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Jürg und Charlotte «Tiggy» Lenherr mit Sohn Jamie freuten sich über den Besuch von «Ein Tag mit...»-Gewinnerin Rebecca.
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Rebecca durfte sogar Darko reiten

20.12.2016 14:00
von  Peter Wyrsch //

Vorweihnachtsstimmung auf dem Langfurihof im 2000-Seelen-Dorf Pfyn im Thurgau: Das angenehm geheizte Reiterstübli der Familie Lenherr ist festlich geschmückt, als Charlotte «Tiggy» Lenherr und ihr Ehemann Jürg die 14-jährige Rebecca Schmucki aus Wila zur Besprechung des besonderen Tages empfängt. Und als die aufstrebende Schweizer Dressurreiterin «Tiggy» Lenherr der Sekundarschülerin der zweiten Oberstufe offenbart, sie dürfe sogar ihr Paradepferd Darko of de Niro ZS CH reiten, kullern vorweihnachtliche Freudentränen über die Wangen des freudig überraschten Gastes.

Wünsche wurden erfüllt, Bescherungen vorgezogen, Geschenke überreicht. Rebecca hatte für Tiggy Lenherr selbst gefertigte Weihnachtsguetzli gebacken, die sie schmunzelnd überreichte. Sie schmeckten den Gastgebern ausgezeichnet. Kein Wunder: Die Zürcherin möchte eine Bäcker- und Konditorenlehre beginnen. Zum Schnuppern hat sie sich für das kommende Frühjahr schon angemeldet. Schnuppern in der Dressur bei einer feinfühligen Reiterin und Lehrmeisterin durfte sie schon im zu Ende sich neigenden Jahr bei Lenherrs in Pfyn.

Tiggy und Jürg Lenherr freuen sich über das Mitbringsel von Rebecca Schmucki.

Beim Kennenlernen staun­te Rebecca nicht schlecht. Ihr Blick schweifte überall hin. An die Wände mit Erinnerungs- und Erfolgsbildern, dem Reiterabzeichen in Gold der deutschen reiterlichen Vereinigung für Tiggy und durch die grosse Glasscheibe in die Reithalle, in der sie sich gedanklich schon im Reitsattel wähnte. Bei der Führung durch die Stallungen, wo 36 Pferde, darunter zehn eigene, untergebracht sind, dem Betrachten der Reithalle, der Führanlage, der zahlreichen Weiden und dem 25 mal 60 Meter grossen Sandplatz wurden Rebeccas Augen immer grösser. Ja, sie war mit ihrer Mama, die vor Jahren bei Reitlehrer und Pferdehändler Jürg Lenherr in Auslikon Reitstunden nahm, in einem geordneten Gross­reitbetrieb angekommen. Neben Spitzenpferd Dar­ko, der im Besitz von Mauz und Thomas Zellweger-Schmidhauser ist, dem sechsjährigen Oldenburger Sir Stanley, der in M-Kategorien schon zahlreiche Siege und Podestplätze errungen hat, lernte Rebecca auch die achtjährigen «Neuerwerbungen» Santino, Hanky und Sir Boss kennen.

Tiggy Lenherr gemeinsam mit der «Ein Tag mit..»-Gewinnerin Rebecca Schmucki.

Alle nennen sie Tiggy

Charlotte Lenherr, aufgewachsen in South Lopham in Cambridge, ist Engländerin. Getauft wurde sie auf den Namen Charlotte. Doch seit ihrer frühen Kindheit nennen sie alle Tiggy. Die fünffache GP-Siegerin in diesem Jahr (Erfolge mit dem zwölf­jährigen Inländer-Rappen Darko of de Niro in Gossau, Grüningen, Lugano, Basel und Müntschemier) und Dritte der Schweizermeisterschaften der Elite erzählt: «In meiner Heimat gibt es das Kinderbuch und die Fabeln von Mrs Tiggy Winkle. Ich liebte dieses Buch sehr. Mrs Tiggy Wink­le war ein kleiner Igel mit stoppligen Haaren. Ich war auch sehr klein und hatte auch eine Igelfrisur. Da war mein Kosename geboren. Überall wurde ich so genannt. Von meinen Eltern, von meinen drei Geschwistern, den Lehrern und den Freunden. Und auch als ich 16 Jahre in Deutschland und ein Jahr in Australien weilte, riefen mich alle Tiggy. Ich bin kaum mehr Charlotte.»

Tiggy Lenherr, die das Reiten von ihrer Mutter erlernte und schon mit drei Jahren auf Ponys herumturnte, hat sich als Kindergärtnerin ausbilden lassen. Sie unterrichtete aber nicht lange. Pferdeausbilden faszinierte sie mehr als hauptberuflich mit Kleinkindern zu spielen und zu basteln. Tiggy lernte das Reit-ABC von der Pike auf, bestritt auch Springturniere und bis in die S-Klasse Vielseitigkeit. Auch an Fuchsjagden nahm sie teil, ehe sie sich der Dressur, der Hohen Schule der Reiterei, verschrieb und Lehrmeister wie die ­bekannten Equipenreiter Klaus Balkenhol oder Ellen Bontje hatte. Ihre Ausbildung schloss sie als Bereiterin ab.

Charlotte Lenherr im Element mit ihrem zwölfjährigen CH-Wallach Darko of de Niro ZS.

Der Dressurhandelsstall 

Seit 1997 haust Springreiter und Reitlehrer Jürg Lenherr in Pfyn. Die Reitanlage hatte er vom ehemaligen Olympiareiter Urs Fäh gekauft. Kontinuierlich baute er sein Anwesen um und aus. Er verkaufte einst seine besten Springpferde Lady Miss und Lorina an Gerhard Etter in Müntschemier. Mit Lorina wurde Daniel Etter 2002 Schweizermeister. Pferdehandel, Aus- und Weiterbildung war fortan Jürgs Hauptgeschäft. «Erste Verkäufe tätigte ich vor allem aus wirtschaftlichen Überlegungen», verrät Jürg Lenherr. Andere Entscheidungen waren Herzensangelegenheiten. Beim Pferdekauf lernte er 2005 auch Tiggy in Deutschland kennen und lieben. 2008 zog die Britin aus Deutschland in die Schweiz. 2009 wurde geheiratet. Das private Glück vervollständigt Sohn Jamie, ein aufgeweckter sechsjähriger Erstklässler.

Im Wyberg wohnen die Lenherrs. Umgeben von Pensionären. Nicht betagten Menschen, sondern betagten Pferden. Auf sechs Hektaren Land und auf saftigen Wiesen tummeln seit einem guten Jahrzehnt Pferde im Ruhestand. Derzeit sind es rund 25 Vierbeiner, die auf der Altersweide in unberührter Natur ihren Ruhestand in Gruppen verbringen. Jeder Pensionär hat seine eigene Boxe und kann dort essen und sich erholen. Ein ­Augenschein überzeugte. Pensionierte Pferde haben es im Wyberg schön.

Winteridylle pur auf der Altersweide der Familie Lenherr.

Priorität: Familie und Betrieb

Obwohl Tiggy Lenherr täglich im Stall und im Reitviereck ist, mit acht bis neun Pferden übt und wöchentlich auch einige Reitstunden erteilt, ist sie nicht nur auf Pferde und Erfolge fixiert. Sie verriet der aufmerksamen Rebecca, dass jeweils um 17 Uhr Arbeitsschluss sei und sie die Zeit danach und den Sonntag für die Familie freihalte, sofern nicht Turniere anstehen würden. «Meine Familie und unser Betrieb haben für mich Priorität, nicht Erfolge im Sattel und Karriere», betont Tiggy. In der Familie und im Betrieb ist vieles genau gemanagt und geplant. Tiggy ist zusammen mit der U25-Dressur-Championne Andrina ­Suter, die seit August in Pfyn weilt, für die Ausbildung der Pferde zuständig. Gatte Jürg für den Handel und meist für den Zmittag. «Viel serviert er uns Würs­te. Er ist ein Wurstlieb­haber. Die Zubereitung benötigt halt nicht viel Zeit», zwinkert Tiggy lachend.

Darko aus dem Winterschlaf

Seit rund sieben Wochen geniesst Spitzenpferd Dar­ko Winterpause. Für Rebecca demonstrierte Tiggy aber mit dem Rappen ihr Können. Gekonnte Grund­gangarten, präzise fliegende Wechsel, exakte Traversalen, Pirouetten, Passagen und Piaffen. Die Besucher, die exklusiv in der Halle sitzend die Lektionen bestaunten, waren von den Demonstrationen beeindruckt. «Wir haben unseren Zenit noch nicht erreicht», meint Tiggy. «Überall besteht noch Verbesserungspotenzial. Ich bin Perfektionistin und brauche Herausforderungen und Anspannung.» Einmal pro Monat gibt dem Paar Hans Riegler, Oberbereiter der Spanischen Hofreitschule, den notwendigen Feinschliff.

Zunächst schlug Tiggy aus, Darko zu reiten. «Ich erhalte viele Anfragen, ob ich Fremdpferde reiten möchte. Ich blockte damals aber ab, weil ich unsere eigenen Pferde aus- und weiterbilden wollte. Doch da war eben dieser Darko. Ich übernahm ihn zur Probe. Er war mein erstes Berittpferd in der Schweiz. Nach einer kurzen Anpassungszeit haben wir uns lieb gewonnen. Es besteht inzwischen eine spezielle Verbindung und Harmonie. Darko ist so lieb, hat ein riesiges Herz und einen unglaublich guten Charakter.»

Rebecca freundet sich schon mal mit Darko an.

Im Sattel von Darko 

Davon konnte sich auch Rebecca überzeugen, die Darko auch reiten durfte. Sie staunte ob des riesigen Schrittes dieses Pferdes und konnte unter Anleitung von Tiggy selbst zu ersten Piaffen ansetzen. Was für ein Glücksgefühl für den Teenager! Mit Sonic, einem braven 13-jährigen Oldenburger-wallach, kam Rebecca zudem zu einer exklusiven Privatreitstunde. Tiggy, dicht eingehüllt in Daunenjacke, Schal und Mütze, gab die Instruktionen. Rebbecca konnte im Sattel des erfahrenen und erfolgreich in M- und S-Klassen gerittenen Pferdes enorm profitieren. Sonic wurde von Barbara Gorsler, einer erfahrenen Richterin, freundlicherweise zur Verfügung gestellt. «Rebecca hat einen schönen Sitz, muss sich aber noch besser nach oben strecken und energischer mit Absatz und Innenbein Kommandos geben», fasste Tiggy zusammen und sparte während des Trainings auch nicht mit Lob. «Gut! Super! Du hast viel Gefühl. Weiter so», tönte es wiederholt in der Halle, zur Freude von Mama und Tochter Schmucki. Rebecca ist das jüngste Kind von Brigitte und ­Erich Schmucki in deren Bauernbetrieb in Wila, wo Mutterkühe, Schafe, Hühner, Katzen, Hasen und ein Hund mit zur Familie gehören. Die 19-jährige Angela bildet sich zur Hotelfachfrau aus, die 16-jährige Schwester Rahel zur Gärtnerin für Zierpflanzen. Sie ist überdies begeisterte und erfolgreiche Junioren-Voltigierin in der Gruppe Tösstal. Bruder Andreas steckt in der Lehre als Landmaschinenmechaniker. Ziele haben alle: Rebecca als Dressurreiterin und angehende Konfiseurin, Tiggy als elegante Reiterin mit Steigerungspotenzial. Sie spricht allerdings (noch) nicht von einer möglichen EM-Teilnahme im August in Göteborg. Bescheiden sagt sie nur: «Ich möchte Sir Stanley in die S-Klasse führen und mit Darko einige Male international starten. Wir müssen unsere Fortschritte bestätigen und uns hochdienen.»

Riesenfreude bei Rebecca – sie durfte sogar in den Sattel von Darko steigen.

Rebecca kam zudem im Sattel des 13-jährigen Oldenburgerwallachs Sonic W in den Genuss einer Reitlektion von Tiggy Lenherr.

 

 

 

 

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 50/2016)

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