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Ulrich Lehmann in seinem Eigenheim in Bolligen bei Bern. Fotos: Peter Wyrsch
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Zehn Medaillen – aber auch viele Neider

23.10.2018 12:47
von  Peter Wyrsch //

Er war der letzte erfolgreiche Schweizer Dressurreiter in Uniform: Der seit 50 Jahren im Kanton Bern ansässige und im Aargau aufgewachsene Ulrich Lehmann. Adjutant Unteroffizier Lehmann, der eidgenössisch diplomierte Reitlehrer, war während 30 Jahren Ausbildner an der EMPFA und über ein Jahrzehnt wertvolles Mitglied der damals erfolgsverwöhnten Schweizer Equipe. Zehn Championatsmedaillen im Team und zwei Schweizermeistertitel zieren sein Palmarès. Das liess den Bekanntheitsgrad des zuverlässigen Mannschaftsreiters steigen und brachte ihm nebst Edelmetallen und persönlichen Bestätigungen auch viel Neid im Betrieb ein.

Ulrich Lehmann mit seinem legendären Widin.

Der 184 Zentimeter grosse und stramme Ueli ist heute 74-jährig, wohnt mit Gattin Susanne in einem modern und stilvoll eingerichteten Eigenheim in Bolligen bei Bern, ist geistig äusserst präsent und klagt über seinen Gesundheitszustand trotz vier Schulteroperationen und künstlichen Hüftgelenken nicht. «Es geht mir gut. Ich bin sehr zufrieden», sagt der rüstige Pensionär, der bereits vor 27 Jahren, also als 47-Jähriger, die erste Hüftoperation über sich ergehen lassen musste. Seit acht Jahren sitzt der ehemalige EMPFA-Bereiter nicht mehr zu Pferd. Mit regelmässigem Krafttraining hält er sich fit. «Ich will meine Muskelkraft erhalten», erwähnt er beiläufig.

Silber und Bronze

Lehmann ging es nie primär um Medaillen, Auszeichnungen, Ruhm und Ehre. Vielmehr um fachkundige und faire Bestätigungen und Beurteilungen seiner Leistungen von Experten und Richtern. «Ich habe im Dressurviereck, aber auch an der EMPFA stets alles gegeben und mit Freude Pferde für die Armee ausgebildet und einige national und international vorgestellt.» Lehmanns Anstrengungen und seine Geduld, mit mittelmässig talentierten Pferden Höchstleistungen zu erreichen, wurden honoriert – mit zehn Medaillen an Championaten, an Welt- und Europameisterschaften und Olympischen Spielen. 1976 in Montreal/Bromont und 1980 an den Ersatzspielen im englischen Goodwood war er mit seinem treuen Widin wichtiges Mitglied der jeweiligen Schweizer Silber­equipen. Er ritt von 1975 bis 1989 in der Mannschaft zusammen mit der damals überragenden Christine Stückelberger, mit Otto Hofer, mit Doris und ihrem Sohn Daniel Ramseier, mit Claire Koch und Amy-Catherine de Bary. In regelmässigen Abständen gewann das Schweizer Team, stets hinter den übermächtigen Deutschen, Silber und Bronze. Neben zweimal Olympiasilber auch WM-Silber 1978 in Goodwood und WM-Bronze 1986 im Cedar Valley in Kanada.

Olympiasilber 1976 in Montreal (CAN) für das Schweizer Team (l.) mit Christine Stückelberger, Ulrich Lehmann und Doris Ramseier (v.l.) hinter Deutschland und vor den USA.

Dazu kamen je drei EM-Silber und -Bronzeauszeichnungen: Silber 1977 in St. Gallen, als Christine Stückelberger mit Granat erfolgreich ihren EM-Titel verteidigte, 1981 im österreichischen Laxenburg und 1987 in Goodwood. 1975 im nunmehr ukrainischen Kiew, 1979 im dänischen Aarhus und 1989 im luxenburgischen Mondorf-les-Bains liess sich die Schweizer Equipe mit Teambronze feiern – stets mit Ulrich Lehmann, siebenmal mit dem Schweden Widin, dreimal mit dem Dänen Xanthos unter dem Sattel.
Zu Mannschaftsgold reich­te es nie, auch wenn es Ende der 70er-Jahre jeweils knapp wurde und die Dressurhoheit Deutschlands in Gefahr geriet.

WM-Silber 1978 in Goodwood (GBR) mit (v. l.): Equipenchef Hans Syz, Claire Koch, Ulrich Lehmann und Christine Stückelberger.

Die Bastion fiel ja erstmals 2007 an den Europameis­terschaften im italienischen La Mandria, als die Niederlande die Deutschen vom Thron stürzte. Ein Kunststück, das dann auch den Briten, angeführt von der herausragenden Charlotte Dujardin, glück­te.

Einzelmedaille fehlt

An internationalen Championaten vermochte Lehmann in der Einzelwertung nie eine Medaille zu gewinnen. Oftmals fehlte wenig, wie an den Weltmeis­terschaften 1978 in Goodwood, als er mit Widin brillierte und hinter Christine Stückelberger, dem Deutschen Uwe Schulten-Baumer und der Britin Jennie Loriston-Clarke undankbarer Vierter wurde. «Drei Punkte fehlten zu Bronze», ärgert sich Lehmann noch heute. Die einheimische, englische Richterin Misses Hall bewertete seinen fehlerlosen Grand Prix schlecht. «Sie war gegen mich und bevorteilte ihre Landsfrau», meint Lehmann noch heute. «Sie wertete Widins ausgezeichnete Präsentation miserabel und setzte ihn in ihrer persönlichen Wertung auf den elften und zweitletzten Rang unter den damals zwölf Finalisten.

Lehmann mit der Schweizer Delegation an der eigens organisierten 1.-August-Feier an den Olympischen Spielen in Montreal (CAN) 1976.

Der dänische Richter Oberst Sommer hingegen beurteilte uns punktgleich mit Granat auf dem ersten Platz, während sich der Schweizer Richter Niggli vornehm zurückhielt, um ja nicht eigene Reiter zu bevorteilen.» Ja, das ist eben auch Dressur. Man muss sich hochdienen und ist der Laune oder der (Un-)Objektivität menschlicher Richter ausgesetzt.
Allerdings: Zweimal stand Lehmann dennoch zuoberst auf dem Treppchen: 1980 mit Widin und ein Jahr später mit seinem Eidgenossen Werder an den Schweizer Meisterschaften. Dazu kamen an den nationalen Titelkämpfen drei Silber- und zwei Bronzemedaillen. All diese Medaillen hat der bodenständige Lehmann nicht in seiner Wohnung in Bolligen aufbewahrt. Sie sind im Museum der Schweizer Kavallerie­schwadron 1972 in Aarau zu besichtigen. Nur einige Trophäen, Bilder, Flots und Schleifen schmücken sein Zuhause.

Das Pferd des Lebens

Lehmanns Pferd des Lebens war zweifellos der schwedische Wallach Widin. «Er war kein Ausnahmepferd. Ich habe das Maximum aus ihm herausgeholt und erhielt dafür zahlreiche Komplimente, auch von solch anerkannten Dressurausbildnern wie Fredy Knie senior und Georg Wahl, von deren Anregungen und Hilfen ich viel profitieren konnte», erzählt Lehmann bei einem duftenden Kaffee am Stubentisch. «Widin hatte drei korrekte Grundgangarten, leider keine überdurchschnittlichen. Er war aber äusserst regelmässig, grundehrlich und liess mich nie im Stich. Er benötigte aber viel Kraft und hatte leider zu wenig Temperament. Auch fehlte ihm die Leichtigkeit, die Ausnahmepferde auszeichnen», beurteilt Fachmann Lehmann in der Retroanalyse.
Der Eidgenoss Werder, Widins Nachfolger, war eleganter. Lehmann muss­te ihn aber mit 14 Jahren aus gesundheitlichen Grün­den aus dem Spitzensport vorzeitig zurückziehen. Ende der 80er-Jahre zählte der einstige EMPFA-Bereiter auf die Stärken des Dänen Xanthos. «Ja, Piaffen und Passagen waren nicht seine Stärken. Er war zuverlässig, aber kein Tänzer», blickt der Sohn eines Pferdezüchters zurück, der auf einem Bauernhof in Gontenschwil im aargauischen Oberwynental zusammen mit einem Bruder aufwuchs. Xanthos, der einen zu langen Rücken hatte, wurde 24-jährig und ist mit WM-Bronze 1986, EM-Silber 1987 und -Bronze 1989 dekoriert.

Werbung für Schwadron

Ulrich Lehmann wird es trotz seines Rentnerlebens nie langweilig. Er betätigt sich als Unterstützung seiner Frau Susanne als Hausmann, schwingt vereinzelt auch in der Küche den Kochlöffel und wirbelt seit mehr als zwei Jahrzehnten für die Schweizer Kavallerieschwadron 1972. Die Kavallerie wurde im Dezember 1972 durch die Bundesversammlung aufgelöst und die Dragoner danach zu Panzergrenadieren umgeschult. Die Tradition der Kavallerie lebt aber weiter. Deshalb gründeten 1995 ehemalige Kavalleristen, darunter auch Ueli Lehmann, die Schweizer Kavallerieschwadron 1972. Die Kavallerie war eine berittene Kampftruppe, eine Einheit wurde Schwadron genannt. Sie umfasste 1972 insgesamt sechs Offiziere, 26 Unteroffiziere (darunter Ulrich Lehmann), 128 Dragoner, 153 Reitpferde, elf Tragpferde, vier Mg 51, sechs Raketenrohre und Sturmgewehre und Pistolen. Ihre Pferde waren Bundespferde, sogenannte «Eidgenossen», die sie unterhielten, hegten, trainierten und pflegten.

Lehmann vor seiner Trophäensammlung.

Heute tritt die vom VBS anerkannte, militärische ausserdienstliche Gesellschaft zur Erhaltung der Kavallerietradition an offiziellen, zivilen und militärischen Anlässen in Uniform und Ausrüstung inklusive Waffen auf – so wie sie vor 46 Jahren aufgelöst wurde. Seit Jahren verfasst der begabte Fotograf Lehmann mit eigenen ausgezeichneten Bildern jährlich einen Kavalleriekalender, der die Passion der ehemaligen Dragoner zeigt. Dessen Erlös fliesst wie Spenden und Mitgliedschaften der Kavallerieschwadron zu.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 42/2018)

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