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«Ausgang» ist auch in der kalten Jahreszeit möglich.
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Weidegang im Herbst und Winter – kein Tabu

12.09.2017 12:26
von  Alexandra Koch //

Pferden sollte zu jeder Jahreszeit der Zugang zur Weide ermöglicht werden. Das liegt schon in der Natur dieses Fluchttieres begründet, welches sich in freier Natur rund 21 Stunden lang bewegt und bis zu 16 Stunden frisst. Eine Weide im Herbst und Winter für Pferde «besuchsfähig» zu halten, erfordert zwar einigen Aufwand, wird aber mit zufriedenen, ausgeglichenen und meist auch gesünderen Pferden belohnt.
«Die Frage, ob man rein vom Grundsatz her Pferde im geschlossenen Stall halten sollte oder nicht, beantwortet uns eindeutig die Biologie des Pferdes: Nein!», möchte der Autor Ingolf Bender klarstellen. Keine Bewegung draussen in der kälteren Jahreshälfte sei seiner Ansicht nach keine Option, weil domes­tizierte Hauspferde ihren wilden Vorfahren hinsichtlich der Umweltansprüche näher stehen als alle anderen domestizierten Grosssäuger. Pferde sind – anders als Kaninchen – auch als Haustiere keine Höhlentiere, sondern Tiere der Weite wie ihre Vorfahren, die täglich Licht und Luft sowie genügend Eigenbewegung unter Naturbedingungen brauchen.


Auch bei Sportpferden hat heute vielfach ein Umdenken stattgefunden und es ist häufig üblich, die Tiere zu jeder Jahreszeit nach draussen auf Weide oder Paddock zu lassen. Bei Eis und Schnee bekommen die Reiter der Spitzensportler jedoch häufig Bauchgrummeln und setzen lieber auf Spaziergänge an der Hand.
Die deutsche Spitzen-Dressurreiterin Uta Gräf gönnt ihren Pferden Auslauf zu jeder Jahreszeit: «Bei uns auf dem Gut Rothenkircherhof in Deutschland kommen die Pferde das ganze Jahr tagsüber oder im heissen Sommer nachts auf die Weide – im nassen Herbst und Winter auf den Winterpaddock. Droht ein schweres Unwetter, warten wir dies natürlich ab und stellen die Pferde erst raus, wenn es vorüber ist. Aber ‘nur’ schlechtes Wetter, Regen oder Frost sind kein Problem für die Pferde. Im Winter lassen wir die Pferde ohne Decke raus, scheren sie dafür aber nicht – ausser jene Pferde, die bei Hallenturnieren an den Start gehen. Aber auch diese werden meist nur teilweise geschoren, was ihnen ein der Natur angepassteres Leben ermöglicht. Unsere Pferde sind dank des Auslaufs sehr ausgeglichen, auch bei strengen Minus­temperaturen sind sie nicht heiss oder geladen.

Eine Winterweide im Nebel.

Das ist bei Reitern, die ihre Tiere im Winter ausschliesslich drinnen halten, häufig der Fall. Bei oft nur gering reduzierter Kraftfuttermenge bewegen sich etliche Pferde im Winter deutlich weniger und haben dadurch Energie gespeichert, die irgendwann 'raus muss'. Kein Tier ist monatelang fast nur drinnen gehalten zufrieden, da unterscheiden sie sich von uns Menschen, die sich schon mal gerne im Winter in ihre Häuser zurückziehen. Da unsere Pferde auf der Weide ausreichend Sozialkontakt, gutes Futter und Auslauf haben, sind unsere auch motiviert im Training. Man merkt es den Pferden an, wie zufrieden sie mit ihrem Leben in pferdegerechter Haltung sind.»

Gesunder Weidegang
Dem Pferd macht die Kälte im Winter wenig aus. Die Luft im Herbst und Winter enthält mehr Sauerstoff als in den anderen Monaten, was generell gesund ist. Kalte Luft ist generell dichter als warme. Bei null Grad Celsius hat sie etwa fünf Prozent mehr Masse als bei 15 Grad. Darum steckt im Winter in jedem Liter Aussenluft mehr Sauerstoff als im Sommer. Pferde haben zudem eine deutlich geringere Wohlfühltemperatur als der Mensch. Bei fünf bis zehn Grad bewegen sie sich in ihrem Wohlfühlbereich, während der Mensch erst bei über 15 Grad ein angenehmes Gefühl empfindet.

Pferde bewegen sich gerne im Schnee.


«Ein typisches Freizeitpferd, das sporadisch zur Entspannung seines Eigners als Geländereitpferd eingesetzt wird, kann deutlich artgemässer gehalten werden als ein Sportpferd. Was bedeutet, dass es auch in der nasskalten Jahreszeit täglich stundenweise draussen grasen sollte», erklärt Ingolf Bender. «Es entspricht dem angeborenen Futtersuchtrieb eines jeden Pferdes, dass es ganzjährig wenigstens einen Teil des Futters selbst 'ernten' möchte. Diese artgemässe Bewegungsaktivität an frisch­er Luft bei unterschiedlicher Witterung stärkt den Organismus und wirkt sich positiv auf die Psyche aus, was wiederum mehr Ausgeglichenheit und Leistungsbereitschaft bewirkt.» Wichtig ist bei – auch teilweise – geschorenen Pferden eine Thermodecke oder bei Regen eine wasserabweisende Out­doordecke zu nutzen.

Reduzierung der Weidezeit im Herbst
«Ab einer Bodentemperatur von etwa plus zehn Grad Celsius wachsen Weidepflanzen. Sinkt die Bodentemperatur – in Mittel­europa etwa ab November – unter zehn Grad, dann stockt das Pflanzenwachstum. Die Folge davon ist, dass abgegraste Pflanzen erst wieder im Frühjahr nachwachsen. Für Pferdehalter mit wenig Grünlandflächen bedeutet dies: Ab November eine weitgehende Sperrung der Weideflächen, um die Grasnarbe zu schonen, da ein Kahlfressen unweigerlich die Vegetation empfindlich stören und letztlich zur Degenerierung der Weide führen würde. Dadurch hätte die Weide im Frühjahr keinen Ernährungswert mehr, weil sie verkrautet und der Pflanzenbestand sich ungünstig umschichtet», beschreibt Ingolf Bender. Er hat einen Tipp, wie Pferde dennoch so oft wie möglich in der kalten Jahreszeit weiden können: «Bei reichlich Fläche empfiehlt es sich, eine sogenannte Winter-trampelweide zum stundenweisen Beweiden bereitzuhalten. Diese Weide muss allerdings im Frühjahr gesperrt und durch Pflegemassnahmen, etwa Nachsaat samt Anwalzen, saniert werden.» Der neu geschaffene, kleinere Weidebereich wird mit einem simp­len Elektrozaun oder – noch güns­tiger – einem Zaun aus Gummigurtband abgegrenzt. Gut nutzbar sind Flächen für die vorübergehende Weide, für welche ohnehin eine Neuansaat in Planung ist. «Die Winterruhe ist für jede Weide unverzichtbar. Wer eine eher kleine Weidefläche hat, sollte stattdessen mit seinen Pferden auf einen Paddock ausweichen», betont Ingolf Bender.
Da die Dauer des Weidegangs im Winter meist deutlich kürzer als im Sommer ausfällt und das Nahrungsangebot geringer ist, muss ausreichend Heu gefüttert werden. «Üblicherweise wird im Winter den Pferden die Weide nur für eine sehr begrenzte Zeit geöffnet», erläutert Bender. «Die Haupternährung muss durch Heu oder als Teil-heuersatz durch Heulage – eventuell plus Stroh – sichergestellt sein. Stets empfiehlt es sich, vor dem He­rauslassen auf die Weide eine Portion Heu zu füttern. Dies vor allem deshalb, damit Pferde nicht ausgehungert den Restpflanzenbestand vertilgen, was häufig mit Scharren verbunden ist. Dabei werden unter Umständen viele Partikel aufgenommen, die man im Pferdemagen nicht haben möchte, etwa Abfälle oder Kadaverreste.»


Weidepflege im Winter

Der Oktober ist bei nicht mehr beweideten Flächen ein guter Zeitpunkt für eine Düngung, etwa mit Kompost oder Thomasphosphat – je nach Weide. Im November sollte dann eine Kalkdüngung erfolgen. «Die eigentlichen Pflegemassnahmen verteilen sich auf die Winter- und Frühjahrszeit», erklärt Ingolf Bender. «Im Winter kann man zum Beispiel Zäune flicken oder Entwässerungsgräben säubern. Im Frühjahr wird die Weide abgeschleppt, um hauptsächlich Maulwurfshügel zu verteilen. An­schliessend sind Kahlstellen nachzusäen. Darauf folgt die fachgerechte (nutzungs- und standortangepasste) Düngung. Nach dem Düngen mit Kompost und/oder Mineraldünger sollte es erst einmal regnen, bevor man nach ungefähr drei Wochen die Pferde wieder auf die jeweilige Weide lässt. Grosse Weideflächen muss man in einzelne Weiden unterteilen, weil sonst Bewirtschaftung und Pflege nicht gelingen werden.»

Ein Unterstand bietet Schutz auf der Winterweide.


Die Bodenpflege und -kontrolle im Herbst und Winter im beweideten Bereich besteht darin, keine tiefen Löcher oder Matschflächen entstehen zu lassen. Wer viele Pferde hat, sollte demnach entsprechend viele Winterweideflächen zur Verfügung stellen, sodass die Tiere zum einen keine grösseren Schäden verursachen, zum anderen die Weiden gewechselt werden können. Schäden sollten eingeebnet werden. Obligatorisch ist auch in der kalten Jahreszeit die Suche nach Müll. Bei Schnee kann dieser auch schnell einmal einsinken und verschwinden, was ihn jedoch deutlich gefährlicher werden lässt. Im Herbst muss zudem nach wie vor nach Giftpflanzen Ausschau gehalten werden. Beispielsweise dauert die Blütezeit der Herbstzeitlosen bis Oktober an.

Die gefrorene Weide
Gefahr kann auf der Koppel bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt lauern. Gerade Boxenpferde sind in ihren wenigen Stunden «Freigang» pro Tag oft übermütig und erst einmal auf der Weide angekommen, nicht zu bremsen. Dies birgt besonders bei einer gefrorenen Weidefläche keine geringe Gefahr. Was also besser machen? Uta Gräf rät: «Es ist wichtig, keine Pausen einzulegen und den Pferden täglich Weidegang zu ermöglichen, denn sonst würde die Gefahr steigen, dass die Pferde überbordende Energie ablassen und anfangen, unruhig zu werden. Deshalb stehen sie auch bei Wind und Wetter draussen.» Bei Frost können die Tiere ausserdem wieder auf die Sommerweide gehen, da sie die Grasnarbe aufgrund des gefrorenen Zustandes nicht schädigen werden. Allerdings ist darauf zu achten, dass die Weide nur übergangsweise genutzt wird und nach wie vor genügend winterliche Ruhezeit hat.

Das Fjordpferd geniesst die Ruhe im Schnee.

Die Sommerweide ist bei geschlossener Schneedecke die beste Alternative. Nun sollte der Halter die Pferde von der kleineren Übergangsweide auf eine bis dahin geschonte Sommerweide umziehen. Löcher und Mulden unter dem Schnee auf einer kleinen Übergangsweide, die nicht mehr zu erkennen sind, können bei Pferden zu Stolperfallen werden, die gefährliche Verletzungen nach sich ziehen. Die Weide, welche bei Schnee benutzt wird, sollte also schon vor dem Schneefall bestimmt und auf Gefahrenpotenzial durch grössere Unebenheiten geprüft worden sein. Empfehlenswert ist auf der Winterweide ein Unterstand. Mobile Unterstände sind eine preiswerte und rasch aufzubauende Alternative. Ausserdem bieten für Pferde geeignete Hecken einen guten Schutz gegen Wind und Wetter. Eine Aufteilung in mehrere Bereiche der Weide – beispielsweise ein Ruhebereich, ein Fressbereich, ein Tränkbereich –, die möglichst weit voneinander entfernt liegen, sorgen für Bewegung beim Pferd und eine gleichmässige Beanspruchung der Grasnarbe. Dies ist vor allem sinnvoll, wenn die Sommerweide auch im Winter benutzt wird. Dem Bewegungstier Pferd kommt eine solche Weide sehr entgegen, vor allem, wenn die Bereiche so weit wie möglich auseinander angeordnet werden.

Winterweiden und Futter
«Gefrorenes Grünfutter in der winterlichen Phase des länger anhaltenden Wachstumsstillstands, welches Pferde durch Grasen ‘selbst ernten’, also auch unter einer Schneedecke, ist für gesunde Pferde ungefährlich», betont Ingolf Bender, warnt aber zugleich: «Anders verhält es sich mit geschnittenem Grünfutter, das gefroren gemäht wurde und vor dem Verfüttern auf einem Haufen lagert. Dort erwärmt es sich, wobei sich unter anderem schädliche Keime entwickeln, die nach dem Fressen beim Pferd Durchfall und andere Verdauungsbeschwerden auslösen.» Unbedingt ist auf der Winterweide darauf zu achten, dass das Wasser in der Tränke nicht einfriert, weswegen sich eine Tränke mit zirkulierendem Wasser empfiehlt. Auch ein schwimmendes Holzstück in der Tränke sorgt dafür, dass das Wasser nicht so schnell einfriert. Obendrein ist es eine Bereicherung für den Spieltrieb des Pferdes.

Hygiene und Betreuung
Iris Bachmann vom Schweizerischen Nationalgestüt in Avenches sagt, es komme immer auf den individuellen Fall an, wie gut sich eine Winterweide für Pferde eignet. «Wenn die Winterweide nicht beim Stall ist, muss man den Stress des Stallwechsels bedenken. Wenn das Pferd mehr unter dem vorübergehenden Stallwechsel leidet, als es sich auf der Winterweide erholen kann, lohnt sich eine solche nicht.» Es gäbe aber auch den Fall, dass Pferde jedes Jahr auf dieselbe Weide kommen, manchmal sogar mit einem Stallkollegen. So erinnern sie sich an den Ort und haben eine sehr kurze Angewöhnungszeit. Dies sei natürlich sehr empfehlenswert, so die Pferdeforscherin. «Eine eigene Winterweide beim Stall ist natürlich super und entspricht dem Naturell der Pferde, da sie sich im Winter weniger bewegen, aber oft draussen sind.» Wichtig ist, dass genügend Raufutter – Kraftfutter ist selten nötig – und Wasser vorhanden ist. Am besten sei Heu zur freien Verfügung, so können die Pferde fressen, wann sie wollen. Dabei sei auch die Qualität des Rau­futters zu beachten. Neben dem Futter ist eine angemessene Betreuung unabdingbar. «Auf einer extensiven Winterweide ist natürlich sehr wichtig, dass die Pferde täglich kontrolliert werden.» Auch Zäune sollten intakt und ungefährlich sein, denn sie stellen die grösste Verlet­zungsgefahr dar. Auch auf die Hygiene ist zu achten: «Es ist nicht schlimm, wenn der Boden mal etwas sumpf­ig ist. Aber um die stark frequentierten Plätze wie Heuraufe, Wasserstelle und Unterstand muss der Boden zwingend mit Ecoraster oder Ähnlichem befestigt sein», sagt Iris Bachmann.

Iris Bachmann
Stellvertretende Gruppenleiterin Pferdezucht und -haltung des Schweizer Nationalgestüts

 

 

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 36/2017)

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