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Volle Tribünen beim Hindernismeeting in Cheltenham (GBR).
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Vier Tage Turfparty

20.03.2018 12:55
von  Willi Bär //

Die vier Tage des Cheltenham Festivals bilden Jahr für Jahr Mitte März den Höhepunkt der englischen Hindernissaison. Das Meeting bietet nicht nur Spitzensport, es ist auch äusserst populär. Obwohl die Rennen nicht am Wochenende, sondern von Dienstag bis Freitag ausgetragen werden, strömte dieses Jahr die Rekordmenge von 262'637 Zuschauern auf die Bahn.

Cheltenham liegt rund 100 Kilometer westlich von London. Normalerweise leben in der beschaulichen Bäder- und Universitätsstadt rund 100'000 Menschen. Vor den Toren erstreckt sich ein Rennbahngelände von gewaltiger Grösse mit diversen unterschiedlich schweren Hindernisparcours. Da die Bahnen in eine Hügellandschaft eingebettet sind, geht es in Cheltenham im Unterschied zu anderen Rennorten rauf und runter. An über 30 Tagen im Jahr werden Hindernisrennen abgehalten, doch angesichts des Festivals geraten alle anderen Veranstaltungen zur Nebensache.

Hindernismeeting Cheltenham (GBR).

An den vier Festivaltagen im März treffen sich die besten Hindernispferde der verschiedenen Disziplinen und Distanzen in hochdotierten Gruppe-Prüfungen zu einer Art Olympiade der Jumper.

Vierbeinige Helden

Dass die Hindernisrennen im sowieso rennsportverrückten England – nach Fussball ist der Galopp­rennsport die Sportart mit den zweitmeisten Zuschauern auf der Insel – besonders populär sind, hat verschiedene Gründe. Da sind einmal die Pferde selber. Wird ein in den grossen Flachrennen erfolg­reicher Hengst bereits als Drei- oder Vierjähriger in die viel lukrativere Zucht geschickt, handelt es sich bei den Hindernispferden in der Regel um Wallache, die ihre Karriere erst mit zehn, elf Jahren beenden. Während man sich im Flachrennsport also praktisch jede Saison neu orientieren muss, wachsen bei den Jumpern immer wieder Helden heran, die über Jahre begleitet und verehrt werden. Mit den Büchern, die über Heroen wie Red Rum, Arkle, Istabraq oder Kauto Star verfasst wurden, könnte man ganze Bibliotheken füllen.
Nicht nur die Pferde, auch die Struktur ihrer Besitzer ist in den beiden Disziplinen von stark unterschiedlicher Natur. Während im globalisierten Flachrennsport arabische Scheichs, saudische Prinzen und fernöstliche Syndikate ei­ne prominente Rolle spielen, wird der Hindernissport von bekannten einheimischen Besitzern dominiert.

Eine englisch-irische Angelegenheit

Ein weiterer Grund liegt auch im Verhältnis zwischen «Tommies» und «Paddies», den Engländern und Iren, denn das Cheltenham Festival ist immer auch ein Länderkampf zwischen den beiden Nachbarn. Manche Iren sehen in den Engländern immer noch die ein­s­tigen Unterdrücker, arrogante Pinkel, die während der Kartoffelpest im 19. Jahrhundert zuschauten, wie die Hälfte der Iren den Hungertod erlitt. So ist das Cheltenham Festival für viele «Paddies» eine Gelegenheit, sich zu revanchieren, durch Siege auf der Rennbahn und Gewinne am Wettschalter. Und obwohl die Iren deutlich weniger Pferde an den Start bringen, haben sie in den letzten Jahren den Match gegen England regelmässig für sich entschieden. Der Ire Ruby Walsh war zwischen 2004 und 2017 elf Mal der erfolgreichste Jockey des Festivals und bei den Trainern führten in den letzten Jahren seine Landsleute Willie Mullins und Gordon Elliott die entsprechende Wertung an. Auch 2018 hielt die irische Dominanz an. Allein Gordon Elliott und Willie Mullins gewannen zusammen über die Hälfte der 28 Rennen. Ruby Walsh lädierte zwar bei einem Sturz am zweiten Tag das nach einem Bruch eben zusammengewachsene Bein erneut, hatte mit Davy Russell aber einen irischen Nachfolger.

Gold-Cup-Sieger Native River (r.) unter Richard Johnson.

Gold Cup an Native River

Erfolgreichster englischer Trainer war Nicky Henderson, der dank Buveur d’Air und Altior mit der «Champion Hurdle» und der «Queen Mother Chase» die Hauptereignisse der ers­ten zwei Tage für sich entscheiden konnte. Mit Might Bite sattelte Henderson auch den Favoriten für den Gold Cup, den mit umgerechnet rund 830'000 Franken dotierten Höhepunkt des gesamten Festivals. Might Bite hinterliess während des ganzen Rennens einen bestechenden Eindruck, musste sich am Schluss aber hinter dem ungeheuer zähen Start-Ziel-Sieger Native River mit dem zweiten Rang begnügen. In den Bügeln des von Colin Tizzard trainierten Siegers stand der englische Champion Richard Johnson.

Farclas sorgt für Schweizer Zuchterfolg

Zu den 70'684 Zuschauern, die am vierten und letzten Tag des Cheltenham Festivals die Bahn säumten, gehörte auch Rémy Giger. Das besondere Interesse des im Zürcher Oberland lebenden Werbers galt der «Triumph Hurdle», denn in der mit 125'000 Pfund dotierten Gruppe-I-Prüfung war der vom erst 18-jährigen Jack Kennedy gerittene Farclas mit von der Partie.

Der in der Schweiz gezüchtete Farclas (l.) gewann den «Triumph Hurdle» mit dem erst 18-jährigen Jockey Jack Kennedy.

Und Rémy Giger ist zusammen mit Hans-Ueli Früh und Edy Enz der Züchter des vierjährigen Schimmelwallachs. Die drei Freunde hatten den Sohn ihrer Zuchtstute Floriana im Dezember 2014 an einer Auktion in Deauville für 17'000 Euro an den Agenten Guy Petit verkauft. Nach einigen Starts in französischen Flachrennen fand Farclas den Weg nach Irland in den Besitz von «Ryanair»-Firmenchef Michael O’Leary, der unter dem Label Gigginstown House Stud einen der grössten Hindernisrennställe betreibt und die Neuerwerbung zu Gordon Elliott ins Training gab. Rémy Giger sah auf der völlig überfüllten Tribüne hinter einer Reihe von gross gewachsenen Männern wenig vom Rennen, bekam aber immerhin mit, dass sein Farclas als Erster im Ziel war.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 11/2018)

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