: Gretzenbach zwischen Aarau und Olten. «Hierhin zu kommen, ist wie einen Nachmittag in die Ferien zu fliegen», schwärmt Cornelia. Und Andrea fügt an: «Wir lieben zwar das Stadt­leben. Aber hier haben wir unser Dorf, unsere kleine Oase.» Zu diesem Bijou etwas ausserhalb des 2600-Seelen-Dorfes kamen die beiden angefressenen Reiterinnen zufällig. Die Eigentümer, Bruno und Heidi Schmid, die gleich neben dem Stall daheim sind, haben selbst keine Pferde mehr. Eine Kollegin mach­te sie darauf aufmerksam, dass der Stall leerstehe. «Ein wah­res Schmuckstück und auch zwischen­mensch­lich pass­te es sofort.» Der kleine Stall mit zwei Auslaufboxen, einer gemütlichen Reiterstube, grossen Weiden und einem Sandviereck bildet nun seit Herbst 2013 die Heimat der zwei Pferde. Das Ehepaar Schmid unterstützt die jungen Frauen mit den zwei Pferden und kümmert sich nach wie vor um die Umgebungsarbeiten. Sie seien zwei Rösseler durch und durch. «Es ist wirklich ein Glücksfall, unsere Pferde hier haben zu dürfen.» Talis sei in diesem Idyll richtig zur Ruhe gekommen und habe endlich sein verdientes Zuhause gefunden. Zuvor sei er ständig auf Draht gewesen. «Er deck­te sein Leben lang. Da war er viel unterwegs.»

Deckeinsatz möglich, aber nicht das Ziel

In der Schweiz ist White Talisman nicht ge­kört, aber beim ZVCH mit Einzeldeckbewilligungen zugelassen. «Wir wollten, dass die Möglichkeit besteht, ihn in der Zucht einzusetzten, ohne es zu forcieren oder daraus ein Geschäft zu machen.» Sie seien einfach von seinen Qualitäten überzeugt – sowohl von seinem Wesen mit der tollen Einstellung, als auch von seinem Talent und seiner Sportlichkeit. «Seit er hier zur Ruhe kam, kommt seine Klasse noch viel stärker zum Ausdruck. Und wir werden bestimmt einmal ein Fohlen von Talis haben.»

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 05/2015)

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