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Ursula Bruns.
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Rebellin und Reformerin

10.03.2015 13:42
von  Uta Over //

Ursula Bruns ist wie ein Geysir: immer sprudelnd und zu gelegentlichen eruptiven Ausbrüchen neigend. Eine Frau voller Ideen und Visionen. Visionen, die so weitgehend waren, dass sie sich vielen nur langsam erschlossen und Ursula Bruns lange Zeit belächelt und mit steigendem Erfolg in der Freizeitreiterszene von der Sportszene regelrecht bekämpft wurde.

Sie hat sich durchgesetzt. Ihre Ideen zur Pferdehaltung und zu einem pferdeschonenden und auch für den Menschen angenehmen Reiten waren in sich schlüssig; sie stiessen bei Menschen, die weder sich noch ihre Pferde drillen (lassen) wollten, auf ein breites Interesse. Durch ihre Anstrengungen bekam der Begriff «Freizeitreiter» einen anderen Klang. Sie sind heutzutage nicht mehr die Reiter zweiter Klasse, die nicht auf Turniere gehen und daher «nicht reiten können», sondern ambitionierte Reiter mit einem breit gefächerten Wissen, die ihre Pferde sorgfältig gymnastizieren, und deren Traum es ist, die Pferde selbst zu versorgen und am liebsten am Haus zu halten. Der Weg dahin war lang. Und jemand, der nicht wie Ursula Bruns über die ungeheure Hartnäckigkeit, die gelegentlich bis zur Verbissenheit ging, verfügt, hätte wohl kaum das geschafft, was sie für die Freizeitreiterei und die Rassevielfalt im deutschsprachigen Raum erreicht hat.

Von früh an mit Pferden verbunden

Pferde waren Ursula Bruns von frühester Jugend an vertraut. 1922 im ländlichen Raum von Westfalen geboren, kam sie fast täglich mit ihnen in Berührung. Dass sie allerdings einmal die Reformerin der Freizeitreiterei im 20. Jahrhundert in Deutschland, Österreich und auch der Schweiz werden würde, zeichnete sich damals noch nicht ab. Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte sie Germanistik und Kunstgeschichte und entdeckte ihre Lust am Schreiben. Zuerst waren es Bücher über Kunstgeschichte, bald aber wurden die Pferde zum beherrschenden Thema ihrer Werke. Ihr Hauptinteresse war und blieb ihr ganzes Leben lang die artgerechte Haltung von Pferden und ein pferdeschonendes Reiten.

UB – eine Pferdefrau von Weltformat.

UB 1968 in Südafrika.

Ursula Bruns im Jahr 1968 quer durch Basutoland, dem heutigen Lesotho im südlichen Afrika.

Viele Reisen in die ganze Welt öffneten ihren Blick dafür. Sie besuchte Züchter und Reiter in Nord- und Südafrika, in Asien, in Amerika und ritt hunderte von fremden Pferden. Sie entdeckte Gangarten, die hierzulande noch niemand kannte: Tölt, Foxtrott, Paso in etlichen Variationen. Gangarten, von denen heute jeder ambitionierte Freizeitreiter zumindest einmal gehört hat. Und sie brachte nach und nach die Pferde, die sie auf ihren Reisen so fasziniert hatten, nach Deutschland. Dabei kaufte sie die Pferde nicht, sondern sie unterhielt Beziehungen zu interessierten Reitern, die sich der Herausforderung stellen wollten, oder die diese Pferde sogar schon hatten, und profitierte von deren Erfahrung. Mit den Islandpferden kam sie bereits im Jahre 1949 in Kontakt und importierte später für den Film «Die Mädels vom Immenhof» (der auf dem zauberhaften Jugendbuch «Dick und Dalli und die Ponys» basiert) die ersten Original-Isländer.

«freizeit im sattel» (FS)

Im Jahre 1958 gründete UB, wie sie sich gern nennen lässt, die Zeitschrift «freizeit im sattel». Die war anfangs das Sprachrohr lediglich der Islandpferde- und Ponyreiter, entwickelte sich aber schnell zu einer universellen Zeitschrift, die bald auch regelmässige Leser in der Schweiz und in Österreich fand. Das Neue an dieser Zeitschrift war die begeisterte Mitwirkung der Leser und ihre Anregungen und Impulse. Waren alle anderen Zeitschriften auf das Sportgeschehen und die Berichterstattung fokussiert, so traf sich hier «alles», was dort keinen Platz fand und neuem Wissen gegenüber aufgeschlossen war. Der Themenkreis war ebenso breit gefächert wie der Leserkreis, der sich anfangs lediglich aus Islandpferdebesitzern, später aus Freizeitreitern jeglicher Couleur und Pferdebesitzern fast aller Rassen zusammensetzte. Alle – Leser wie auch Redakteure – waren offen für Neues und trugen zum Wissen bei. Es herrschte eine wahre Aufbruchstimmung: In jedem Heft waren neue noch nie gehörte Anregungen, Aha-Erlebnisse und Bestätigungen für viele Pferdebesitzer und Reiter. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich die FS zu einem alternativen Wissenspool. Und bald kam etwas Neues hinzu, das es bisher in der Pferdeszene auch noch nicht gegeben hatte: das Testzentrum Reken in Westfalen.

Testzentrum Reken

Die Islandpferde waren die ersten wirklichen «Freizeitpferde», aber bald scheuten sich die Reiter auch nicht mehr, «kleine Pferde» anderer Rassen zu reiten. So wurden auch die Reitausstatter auf diese Szene aufmerksam. Sie merkten schnell, dass diese «Freizeitreiter» keine «Schmuddelreiter» waren, sondern dass hier gutes Geld für gute Produkte ausgegeben wurde. Für die FS war das schön: Die Anzeigen, die für die Existenz einer Zeitung unabdingbar sind, nahmen deutlich zu – und die Leser wussten nicht mehr, wer denn was in tatsächlich guter Qualität anbot. Da hatte Ursula Bruns eine Idee, die jede andere Herausgeberin einer Zeitung als absoluten Todesstoss für die Zeitung mit einer Handbewegung abgetan hätte: Sie beschloss, Produkte aus dem Pferdebereich völlig neutral zu testen und den Lesern in einem ebenso neutralen Testbericht vorzustellen. Das hatte es noch nie gegeben und gibt es auch heute nicht. Die Hersteller, überzeugt von der Güte ihres jeweiligen Produktes, rannten der Redaktion sozusagen «die Bude ein», und Anfang der 70er-Jahre gründete Ursula Bruns in Westfalen das «Testzentrum Reken». Dort wurde alles «getes­tet» und bewertet, von Produkten über Pferderassen bis hin zu Haltungsformen. Im Laufe der Jahre entstand hier ein wahres Mekka der Pferdehaltung und der Freizeitreiterei und ein Sammelpunkt für die interessantesten Menschen, Pferderassen und Reitweisen der damaligen Zeit. Von hier aus gingen Impulse nicht nur an die Freizeitreiter, die durch Reitkurse und die informativen «Tage der offenen Tür» und die hochqualifizierten Schauvorstellungen einen neuen Blick auf die Szene abseits der Turnierreiterei bekamen, sondern auch an «die andere Szene», die Sportszene der FN.

Sammelpunkt der «al­ternativen Prominenz»

Hier trafen sich Reiter und Pferdeleute, die man woanders noch gar nicht kannte oder anerkannte. Mit der Pädagogin Professor Inge Behr entwickelte Ursula Bruns eine neue Lehrmethode, bei der ambitionierte Menschen innerhalb von neun Tagen (mittlerweile sind es elf Tage) soweit den Umgang mit Pferden und reiten lernen konnten, dass sie anschliessend auf einem sicheren Lehrpferd und mit einem sicheren Reitbegleiter in allen Gangarten ins Gelände gehen konnten. Tausende von erwachsenen Anfängern und Wiedereinsteigern haben so das Reiten gelernt und lernen es in Reken heute noch so. Linda Tellington-Jones war eine der ersten grossen Pferdelehrerinnen, die aus Amerika nach Europa kam und eigentlich «nirgends landen» konnte, weil man ihre Denk­ansätze hier nicht verstand. UB hat sie sofort verstanden, Linda sofort integriert und von ihrer weiten Denkweise profitiert. Viele Jahre wurde Linda genau wie UB von den anderen Reiterszenen abgelehnt und schräg angesehen – bis man nach Jahrzehnten ihre Qualitäten auch dort erkannte. Mittlerweile ist Linda weltweit berühmt. Ihre ers­te Anlaufstelle in Europa war für viele Jahre Reken. Jean-Claude Dysli, Professor Ewald Isenbügel, Claus Penquitt – später mit Tochter Nathalie, Sadko Solinski, Rolf Becher, Andrea Jänisch, Richard Hinrichs und viele andere – sie alle trafen sich regelmässig hier und zeigten dem staunenden Publikum ihre Reitweisen, hielten Seminare und tauschten ihr Wissen untereinander aus.

Ursula Bruns auf ihrem springbegabten Isländer Sóti.

Western stand gleichberechtigt neben altklassischem Reiten, Gangpferdereiten neben Barock – und manchmal wurde das eine mit dem anderen verbunden. Andrea Jänisch in der klassischen Dressur auf einem Islandpferd hatte schon was Barockes in seiner Leichtigkeit. Hinzu kam die grosse Rassenvielfalt. Waren es anfangs nur die Fjordpferde, Isländer und Haflinger, so kamen im Laufe der Jahrzehnte viele fremde Pferderassen hinzu. Viele hochblütige Tölter, die man ausserhalb von Reken fast nirgends sah: American Saddlebreds, Missouri Foxtrotter, Tennessee Walker, aber auch südafrikanische Tölter, Paso Peruanos und Paso Finos oder die eleganten amerikanischen Traber mit grosser Töltveranlagung, oft als dort «nicht gut genug» von der Rennbahn gekauft.

Ewald Eisenbügel und Ursula Bruns.

Ursula Bruns mit Alois Tschümperlin.

In den 70er- und 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde hier Reitgeschichte gemacht – die Wiedergeburt der kultivierten Freizeitreiterei, wie sie vor dem ersten Weltkrieg von den «gehobenen» Schichten gepflegt wurde. Heute gehören Freizeitreiter allen Gesellschaftsschichten an. Und auch die Pferdehaltung hat sich nicht zuletzt dank Ursula Bruns unermüdlichem Schreiben und Reden gegen alte Zöpfe geändert: Viele Pferde haben heute auch ausserhalb der Arbeit frische Luft und Bewegung und soziale Kontakte zu Artgenossen.

Die Anerkennung kam spät

Die Anerkennung der «anderen Reitszene» von der offiziellen Vertretung der Zucht und Sportszenen in Deutschland kam spät für Ursula Bruns. Erst, als sich eine veritable Freizeitreiterszene gebildet hatte. Nicht zuletzt auch, als sich herausstellte, dass diese gehobene Freizeitreiterszene durchaus finanzkräftig und somit ein Wirtschaftsfaktor war, und als man an der Person Ursula Bruns, die unermüdlich das alles angeschoben und verteidigt hatte, wirklich nicht mehr vorbeisehen konnte – da kam auch von offizieller Seite die Anerkennung, die deutsche FN und viele andere Züchter-und Reitervereinigungen ehrten sie mit hohen Auszeichnungen, obwohl UB der Art, wie diese ihren Sport durchführten, keineswegs zugetan war und keinen Hehl daraus machte.

Ganz bestimmt keine einfache Frau

UB ist keine «einfache» Frau. Für ihre Gegner, die in den ersten Jahrzehnten ihres Wirkens hauptsächlich in den Reihen der FN zu finden waren, war sie eine gefährliche Gegnerin – zu scharf war ihr Verstand, zu geschliffen ihre Rede. Und ihr Temperament war einfach höllisch, wenn sie sich erst einmal in Rage geredet hatte. Niemand war sicher vor ihrem beissenden Zynismus, wenn er nicht gut gewappnet mit Argumenten mit ihr streiten wollte. Aber das, was UB erdacht, angeschoben, verwirklicht hat, kann man nicht tun, wenn man nur «lieb und freundlich» ist. Dazu gehört ein Sendungsbewusstsein; und das bedeutet immer eine gewisse Härte in der Sache. Man muss sich nur einmal die Reiter- und Pferdeszene in den 50er-Jahren betrachten, um zu sehen, was sich in der Freizeitreiterei und Pferdehaltung alles verändert hat: Damals waren enge dunk­le Boxen mit Mistmatrat­ze, geschlossene Fenster im Winter und kaum Bewegung für die Pferde an der Tagesordnung. Das «moderne Freizeitpferd» lebt in einer Gruppe im Offenstall mit Auslauf, dazu täglicher Weidegang. Und die Reiter? Sie haben zumindest die Möglichkeit, sich für ihre Bedürfnisse weiterzubilden – früher lag die reiterliche «Bildung» nur darin, bestimmte Aufgaben aus dem Aufgabenheftchen der Wettbewerbe zu beherrschen. Wie unendlich weit gefächert sind die Möglichkeiten heute. Alles das hat UB vorgestellt, es wurde von «offizieller Seite» erst mal schief angesehen, bestenfalls belä­chelt – und sie hat all dem einen Platz verschafft. Es gibt kaum jemanden, der für Pferde und Reiter im deutschsprachigen Raum so viel getan hat. Vor einigen Jahren hat UB das Reitzentrum Reken in die Hände von Jochen Schumacher gegeben, einige Jahre später auch die FS verkauft und sich nach Almeria nach Spanien zu­rückgezogen. Nach 20 Jahren Spanien lebt sie jetzt mit 92 Jahren wieder in Deutschland in der Nähe von Reken.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 09/2015)

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