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Corina Hermann (hinten) auf der Rennbahn.
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Mit den Profis auf der Rennbahn

07.06.2017 15:06
von  Text: Peter Wyrsch / Fotos: Chantal Kunz //

Auf der Rennbahn mit Vollblütern und im Renngalopp mit Berufsjockeys zu trainieren, das schüttet im Körper massenhaft Adrenalin aus. Das spürte und erlebte Corina Hermann aus Grüsch im Prättigau. Die 18-Jährige, die nur 50 Kilo wiegt und mit einer Körperlänge von 163 Zentimeter ideale Jockeymasse aufweist, reitet seit Jahren und will sich nach der Maturität als Tierärztin ausbilden lassen. Im Horse Park in Dielsdorf, im Sattel des braven Ramino und unter der Leitung des erfolgreichen Galopptrainers An­dreas Schärer, schnupperte sie in einer Trainingseinheit Rennluft – und kam dabei auf der 1550 Meter langen Sandrennbahn ganz schön ins Schwitzen.

in gewöhnlicher Arbeitstag im Horse Park Zü­rich-Dielsdorf an der Neeracherstrasse – nicht aber für Corina Hermann mit den langen, gekrausten Haaren: Sie war zwischen den schriftlichen und mündlichen Maturaprüfungen mit ihren persönlichen Reitutensilien und ihrer Mutter Patricia aus dem Bündnerland angereist. Gespannt, was auf sie wartet. Auf den 250000 Quadratmetern der Rennbahn, die vor fünf Jahren vom Rennverein Zürich übernommen, gerettet, saniert, ausgebaut und in Horse Park Zürich-Dielsdorf umgetauft wurde, herrscht reger Betrieb.

Als Gruppe galoppieren die Rennreiter ruhig einmal um die Bahn.

Nicht nur der 37-jährige Andreas Schärer, der ehemalige erfolg­reichs­te Hindernisjockey und Championstrainer in der Sparte Hindernis, hat sich mit 30 grosszügig konzipierten Boxen eingemietet, sondern weitere Renntrainer wie Josef «Pepi» Stadelmann, Chantal Zollet oder Claudio Schorno hausen auf der prächtigen Rennbahnanlage praktisch Stalltür an Stalltür. «Es herrscht Konkurrenz und eine gesunde Rivalität», meint Jockey Karin Zwahlen, mit 59 Siegen die derzeit erfolgreichste aktive Rennreiterin der Schweiz. Die Freiburgerin reitet seit sechs Jahren Pferde von Andreas Schärer. Karin Zwahlen ist nebst dem kleinen, aber drahtigen Franzosen Clément Lheureux, der seit 2014 für Andreas Schärer in die Bügel steigt, Stalljockey der «AS-Armada». Im Turf­zirkel wird die 32-jährige Bauerntochter aus Alterswil im Sensebezirk nur «Wachtmeister» genannt, weil sie alles, im Büro und im Sattel, im Griff hat.

Der Blick ins Auge

Corina hört den diversen Ausführungen aufmerksam zu. Besonders den Erklärungen von Andreas Schärer. Und der ehemalige erfolgreiche Jockey (68 Siege, 262 Plätze bei 538 Starts) und Trainer mit achtjähriger Erfahrung weiss einiges über Rennpferde zu erzählen und verrät Aspekte seiner Philosophie bei der Entdeckung und in der Ausbildung von renntauglichen Pferden. «Ich schaue dem Pferd als Erstes in die Augen und erkenne dabei meist seinen Charakter.

Trainer Andreas Schärer ist immer mit dem Feldstecher unterwegs.

Die Fütterung der Rennpferde gleicht einer Wissenschaft.

Gesundheit, gerade Beine und natürliche Bewegungen sind indes ebenso wichtig. Die Pferde müssen ihren Urtrieb ausleben können. Sie sind ja Herden- und Fluchttiere.» Andreas Schärer besitzt keine eigenen Pferde und wettet auch nie auf seine Schützlinge. «Ich finde Talente durch gute Kontakte und Kundenbesuche. Rennpferde kennen kein geeignetes Alter, nur Qualität», ist er überzeugt. «Sie können Spitzenleistungen erzielen, egal ob sie zwei- oder zwölfjährig sind. Sie müssen ‘nur’ gesund, leis­tungsbereit, mutig und auf den Punkt genau parat sein. Diese Vorarbeit ist letztlich meine Aufgabe.»
Sämtliche Voll- und Halbblüter im Stall des All­round-Trainers Schärer werden gleich ausgebildet, obwohl Hindernisrennen für ihn die Königsdisziplin im Galopprennsport ist. «Ich beobachte die mir anvertrauten Pferde ständig, Tag für Tag.» Den Feldstecher hat er stets um den Hals gehängt und zieht ihn oft zu seinen Augen hoch, wenn seine Pferde um die Sandbahn stieben. «Ich erkenne dabei die Bereitschaft, die Form, die Eigenschaft und die Qualität. So weiss ich bald, welches Pferd sich für welche Disziplin und über welche Dis­tanz eignet. Ich achte auch auf die Atmung des Vierbeiners und hole mir den Rat des Jockeys ein.»

Morgens um 5.30 Uhr

Zweimal täglich, sieben Tage die Woche, wird auf der grosszügigen Anlage trainiert. Morgens früh und gegen Abend. Arbeitsbeginn ist täglich um 5.30 Uhr. Nichts für Langschläfer oder Morgenmuffel. Zwischen den einzelnen Lots, den Trainingssessions in Gruppen, sind Ruhepausen für Pferde und Reiter geplant. Zeit auch für Nahrungsaufnahme und Pferdepflege. Dem Zufall wird nichts überlassen. Andreas Schärer, der den Stalltrakt seines einstigen Trainers Kurt Schafflützel nach dessen Tod 2009 übernommen hat, ist ein äu­sserst drahtiger, selbstbewusster und eloquenter Typ.

Zum Aufwärmen wird in der Gruppe getrabt.

Er weiss, was er will und was er kann und verfolgt seine Ziele strikt und hartnäckig. Seine Erfolge sind keine Zufallsprodukte. Er hat mit seinen Pferden in sämtlichen Renndisziplinen Erfolge aufzuweisen und fügt stolz an: «Seit drei Jahren bilde ich die besten Zwei- und Dreijährigen aus.» Halbheiten duldet er keine. Das wissen auch die Pferdebesitzer zu schätzen, die ihre – oft nicht billigen Cracks – dem gewissenhaften Ausbildner anvertrauen, der grössten Wert auf Disziplin legt. Andreas Schärer ist immer auf Achse, gibt Ratschläge, Anweisungen, erklärt, informiert und telefoniert. Er hat wenig Freizeit und tagsüber kaum Zeit für Verpflegung. Er schmunzelt: «Immerhin reicht es für zwei Oliven und einen Espresso, aber ohne Rahm.»

Kräuligers Zutrauen

Andreas Schärer bildet, wie sein nunmehr in Elgg ansässiger jüngerer Bruder Philipp, Rennpferde verschiedener Besitzer aus. Rund die Hälfte der Boxen belegen Cracks von Anton Kräuliger, des Vollblutunternehmers und Verwaltungsratspräsidenten des Horse Parks in Dielsdorf. Er hat die einst marode Rennbahn gerettet, rundum erneuert und während vier Jahren viel Zeit und Geld investiert. Im Besitz des «Königs der Wasserhahnen», wie die Handelszeitung einst den ehemaligen Armaturenhersteller betitelte, sind Spitzenpferde wie Le Colonel, jüngst Sieger des Frauenfelder Hauptrennens, Cornwall Cottage, die Stute La Petite Folie oder Nightdance Paolo.

Mit Lehm werden die Beine der Pferde gekühlt.

Auch andere Besitzer haben ihre besten Rennpferde bei Schärer im Training und schätzen seine Kenntnisse und Dienste. Beispielsweise Aldo Falk, der den zweifachen GP-Mainefeld-Sieger Umiro sowie den neuen Star Bebel, den Sieger des Grossen Preises der Schweiz in Aarau, besitzt. «Und Saint Leonard?», fragt die inte­ressierte Corina Hermann. «Er wurde verabschiedet und geniesst nun sein zweites Leben», antwortet Schärer. «Das dominante Pferd, das zahlreiche Klassiker wie das Jagdrennen in Aarau oder zweimal die schwere Jagdprüfung in Maienfeld gewann, ging mit 13 Jahren würdig in Pension.» Corina verrät, dass sie den Wallach, der geschälte Bananen mag und wiederholt schon einen kräftigen Schluck Bier aus Schärers Flasche genossen hat, ins Herz geschlossen habe. In Maienfeld, quasi vor ihrer Haus­tür, habe sie wiederholt auf ihn gewettet und gewonnen, schiebt die Maturandin nach.

Training mit Ramino

Doch nun hiess es «aufsitzen» für Corina, die zusammen mit ihrer Mutter eine elfjährige braune Inländer-warmblutstute namens Hermine besitzt und reitet. Nachdem der mehrfache Kriteriumsieger Ramino, der aus Kräuligers Zucht stammt, in der Boxe gestriegelt, gesattelt und fachmännisch fürs Training hergerichtet wurde, steigt Corina in den leichten Rennsattel. Zunächst wird der brave und zutrauliche Wallach an der Hand um die Duschboxe geführt. Dann erfolgt die Dislokation in den Führring.

Corina erhält eine kurze Instruktion des Trainers Andreas Schärer.

Corina Hermann galoppiert mit Ramiros im Renntempo um die Bahn.

Nun hoch zu Ross. Gemeinsam mit den Profis dreht Corina einige Runden und freundet sich mit Ramino an. Auf der Holzschnitzelbahn wird in den Trab übergegangen, anschliessend geht es im leichten Galopp auf die Sandbahn. Andreas Schärer beobachtet in ­Jeans und mit Feldstecher jede Bewegung seiner ihm anvertrauten Vierbeiner. «Die Pferde sind täglich rund drei Stunden im Freien», erzählt er beiläufig und ohne den Blick von den Pferden abzuwenden. Jetzt dreht Corina im Canter, die englische Bezeichnung für verhaltenen Galopp, im Schlepptau von Clément Lheureux einige Runden. Auch als die Pace gesteigert wird, mag sie bravourös mitzuhalten. «Es hat mich sehr gefordert, aber enorm viel Spass gemacht», sagt Corina nach der besonderen Lektion mit den Profis.

Nach dem Training dürfen sich die Pferde im Paddock wallen.

Und sie erntet aufrichtes Lob vom erfahrenen Trainer: «Sie hat es super gemacht, wenn man bedenkt, dass sie erstmals auf einem Rennpferd sass, dieses nicht kannte und auf einer fremden Anlage galoppierte. Sie konnte eine ganze Runde lang, über 1500 Meter, zehn Längen Abstand halten. Das ist erstaunlich. Corina hat Mut und Talent. Sie ist bei uns jederzeit willkommen.» Corina wirkte fast verlegen vor lauter Lob. Oder waren es die Anspannung und die Anstrengung, die ihre Wangen erröten liess? Beim Abspritzen der Pferde und der Beobachtung des Wallens der Cracks im Sandviereck vor den Boxen sah sie geschafft, müde, aber überglücklich aus.

(Erschienen in der PferdeWoche 22/2017)

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