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Mit Stall ForzAgriculas Fleur d’Ipanema aus dem Trainingsquartier von Josef «Pepi» Stadelmann durfte Naomi Heller dieses Jahr bereits einen Sieg und zwei zweite Plätze feiern.
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Vollblüter und Fernweh bestimmen den Weg

20.11.2018 10:53
von  Barbara Würmli //

Ihren Lebensunterhalt verdient Naomi Heller zwar als Oberstufenlehrerin, aber seit ihrer Jugend faszinieren sie Vollblutpferde und Reisen in ferne Länder. Immer wieder bestimmen diese Leidenschaften ihren Lebensweg. Aktuell vereint sie beides als Schweizer Vertreterin der Fegentri-Weltmeisterschaft für Amateurrennreiterinnen.


Die Aargauerin Naomi Heller ist in einer Rösselerfamilie aufgewachsen. Ihre Eltern betrieben eine Reitschule mit Ponys und Araberpferden. Zu den familiären Aktivitäten ge­hörten auch regelmässige Besuche auf der Rennbahn in Aarau. So entstand Naomis Faszination für Pferderennen. Mit zehn Jahren bestritt sie die ers­ten Ponyrennen auf dem Schachen. Lachend erzählt sie: «Unsere Ponys waren weder besonders schnell noch sehr gehorsam. Die Herausforderung bestand darin, in Rennrichtung zu laufen, im Sattel zu bleiben und zusammen mit dem Pony das Ziel zu erreichen. Nach einigen Startschwierigkeiten und Wutanfällen klappte das dann auch immer öfter.»

Schnupperlehre und Trainingsritte

Bereits als Schülerin mach­te Heller eine Schnupperlehre im Trainingsquartier von Karl Klein. Da ihre Grosseltern in Bachs ZH, also in der Nähe von Dielsdorf, wohnten, verbrachte sie dann jeweils die Ferien im Stall Klein und übernachtete bei Oma und Opa. Doch nur in den Schulferien Rennpferde zu reiten, war dem ambitionierten Teenager zu wenig. So ritt sie bald auch die Vollblüter einer Besitzertrainerin im Aargau. Darüber entstand der Kontakt zu Rita Seeholzer und Josef Stadelmann – wiederum in Dielsdorf. Bei den beiden fühlte sich Naomi sofort wohl. Kein Wunder, dass sie heute sehr oft für dieses Quartier in den Sattel steigt. Damals wusste sie allerdings noch nicht, dass es einmal so kommen würde.

Lange Pause

Naomi Heller absolvierte bereits während der Kantonsschule die Amateur-rennreiterlizenz. Sie ritt in der Saison 2006/2007 dreizehn Rennen und konnte zwei Siege feiern. Rückblickend sagt sie dazu: «Besser hätte der Start als Rennreiterin nicht laufen können. Doch obwohl ich den Sport und die Vollblüter liebte, packte mich das Fernweh und war stärker.» Die junge Schweizerin verbrachte daraufhin ein Jahr in Venezuela, lernte Spanisch und machte ein Hotelfachpraktikum. Zurück in der Heimat begann sie ihr Studium in klassischer Philologie und Spanisch an der Universität Bern, reis­te weiterhin viel und weit und versuchte sich als Gleitschirmpilotin. «Im Unterbewusstsein lauerte aber das Pferderennvirus und wartete nur den richtigen Moment ab, um wieder auszubrechen», schmunzelt Naomi Heller heute.


Erfolgreich im zweiten Anlauf

Erst 2014, nach sieben Jahren Pause, fand Naomi durch ihre Schwester Sharon wieder zurück in den Rennstall. Sie erinnert sich: «Sharon ritt regelmässig bei Trainer Andreas Schärer in Dielsdorf in der Morgenarbeit und begleitete die Pferde an die Rennen. Begeistert erzählte sie mir von den Trainingseinheiten und von den Renn­einsätzen der Pferde. Diese Begeisterung weck­te in mir die Erinnerung an meine Zeit im Rennsattel und plötzlich waren die Emotionen und das Feuer von neuem da.» Von da an ritt Naomi Heller wieder regelmässig im Training und erwarb die Stute Indianka. Das eigene Rennpferd war es dann auch, das die Reiterin motivierte, auch wieder selber Rennen zu reiten. Seit 2015 hat sie nun über 110 Flachrennen bestritten, gewann 15 Mal und war über 60 Mal platziert.


Reiten und Reisen vereint

Da Naomi Heller im vergangenen Jahr die erfolgreichste Schweizer Amateurrennreiterin war, wurde sie für 2018 als Teilnehmerin der Damen-Fegentri-Weltmeisterschaft nominiert. Für die immer wieder von Fernweh heimgesuchte Pferdefrau ein Glücksfall. Sie erklärt: «Durch diese Teilnahme kann ich rund um die Welt reisen und gleichzeitig Rennen reiten.

Ob Naomi Heller auf Dark Command mit einem breiten Lachen ins Ziel fliegt oder ihr Pferd lauthals anfeuert, sei dahingestellt. Klar ist, dass sie bei jedem Rennen mit ganzem Herzen dabei ist.

Besser geht es nicht.» Sie habe grosses Glück, dass ihre Arbeitgeberin – die Kreisschule Mittleres Wy­nental – ihr Gesuch für unbezahlte Arbeitstage bewilligt habe und ihr dieses Abenteuer ermögliche, so Heller weiter. Zur Fegentri-Tour gehören europäische Länder wie Belgien, Deutschland, Frankreich oder Italien, aber auch Destinationen wie die USA und die Arabischen Emirate.

Weltmeistertitel nicht mehr möglich

Die sympathische Schweizer Fegentri-Vertreterin hatte in der ersten Jahreshälfte einen fulminanten Start in die WM. Nach sechs Läufen lag sie in Führung und freute sich auf die Reise in die USA, wo gleich vier Rennen an verschiedenen Orten anstanden. Doch dann schlug das Schicksal zu. Naomi Heller nachdenklich: «Es war der absolute Tiefschlag. In Frauenfeld, bei einem Startunfall durch Fremdverschulden, überschlug es mein Pferd Adelina und mich. Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Die Folge war eine schwere Gehirnerschütterung und ein Schlüsselbeinbruch, der operiert und mit einer Platte versorgt werden musste. Auch das Pferd hat sich schwer verletzt und wird wohl nie mehr Rennen laufen können.» Zwei Tage später wäre Naomi nach Philadelphia geflogen und wollte ihre Führung in der Fegentri-WM verteidigen. Immer noch berührt erzählt sie: «Als ich die Situation erfassen konnte, blieb die Welt für mich kurzzeitig stehen. Keine Reise in die USA und ich wurde regelrecht aus der Fegentri-Wertung herausgerissen.»

Aufholjagd und wieder Pech

Bereits fünf Wochen nach dem Unfall stieg die durchtrainierte Sportlerin wieder in den Rennsattel und konnte sich in der WM-Wertung auf den zweiten Zwischenrang zurückkämpfen. Der WM-Titel lag nochmals in Griffnähe. Doch es folgte ein weiterer Rückschlag.

Eine überglückliche Naomi Heller nach ihrem Sieg mit Cadmium im Fegentri-WM-Lauf in Mannheim.

Naomi Heller gelang in Tschechien ein Sieg, der wichtige Punkte brachte. Aber dann wurde das Pferd positiv auf Doping getestet und der Sieg wurde der Schweizerin natürlich aberkannt. Naomi dazu: «Glück und Leid liegen nahe beisammen. Nachdem ich von der Disqualifikation erfuhr, war ich sehr enttäuscht. Doch nur eine Woche später durfte ich in Mannheim einen weiteren wunderschönen Fegentri-Sieg feiern. Der Rückstand auf die Füh­rende Lilli-Marie Engels aus Deutschland ist allerdings zu gross, als dass der WM-Titel noch in Reichweite wäre. Mein Ziel ist es nun, einen Podestplatz zu erreichen.»

Reisen geniessen

Auch wenn der WM-Titel nicht mehr zu holen ist, freut sich Naomi Heller auf jede weitere Reise. Auf die Frage, ob sie denn von den verschiedenen Ländern auch etwas sehe oder nur zwischen Bahnhof oder Flughafen, Hotel und Rennbahn pendle, antwortet sie: «Teil der Abmachung mit meiner Arbeitgeberin ist, dass ich die Abwesenheiten auf ein Minimum beschränke. Deshalb bin ich meistens nur ein, zwei oder drei Tage vor Ort. Man kann aber erstaunlich viel in kurzer Zeit sehen und die Kultur erfahren.» Und lachend: «Diese Kurztrips sind so intensiv, dass ich manchmal nach einem Wochenende müder bin als nach einer Arbeitswoche.»

Work-Life-Balance stimmt

Obwohl sie ein 85-Prozent-Pensum als Lehrerin erfüllt, viermal pro Woche nach Dielsdorf fährt und im Training bei Rita Seeholzer, Pepi Stadelmann und dessen Bruder René reitet und dazu die Renn­einsätze im In- und Ausland absolviert, fühlt sich Naomi Heller nicht überlas­tet. Sie sinniert: «Es ist sehr intensiv, aber die Work-Life-Balance stimmt für mich. Die Schule ist eine andere Welt und gibt mir den nötigen Ausgleich zum Training und den Rennen – umgekehrt genauso. Ich nenne es eine funktionierende Symbiose.»

Keine Zukunftspläne

Dass ein Podestplatz in der Fegentri-WM ihre Karriere speziell beeinflusst, glaubt Naomi Heller nicht. Der Rennsport sei schnelllebig und solche Erfolge im Amateurbereich schnell wieder vergessen. Sie betont aber: «Mir haben die Fegentri-Einsätze auf Pferden, die ich vorher nie sah, viel Sicherheit gegeben. Ich bin ruhiger geworden, kann die Tiere besser einschätzen und erspüren und besser mit verschiedensten Rennsituationen umgehen.»

Strahlend nimmt Naomi Heller die Gratulationen nach ihrem Fegentri-Sieg mit Cadmium in Mannheim entgegen.

Entsprechend würde Heller auch im nächsten Jahr sehr gerne wieder an der Amateur-WM teilnehmen. Sie mache aber keine Zukunftspläne, denn es komme sowieso immer anders, als geplant. Abschliessend sagt sie: «Ich lebe den Moment. Vielleicht habe ich diese Einstellung beim Auslandsaufenthalt in Venezuela von der dortigen Kultur mitnehmen können. Mein Ziel ist nur, die Freude am Galoppsport zu behalten und weiterhin viele schöne Momente erleben zu dürfen.»

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 46/2018)

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