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Von Huntern, Bluegrass und WEG-Feeling

06.02.2018 10:26
von  Alexandra Koch //

Zunächst erscheint der Osten der USA für Pferdefreunde nicht ganz so spannend. Doch wer nur auf Cowboy-Romantik im «Wilden Westen» blickt, verpasst etwas. Einige der bedeutendsten Rennen finden hier statt, ein ganzer Staat ist stolz auf sein Pferdemekka und eine Insel auf ihre ganz besonderen Ponys. «Last but not least» finden im östlichen Küstenstaat North Carolina die Weltreiterspiele 2018 statt.

Tryon – nie gehört? Dieser Gedanke durchzuckte wohl einen Grossteil der internationalen Reitersze­ne, als die nur knapp 2000 Einwohner zählende Kleinstadt in North Carolina zum Austragungsort der Weltreiterspiele wurde. Gegründet wurde sie von britischen Siedlern, die auf dem Land friedlich mit den Ureinwohnern vom Stamm der Cherokee lebten. US-Reitern ist Tryon im Gegensatz zur europäischen Reiter­szene ein langjähriger Begriff. Das ganze Jahr über finden dort unterschied­lichste Turnierserien statt. Vor allem begeistert die Amerikaner hier Springen, doch auch Dressur wird nach den Erfolgen von Laura Graves und Co. immer beliebter. Bei den aktuellen Testevents werden auch alle anderen Disziplinen der Weltreiterspiele ausgetragen. Bekannt ist Tryon auch für sein Jagdpferde- und -hundefestival. Die aus Grossbritannien stammende Tradition der Fuchsjagd wird – selbstverständlich ohne lebende Füchse – in den Staaten entlang der Ostküste der USA bis heute gern und ausgiebig praktiziert.

Die Austragungsstätte der WEG 2018 – das Tryon International Equestrian Center am Fusse der Blue Ridge Mountains.

Tryon liegt in einer herrlichen Umgebung, die Besucher der Events nicht missen sollten. Der «Nantahala National Forest» und die «Great Smoky Mountains», welche zum Gebirgszug der Appalachen gehören, laden zu ausgiebigen Wanderungen ein. Wer nicht nur Pferde, sondern auch Filme mag, kann in direkter Umgebung von Tryon die Dreh­orte der «Tribute von Panem»-Reihe finden. Sowohl in der Stadt Asheville als auch im «DuPont National Forest» wurden grosse Teile der Reihe gedreht. In eben jenem Asheville finden Pferdefreunde mit «Hope for Horses» auch einen der bekanntesten Gnadenhöfe der Region. Regelmässig finden grosse Spendenaktionen für die Pferde dort statt, so etwa Läufe zugunsten der Organisation. Auch Patenschaften sind möglich – und natürlich die Pferde und Ponys jederzeit zu besuchen.
Auch Wanderritte werden in North Carolinas Westen und Südwesten rund um die bekannten Nationalparks für alle Altersklassen angeboten. Tryon und seine Umgebung erreichen Reisende aus Europa am besten über den internationalen Flughafen von Atlanta, den Flughafen mit dem grössten Aufkommen an Reisenden weltweit oder aber auch via München nach Charlotte.

Geburtsland der Hunterklasse

Dass Jagdreiten hierzulande beliebt ist, erkennt der Pferdefreund auch daran, dass die mittlerweile überall in den USA überaus populäre Hunterklasse im Osten des Landes «erfunden» wurde. Auch in Europa hat sich der Trend dieser Klasse für jedermann längst etabliert. Auf den ältesten Reitturnieren der USA, die allesamt an der Ostküste stattfanden – in Upperville (Virginia, 1853), in Devon (Pennsylvania, 1856) und die National Horse Show (New York City, 1883) –, spielten die Hunter immer eine Hauptrolle, da sie einzig für die Mitglieder von Jagdgesellschaften veranstaltet wurden. Heute reiten hier Kinder und Erwachsene, Amateure und Profis. Hunterprüfungen finden überall an der Ostküste und mittlerweile überall in den USA statt. Besonderer Beliebtheit erfreuen sie sich neben den Neuenglandstaaten auch in Kalifornien.

Chincoteague-Ponys

Ihr Name mag für uns fast unaussprechbar erscheinen, doch Chincoteague- oder auch Assateague-Ponys gehören ebenfalls zum Inventar der Ostküste, genauer auf zwei Inseln vor der Küste Virginias und Marylands. Zunächst erscheinen die Inseln als eher unwirtliche und für die rund 200 Ponys wenig Futter bietende Lebensräume. Die Ponys stammen vermutlich von nordafrikanischen Pferden wie Berbern oder spanischen Pferden ab, die vor der Küste nach Schiffs­unglücken gestrandet waren. Über mehrere Jahrhunderte lebten sie unbemerkt, bis in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Behörden auf die zu diesem Zeitpunkt aufgrund des kargen Futters und der Inzucht bereits etwas degenerierten Rasse aufmerksam wurden. Man startete ein Zuchtprogramm, bei dem Welshponys, Pintos und Shetlandponys eingekreuzt wurden und die Rasse positiv beeinflussten. Heute gibt es im Südteil (Virginia) sogenannte «Fangtage», bei denen die freiwillige Feuerwehr, welche für die Pferde verantwortlich ist, ein grosses und sehenswertes Spektakel veranstaltet. Die Ponys werden dabei schwimmend von ihren Weiden auf der Insel Assateague nach Chinconteague getrieben. Dem Event im Juli wohnen tausende von Zuschauern bei.  Berühmt wurden die Ponys durch das in den USA überaus populäre Buch «Misty of Chincoteague» der Autorin Marguerite Henry, deren Bücher teilweise auch auf Deutsch erschienen.

«Triple Crown»

Besonders berühmt ist der Osten der Vereinigten Staaten auch für seine Pferderennen. Als besonders spektakulär gilt bis heute die «Triple Crown», eine Rennserie, bei der nur die besten Pferde starten dürfen und die drei der berühmtesten Rennen der Staaten beinhaltet: Das Kentucky Derby in Louisville (Kentucky), das Preakness Stakes in Baltimore (Maryland) sowie das Belmont Stakes in Belmont (New York). Nur zwölf Pferde konnten während der 125 Jahre, in denen die drei Rennen bereits ausgetragen werden, alle Rennen nacheinander innerhalb eines Jahres gewinnen. Viele von ihnen wie War Admiral oder Secretariat wurden zu Berühmtheiten, die sogar Hollywood für filmreif hielt. Nachdem 1978 Affirmed die drei Rennen gewonnen hatte, gelang dies erst 2015 wieder der jungen Legende American Pharoah.
Alle drei Rennen finden innerhalb eines recht kurzen Zeitraums statt, was eine zusätzliche grosse Herausforderung für das Training der Tiere bedeutet. Innerhalb von vier Wochen von Mitte Mai bis Anfang Juni laufen die Pferde zunächst in Kentucky, dann in Maryland, um schliesslich in New York zum entscheidenden Event anzutreten. Für europäische Reisende hat der recht dichte Zeitplan den Vorteil, dass im Rahmen einer Reise durch den Osten der Staaten tatsächlich alle Rennen besucht werden können.

Bluegrass Region

2010 trug man in den USA zum letzten Mal Weltreiterspiele aus, damals in Lexington (Kentucky), das neben Louisville das Pferdezentrum des Bundesstaates ist. Die einen sagen, Lexington sei die Pferdehauptstadt der Welt, die anderen beanspruchen diesen Titel für Louisville. Vermutlich würden wir Europäer diesen Titel an Aachen vergeben, aber sei’s drum. Der Name Bluegrass Region kommt jedenfalls von der Farbe Blaugrün, welche die blühenden Gräser auf den Frühjahrswiesen verursachen. 2012 ergab eine Studie der Universität von Kentucky, dass allein 40665 Menschen im Bereich Pferdesport und -zucht einen Job im Bundesstaat hätten. Besonders die Zucht von Vollblütern ist in Kentucky ein überaus wichtiger Wirtschaftszweig, der teilweise Millionenverkäufe generiert. Ashford Stud ist beispielsweise die Zuchtstätte von American Pharoah, auf der Claiborne Stud kam Secretariat zur Welt. Der Kentucky Horse Park, wo auch die Weltreiterspiele stattfanden, ist seit 1978 für das Publikum ganzjährig geöffnet. Knapp fünf Quadratkilometer ist der Park gross und beherbergt neben den unterschiedlichen Stadien auch eines der weltgrössten Pferdemuseen mit zahlreichen interessanten Sonderausstellungen.

Die Umgebung lädt auch zum Wandern ein.

Schliessen wir die kleine Reise mit einem Besuch in Louisville. Auch dort gibt es einige Gestüte, die man wie viele der berühmten Zuchtstätten in den USA jederzeit (teils auf Anfrage) besuchen kann. Wer mit Kindern unterwegs ist, kann diese auch einige Tage in Camp «HiHo» unterbringen. Dort lernen sie reiten und können, wenn sie möchten, den ganzen Tag mit den Pferden verbringen. Was man kaum glauben möchte, wenn man auf diese hübsche Reit- und Freizeitanlage stösst: Wir treffen hier wieder auf die «Spuren» von der «Tribute von Panem»-Darstellerin und Pferdenärrin Jennifer Lawrence. Einst leitete ihre Mutter das Camp, heute ist ihr Bruder stolzer Besitzer. Den US-Bundesstaat Kentucky erreicht man von Europa aus am besten über den internationalen Flughafen von Chicago und startet von dort aus per Mietwagen ins Abenteuer auf den Spuren der Pferde.

WM in acht Disziplinen

Vom 11. bis 23. September finden in Tryon die Weltreiterspiele statt – es ist dies der grösse Pferdesportanlass der Welt und es werden rund eine halbe Million Zuschauer erwartet. Für diejenigen, die persönlich vor Ort dabei sein wollen, haben wir ein paar Facts zusammengestellt.
Anreise: Die beiden Flughäfen Atlanta (teilweise Direktflug mit Delta) und Charlotte (beispielsweise via München mit Lufthansa) bieten sich als idealer Ausgangsort an.
Mietwagen: Es empfiehlt sich ein Auto zu mieten. Ab Charlotte sind es rund 120 Kilometer bis Tryon, von Altanta aus etwa 350 Kilometer. Auch liegen Hotels nicht direkt in Tryon selbst, sondern in der Umgebung – meist in einem 30-Minuten-Radius.
Unterkunft: Aktuell hat es beispielsweise bei booking.com noch Hotelzimmer in der Umgebung Spartanburg, Shelby oder Gastonia in allen Preisklassen frei. Vieles ist aber auch schon ausgebucht. Wer eine Reise in Betracht zieht, sollte schnell handeln. Auch auf der Zimmer/Haus-Vermittlungsplattform Airbnb sind im Moment noch Unterkünfte verfügbar.
Tickets: Der Vorverkauf läuft und gewisse Tagespässe sind bereits ausverkauft. Noch können aber zahlreiche Events besucht werden. Es gibt Tages-, Disziplinen- oder Wochenpässe. Eine Dauerkarte für alle Events kostet umgerechnet rund 1300 Franken. Alle Infos unter www.tryon2018.com.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 5/2018)

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