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Vereinswesen: Sorgenfall Freiwilligkeit

20.02.2018 13:04
von  Sascha P. Dubach //

Das Vereinswesen in der Schweiz ist nicht nur im Reitsport im Umbruch. Zahlreiche Vereine mit langer ­Tradition kämpfen mit Nachwuchssorgen und das Thema «Freiwilligkeit» wird immer schwieriger umzu­setzen. Im Kanton ­Zürich werden deshalb bereits rund zehn Prozent aller Ämter in Sport­vereinen finanziell entschädigt. Die «PferdeWoche» wollte wissen, wie es dabei um die Reitvereine steht und hat eine Umfrage an den Delegiertenversammlungen des OKV (Verband Ostschweizerischer Kavallerie- und Reitvereine) und ZKV (Zentralschweizerischer Kavallerieund Pferdesportverband) gemacht.

Ohne freiwillige Helfer werden es Veranstalter in Zukunft schwer haben.

In den Kavallerie- und Reitvereinen quer durch die ganze Schweiz ist es in den vergangenen Jahren zu mehrheitlich grossen Veränderungen gekommen. Da und dort konnte man in den Berichten zu den Haupt- und Generalversammlungen lesen, dass erstmals eine Frau an die Spitze des Vereins gewählt wurde. Aktuelles Beispiel in unserer vergangenen Ausgabe, der KRV Oberwiggertal. Hier wurde Bettina Jost-Huwyler als erste Frau, im seit 107 Jahren bestehenden Verein, zur Präsidentin gewählt. Fakt ist, dass es grundsätzlich nicht einfacher wird, Personen für ein Ehrenamt zu finden. Dies geht einerseits aus unserer kleinen Umfrage an den Delegiertenversammlungen des OKV und ZKV hervor, andererseits ist es in der Broschüre «Sportvereine in der Schweiz», publiziert vom Bundesamt für Sport BASPO, nachzulesen.

Interessante Zahlen

In der Schweiz gibt es rund 19'000 Sportvereine. Zusammen haben sie gegen zwei Millionen Aktivmitglieder. Das bedeutet, dass ein Viertel der Schweizer Wohnbevölkerung im Alter von fünf bis 74 Jahren in einem Sportverein engagiert ist. Bis Mitte der 90er-Jahre stiegen die Mitgliederzahlen steil an. Seither sind sie aber rückläufig. Zum Vergleich: 1996 gab es insgesamt noch 27'090 Sportvereine in der Schweiz, die über ihre Verbände Swiss Olympic angeschlossen waren. Und Frauen sind in den Vereinen noch immer in der Minderheit. Ihr Anteil wächst nur langsam, aber stetig. Derzeit machen Frauen und Mädchen gut einen Drittel der Vereinsmitglieder aus.

ZKV-Präsident Bruno Invernizzi.

OKV-Präsident Michael Hässig.

Bei den Reitvereinen ist der Anteil an weiblichen Mitgliedern viel höher. «Der Frauenanteil boomt aber nicht nur bei den Rösselern. Bei meinen Kindern ist der Hockeytrainer auch eine Frau», meint beispielsweise Bruno Inverniz­zi, Präsident des ZKV. «Ich denke auch, dass bei Frauen generell die Bereitschaft grösser ist, ein ‘Opfer’ zu bringen, vor allem in Bezug auf die Ehrenamtlichkeit.»

Mitgliederzunahme

Nur bei einem Viertel unserer Umfrageteilnehmer hat der Mitgliederbestand in den vergangenen fünf Jahren abgenommen. Bei 33 Prozent ist er gleich geblieben, bei 42 Prozent sogar gestiegen. «Dies ist ganz klar auf die Vereinspflicht zurückzuführen und wird sich in den nächsten zwei Jahren sicherlich wieder ausgleichen», analysiert Michael Hässig, Präsident des OKV. «Die Vereinspflicht gibt es übrigens auch beim Skifahren. Hier dürfen auch keine offiziellen Rennen ohne Zuge­hörigkeit in einem Verein absolviert werden.» Invernizzi ergänzt: «Nicht nur die Vereinspflicht hat Einfluss, auch der Pferde­bestand generell in der Schweiz hat zugenommen.» Bei jenen Vereinen, die über einen Mitgliederschwund klagen, ist vor allem die fehlende Infrastruktur wie Reithalle oder Allwetterplatz ein Grund dafür. «Hier wäre eine Fusion eine Möglichkeit, wieder attraktiv zu werden. Ich denke, wir werden diesbezüglich in den nächs­ten Jahren viele Zusammenschlüsse von Vereinen mit professionell geführten Reitanlagen sehen», ist Hässig überzeugt. «Auch frage ich mich, wieso jeder Verein sein eigenes Hindernismaterial besitzen muss. Wieso nicht in Regionen mit vielen Vereinen ein gemeinsames Lager bewirtschaften? Die Kosten für den Materialwart kann man sich teilen. Ich denke, da liegt viel Potenzial brach.» Invernizzi ist selbst Mitglied in einem Verein, der sich vor Jahren mit einem anderen zusammengeschlossen hat. «Das ist sicherlich eine Möglichkeit. Nachdenklich stimmt mich, dass ich von Vereinen höre, ‘dann gehen wir lieber zugrunde’.»

Lohn als Anreiz

Im Schweizer Vereinssport müssen rund 350'000 Ämter besetzt werden. Etwa vier Prozent dieser Posten werden finanziell mit mehr als 2000 Franken entschädigt, die restlichen 96 Prozent werden im Ehrenamt ausgeübt. Im Kanton Zü­rich ist der Wert der finanziell entschädigten «Jobs» bereits auf rund zehn Prozent gestiegen. Die Ehrenamtlichen erbringen jährlich insgesamt Leistungen von einem hypothetischen Gesamtwert von rund zwei Milliarden Franken. Würde man alles finanziell unterstützen, wären schnell einmal Mitgliederbeiträge von 1000 Franken und mehr fällig. Es ist somit klar, dass der Vereinssport auch zu­künftig auf das Fundament des Ehrenamtes bauen muss und wird.

Vereine mit optimaler Infrastruktur werden künftig noch mehr profitieren.
Fotos: Sascha P. Dubach/Tamara Acklin/Sandra Leibacher

Gemäss unserer Umfrage, bei der total 107 Kavallerie-, Reit-, Zucht- und Fahrvereine aus OKV und ZKV teilnahmen, liegt der Wert der finanziell entschädigten Chargen im Vorstand schon bei 23 Prozent. Ist es bei den Rösselern also umso schwieriger, ehrenamtliche Mitarbeiter zu finden? Die Frage «War es schwierig, Vorstandsposten zu besetzen?» beantworteten rund die Hälfte der Umfrageteilnehmer mit Ja. Am häufigs­ten wurde dabei das Präsidium genannt, gefolgt von Finanzen und Sekretariat. Was für Lösungsansätze könnte es diesbezüglich geben? Hier nennt die Analyse des BASPO vor allem eines: «Jobsharing». Gab es 2010 noch genau einen Präsidenten pro Verein, so waren es 2016 im Durchschnitt schon 1,2 Personen, die dieses Amt ausübten. Im gesamtschweizerischen Schnitt werden von einem Präsidenten rund 15.9 Stunden pro Monat für seine Tätigkeit aufgewendet. In unserer Vereins­umfrage liegt dieser Wert bei 19 Stunden. «Wenn ich sehe, dass fast 90 Prozent ihre Vorstands­chargen besetzt haben, jammern wir hier auf hohem Niveau», so Hässig. «Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man proaktiv auf Personen zugehen muss. Wenn man an der eigenen Generalversammlung einfach in die Runde fragt, wer in den Vorstand wolle, wird sich niemand melden.» Es gehe aber auch um Wertschätzung, meint beispielsweise der ZKV-Vorsteher: «Wenn man nie ein ‘Danke’ erhält, ist es klar, dass der Gedanke – wieso tue ich mir das eigentlich an – kommt.» Bei vielen Vorstandspos­ten werde viel gearbeitet, ohne dass man dabei selber im Fokus stehe. Ein Kassier beispielsweise wird kaum je bei einer Veranstaltung dem Sieger gratulieren können.
Beim Thema Jobsharing sind sich die beiden Regionalverbandspräsidenten einig. Es sei zwar ein Lösungsansatz, aber viele Köche verderben den Brei. Es gäbe die Möglichkeit, Teilbereiche auf andere Chargen zu verteilen, oder ein Jobsharing als vorübergehende Mass­nahme zu tolerieren. Klare Verantwortungsbereiche seien aber eminent wichtig.

Sorgenbarometer

Im Sorgenbarometer der BASPO-Umfrage ist der Gewinn und die Bindung von Mitgliedern das zentrale Problemfeld. Im Speziellen sogar das Gewinnen von Kindern und Jugendlichen. Verschärft hat sich die gesamtschweizerische Situation zudem in Bezug auf das «Halten». Es ist nicht nur eine Herausforderung, Jugendliche dazu zu bringen, dem Verein beizutreten, sondern vor allem auch, sie von einem vorschnellen Austritt abzuhalten. Hier haben die Rösseler grundsätzlich weniger Sorgen und mit der Vereinspflicht zumindest einen Lösungsansatz gefunden. Deckungsgleich im Sorgenbarometer ist jedoch die Bindung von Ehrenamtlichen. Dies gehört sowohl bei den «pferdigen» Vereinen wie auch bei allen anderen Sportvereinen in der ganzen Schweiz zu den grössten Herausforderungen.
Ein weiteres ganz grosses Sorgenkind sind die freiwilligen Helfer. Aussagen wie «Mitglieder wollen mehr für weniger» oder «Für Veranstaltungen müssen x Telefonanfragen bei den Mitgliedern gemacht werden, damit wir genügend Helfer haben», stimmen nachdenklich. Hier ist aber eine generelle Veränderung in der Gesellschaft spürbar. «Das Milizsystem mit der Ehrenamtlichkeit hat die Schweiz gross gemacht. Die Gewichtung Beruf, Familie und Freizeit hat sich aber derart verändert, dass heute andere Interessen höher gewichtet werden. Früher, als die Kavallerie noch aktiv war, konnte man die ‘Ehrenamtlichkeit’ quasi noch befehlen. Diese Zeiten sind definitiv vorbei», so Invernizzi. Wäre ein Verein geführt wie ein «Fitnesscenter» mit Abo eine Möglichkeit, bei der Helfer entschädigt werden? «Ich denke nicht, dann braucht es generell keine Vereine mehr. Die erfolgreichen Clubs funktionieren vor allem wegen dem guten Zusammengehörigkeitsgefühl», meint Hässig. Dies müsse aufrecht erhalten werden. Bei seinem Heimconcours in Wallisellen wurde diesbezüglich für das Vereinsspringen am Freitagabend eingeführt, dass ein höheres Nenngeld verlangt wird, dafür aber das Nacht­essen inklusive sei. «Es gibt nur dieses Kombipaket – einzeln kann man nichts kaufen. So hoffen wir, das aktive Vereinsleben zurück auf den Platz zu bringen. Bis jetzt funktioniert es.» Es brauche kreative und innovative Ideen für die Zukunft des Vereinswesens. Ob es in 20 Jahren noch traditionelle Organisationen gäbe, bejahen beide Verbandsvorsteher. «Ich glaube sogar, dass das Vereinswesen noch erstarken wird, und zwar, weil man zurück zu den Wurzeln will. Es findet eine regelrechte Rückbesinnung auf traditionelle Werte statt. Wieso sonst ist es zu erklären, dass das Schwingen derart boomt? Es ist unsere Kultur, Geschichte, Tradition. Und so sehe ich das auch in der Reiterei», prognostiziert Hässig. Invernizzi ergänzt: «Die Ehrenamtlichkeit hat auch darunter gelitten, dass heute alles schnell gehen muss. Man erweist niemandem mehr die ‘Ehre’. Es fehlt die Wertschätzung gegenüber Veranstaltern und Vereinsvorstehern. Aber es braucht auch ein Umdenken, wie man einen Verein wieder attraktiv gestalten kann und wie das Gesellschaftliche wieder in den Fokus gerückt wird. Das sind unsere Herausforderungen für die Zukunft.»

Auswertung Vereinsumfrage OKV/ZKV

Delegierte von 107 Kavallerie-, Reit-, Zucht- und Fahrvereinen haben bei der anonym durchgeführten Umfrage teilgenommen. Die Diagramme zeigen die Resultate auf die einzelnen Fragen.

 

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 7/2018)

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