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Ullrich Kasselmann: Sein Hof hat eine über 1000-jährige Geschichte.
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Pferdemensch und Visionär

11.04.2017 10:37
von  Birgit Popp //

Spätestens wenn der Besucher durch das schmiedeeiserne Hoftor mit Pferden und Wappen fährt, wird ihm offenbart, hier am Rande des nordwestdeutschen Städtchens Hagen am Teutoburger Wald erwartet ihn etwas ganz Besonderes. Schmuck herausgeputzte Fachwerkhäuser verdecken noch den Blick auf eine Reitsportanlage, wie sie einzigartig auf der ganzen Welt sein dürfte: Das Reich von Ullrich und Bianca Kasselmann, tatkräftig unterstützt von Sohn Francois, in dessen Händen bereits heute ein Grossteil der Verantwortung liegt, und seiner Ehefrau Diana.

Ullrich Kasselmann (r.) mit Gattin Bianca und Sohn Francois.

Wohn- und Gästehäuser, Wirtschaftsgebäude, Stallungen – teils im eleganten spanischen Baustil mit freundlicher gelber Fassade gehalten – sechs Reit- und Longierhallen, vier Aussendressurvierecke, ein Springplatz, ein Reitstadion für die Turnierveranstaltungen, eine Rennbahn, eine Schmiede, eine tierärztliche Behandlungsstation, Paddocks und Weiden bieten auf dem 40 Hektar grossen Areal Arbeits- und Lebensraum für rund 80 Mitarbeiter und über 200 zu einem Grossteil aus eigener und aus der Zucht von Geschäftspartner Paul Schockemöhle stammender Pferde. Ihr Ausbildungsstand reicht vom Youngster bis zum Grand Prix und schliesst neben den Dressurpferden auch einige Springpferde ein.

Ullrich Kasselmann mit Enkelin Emma.

Doch nicht nur die Gross­zügigkeit der Anlage, ihr Ambiente und die Qualität der Pferde bestechen, sondern es ist ebenso die Gastfreundschaft und die Verbindlichkeit, die Ullrich und Bianca Kasselmann ihren Besuchern zuteilwerden lassen. Nicht nur die Einrichtung und die kulinarischen Genüsse sind stilvoll, sondern auch der Umgang miteinander und wie vieles auf dem Hof Kasselmann basiert dies auf einer langen Tradition. Tradition einhergehend mit Innovation und Passion. Passion für Menschen, Pferde, Pferdesport und Unternehmergeist.

Ein freier Bauer

Ulli – wie er in Reiterkreisen genannt wird – Kasselmann ist stolz auf die 1000-jährige Geschichte seines Hofes, hat nach anfänglichem Zögern die spannende «Familiensaga» wissenschaftlich recherchieren und in einem 200-seitigen Buch niederschreiben lassen, das nur zwei Jahre nach seinem ersten Erscheinen 2013 bereits in die zweite Auflage ging. Dabei schildert es die Ereignisse nur bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, eine Fortsetzung bis zur Neuzeit ist geplant. «Biographien von Kirchenfürsten oder Geschichten von Adligen und ihren Kriegen fanden schon immer mehr Inte­resse als das Leben der Bauern und einfachen Bürger. Umso einsichtsreicher ist der Blick zurück in das normale Leben unserer Vorgänger.» Stolz präsentiert der Hoferbe in 14. Generation das sorgfältig restaurierte Original des Freiheitsbriefs von Friedrich dem Grossen, mit dem sich sein Vorfahr Heinrich Casselmann 1763 und den drei Folgejahren für insgesamt 1512 Taler von der Leibeigenschaft und dem Frondienst freigekauft und den Hof in Erbpacht übernommen hatte. Und, trotz aller Weltmännigkeit und Kontakten zu Politikern, Wirtschaftsbossen, Künstlern und Hochadel, das ist, was Ulli Kasselmann in seinem Herzen bis heute geblieben ist: ein freier Bauer!

Idylle pur auf der einzigartigen Reitsportanlage der Familie Kasselmann in Hagen am Teutoburger Wald.

So sass er schon auf seinem Pony Mucki, bevor er richtig laufen konnte, und hat noch eigenhändig den Acker mit Pferden vor Pflug und Egge bestellt. Doch schon sein Grossvater August hat das professionelle Bewirten von gut zahlenden Gästen auf dem Hof mit der «Sommerfrische» begründet, legte, so der Enkel, das erste Schwimmbecken in Hagen an, schickte seine Töchter nach Italien zum Kochen lernen und richtete eine Hotelküche ein. Zwar nicht mehr für ein Hotel, aber für die Familie, Gäste und Angestellte wird die Hotelküche noch immer betrieben.
Nach dem frühen Tod seines Vaters Friedhelm erbte Ulli Kasselmann 1972 den Hof und baute den landwirtschaftlichen Betrieb mit traditionsreicher Pferdezuchtstätte immer stärker zum Ausbildungs- und Vermarktungszentrum vor allem, aber nicht nur, für Dressurpferde aus und um. Doch es war ein Springpferd, das ihn vor 40 Jahren mit Paul Schockemöhle zusammenbrachte: Kein Geringerer als der legendäre Deister, mit dem Paul Schockemöhle dreimal in Folge Einzel-Europameis­ter und fünfmal Deutscher Meister der Springreiter werden sollte, ging durch seine Hände über Hartweig Steenken an den Mühlener. Schon damals hatte, so Kasselmann, sein späterer Geschäftspartner beim Anblick des Hügellandes am Borgberg die Vision, dass Kasselmann dies alles mit Stallungen, Reithallen und Aussenplätzen bebauen sollte. «Damals war meine Antwort noch ‘niemals’, aber es sollte anders kommen.»
Gekommen ist mit Paul Schockemöhle ein funktionierendes Geschäftsmodell mit der Gründung von «Performance Sales International», kurz P.S.I. genannt. 2016 fand bereits die 37. P.S.I.-Auktion in Ankum statt. «Paul züchtet rund 500 Fohlen im Jahr in seinem Gestüt in Lewitz. Die besten Dressurpferde aus dortiger Zucht kommen zu uns zur Ausbildung, die Springpferde gehen zu ihm nach Mühlen. Die besten 50 von ihnen werden im Dezember über die P.S.I.-Auktion versteigert. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass wir alle Pferde von klein auf kennen», so Ulli Kasselmann. Doch die Auktion bildet nur einen Teil seiner Vermarktungsaktivitäten. Zahlreiche Dressurpferde werden auch direkt von seinem Hof verkauft, bei anderen gibt er auch nur dem Suchenden einen Tipp, wo ein passendes Pferd zum Verkauf steht oder wie im Fall von Grunox, mit dem die heutige deutsche Dressur-Bundestrainerin Monica Theodorescu 1992 und 1996 Mannschafts-Olympiasiegerin wurde, ist er auch der Pferdebesitzer und stellt einem Reiter ein Pferd zur Verfügung. Zu den Pferden, die durch seine Hände gingen und olympische Meriten sammelten, zählen auch Ganimedes, der 1988 mit Monica Theodorescu olympisches Mannschaftsgold gewann und zweimal Weltcupchampion wurde, und Legolas, mit dem der in Deutschland geborene US-Amerikaner Steffen Peters bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro mit dem US-Team Bronze gewann und der in den USA mehrfach «Horse of the Year» wurde.

Nicht nur die erste Geschäftsbeziehung zu Paul Schockemöhle jährt sich in diesem Jahr zum 40. Mal, auch der Hochzeitstag von Ulli und Bianca und der 70. Geburtstag des Hausherrn steht in diesem Jahr ebenfalls an. Für Ulli Kasselmann ist Ehefrau Bianca ein Glücksfall, denn eine grössere Unterstützung in allen Bereichen wie durch sie, könnte er nicht gefunden haben. Die Schwester von Miriam Henschke, die zahlreiche Kasselmann-Pferde ausbildete und erfolgreich bis Grand Prix vorstellte, teilt nicht nur die Passion ihres Eheman­nes für Pferde und stilvolle Dinge, sondern sie reitet bis heute vier, fünf Pferde am Tag, stellt sie bis zum Grand Prix mit Erfolg international auf Turnieren vor, besitzt grosse organisatorische Fähigkeiten und ist auch bei vielen Reisen seine Begleiterin.

«Horses & Dreams»

Auch Ulli Kasselmann, der Dressur und Springen selbst bis zur schweren Klasse geritten ist, macht bis heute eine gute Figur im Dressursattel. Sohn Francois ist bei seiner eigenen reiterlichen Karriere allerdings nicht den Spuren seiner Eltern gefolgt, sondern wendete sich schon als Ponyreiter international erfolgreich dem Springsport zu, was sich auch später bei den Junioren und Jungen Reitern fortsetzte. Seine Ausbildung absolvierte er bei, wen wunderts, Paul Scho­ckemöhle und so war er auch im Jahr 2000 anwesend, als Deister 29-jährig in die himmlischen Weiden entschwand. «Da schloss sich ein Kreis», so ein sichtlich bewegter Vater.

Der Kasselmann-Hof ist Austragungsort für die verschiedensten Turniere.

Bei der Pferdezucht, -ausbildung und -vermarktung ist es auf dem Hof Kasselmann aber nicht geblieben. Erste Jugendturniere fanden bereits seit 1997 statt, 2002 erstmals «Horses & Dreams». Spätestens seit 2005 hat sich der Hof einen ausgezeichneten Ruf in der Organisation von internationalen reitsportlichen Grossereignissen erworben. Damals musste Moskau aus finanziellen und organisatorischen Gründen die Austragung der Dressureuropameis­terschaften zurückgeben. Hagen sprang ein und stellte in nur zwei Wochen eine ausgezeichnete Veranstaltung mit viel Flair auf die Beine. 2016 war der Hof Kasselmann Austragungsort der ersten EM der U25-Dressurreiter. Heute sind sowohl das internationale Jugendturnier, das seit 2011 unter dem Namen «Future Champions» fungiert und in diesem Jahr vom 13. bis 18. Juni wieder mit insgesamt acht Nationenpreisen in Dressur und Springen in den Alters­klassen Children, Junioren, Junge Reiter und Ponyreiter ausgetragen werden wird, als auch «Horses & Dreams» mit nationalem und internationalem Spitzensport in Dressur und Springen inklusive der ersten Etappe der DKB-Riders-Tour 2017, Lifestyle-Ausstellung und Entertainment fester Bestandteil des internationalen Turnierkalenders.
Beim diesjährigen «Horses & Dreams» vom 26. April bis 1. Mai wird Österreich das Gastland sein. Das Gastspiel des österreichischen Popstars Andreas Gabalier am Freitagabend ist bereits ausverkauft. Ein weiteres kulturelles Highlight wird am Sonntagabend die Galashow mit Wiener Charme sein. Im Rahmen des Turniers wird mit der von Ulli Kasselmann 2012 gemeinsam mit Gudrun Bauer (Bauer Media Group) gegründeten Initiative «Reiten gegen den Hunger» auch an die Benachteiligten in dieser Welt gedacht. In Reiterkreisen wurde damit bisher über eine halbe Million Euro für die Welthungerhilfe gesammelt. Es ist nicht das einzige soziale Projekt, das Ulli Kasselmann, der bereits mehrfach für sein soziales Engagement geehrt wurde, unterstützt. Doch nicht nur Turnierveranstaltungen finden auf dem Hof Kasselmann statt, sondern auch Fohlenschauen und Foren, wie 2016 das erstmals in Deutschland organisierte, jährliche Global Dressage Forum.

Physiotherapie

Ebenfalls auf Initiative von Ulli Kasselmann wur­de 2011 der Ankumer Dressur Club gegründet, der eine Turnierserie für Profis und Amateure am Ort der P.S.I.-Auktion während der Winterzeit veranstaltet, die ihr Final bei «Horses & Dreams» besitzt. Global zu denken liegt dem Visionär und zu den von ihm organisierten Events, an die er besonders gerne denkt, zählt das Festi­val mit 1500 Pferden und 750 Kamelen zum 40-jährigen Thronjubiläum des Sultans von Oman zum Jahreswechsel 2010/2011, zu dem auch die deutsche Olympia-Dressurquadrille mit zahlreichen deutschen Dressurtopstars eingeflogen wurde.
Zu einem Zeitpunkt, wo andere bereits an das Rentendasein denken, erwarb Ullrich Kasselmann 2012 mit drei Gleichgesinnten das rund 500 Jahre alte, aber seit dem Tod seiner früheren Besitzerin heruntergekommene Rittergut Osthoff in Georgsmarienhütte unweit Hagens. Heu­te befindet sich dort seine Pferdezucht und das erste Anreiten seiner Zöglinge findet ebenfalls dort statt. Ein Boarding House mit acht Wohnungen und sechs Hotelzimmern plus Veranstaltungsraum bietet sowohl Hochzeits- als auch Tagungsgesellschaften, aber auch den Kunden von Ulli Kasselmann ein elegantes und gleichzeitig gemütliches Ambiente, das wie die Inneneinrichtungen der Häuser auf dem Hof Kasselmann die Handschrift von Bianca Kasselmann trägt. Ebenfalls auf dem Rittergut Osthoff Quartier bezogen hat das Horse Competence Center Germany (HCCG), mit dem gemeinsam Ulli Kasselmann einen Reitbahnboden entwickelt hat, den High Score Performance Ground (HSPG), der Dank seiner Elastikmatten unter der Sandauflage anders als bisherige Bodenbeläge Stürze nicht nur aus rund 1,20 Meter Höhe abfedern soll, dass keine Knochenbrüche und Kopfverletzungen entstehen, sondern sogar aus drei Metern Höhe.
Eine physiotherapeutische Praxis befindet sich ebenfalls auf dem Gelände des Ritterguts – und beim Stichwort Physiotherapie gerät Ulli Kasselmann erneut ins Schwärmen: «Physiotherapie auf dem Pferd, darin liegt noch ein ganz grosses Potenzial! Ich habe einige Therapiepferde erworben, zum einen fürs therapeutische Reiten für Kinder, aber auch für die Physiotherapie von Sportlern. Wir arbeiten in dieser Hinsicht mit den Profi­fuss­ballern zusammen. Das muss man sich einmal vor Augen halten, wenn ein Fussballverein wie Bayern München seine Spieler in Zukunft für die Physiotherapie aufs Pferd setzen würde. Aber nicht nur für lädierte Sportler hätte Physiotherapie mit dem Pferd eine positive Wirkung, gerade auch bei traumatisierten Soldaten, wie wir sie in Deutschland durch die Auslandsein­sätze immer mehr haben werden, ist die positive Wirkung bereits wissenschaftlich nachgewiesen.» Wer durch die Physiotherapie zum Pferd kommt, so hofft Kasselmann, der mag auch über die Therapie hinaus beim Partner Pferd bleiben, «gar nicht zu sprechen von der Breitenwirkung durch die Medien». Und da kommt der Unternehmer Kasselmann wieder durch, denn natürlich sind nicht alle Zuchtprodukte Pferde für den Spitzensport, und selbst dieser regeneriert sich aus einer breiten Basis besser als aus einer schmalen. Ulli Kasselmann – eben Pferdemensch, Visionär und Geschäftsmann, alles in einer Person!

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 14/2017)

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