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Phänotypisches weibliches Pferd mit 64,XY Sex-Umkehr. Wenn man den Chromosomensatz dieser Stute betrachtet, enspricht er eigentlich dem eines Hengstes oder Wallaches.
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Warum wird meine Stute nicht trächtig?

14.01.2014 14:10
von  Claude Schelling //

Diese Frage beschäftigt viele Pferdezüchter. Mit dem Vorwissen aus einer Blutuntersuchung der Stute könnten unnötige Kosten eingespart werden. PD Dr. med. vet. Claude Schelling, Züchtungsbiologie, Klinik für Reproduktionsmedizin in Zürich, zeigt in diesem Bericht aufschlussreiche, interessante Informationen und Möglichkeiten auf.

Fruchtbarkeitsprobleme sind nicht nur beim Menschen, sondern auch bei vielen Tierarten bekannt und ihre Bedeutung scheint zuzunehmen. Bereits 1968 wurde der erste Fall einer unfruchtbaren Stute veröffentlicht und dieser Umstand mit dem Fehlen eines Chromosoms erklärt. Heute wissen wir, dass es sich dabei um eines der beiden X-Chromosomen handelte und dass dieses Krankheitsbild (Monosomie X oder 63,X) die am häufigsten gestellte Diagnose bei unfruchtbaren Stuten ist. Es gibt natürlich viele andere Ursachen aus veterinärmedizinischer und tierzüchterischer Sicht, die bei Pferden zu Unfruchtbarkeit führen beziehungsweise den Einsatz in der Zucht aus­schliessen. Während die Evaluierung der Fruchtbarkeit bei Hengsten über die Untersuchung der Spermaqualität durch die Zuchtverbände relativ gut gesichert ist, stellt sich die Situation für Stuten etwas komplizierter dar. Der vorliegende Bericht beschränkt sich deshalb auf die Fruchtbarkeitsprobleme in Stuten, die durch Veränderungen der Chromosomen verursacht werden. Zum besseren Verständnis werden zuerst die biologischen Grundlagen betrachtet. Was sind Chromosomen? Und welche Rolle spielen sie für die Geschlechtsbestimmung und die Geschlechtsentwicklung?

Chromosomen bestimmen Geschlecht

Ein gesundes Pferd hat in allen Körperzellen 64 Chromosomen, welche die gesamte Erbinformation enthalten. Zum Vergleich hat ein Mensch 46. Von jedem Chromosom sind immer zwei Kopien in einer Zelle vorhanden und werden als Chromosomenpaar bezeichnet – also 31 Chromosomenpaare. Dazu kommen noch die beiden Geschlechtschromosomen, das X- und das Y-Chromosom. Stuten haben jeweils 31 Chromosomenpaare und zwei X Chromosomen – Hengste und Wallache jeweils 31 Chromosomenpaare und ein X- sowie ein Y-Chromosom.

Eine Ausnahme bilden die Spermien des Hengstes und die Eizellen der Stute: Sie enthalten nur je die Hälfte, also 32 Chromosomen. Chromosomen unterscheiden sich in der Grös­se, in der Form und in der unterschiedlichen Anfärbbarkeit und können deshalb mit speziellen Labor-methoden identifiziert und untersucht werden. Zum Beispiel werden spezielle Färbungen gebraucht, um die X- und Y-Chromosomen erkennen zu können. Veränderungen von Chromosomen führen oft zu Fehlbildungen (Missbildungen), Embryonen-Verlust und zu Fruchtbarkeitsstörungen.

Die Geschlechtsbestimmung und die Geschlechtsentwicklung eines Pferdes sind äusserst komplexe Prozesse, die – wenn alles fehlerfrei abläuft – zu fruchtbaren Stuten oder Hengsten führen, die selber wieder Nachkommen haben können. Diese Prozesse laufen gerichtet über einander folgende Stufen oder Ebenen ab. Dabei muss jede Zwischenstufe erfolgreich abgeschlossen werden, bevor die nächste erreicht werden kann. Stö­run­gen können jederzeit und auf allen Stufen erfolgen. Die Geschlechtsentwicklung wird genetisch kontrolliert und ist – obwohl einige wichtige Gene bekannt sind – noch nicht bis ins letzte Detail geklärt. Erschwerend wirkt, dass auch unterschiedliche Umwelteinflüsse, zum Beispiel hormonähnliche Substanzen, die normale Geschlechtsentwicklung stö­ren können. Es lohnt sich deshalb, diese drei Ebenen kurz zu beleuchten.

Die drei Ebenen der Geschlechtsentwicklung

Die erste Ebene wird als das chromosomale Geschlecht bezeichnet. In Säugetieren wird es bei der Befruchtung der Eizelle durch das Spermium festgelegt. Kommt ein Spermium mit einem X-Chromosom zum Zug, so entwickelt sich ein Stutfohlen (64,XX). Schafft es ein Spermium mit einem Y-Chromosom, entwickelt sich ein Hengstfohlen (64,XY).

In der zweiten Ebene werden die dem chromosomalen Geschlecht entsprechenden Ge­schlechts­or­ga­ne (auch als Gonaden bezeichnet) umgesetzt. Der wichtige Schalter, der entscheidend ist, ob es in die Richtung männlich oder weiblich geht, ist das SRY-Gen auf dem Y-Chromosom. Ohne ihn entwickelt sich die bisexuelle Gonadenanlage zum Eierstock (mit Gebärmutter, Eileiter, Scheide). Ist das SRY-Gen aber vorhanden, so kommt es zu einem sogenannten Masterswitch, und die bisexuelle Gonadenanlage entwickelt sich zum Hoden (mit Penis, Nebenhoden, Samenleiter).

Laufen die oben beschriebenen Prozesse der ersten zwei Ebenen ohne Störungen ab, wird die dritte Ebene erreicht: Das phänotypische Geschlecht. Das heisst, dass sich die dem chromosomalen Geschlecht entsprechenden sekundären Geschlechtsmerkmale ausprägen (zum Beispiel Hengstzähne oder Verhalten).

Es wurde bereits erwähnt, dass viele Ursachen zu unfruchtbaren Tieren führen können. Im Internet findet man viele Websites, die Informationen zu den Voraussetzungen geben, ob mit einer Stute gezüchtet werden soll oder nicht. Interessanterweise findet man sehr selten Hinweise dafür, dass Chromsomenstörungen die Fruchtbarkeit beeinflussen können. Aber gerade weil viele Chromosomenstörungen ohne klinische Abklärungen nicht erkannt werden, die Fruchtbarkeit aus­schliessen und nicht therapiert werden können, ist es fatal, wenn sie nicht frühzeitig erkannt werden.

Im Folgenden sollen die drei wichtigsten Typen von Chromosomenstörungen vorgestellt werden.

Verschiedene Typen: Stuten mit 63,X

Diese Stuten haben, im Gegensatz zu «normalen» Stuten, in allen Körperzellen nur ein X-Chromosom. Deshalb beschreibt man die Chromosomen dieser Stuten mit 63,X. Die restlichen Chromosomen sind in den meisten Fällen normal. Die äusseren Geschlechtsorgane (Vulva) sehen völlig normal aus und geben keinen Hinweis auf diesen Chromosomenfehler. Auch das Beobachten einer Rosse oder das Fehlen einer Rosse gibt keine Aufschlüsse über den Chromosomenstatus solcher Stuten. Erst mit einer klinischen Untersuchung werden meistens nicht funktionale Eierstöcke (Ovarien) festgestellt, oft in Verbindung mit einer unterentwickelten Gebärmutter (Uterus).

Stuten mit Mosaik 63,X/64,XX

Diese Stuten sind den «63,X Stuten» sehr ähnlich. Der Unterschied liegt darin, dass sie sogenannte Mosaike sind. Das heisst, nur in einem Teil ihrer Körperzellen fehlt ihnen ein X-Chromosom – in den anderen Körperzellen weisen sie normale Chromosomen auf. Sonst gilt dasselbe wie für die «63,X Stuten».

Stuten mit 64,XY Sex-Umkehr

Betrachtet man das äussere Erscheinungsbild einer solchen Stute, entspricht es in den meisten Fällen einer völlig normalen Stute. Wenn man aber die Chromosomen untersucht, so stellt man fest, dass der Chromosomen-Satz dieser Stuten mit 64,XY eigentlich dem eines Hengstes oder Wallachs entspricht. Die Ursache dafür, warum sich die­se Pferde mit einem männlichen Chromosomensatz trotzdem zu Stuten entwickeln, ist nicht gänzlich geklärt. Aber man weiss, dass in vielen Fällen das weiter oben beschriebene SRY-Gen auf diesen Y-Chromosomen verloren gegangen ist und deshalb keine normale, vollständige Entwicklung in Richtung männliches Geschlecht ablaufen kann.

Der Chromosomensatz einer «64,XY Stute» mit Sex-Umkehr hat total 64 Chromosomen mit einem Y-Chromosom und einem X-Chromosom, wie sie für einen Hengst oder Wallach typisch wäre. Hier wurde eine andere Färbemethode verwendet, die das kleine Y-Chromosom ganz anfärbt (grüne Farbe) und gleichzeitig einen kleinen Teil des grösseren X-Chromosomes anfärbt. Die anderen Chromosomen sind nur blau gefärbt.

Häufigkeit der Störungen

Solche Chromosomen-störungen sind nicht selten. Es wurde geschätzt, dass rund vier Prozent der Stuten aufgrund der oben beschriebenen Veränderungen nicht fruchtbar sind. Wenn man davon ausgeht, dass 4000 bis 5000 Fohlen pro Jahr in der Schweiz geboren werden, so sind etwa 50 bis 100 Stuten davon betroffen. Diese Stuten können nicht therapiert werden und werden mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht tragend werden.

Empfehlungen für eine Voruntersuchung

Es wird empfohlen, dass man die Stuten, die noch nie ein Fohlen gehabt haben und die man für die Zucht vorgesehen hat, möglichst früh untersuchen lässt. Ausserdem sollten auch Stuten untersucht werden, die bereits mehrfach erfolglos belegt wurden. Der Vorteil der Untersuchung ist, dass man die häufigsten chromosomalen Störungen ausschliessen kann und so verhindert, dass unnötig Ressourcen für nicht geeignete Stuten gebraucht werden. Es heisst aber nicht, dass mit der Untersuchung eine Garantie für Erfolg gegeben ist.

Vorgehen und Kosten einer Untersuchung

Für die Untersuchungen wird eine Heparin-Blutprobe (fünf Milliliter) und eine EDTA-Blutprobe (zehn Milliliter) benötigt, die durch jeden Tierarzt entnommen werden kann. Diese kann ungekühlt per A-Post an das Labor der Klinik für Reproduktionsmedizin in Zürich eingeschickt werden. Um eine gute Prognose stellen zu können, ist es auch wichtig zu wissen, wie oft und wie eine Stute schon belegt wur­de. Eine vorgängige Kontaktaufnahme (siehe Adresse) mit dem Labor ist wünschenswert, so wird Ihnen ein Merkblatt zukommen gelassen, worauf alle notwendigen Informationen aufgeführt sind.

Die Kosten für eine Untersuchung belaufen sich auf 350 Franken (exklusive Mehrwertsteuer). Die Resultate werden in Form eines Gutachtens an den Auftraggeber geschickt.

 

PD Dr. med. vet. Claude Schelling
Klinik für Reproduktionsmedizin, Züchtungsbiologie
Winterthurerstrasse 260
8057 Zürich
Telefon 044 635 91 01
cschelling@vetclinics.uzh.ch

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 02/2014)

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