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Stefan Wehrli.
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Schmied seines eigenen Glücks

28.04.2015 14:03
von  Peter Wyrsch //

Hufeisen bringen Glück – sagt der Volksmund. Gleich doppeltes Glück bescherten Hufeisen dem Hufschmied Stefan Wehrli. Der 44-jährige selbständige Ostschweizer hat in seinem gelernten Metier, das er zu einer Wissenschaft entwickelt hat, sowohl das private wie auch das berufliche Glück gefunden. Beim Beschlagen eines Pferdes lernte er vor neun Jahren seine Frau Karin kennen. Seither vervollständigen vier aufgeweckte Buben das Familienglück des Pferdeschuh-Orthopäden und Tüftlers. Mit dem Wehrli Traction Shoe (WTS) erfand er nach zweieinhalbjähriger Forschung individuell angepasste Hufeisen für jedes Pferd, um zur richtigen Balance mit natürlichen Bewegungen zu finden.

Das Pferdebeschlagen sei von den Römern erfunden worden, verrät die Geschichte. Bei fast allen Völkern entwickelte sich das Hufeisen zu einem Halt auf dem Boden, zu einem Schutz und zu einem Glücksbringer. «No hoofs, no horse», ist nicht nur ein geflügeltes Wort, sondern fusst bei Spitzensportlern, Tierärzten und Experten auf Erfahrung und Wahrheit. «Der Hufschmied ist die wichtigste Person am Pferd. Hufschmied ist der am meisten unterschätzte Beruf in unserem Metier. Erst danach kommen Tierärzte und Physios», meint kein Geringerer als Ludger Beerbaum, eine Koryphäe im Springreit­sattel. Der vierfache Olympiasieger muss es nach jahrzehntelanger Erfahrung im Spitzensport wissen. Der Deutsche aus Riesenbeck in Nordrhein-Westfalen schwört auf die Dienste eines Schweizers, auf den Thurgauer Hufschmied Stefan Wehrli aus Heldswil. «Stefan (Wehrli) ist ein Meister seines Fachs. Wir arbeiten seit rund zehn Jahren intensiv zusammen. Alle vier bis fünf Wochen kommt er zu mir nach Riesenbeck, wo wir ihm eine eigene Schmiede eingerichtet haben. Da verpasst er meinen Pferden neue Hufe, je nach Beinstellung und Abrollverhalten. Stefan versteht sein Handwerk wie kaum ein anderer, ist akribisch bei seiner Arbeit, geht den Problemen auf den Grund und konzipiert und fertigt individuelle Beschläge für jedes Pferd.»

Stefan Wehrli und seine Erfindung – der WTS, hier in den verschiedenen Ausführungen «solid», «light» und «race».

 

Ludger hatte es Stefan Wehrli zu verdanken, dass sein ehemaliges Olympiapferd Goldfever nach fast zweijähriger Verletzungspause nochmals zurück in den Spitzensport fand und bei den Europa­meisterschaften 2007 in Mannheim Team-Silber und Einzel-Bronze gewann. Seither ist er ein regelmässiger Wehrli-Kunde. «Ich lasse die meisten meiner Pferde regelmässig mit WTS-Eisen beschlagen. So haben sie immer die gleichen ‘Füsse’ und sind einer gleichmässigen Belastung ausgesetzt.» 

Millionenpferde in Heldswil

Seit Jahren fahren regelmässig riesige Transporter mit Spitzenpferden in Heldswil im Thurgau vor. Das kleine Dorf bei Kradolf in der Gemeinde Hohentannen im Bezirk Weinfelden ist zu einem Hufschmiede-Mekka geworden. Nicht nur Ludger Beerbaum ist auf den Ostschweizer Hufschmied-Spezialis­ten aufmerksam geworden, sondern auch seine Jockeys, Marco Kutscher (GER) und Henrik von Eckermann (SWE), die für Portugal startende Brasilianerin Luciana Diniz, Jan Tops und sein Gefolge, Scheich Maktoum und die Springreiter aus Katar haben Wehrlis spezielle Dienste schon (erfolgreich) beansprucht. Der Tierarzt der Reiter aus Katar heisst Marc Oertly. Der Solothurner, vor drei Jahren mit seiner nach Katar verkauften Stute Tamira noch aktiver und erfolgreicher Schweizer Kader-Springreiter, ist seit über zwei Jahren Head-­Veterinär bei Jan Tops in Valkenswaard. «Stefan Wehrli ist als Hufschmied ein Ingenieur», lobt Oertly. «Er bringt mit seinen speziellen Eisen die Hufe in ­gesunde Formen und in ­Balance. Er korrigiert mit seinen ­Spezialeisen Stellungsprobleme. Wenn die ­Kommunikation zwischen ­Tierarzt und Hufschmied stimmt, können viele ­Problemfälle zum Wohle der Pferde gelöst werden.»

Oertly wurde vor fast vier Jahren auf Wehrli aufmerksam, als er eine Weiterbildung besuchte. «Seine Ideen überzeugen mich. Er tüftelt unermüdlich, wie er Pferden helfen kann und verwendet immer wieder neue Materialien. Unsere Ziele und die der Pferdebesitzer und Reiter decken sich. Wir wünschen uns gesunde Pferde mit natürlichen Bewegungen, was bei idealem Management und Handling Erfolge verspricht.»

Tequila siegt mit WTS-Shoes

Ein Beispiel unter vielen: Tequila, die Holsteiner-Stute von Edwina Tops-Alexander, litt an einer Trachtenquetschung. Die Stute war 2014 neun Monate lang verletzt und nicht einsatzfähig und ging auch nach Spitzenplätzen in den Weltcupspringen in Madrid (2.) und Bordeaux (5.) wieder lahm. Stefan Wehrli erkannte das Problem, verpass­te der Stute den WTS (Wehrli Traction Shoe) und fortan ging das Pferd wieder gerade, erfolgreich und siegte im mit 500000 Euro dotierten Grand Prix im März in Doha (QAT). Inzwischen reisten schon Springreit-Cracks aus zehn Ländern in Heldswil an. Millionenpferde aus Grossbritannien, Belgien, Hol­land, Deutschland, Italien, Frankreich, Dänemark, Saudi-Arabien, Katar und der Schweiz. «Ich habe auch schon Palloubet d’Halong mit WTS beschlagen», verriet Wehrli. Das Ausnahmepferd klassierte sich unter der Baselbieterin Janika Sprunger vor eineinhalb Jahren als EM-Siebter in Herning (DEN) und wurde 2013 als bisher teuerstes Springpferd der Welt für über zehn Millionen Franken nach Katar verkauft. Doch nach dem Millionen-deal bekundete der Enkel des französischen Top-Vererbers Galoubet Probleme. Wehrli erkannte diese. Zwei Wochen nach den Massanfertigungen mit neuen Hufeisen ging das Pferd auch unter seinem neuen Reiter wieder optimal.

Lehrgänge von Stefan Wehrli

Wehrli behält sein Wissen aber nicht für sich. In Lehrgängen für Hufschmiede und Tierärzte gibt er seine Erfahrungen weiter. Zuletzt fand Ende April ein dreitägiger Kurs bei Ludger Beerbaum im neuen Pferdesportzentrum in Riesenbeck statt. Er war gut besucht. Wehrlis Zielvorgabe: «Ich möchte, dass die Kurs­teinehmer lernen, den Huf zu lesen und verstehen, welche Probleme vorliegen. Es geht um Stellungsbeurteilung und Ganganalysen. Genetisch bedingte Stellungsfehler können beim ausgewachsenen Pferd nicht korrigiert werden. Durch korrekten Beschlag ist aber eine erhebliche Erleichterung zu erreichen.»

Hufschmied mit Rossschwanz

Stefan Wehrli hat seinen Kindheitstraum, den er schon mit fünf Jahren hatte, umgesetzt. Er wurde Hufschmied. Im Beruf liess sich der ehemalige nationale Springreiter (Sieg im OKV-Championat 2008 und Klassierungen in Superpromotion-Finals) weiterbilden und vor allem von dem in den USA lebenden Ric Redden inspirieren. Der Tierarzt und Hufschmied war – wie Wehrli selbst – offen für neue Methoden. «Er war mein Mentor und konnte mir so richtig aufzeigen, wie ein Huf funktioniert», erzählt der passionierte Hufschmied. «Da begriff ich, den Huf von innen nach aussen zu verstehen und Respekt vor dem Wunderwerk der Natur zu haben.» Wehrlis eigener Betrieb im Lindenhof, den er in die drei Abteilungen Hufbeschlag, Produktevertrieb und Weiterbildung gegliedert hat, ist für ihn ein Pferde- und Familien-Eldorado geworden. «Wir sind eine tierliebende und soziale Familie. Leider habe ich für meine Nächsten wegen meines Berufes und meiner Tüftler-Leidenschaft wenig Zeit. Auch bin ich seit zwei Jahren nicht mehr geritten. Ich bin bestrebt, meinen üblichen Tagesablauf zu ändern. Ich muss mein Ego etwas zurückstellen und mehr Zeit für meine Famlie und meine Erholung aufwenden.»

Stefan Wehrli mit seiner Frau Karin und den vier Söhnen Gian, Louis, Finn und Nic im heimischen Garten.

Der fleissige Hufschmied muss aufpassen, dass er sich nach all den Anfragen nicht überarbeitet. Seine Familie und die vier Buben, die sechsjährigen Zwillinge Gian und Nic, der dreijährige Louis und Baby Finn brauchen ihn ebenso wie seine reitende Gattin Karin. Die grösseren Buben drehen schon Runden auf den Ponys, klettern aber ebenso gerne auf Bäume, spielen im Sand oder fahren auf Spielzeug-Traktoren. Diese Aktivitäten möchten sie auch mit ihrem Vater teilen und ihm ihre Fortschritte demons­trieren. Und da bellen im pikfein aufgeräumten Lindenhof auch zwei Hunde und gackern Hühner, und vielleicht möchte Wehrli auch selbst wieder einmal in einen Pferdesattel steigen.

«Mass-Schuhe» für jedes Pferd

Hufeisen sind nicht gleich Hufeisen. Das hat Stefan Wehrli früh erkannt. Seit er seinen Bubentraum und Berufswunsch verwirklichen konnte, forscht, konzipiert und arbeitet er unermüdlich und entwickelte den nach ihm benannten WTS (Wehrli Traction Shoe), den er (Zitat: «für ein Schweinegeld») patentieren liess. Was ist denn ein WTS? Stefan Wehrli klärt auf: «WTS ist nicht nur ein Eisen, sondern dahinter steckt ein ganzes Konzept. Das Ziel war ein Hufeisen zu entwerfen, das in Bezug zum Hufbein positioniert wird. Das speziell angefertigte Eisen soll dem Pferd einen hohen Komfort bieten und eine sehr gute Traktion haben, damit das Pferd sein Leistungspotenzial optimal umsetzen kann.» Nach intensiver Forschungs- und Entwicklungsarbeit ist das WTS-Hufeisen nun auf dem Markt, wird aber nur an Hufschmiede verkauft, die bei Stefan Wehrli einen Lehrgang besucht haben. Er begründet diese Mass­nahme: «Der Kunde kauft ja eine ganze Dienstleis­tung. Ich will, dass meine Erfindung für Leistungs- und Problempferde optimal von geschulten Fachkräften umgesetzt wird. Das WTS-Eisen ist mein Baby.»

Anpassung des WTS-Hufeisens: Die Arbeitsschritte zielen darauf ab, dass das Hufeisen exakt zentral unter dem Hufgelenksdrehpunkt liegt.

 

Beobachtung als Basis

Wie geht Wehrli vor, um jedem Pferd individuelle Schuhe anzufertigen? «Am Anfang steht die persönliche Beobachtung, ein visuelles Röntgen. Ich schaue aus verschiedenen Blickwinkeln bei Schritt und Trab genau hin, wie das Pferd auffusst und in der Spur läuft. Und das auf Asphalt und Sand. Da mache ich mir meine ersten Gedanken für einen natürlichen und schonenden Bewegungsablauf. Meine Eindrücke lasse ich mir dann durch eine spezielle Röntgentechnik bestätigen oder korrigieren. Bei den Röntgenaufnahmen ist der jeweilige Tierarzt immer dabei. Gemeinsam bestimmen wir anschliessend die genaue Form und Lage des Hufbeines. Die Form zeichne ich auf dem Röntgenbild ab und passe meine vorgefertigten und gefräs­ten Eisen jedem Huf einzeln an. Über jeden Beschlag führe ich genau Protokoll.»

Oben: Karin Wehrli führt das Pferd vor dem Beschlagen vor, damit sich Stefan allfällige Unsauberkeiten merken und darauf beim Beschlag reagieren kann.

Unten: In der Schmiede kontrolliert Wehrli seine Eindrücke mit dem Röntgenbild des Hufs.

 

Um Standard-Hufeisen zu entwerfen, die möglichst optimal auf alle Hufe passen, sammelte Wehrli viele Daten wie Hufformen, Hufbeinformen, Winkel des Strahls oder Form der Trachten. Basierend auf allen Ergebnissen und Erkenntnissen entwarf er seine Form des Hufeisens. Weil kein Huf und kein Hufbein symmetrisch sind, erstellte er einen Prototypen. Er dient als Vorlage für die Modelle, welche mit dem Laser ausgeschnitten werden. Wenn man nun die Längs- und Quermarkierung auf dem Hufeisen mit den Markierungen auf dem Huf zentriert, ist der Huf­beinteil des WTS-Eisens genau unter dem Hufbein positioniert. Form und Position stimmen überein. Der «Wehrli Traction Shoe» wird gefräst und aus einem Stück Stahl 52 hergestellt.

Schonende Schuhe

Die Innenkannte des Zehenteils, der aufgesetzte Hufbein-Teil und Traktionsrillen sorgen dafür, dass die vom Pferd aufgewendete Kraft optimal in die Bewegungsrichtung umgesetzt wird. Leichtes seitliches Abrollen schont Bänder, frühes Abrollen Beugesehnen, ein sicherer Stand die Muskeln und eine sanfte Landung die Fesselträger. Die grosse Auflagefläche mit den speziellen Hufeisen, die in light-, solid- und race-Ausführungen erhältlich sind, geben dem Pferd Komfort. Die Eisen wirken beim Auffussen des Pferdes als natürlicher Stossdämpfer und federn den Aufprall ab. «Das ergibt weniger Zug auf Strecksehne und Fesselträger. Der Raumgriff des Ganges wird grösser, weil sich das Pferd getraut, weiter nach vorne zu treten», erklärt Wehrli. «Das WTS-Eisen ist genau unter dem Hufgelenks-drehpunkt zentriert. Dadurch ist der Beschlag im Gleichgewicht. Durch diese Sicherheit fühlt sich das Pferd wohl und verkrampft sich nicht.»

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 16/2015)

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