Suche
Previous Next
Aktuelle Themen, Top-Artikel

Sicher im Parcours

17.11.2010 00:00
von  Ramona Dünisch //

Ob regionale Turniere oder nationale Springprüfungen von M bis S – über­all finden sich Pferde, die souverän an jeglichen Sprung herantreten, aber auch Tiere, die bereits beim ersten Anblick des für sie neuen Turniergeländes einen klar sichtbaren Krisenschub erleiden. Was macht hier den Unterschied aus und welche Kriterien bewegen Pferd und Reiter zum im Vorfeld bereits kalkulierbaren Erfolg?

Souveräne Reiter sitzen nach dem Training an der vielfältigen Bildauswahl am Computer und überprüfen die Springmanier ihres Pferdes mit exakten Bemerkungen – ohne jeglichen Selbstzweifel und mit sehr viel Sachverstand. Welche Hausaufgaben bringen die Reiter weiter, egal ob es sich hier um den Hobbyspringreiter handelt, der bei einer herbstlichen Fuchsjagd feste Hindernisse überwinden will oder um den Berufsreiter, der nach seinen Siegen bewertet wird?

Selbstkritik – der Lösungs­ansatz liegt auf der Hand

Nicht das ständige Üben von gleichen Hindernissen auf dem heimisch bekannten Boden bringt Unabhängigkeit in jeder Situation. Die Pferde werden eher stumpf durch immer gleiches Trainieren von ­unveränderten Abläufen. Viele Reiter machen sich nicht die Mühe, einen Sprung immer wieder neu aussehen zu lassen und auch das eigenständige Kreieren eines flüssigen Springparcours bereitet sichtlich Kopfschmerzen. Selbst wenn der Parcours auf dem stalleigenen Aussenplatz oder in der Reithalle flüssig gelingt, heisst dies noch lange nicht, dass das junge oder mittlerweile turniererfahrene Pferd auf neuem Gelände zum Reiter vertrauensvoll ist und jede neue Aufgabe willig annimmt. Oftmals kommt es zu Verweigerungen der Arbeitsstellung: Das Pferd steht am Hindernis, rutscht beim zweiten Versuch direkt in das Hindernis hinein, im dritten Anlauf kommt es zum Sturz vom Reiter oder im Extremfall von beiden, mit mehr oder weniger schweren Verletzungen, die vermeidbar gewesen wären. Pferde verweigern den Gehorsam komplett, stehen nicht mehr an den Hilfen oder lehnen jegliche Hilfengebung in vollem Umfang ab. Der ungleiche Kampf am stocksteifen Pferd treibt unschöne Stilblüten: Der Einsatz von Springpeitsche, Sporen und sonstiges Traktieren führen ebenso wenig zum Erfolg wie gute Worte oder Lob am verweigerten Sprung. Konsequenz zeigte einmal eine Vollblutstute in einer Springprüfung für junge Nachwuchspferde: Sie stand so felsenfest an der von ihr gewählten Stelle, dass Helfer sie wieder nach draussen führen mussten – es ging einfach nichts mehr!

Was tun in der Not?

Was löst die grosse Angst der Pferde vor dem ungewohnten Parcours aus und welche Hindernisse führen zahlenmässig zu den häufigsten Verweigerungen? Wer jetzt davon ausgeht, dass dies der Wassergraben in vielfältiger Form sein muss, hat weit gefehlt. Hindernisse, die im Schatten liegen, wenn Pferde aus hellen, sonnigen Bereichen an diese herangeritten werden, breite Bretter, die an Scheunentore erinnern, die Farbe gelb oder auch naturfarbene, hellbraune Stangen sind die Spitzenreiter. Wer einmal ein komplettes Turnier beobachtet, Strichlisten mit bestimmten Hindernissen anlegt und exakt hinsieht, wird sehr schnell diese faszinierende Erkenntnis teilen.

Was lernen wir aus dieser Tatsache? Einfach exakt diese Problemstellungen zuhause üben, das heisst weg von der althergebrachten Vorgehensweise hin zu Vielfalt im Spring­parcours und zwar zuhause! Planen in verschiedenen Farben über Stangen gelegt, die am besten noch im Wind flattern. Treiben Ihnen diese Worte die nackte Panik ins Gesicht, denken Sie an Ge­lassenheitsprüfungen und Schnickschnack? Nein, nicht wirklich, genau dieser Gedankenansatz bringt die Souveränität, die vonnöten ist. Die vorgelegte oder unterlegte Plane, am besten in der Farbe blau und später mit aufgetragenem Wasser – schon ist der natürliche Wassergraben nachgebaut und perfekt fürs Üben. Damit der heimische Sturz am Sprung weitestgehend vermieden werden kann, bitte am besten damit beginnen, dass das Pferd an der Hand über die ungewohnten Gegenstände geführt wird. Hier darf dann auch gerne mit Leckerbissen gearbeitet werden, damit die positive Verknüpfung sich bleibend im Gehirn festsetzt. Pferde sind gar nicht so weit vom menschlichen Verhalten entfernt, wenn es ums Lernen geht. Auch der Mensch lernt lieber, wenn die Situation angenehm ist und etwas Positives in Aussicht gestellt wird. Denken wir doch einfach einmal an die Siegerehrung, die als Lohn der vielen Bemühungen am Ende einer langen Kette steht …

Weiter geht’s in Sachen Vielfalt

Jetzt geht es an die so genannten Unterbauten, das heisst bunte und kreativ konstruierte Elemente, die erst das eigene Gesicht des jeweiligen Turniers ausmachen. An den Seiten oder auf breiten Brettern verewigen sich Sponsoren, die die Finanzierung der Turniere oftmals erst möglich machen. Pferde reagieren hier ganz anders als der Mensch: Die Motive, die wir witzig finden, wie zum Beispiel ein Nemo-Hindernis mit vielen orangefarbigen Fischmotiven erschrecken unsere Vierbeiner. Wiederum andere Schwierigkeitsgrade, die wir als Blockaden wahrnehmen, lassen die Pferde einfach kalt. So mancher Veranstalter geht hier ganz gewitzt heran und treibt beide Teile schier in den Wahnsinn, ohne dass er sich hierüber überhaupt bewusst ist.

Dieses Paar quittiert seinen Dienst am Hindernis. (Fotos: Ramona Dünisch)

Wer hier die jeweiligen Reiter-Pferd-Paare in Augenschein nimmt, erkennt zwei verschiedene Lager: Die einen reiten eher selbst erschreckt und zögerlich durch die ihnen vorge­gebene Aufgabenstellung. Der zweite Teil prescht zielsicher und äusserst konsequent vorwärts – Pferde nehmen unsere Eigenspannung sehr schnell auf und setzen diese zeitnah um – wir sind das ihnen vorgestellte Leittier, auch wenn wir im Sattel sitzen! Dies ist übrigens in Dressurprüfungen ebenso, nur mit einer ganz anderen Aussendarstellung in den unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden zu studieren. Überall gilt es, zügig weiter zu reiten. Wer hier am Zügel zieht, selbst noch bremsend einwirkt, hat bereits verloren. Wie heisst es so schön: «Da vorne gibt’s Geld» – im wahrsten Sinne des Wortes.

Selbst ist der Reitersmann

Do-it-yourself kann aus der Not eine Tugend machen. In wessen Reitstall kreative Hindernisse fehlen, kann selbst Hand anlegen. Im Team macht’s noch mehr Spass, wenn neue und vor allem vielseitige Parcourselemente entstehen. Sperrholzplatten oder dünne Holzplatten kombiniert mit Vierkanthölzern als Standfuss ergeben den Unterbau für schöne neue Elemente. In der Höhe genügen maximal 60 Zentimeter bei einer Breite von anderthalb bis zwei Metern. Diese Grösse ist zum Üben zuhause absolut ausreichend. Das Pferd gewöhnt sich ohne zeitlichen Stress – wie es beim Turnier ist – mit Leichtigkeit und Einfühlungsvermögen des Menschen im Sattel oder am Boden an den neuen Gegenstand in seinem Leben. Um der Kreativität noch freieren Lauf zu lassen, können zwei Unterbauten zu einem bunten Hindernis verbunden werden. Auch für die menschliche Wirbelsäule sind diese kleinen Kombiteile sinnvoll, wenn sie transportiert werden sollen. Niemand muss sich dann einen Bruch zuziehen. Jetzt geht’s mit dem Farbtopf an farbenfrohe Gestaltung. Hier bitte die gesamte Farbpalette ausnutzen, damit auch noch der letzte Vorbehalt bei den Pferden aus dem Weg geräumt werden kann. Auch Brauntöne und die Farbe Gelb nicht vergessen!

Wer hat Angst vor der bunten Mauer?

Ein kleiner Tipp spart nicht nur Zeit, sondern auch Geld: Die Unterbauten können jeweils unterschiedlich bemalt werden. Rote Mauern wirken bei vielen Wettbewerben nicht nur für die Tiere erschreckend, sondern auch für die Reitersleute beim Abgehen des Parcours. Eine Seite als Mauer bemalt und die zweite in sehr dezenten Farben, vielleicht auch einmal nur weiss. Jedes Pferd reagiert anders und so manches scheut zwar nicht das Rot, aber im Anschluss Weiss. Der Vierbeiner lernt auf diese Weise, dass er vor beiden Farben keinerlei Scheu zu zeigen braucht.

Und noch ein kleiner Trick vom Spezialisten: Mittels Unterbauten kann ein ­kleiner psychologischer Brems­kraftverstärker in den Parcours eingebaut werden. Wenn ein Pferd innerhalb der zu absolvierenden Strecke zu schnell zu werden droht und in der Kombination flach wird, bremst ein Unterbau gezielt aus. Einfach hier einmal im Einsprung der Kombination einsetzen und wenn dies nicht hilft, dann beim Aussprung. Bitte hier mit Feingefühl herangehen, damit nicht mehr kaputt als gut gemacht wird. Statten Sie einfach einmal die Kombination mit einem Steilsprung und einem danach  folgenden Oxer aus. Den Oxer gestalten Sie mit einer Farbe, die das Pferd nicht besonders attraktiv findet und eher meidet. Das Pferd wird von selbst das Tempo verringern und ihre Hilfengebung dezenter annehmen. Es ist dann viel leichter, die Kontrolle zu behalten oder diese wieder zu erlangen. Wenn das Pferd genügend Übung erlangt hat, wird eine normal aufgebaute Kombination von alleine funktionieren.

Knackpunkt Distanzen

Die Spreu trennt sich in vielen Wettbewerben der unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade in Teilbereiche einer Prüfung. Der Dreh- und Angelpunkt liegt oftmals in Kombinationen, vielleicht noch mit Licht- und Schattenbereichen und in Distanzen, die das Zusammenspiel von Pferd und Reiter auf die Probe stellen. Hier häufen sich die Abwürfe, und Verweigerungen sind an der Tagesordnung. Wer hier im täglichen Training sein Augenmerk auf die Hindernisfolgen legt, ist klar im Vorteil.

Dieses Paar scheitert am Naturhindernis – die Aufgabe wurde mental nicht gemeistert.   

Wie ist es möglich hier gezielt vorzugehen? Wer den Abstand zwischen den Hindernissen messen und dies auch während eines Turniers umsetzen kann, wird das Rennen machen – im wahrsten Sinne des Wortes. Am besten übt der Passionierte diese Messschritte, indem er eine Drei-Meter-Stange auf den Boden legt und übt, die Länge dieser Stange in drei gleichgrosse Schritte zu unterteilen. In Reithallen werden übrigens Stangen in der Länge von drei Metern verwendet, auf Aussenplätzen häufig Vier-Meter-Stangen.

Kombinationen

Eine Kombination ist eine Hindernisfolge, bei der ein oder zwei Galoppsprünge zugrunde gelegt werden und zwischen den Sprüngen liegen. In einer Distanzfolge sind dies drei bis fünf Galoppsprünge.
Hier eine Faustregel für den normalen Abstand:
• Höhe Einsprung plus Höhe Aussprung plus 3,5 mal Anzahl der Galoppsprünge
Hier ein Beispiel:
Der Einsprung beträgt 1,15 Meter und der Aussprung 1,20 Meter. Dazwischen liegen zwei Galoppsprünge.
Die Rechnung lautet dann wie folgt:
1,15 Meter plus 1,20 Meter plus 2 mal 3,5 Meter entspricht 9,35 Meter
Jetzt wird es ein wenig kompliziert, weil alle Pferde, von der Widerristhöhe her, unterschiedlich gross gebaut sind und unterschiedlich lange Galoppsprünge absolvieren. Sicherlich kennen Sie den Galoppsprung Ihres Pferdes mittlerweile und können den Abstand einschätzen. Bei einem kleinen ­Galoppsprung rechnet der Versierte drei Meter pro Sprung, bei einem grösseren Pferd und einem grösseren Galoppsprung ist die Berechnungsgrundlage mit vier Metern nachvollziehbar.

Oftmals passt deshalb der Abstand nicht zum gerittenen Pferd. Jeder muss dann selbst entscheiden, ob er vorwärts reitet und Gas gibt oder mit einem reduzierten Galoppsprung, beziehungsweise einem Sprung weniger sein Glück versucht. Grundsätzlich sollte das Pferd nicht aus dem Rhythmus gebracht werden – dies bitte stets im Auge behalten. Im Zweifel einfach auf Nummer sicher reiten und vermeiden, dass das Pferd zu nah ans Hindernis herantritt. Vielen Pferden ist es äusserst unangenehm, gross abspringen zu müssem, und sie verweigern in so einer erzwungenen Situation den Gehorsam.

Noch ein Wort unter vier Augen

Springreiter leben arbeitsintensiver als ein Dressurreiter. Sie müssen nicht nur ihr Pferd pflegen und regelmässig trainieren. Nein, sie schleppen auch noch Hindernisse, Stangen, Unterbauten, alles mögliche durch die Gegend. Und wenn sie dies nicht tun und ihre Hindernisse einfach stehen lassen, weil der warme Grog wartet oder die nette Freundin gerade angerufen hat und sie so überhaupt keine Lust mehr zum Wegräumen haben, werden sie zum grossen Ärgernis der Reiter, die eine ganze Bahn reiten möchten – und dies auch zu Recht. Bitte deshalb einfach das, was aufgebaut wurde, stets wieder aufräumen und die Reitanlage so verlassen, wie sie vorgefunden wurde beziehungsweise noch besser. Dann bleibt der Ärger überschaubar.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 45/2010)

[...zurück]