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Fotos: Angelika Nido Wälty
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Zu Besuch in Wellington, Florida (USA)

19.02.2019 11:39
von  Angelika Nido Wälty //

In Wellington, einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Florida, dreht sich alles um Pferde. Verschiedene Pferdesportstars und reitende Prominente entfliehen den kalten Temperaturen und haben dort die ­Winterresidenzen für ihre Vierbeiner. Auf mehreren erstklassigen Pferdesportanlagen wird für sie
das Winter Equestrian Festival ausgetragen, die grösste Turnierserie der Welt, bei der grosse Preissummen locken und wöchentlich rund 3500 Pferde und Reiter aus 45 Nationen teilnehmen.

Die Strassen, welche die prächtigen Pferdefarmen untereinander verbinden, tragen Namen wie Quarter Horse Trail, Paddock Drive oder Grey Mare Way. An den Strassenkreuzungen gibt es Warnschilder mit der Aufschrift «Horse x-ing» und auf dem Asphalt ist der gleiche Schriftzug in grossen weissen Lettern aufgemalt. Entlang der breiten Strassen verlaufen auf Sand oder Gras ebenso breite Reitwege. Will ein Reiter die Seite wechseln, hat er dafür an den Lichtsignalanlagen einen eigenen Knopf, den er vom Pferderücken bequem drücken kann – und schon springt die Ampel für den Verkehr auf Rot. In Wellington im US-Bundesstaat Florida haben Pferde immer und überall Vortritt. Schliesslich verdankt die Kleinstadt mit rund 60000 Einwohnern, die rund eineinhalb Fahrstunden nördlich von Miami liegt, den Pferden ihre Existenz.

Aus dem Nichts aufgebaut

Noch vor 30 Jahren war dort nichts als Sumpf und brachliegende Felder. Wellington war keine eigene Stadt, sondern ein Ortsteil von West Palm Beach. Es gab ein altes Polofeld, hinter dem ein Hunter- und Springpferdetrainer namens Gene Mische Ende der 80er-Jahre mit Erfolg ein kleines Turnier veranstaltete. Darauf hatte der Mann aus Ohio die Idee von einer Wettkampfstätte im warmen Süden, um die herum die Reitsportler und ihre Vierbeiner in pferdefreundlichen Immobilien leben, draussen trainieren, wenn es dafür in nördlicheren Gefilden zu kalt ist und zu ihren Sporteinsätzen reiten. Als Gene Mische im Jahr 2010 starb, nannten sie ihn in den USA den «Godfather of Showjumping». «Als Veranstalter hat Gene Mische den Springsport in unserem Land revolutioniert und ohne ihn gäbe es Wellington und seine ganze Pferdeindustrie nicht», sagt Marty Bauman, der von der ersten Stunde an Misches Pressesprecher war.

Das Epizentrum des Springreiter-Jetsets

Heute kommen in Wellington während der Wintermonate Pferdesportler aus aller Welt zusammen, um bei besten Bedingungen zu trainieren und an hochdotierten Turnierserien teilzunehmen. Dafür stehen mehrere erstklassige Pferdesportanlagen für Springen, Dressur und Polo zur Verfügung. Rundherum ist ein eigentliches Dorf entstanden aus prächtigen Reitsportanlagen mit teils mehreren Sandplätzen, prächtigen Gartenanlagen und traumhaften Stallungen, die von fleissigen Mexikanern in Schuss gehalten werden. «Die Pferde wohnen hier schöner als die meisten Menschen», soll der Bürgermeister von Wellington einmal in einem Interview gesagt haben.


Und auch Martin Fuchs, der in diesem Jahr zum ers­ten Mal den Winter mit sechs seiner Pferde in Florida verbringt, zeigte sich schwer beeindruckt: «Wellington jemanden zu beschreiben, ist fast unmöglich, das muss man mit eigenen Augen gesehen haben, sonst glaubt man es nicht!»

Die schönsten und teuers­ten Anwesen verschwinden allerding hinter hohen Hecken, die Einfahrten sind durch schwere Eisentore gesichert, die sich nur mit einem Zahlencode öffnen lassen. An den Briefkäs­ten, viele sind mit prächtigen Pferdeköpfen verziert, stehen keine Namen – die Hausbesitzer geben sich gerne bedeckt und nicht wenige von ihnen zählen zu den Reichen und Schönen dieser Welt. Am «Mallet Hill», einem noblen Quartier, dessen Zufahrt rund um die Uhr von Sicherheitsleuten bewacht wird, hat Michael Bloomberg, der ehemalige Bürgermeis­ter von New York und einer der reichsten Männer Amerikas, ein Anwesen, in dem die Pferde seiner springreitenden Tochter Georgina den Winter über zu Hause sind. Auch Microsoft-Gründer Bill Gates und seine international erfolgreiche Tochter Jennifer haben einen ihrer Wohnsitze in diesem Quartier. Und da die Gates ihre Privatsphäre schätzen, haben sie auch gleich die Nachbargrundstücke dazugekauft. Ein Luxusimmobilienmakler in Wellington hat im Moment zwei Objekte in «Mallet Hill» gelis­tet, sie kosten 14 und 22 Millionen Dollar.

Martin Fuchs beim Abreiten unter Palmen.

Nur ein paar Galoppsprünge entfernt, am Quarter Horse Trail, hat Laurene Powell Jobs, die Frau des verstorbenen Apple-Gründers Steve Jobs, ein schickes Zuhause für die Pferde ihrer Tochter Eve gekauft. Und Jessica Springsteen, die Tochter von US-Rocklegende Bruce Springsteen, wohnt nicht weit entfernt. Viele ihrer Teamkollegen wie Weltcupsiegerin Beezie Madden, Lauren Hough, Reed Kessler oder Margie Goldstein-Engle leben ganz oder zeitweise in Wellington.

Turniere während 42 Wochen im Jahr

Während nur 20 Kilometer entfernt an der Atlantik­küs­te Floridas die Preise einer Immobilie steigen, je näher sie am Meer liegt, gilt in Wellington dasselbe für eine Lage nah an den Wettkampfstätten, allen voran dem Palm Beach International Equestrian Center «PBIEC».

2007, drei Jahre vor seinem Tod, verkaufte Gene Mische sein Lebenswerk an den Investor Mark Bellissimo. Der Name des Immobilienmoguls aus Bos­ton wurde im September im Zusammenhang mit den Weltreiterspielen in Tryon über die USA hinaus bekannt, da er sich mit der Organisation heillos übernommen hatte.

In Wellington ist Bellissimo erfolgreich. Nach Angaben der amerikanischen Publikation «The Chronicle of the Horse», die ebenfalls Bellissimo ge­hört, inves­tierte er mit seinen Partnern über 500 Millionen Dollar in die Infrastruktur.

Heute erstreckt sich das PBIEC über eine Fläche von rund 200 Hektaren. Davon bedecken alleine die 18 Turnierplätze, darunter ein Derby-Springplatz und der nach eigenen Angaben grösste überdachte Sandplatz der Welt, 32 Hektaren. Es gibt vor Ort Stallungen für 256 Pferde und ein Netzwerk an Wegen zum Reiten und für Golfcarts, das bevorzugte Fortbewegungsmittel der Reiter und Pferdepfleger.

An über 40 Wochen im Jahr, von September bis Juni, werden Turniere ausgetragen. Die bekannteste Serie ist das Winter Eques­trian Festival, das WEF, das sich über zwölf Wochen zwischen Januar und März erstreckt. Jede Woche von Mittwoch bis Sonntag finden Springen und die in Amerika äusserst beliebten Hunter-Prüfungen, eine Mischung aus Stil- und Jagdspringen, statt. Es gibt über 70 Kategorien, in denen Teilnehmer im Alter von zwei bis 80 Jahren starten, angefangen von Führzügelklassen für die Kleins­­ten über Pony-, Amateur- und Seniorenprüfungen bis zu den legendären Fünfstern-Grand-Prix, an denen stets einige der bes­ten Profis der Welt teilnehmen. Mit Reitern aus über 40 Nationen, rund 7000 teilnehmenden Pferden und einem Gesamtpreisgeld von über zehn Millionen Dollar ist das WEF die längste und bestdotiere Turnierserie weltweit. Parallel dazu gibt es auf einer weiteren Anlage, dem Equestrian Village, das Global Dressage Festival für die Dressurreiter. Und im Palm Beach International Polo Club, auf dem schon Prinz Harry gespielt hat, finden hochklassige Poloturniere statt.

Volksfeststimmung

Geschäftsmann Mark Bellissimo investierte nicht nur kräftig in Wellington, er brachte auch einen anderen Wind in die abgeschlossene, steife Wellingtoner Reiterszene. Er öffnete seine Anlagen dem breiten Publikum, der Besuch der Turniere ist grundsätzlich kostenlos, das Geld wird mit den VIPs gemacht. An den Wochenenden herrscht Volksfeststimmung mit jeweils rund 10000 Besuchern. Es gibt ein kleines Dorf mit über 100 Markt-, Verkaufs- und Verpflegungsständen, Karussells und Streichelzoos für die Kinder und an den legendären «Saturday Midnights» kostenlose Konzerte.

Zwist im Pferdeparadies

Diese geballte Bellissimo-Power passte nicht allen im ehemals beschaulichen Wellington. Allen voran die «alteingesessenen» Ja­cobs mit Familienoberhaupt Jeremy Jacobs, dem schwerreichen Unternehmer und Besitzer des Eishockeyclubs Boston Bruins, torpedierten die Projekte Bellissimos immer wieder mit Einsprachen. Vor vier Jahren haben die Jacobs auf ihrer 80 Hektar grossen Deeridge Farm, rund vier Kilometer vom PBIEC, ihre eigene kleine Turnierserie ins Leben gerufen, das Palm Beach Masters, das mittlerweile drei Turnierwochenenden umfasst. Die Rivalität zwischen Bellissimo und Jacobs machen sich auch zwei Schweizer ­Uhrenmarken zunutze. Während die Bellissimo-Veranstaltungen unter dem Patronat von Rolex stattfinden, hat Longines das Palm Beach Masters unter seine Fittiche genommen, weshalb dort sowohl ein Weltcupspringen als auch der erste Nationenpreis der grünen Saison ausgetragen wird.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 7/2019)

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