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Was der Weihnachtsmann wohl in diesem Jahr bringt? Pferde freuen sich über viel Licht, Luft und Bewegung.
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«Lasst uns froh und munter sein»

20.12.2016 14:26
von  Alexandra Koch //

Kaum nahen die weihnachtlichen Feiertage, ist für fast jeden Reiter klar: Auch für das Pferd soll es etwas Besonderes geben. Dem Reit­sport-Fachhandel fällt einiges ein – von Adventskalendern für Pferde bis hin zu speziellen Feiertagsleckerlis. Das ist alles schön und gut, doch sollte der Mensch die Natur des Pferdes nicht ausser Acht lassen. Denn zu kaum einem anderen Zeitpunkt als dem Weihnachtsfest ist die Gefahr so gross, wenn wir Pferde zu sehr vermenschlichen.

«Häufig vergessen Menschen einfach, dass sie es beim Pferd mit einem Lebewesen zu tun haben, das gänzlich andere Bedürfnis­se hat, anders kommuniziert, reagiert und lebt wie es der Mensch tut», weiss Peter Pfister, einer der renommiertesten deutschen Pferdekenner und anerkannter Trainer. «Wir erzählen unseren Pferden Romane über Sorgen und Nöte und häufig denken die Menschen, verstanden zu werden. Doch das Pferd reagiert nicht auf unsere Wor­te, sondern auf unsere Ges­ten, den Klang unserer Stimme und die Reaktionen. Somit ist zwar ein gewisses Verständnis da, doch hat das Pferd keine Ahnung, was unser eigentliches Problem ist. Dies gilt es in allen Situationen zu beachten.» Folglich soll­te das Pferd auch in Bezug auf die weihnachtlichen Aktivitäten, die uns Menschen etwas bedeuten, nicht vermenschlicht werden. Es möchte keineswegs an den Feiertagen ausschliesslich Ruhe geniessen. Bewegung und Aktivität sind Pflicht. Allerdings kann auf intensives Training bei Sportpferden durchaus verzichtet werden, sofern man dieses durch Auslauf draussen, wie etwa einem Ausritt, ersetzt. Ein Ritt durch die Natur kann für Mensch und Tier ein echtes Geschenk und Erholung pur sein. Auch finden Pferde wenig Gefallen an einer Festmahlzeit, am wenigsten in Kombination mit zu langen Stehzeiten. Deutlich besser sind reduzierte Futtermengen bei geringerer Bewegung. Spätestens zu Silvester werden die sensiblen Pferdenerven nochmals extrem beansprucht. Knallerei und teilweise auch das Aufblitzen des Feuerwerks sind für viele Pferde ein unschönes Erlebnis. Das grösste und nachhaltigste Geschenk fürs Pferd, nicht nur zu Weihnachten, ist artgerechte Pferdehaltung, welche die Probleme Kreuzverschlag und Kolik grösstenteils negiert: «Zum Thema Unterbeschäftigung wäh­rend der Feiertage kann ich nur sagen: Die einzige artgerechte Pferdehaltung ist für mich die Offenstallhaltung beziehungsweise die Gruppenhaltung von Pferden in kleinen sozial verträglichen Gruppen, wo die Tiere sich frei bewegen können», betont Tierärztin Ulrike Schnurrenberger, die eine Praxis in Riehen betreibt. «Die Probleme, die viele Pferdebesitzer während der Feiertage haben, sind also durchaus zum grossen Teil hausgemacht.»

Auch das Pferd soll eine schöne Zeit haben, auch wenn es nicht weiss, dass Weihnachten ist. 

Gefahr: Kreuzverschlag

Die am häufigsten auftretende Erkrankung an den Feiertagen ist der Kreuzverschlag, welcher entsteht, wenn das Pferd deutlich weniger als normalerweise bewegt wird. Die Erkrankung setzt häufig ohne Vorzeichen ein. Vielen Reitern fällt das «Problem» erst auf, wenn sie nach den Feiertagen erstmals wieder im Stall sind und ihr Pferd reiten. Kurz nach Beginn der Arbeit zeigt das Pferd bereits Probleme in seinem Be­wegungsab­lauf. Symp­tome sind «klamme» Bewegungen des Pferdes und Steifheit in der Hinterhand. Die Pferde knicken ein und auch Körpertemperatur, Puls und Atmung steigen an. Teilweise können die Pferde sich nicht mehr bewegen, die Muskeln fühlen sich völlig hart an. Dramatisch wird die Situation, wenn sich das Pferd nicht mehr durch den Reiter kontrollieren lässt und sich ohne grosse Vorwarnung plötzlich hinzulegen versucht. Grund für die Erkrankung ist normale Fütterung bei stark verminderter Bewegung. Dabei wird Glykogen, ein Kohlehydrat, in überdurchschnittlicher Men­ge in den Muskeln eingelagert. Normalerweise würde es durch tägliche Arbeit verbraucht, doch in der Stehzeit sammelt es sich an. Wird das Pferd dann plötzlich wieder – vor allem ohne ausreichend lange Auf­wärm­phase – gearbeitet, entsteht Milchsäure und die Muskulatur übersäuert. Im schlimmsten Fall kann der Organismus dadurch so stark belastet werden, dass das Pferd einen lebensgefährlichen Kreislaufkollaps erleidet. Eine weitere Komplikation kann entstehen, wenn das in den Muskeln entstehende Protein Myoglobin die Nieren schädigt und das Pferd so keinen Harn mehr absetzen kann. Hier kann Nierenversagen die schlimmste Folge sein.

Behandelt wird der Kreuzverschlag vom Tierarzt meist durch Aderlass, der die Stoffwechselgifte im Körper verringert und den hohen Blutdruck senkt. Teilweise werden zudem Medikamente verabreicht, welche die Durchblutung anregen und die Schmerzen lindern. Diese Schmerzlinderung kann zudem durch Akupunktur oder Akupressur unterstützt werden. Als Reiter sollte man vom Pferd, wenn sich Anzeichen des Kreuzverschlages bemerkbar machen, sofort absitzen und das Pferd vorsichtig zum Stall führen oder gleich vor Ort vom Tierarzt behandeln lassen. Wärme hilft bei der Muskel­entspannung, sodass etwa eine Wolldecke oder ein grosses, warmes Kirschkern- oder Dinkelkissen geeignet sind. Auch warme, gestampfte Kartoffeln können, auf ein Laken aufgetragen, Wärme speichern und als Kompresse angelegt werden. Häufig liegen sich Pferde mit Kreuzverschlag auch in der Box fest. In diesem Fall sollte dafür gesorgt werden, dass extra dick um das Pferd herum eingestreut wird, sodass es sich nicht verletzen kann. Zur Beruhigung sind «Bachblüten Rescue Tropfen» sinnvoll, sofern das Pferd darauf anspricht. Weitere Bachblüten, welche die Heilung fördern, sind Crab Apple, Acrimony und Impatiens. Des Weiteren unterstützen Massagen die Durchblutung und regen auch das Lymphsystem an. Vor allem Hafer sollte zur Vorbeugung des Kreuzverschlages durch mehr Raufutter oder etwas Obst ersetzt werden. Rübenschnitzel eignen sich gut zum Tausch gegen Hafer. Gerade wenn das Pferd Stehtage hatte, sollte man es danach besonders sanft und ausgiebig aufwärmen.

Weihnachten ist die ideale Gelegenheit für einen langen Ausritt.

Gefahr: Kolik

Auch Koliken kommen an den Feiertagen häufiger vor als sonst im Jahr. Gründe sind die gleichen wie beim Kreuzverschlag. Zu wenig Bewegung, zu viel, teilweise sogar mehr und anderes Futter als normalerweise, weil manch leichtfertiger Zeitgenosse den Tieren zum Fest noch etwas Gutes tun möchte. Die Futtermenge sollte bei verringerter Bewegung reduziert werden. Ausserdem sollte auch an den Feiertagen stets im Stall ein Auge auf die Pferde geworfen werden, damit eine Kolik bereits im Ansatz erkannt wird. Die häufige Notbesetzung kleinerer Reitbetriebe kann natürlich ein Problem sein. Doch wenn man als Reiter untereinander kommuniziert, findet sich bestimmt jemand, der am Heiligabend noch Zeit hat und jemand, der am ersten Feiertag beim Pferd ist und demnach auch ein Auge auf die anderen Tiere werfen kann. Optimal ist die Versorgung, wenn auch an diesen Tagen mehrere Stunden auf der Weide gewährleistet sind. Am besten ist es nämlich für das Pferd, über die Feiertage alles so normal wie möglich weiterlaufen zu lassen – damit macht man dem Pferd ein viel grösseres Geschenk als mit einer Packung Pferdekekse. «Vierbeiner kennen keine Feiertage», betont Welt- und Europameisterin Meredith Michaels-Beerbaum. «Sie brauchen ihren Ablauf jeden Tag und nehmen keine Rücksicht auf unsere eigenen Wünsche. Doch ihr Wohl muss für uns immer an erster Stelle stehen.» Wer Abwechslung an den Feiertagen sucht: In vielen Städten gibt es beispielsweise am 26. Dezember Ritte zu Ehren des Heiligen Stephanus. Wäre das nicht die Gelegenheit für einen ausgiebigen Ritt? Und wenn Schnee gefallen ist: Was könnte es Schöneres geben, als an einem ruhigen, frühen Nachmittag des Heilig­abends bevor es dunkel wird, mit dem Pferd in der Landschaft innezuhalten? Man wird kaum noch etwas hören, da die meisten Menschen sich nun schon in gemütlicher Runde zusammenfinden – doch in diesem Moment wird das Erleben der Partnerschaft Mensch-Pferd umso intensiver sein. Und der Apfel, den es dann noch zur Feier des Tages im Stall gibt, wird sicherlich dankbar angenommen. Oder wie wäre es mit einer gemütlichen «Teestunde» (mit einem selbst gebrühten, lauwarmen Kräutertee) für Mensch und Pferd, bevor es dann Richtung Bescherung geht und unser Pferd auch wieder seine Ruhe geniesst?

Das schmeckt zum Fest: ein kleines Verwöhnprogramm mit Apfel und Möhre. Zu viel des Guten sollte es aber nicht sein. 

Tannengrün und Weihnachtsbaum

Nach Weihnachten wird bald auch schon der Weihnachtsbaum entsorgt – und viele Pferdebesitzer nehmen an, ihrem Pferd mit den Tannenzweigen zum Knabbern etwas Gutes zu tun – teilweise ein Irrtum. Zum einen darf der Tannenbaum, sollte man dies vorhaben, auf gar keinen Fall behandelt sein. Heute werden jedoch fast alle Weihnachtsbäume (vor allen jene von den grossen skandinavischen Plantagen) mit Pestiziden, Fungiziden und mehr eingesprüht. Abgesehen davon ist der Gerbstoff Tannin, der in den Bäumen enthalten ist, auch nicht gerade gesund fürs Pferd. In hohen Dosen kann er sogar Koliken auslösen. Bei tragenden Stuten ist er ohnehin komplett tabu. Deshalb: Den Pferden, wenn man darauf nicht verzichten möchte, nur wenige Zweige zum Knabbern geben und einen unbehandelten Bio-Baum, am besten aus einem Wald in der Umgebung, wählen. Keinesfalls dürfen im Baum irgendwelche Res­te von Deko zu finden sein – vor allem auf Lametta sollte man ihn nochmal ganz genau prüfen. Weide- und Birkenäste sind übrigens die weniger schädliche Alternative zu Tannenzweigen. Ein paar Zweige am Stallgitter angebunden sind in Ordnung, jedoch sollte man nicht einfach Zweige in einen Offenstall mit Sand werfen. Die Pferde könnten beim Knabbern zu viel Sand aufnehmen, was wiederum ebenfalls zur Kolik führen kann.

 Reste vom Christbaum sind nicht für das Pferd geeignet. 

Silvesterknaller und die Folgen

Wir Menschen kennen ja selbst das Problem, dass wir es ganz und gar nicht nett finden, schon am Tag nach Weihnachten mit Böllern allerorten begrüsst zu werden. Und wenn diese dann noch auf der Strasse neben uns hochgehen, ist der Spass spätestens vorbei. Doch wenn wir auf das sensible Fluchttier Pferd blicken, können wir schnell nachempfinden, dass es uns selbst in dieser Hinsicht noch recht wenig beeinträchtigt, was an den Tagen des Jahreswechsels um uns passiert. Die auf Homöopathie spezialisierte Tierärztin Dr. Ulrike Schnurrenberger bemerkte, dass es für jedes Tier ein Riesenstress ist, die plötzlichen Lautexplosionen in der Silvesternacht zu erleben: «Eigentlich sollte Feuerwerk generell aus Gründen der Umweltbelas­tung verboten werden, ebenso wie aus Tierschutzgründen.» Gut, wenn das Pferd dann schon einmal ein Scheutraining mitgemacht hat und mit Lärm umzugehen weiss. Bei derartigen Trainingseinheiten wird teils mit Böllern, aber auch Startpistolen oder knallenden Luftballons gearbeitet. Ein solches Training ist in jedem Fall eine sinnvolle Investition – nicht nur für den Reitschulalltag, sondern auch fürs Turnier und eben Silvester. Die Vorsorge für die Feiertage kann also bereits während des Jahres in ausreichendem Masse betrieben werden.

Als Pferdebesitzer sollte man versuchen, bei seinem Pferd zu sein und beruhigend einzuwirken, sofern dieses beim Silvesterfeuerwerk nicht ruhig bleibt. Meist reicht es, dem Pferd beruhigend zuzureden und ihm zu zeigen, dass alles in Ordnung ist. Vom Tierarzt verordnete Medikamente sollten nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden. «Es sollte in dieser Zeit eine Person im Stall sein, um die Tiere zu beobachten. Es muss nicht der Pferdebesitzer selbst sein, sondern einfach eine fähige Person», weiss Ulrike Schnurrenberger. «Auf keinen Fall sollten sie allein sich selbst überlassen werden.» Positive Erfahrungen wurden ausserdem mit Musik im Stall gemacht. Spielt man im Stall oftmals ähnliche Melodien (gut geeignet: Klassik, leich­te Klassik-Pop-Musik), wird das Pferd sich vermehrt auf diese konzentrieren. Auch ist bei Dressurpferden das Abspielen ihrer Kürmusik eine Möglichkeit. Wenn das Pferd nicht auf die Musik im Stall reagiert, kann diese beispielsweise auch mit einem Smartphone direkt an sein Ohr gehalten werden, wie es einst die Pflegerin von Meredith Michaels-Beerbaums sensiblen und ge­räusch­emp­findlichen Überflieger Shutterfly machte, wenn dieser sich zu sehr aufregte.

Pferde, die auf das fortwährende Leuchten neben dem Knallen reagieren, sollten zudem im Stall behalten werden. Sinnvoll ist es dann, auch die Aussenfenster für die Dauer des mitternächtlichen Spektakels zu schliessen. Manche Pferde beruhigt es jedoch auch, wenn sie draussen geführt und dabei, wenn möglich, abgelenkt werden. Eine gute Portion Futter tut ebenfalls gut, am besten Raufutter, mit dem sich das Pferd längere Zeit beschäftigen kann. «Zur Beruhigung können in Einzelfällen Bachblütennotfalltropfen in verdünnter Gabe verabreicht werden», erklärt Schnurrenberger. Bei Angst helfen etwa 20 Tropfen in relativ kurzen Abständen. Schaden richten diese keinen an. Wer sich auf Akupressur und Massagen versteht, kann auch diese Techniken beim Pferd anwenden. Welche Bedürfnisse das eigene Pferd hat, muss jeder selbst durch Ausprobieren herausfinden. Für und nach der Silvesternacht sollte man übrigens Stalltüren noch einmal nach Schäden überprüfen. Sowohl nervöse Pferde können Schäden anrichten wie auch übermütige ungebetene Gäste in «Feierlaune». In jedem Fall wird jedoch Reiter und Pferd nach dieser recht unruhigen Nacht ein Ritt in den Neujahrstag guttun. Spätestens dann können alle Feiertagssorgen vergessen und Pläne für das neue Jahr geschmiedet werden.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 50/2016)

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