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Paris 1924: Olympiasieger Alphonse Gemuseus auf Lucette im Stade de Colombes.
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Schweizer Reiter von 1924–1936

06.06.2012 07:43
von  Max E. Ammann //

Nach dem bundesrätlichen Veto gegen eine Olympiateilnahme von Schweizer Reitern und Pferden bei den Olympischen Spielen von 1920 in Antwerpen brachten die nächsten Spiele von 1924 in Paris das olympische Pferdesportdebüt der Schweizer.

Paris 1924: Hans E. Bühler auf Mikosch beim Geländeritt, 14. Schlussrang.

Beizufügen zum Verbot von 1920 ist, dass die Schweizer Regierung mit ihrem Veto nach dem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche in Belgien allein blieb. Selbst die Nachbarn im Norden, die Niederländer, und die Franzosen im Süden, mit ihren weit bedeutenderen Rinderbeständen, entsandten ihre Reiter und Pferde in die belgische Hafenstadt.
Immerhin, die intensiven Vorbereitungen der fünf Schweizer Offiziere für Antwerpen hatten den Appetit auf Auslandstarts geweckt und so fuhr 1921 erstmals eine offizielle Schweizer Springreiter­equipe ins Ausland, an das neugeschaffene Militärturnier in Nizza. Dieser CHIM war in den 20er- und 30er-Jahren einer der wichtigsten Anlässe im wachsenden internationalen Turnierkalender. Die Schweizer, mit einem Grand-Prix-Sieg in 1921 und zwei Nationenpreisgewinnen in den 30er-Jahren, gehörten damals zu den Grossen des internationalen Springsports.

Zweimal Edelmetall für Gemuseus

Diese Spitzenstellung konnten sie auch bei den Olympischen Spielen von 1924 beweisen, als der Basler Alphonse Gemuseus Einzelolympiasieger wur­de und die Equipe mit Gemuseus, Hans E. Bühler, Werner Stuber und Henri von der Weid in der Mannschaftswertung die Silbermedaille gewann. 1924 waren die ersten Olympischen Spiele, deren Reitwettbewerbe unter der Oberaufsicht der FEI durchgeführt wurden. Die FEI war 1921 gegründet worden, nachdem IOC- Präsident Pierre de Coubertin als Folge des Reglementwirrwars von Antwerpen 1920 an einer Zusammenkunft der interessierten Länder in Lausanne die Gründung internationaler Verbände forciert hatte. Die FEI, die sich im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens fast ausschliesslich dem olympischen Reglement widmete, übernahm für 1924 das bewährte Programm von Stockholm 1912 – mit einer Änderung allerdings. Es gab nicht, wie 1912 und 1920, zwei separate Springen um Einzel- und Mannschaftsmedaillen, sondern beide Medaillensätze wurden in einem Springen vergeben. Es dauerte mehrere Jahrzehnte, bis dieser heute kaum verständliche Entscheid korrigiert wurde.

Paris 1924: Das olympische Diplom für Olympiasieger Alphonse Gemuseus.

Die Reitwettbewerbe von 1924 in Paris fanden, mit Ausnahme des Gelände­tages, im olympischen Hauptstadion, dem Stade de Colombes statt. Für die Steeple der Military zog man auf die Rennbahn von Auteuil – die Wegstrecken waren im Bois de Boulog­ne, das Cross im Walde von Meudon.

Schweden überragt alle

17 Nationen entsandten Reiter und Pferde nach Paris. Fünf von ihnen, darunter die Schweiz, kamen mit vollen Equipen in allen drei Disziplinen. Das überragende Land war Schweden, wie bereits 1912 und 1920, mit zwei Gold- und zwei Silbermedaillen. Eine Katastrophe erlebte das Gastgeberland Frankreich. Nur gerade eine Einzelbronzemedaille in der Dressur war die Ausbeute. Von den je vier Military- und Springreitern schieden je drei aus, im Springen überlebte nur der berühmte Pierre Clavé als Vorletzter das Desaster.
Die Schweizer überzeugten im Springen. Lt. Alphonse Gemuseus mit der achtjährigen Irländerin Lucette – 1922 als Remonte für 48 Pfund erworben – hatte drei Abwürfe mit der Hinterhand für sechs FP. Das genügte zum Sieg vor dem Titelverteidiger, Tommaso Lequio auf Trebecco mit 8.75 FP. Die drei andern Schweizer klassierten sich im Mittelfeld (14. Stuber, 20. Bühler, 21. von der Weid), aber das genügte für Mannschaftssilber hinter Schweden. Hans E. Bühler, der Vater von Anton, bestritt auch noch die Military zusammen mit Charley Stoffel (der Vater von Alexander), Werner Fehr (der Vater von Jörg) und René de Ribeaupierre. Mit den Rängen 14, 15, 18, 28 (bei 44 Startern) ergab sich der vierte Mannschaftsplatz. Zwei aus der Silberequipe vom Springen bestritten auch die olympische Dressur. Henri von der Weid auf Uhlhard war als Siebter der Bestplazierte. Der erste Schweizer Offizier, der sich fast ausschliesslich mit der Dressur beschäftigte, Adolphe Mercier, wurde mit Knabe Sechzehnter. Für Stuber und Schlumberger gab es die Plätze 20 und 21. Mannschaftsmedaillen gab es damals in der Dressur nicht. Zählt man die drei besten Resultate der teilnehmenden Länder zusammen, hätte Schweden mit den Einzelrängen 1, 2, 4, 5 überlegen gewonnen. Silber für Frankreich, Bronze für die Tschechoslowakei und Platz vier für die Schweiz.

Drei Monate Olympische Spiele

Amsterdam 1928: Die drei Medaillengewinner im Springen: Frantisek Ventura, Pierre Bertran de Balanda und Charles Kuhn auf Pepita.

Die nächsten Olympischen Spiele fanden 1928 in Amsterdam statt. Es waren allerdings nicht die auf 16 Tage konzentrierten Spiele der heutigen Zeit, sondern dauerten drei Monate: vom 17. Mai bis zum 12. August 1928. Die Reitwettbewerbe fanden ganz am Ende statt – an fünf Tagen vom 8. bis 12. August. Das Springen und die Springprüfung der Military wurden im Olympiastadion von Amsterdam ausgetragen – alle übrigen Wettbewerbe in und um Hilversum. Die FEI hatte, nach Paris, zwei Änderungen im Programm vorgenommen: sie führte eine Mannschaftswertung Dressur ein – reduzierte aber die Zahl der Starter pro Land und Disziplin von vier auf drei. Es war eine fatale Entscheidung, die für die Military erst für 1960, für das Springen erst für 1972 geändert wurde – dies, obwohl 1928 elf der 14 Military Teams ausschieden. Das Ausscheiden war nicht die Folge von übermässig vielen Stürzen oder ­Verweigerungen, sondern mehrere der Starter verritten sich im Flaggenwald des Cross Country.

Charles Kuhn sorgte für Highlight


Für die Schweizer gab es in Amsterdam nur eine Medaille: Bronze durch Charles Kuhn auf Pepita im Springen. Titelverteidiger Alphonse Gemuseus auf der nun zwölfjährigen Lucette hatte die schnellste Zeit, verzeichnete aber einen Abwurf mit der Hinterhand. So verpasste Gemuseus das Stechen und wurde Achter. Im ersten Stechen blieben drei der sieben erneut fehlerlos. Im zweiten Stechen blieb nur der Tscheche Ventura fehlerlos – Kuhn hatte vier FP für einen Vorderhandfehler. Leider konnte der dritte Schweizer, Pierre de Muralt, der spätere Waffenchef der Leichten Truppen, nicht mit Kuhn und Gemuseus mithalten. Mit Notas gab es 16 FP und somit nur den achten Equipenplatz. In der Dressur belegten die drei Schweizer mit den Einzelplätzen 15, 22, 25 den siebten Mannschaftsplatz. Neben Adolphe Mercier ritt auch der zweite Schweizer Dressurpionier, Oskar Frank, mit. Auch die Militaryreiter ritten ohne Erfolg. Oberstleutnant Walo Gerber wurde Zwölfter, aber de Ribeaupierre schied aus und so wurde die Equipe gesprengt.

Börsencrash verhindert Schweizer Teilnahme


Für die nächsten Olympischen Spiele, 1932 in Los Angeles, stand eine Schweizer Teilnahme kaum zur Diskussion. 1932 hatte die vom New Yorker Börsencrash ausgelöste Wirtschaftskrise auch die Schweiz erreicht – die CSIOs von Luzern und Genf mussten abgesagt werden. So fuhren nur je drei Franzosen, Schweden und Niederländer mit ihren Pferden aus Europa nach Kalifornien. Die Schweizer blieben auch in anderen Sportarten fern – nur gerade der Turner Georges Miez fuhr aus Eigen­initiative nach Los Angeles und gewann Silber.

Berlin 1936: Mario Mylius auf Saphir, Achter der Military.

Die politisch missbrauchten Spiele von 1936 in Berlin boten dem Pferdesport eine brillante Plattform. Organisiert von Oberlandstallmeister Gustav Rau – der bereits für 1916 die Zügel in der Hand hatte – gab es in allen drei pferde­sportlichen Disziplinen Rekordfelder: 54 in Springen, 29 in der Dressur und 50 in der Military. Die Schweiz entsandte volle Dreier- Equipen in Springen und Military und einen Einzelreiter für die Dressur. Medaillen gab es diesmal keine: Das beste Schweizer Resultat war Platz fünf in der Mannschaftswertung des Springens. Das Springen wurde im Olympiastadion ausgetragen; Dressur und Military auf dem Maifeld, neben dem Olympiastadion. Die Ge­ländeprüfungen fanden in und um den Truppenübungsplatz von Döberitz statt. Im Springen gelang dem St. Galler Textilindu­triellen Hptm. Arnold Mettler auf Durmitor der besten Schweizer Leistung. Mit 15 FP platzierte er sich vor zwei der drei deutschen Mannschafts-Goldmedaillengewinnern mit je 20 FP. Jörg Fehr mit Corona und Hans Ikle mit Exilé endeten auf den Plätzen 30 und 31. Hans Moser, als junger Leutnant, wurde mit Revue als Einzelreiter 22. der Grossen Dressur und mit Sergius ebenfalls 22. in der Military. Zwölf Jahre später wurde Hptm. Moser dann Olympiasieger in der Dressur. Die beste Einzelleistung der Schweizer Military-Reiter gelang dem Basler Mario Mylius auf Platz acht. Da Pierre Mange ausschied, platzte die Schweizer Equipe.

Berlin 1936: Arnold Mettler auf Durmitor, Elfter im Springen.

Kriege verhindern weitere Spiele

Drei Jahre später brach der Zweite Weltkrieg aus. Die Spiele von 1940, ­zuerst nach Tokyo vergeben und dann an Helsinki weitergereicht, konnten nicht durchgeführt werden – ebenso wenig die­jenigen von 1944. Nach 1912, 20, 24, 28, 32 und 36 ritt man zum siebten Mal olympisch 1948 in London.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 22/2012)

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