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Max E. Ammann
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Standpunkt

88 Mal um die Ehre der Nation

25.08.2015 13:11
von  Max E. Ammann //

Mitte Juli wurde auf dem Maimarktgelände in Mannheim zum 100. Mal auf deutschem Boden um Nationenpreisehren geritten. Die 100 deutschen Nationenpreise kamen allerdings nur zusammen, weil man die zwölf Prüfungen dazuzählte, die in der einstigen DDR durchgeführt wurden: in Leipzig, dann Trinwillershagen und schliesslich Gera. Von den 88 westdeutschen Nationenpreisen fanden nicht weniger als 73 in Aachen statt. Dazu kamen die neun von Berlin 1930–1939 sowie drei in Donaueschingen und je einer in Köln, Dortmund und Mannheim.

88 Heim-Nationenpreise: auf genau so viele kommt auch die Schweiz: 42 in Luzern, 26 in Genf und 20 in St. Gallen. Dabei ist es interessant, dass weder Deutschland noch die Schweiz zu den Pionieren eines Heim-Nationenpreises zählen. Die beiden ersten Schweizer Heim-Nationenpreise fanden 1927 in Luzern und Genf statt – die ersten Deutschlands 1929 in Köln und Aachen. Das sind rund zwei Jahrzehnte, nachdem 1909 in London und San Sebastian erstmals um Nationenpreisehren geritten wurde. Belgien (1910), Italien und die USA (1911), die Niederlande (1912) sowie Frankreich, Kanada, Irland und Polen nach dem Ersten Weltkrieg debütierten mit ihren Heim-Nationenpreisen vor der Schweiz und Deutschland. Dass Luzern und Genf im gleichen Jahr ihren ersten Nationenpreis ausrichteten war wohl nur Zufall: zu unterschiedlich ist deren Frühgeschichte. Die über 100-jährige Concours-Geschichte Luzerns wurde im letzten Standpunkt dargestellt. Beizufügen ist, dass Luzern nach dem fünfjährigen Unterbruch während des Ersten Weltkrieges vorerst ab 1920 national wieder begann. 1924 wurde Luzern erneut international, wobei dieses Luzern 1924 zur eigentlichen Olympia-Vorprobe wurde. Nach 1925 und 1926 entschloss man sich, 1927 einen Nationenpreis auszuschreiben. Der Concours Hippique 1927 war in weiterer Hinsicht bemerkenswert. Auf der Hausermatte ritten Europas beste Dressurreiter erstmals um FEI- Ehren: Das erste FEI-Dressur-Championat gewann der Bulgare Vladimir Stoytchev vor Adolphe Mercier, der ersten Schweizer Dressur-Grösse. Dazu kam eine internationale Military. Den ersten Luzerner Nationenpreis gewann Frankreich, angeführt von Xavier Bizard.

1927 Premiere in Genf

Einige Monate später, im alten Palais des Expositions, kam es in Genf zum zweiten Schweizer Heim-Nationenpreis. Es war erst der zweite Genfer Concours Hippique. 1926 hatte dort ein CHI stattgefunden. Nun wagte man 1927 gleich den Schritt zum CHIO. Beim zweiten Schweizer Heim-Nationenpreis in Genf siegten die Schweizer: mit Pier­re de Muralt auf Notas, Max Thommen auf Pepita und Alphonse Gemuseus auf Lucette. Zu jener Zeit kümmerte sich die 1921 gegründete FEI kaum um den internationalen Kalender. So kam es, dass 1926 in Italien gleich drei Nationenpreise ausgetragen wurden: in Rom, Neapel und Mailand. Erst für 1930 schuf die bis anhin mit olympischen Problemen beschäftigte FEI den ersten Nationenpreis-Kalender.
Bis zum Zweiten Weltkrieg erlebte man Nationenprei­se sowohl in Luzern wie in Genf, wobei die Genfer allerdings zweimal länger aussetzten: 1931/32 und 1935/37. Alles in allem kam es 1927 bis 1939 zu 19 Schweizer Heim-Nationenpreisen. Die Schweiz siegte zweimal: 1927 in Genf und 1929 in Luzern. Olympiasieger Gemuseus und der spätere Waffenchef der Kavallerie, Pierre de Muralt, waren beide Male dabei. 1947 wagten beide, Luzern wie Genf, einen Neuanfang. Beizufügen ist allerdings, dass es bereits das Jahr zuvor drei internationale Turniere in der Schweiz gab: Zürich (im Hallenstadion), Bern (im Springgarten des Remonten-Depots) und Genf (auf der Plaine de Plainpalais). Sie blieben allerdings Eintagsfliegen. Immerhin erlebte man dabei zwei junge Franzosen am Anfang grosser Karrieren: Pierre Jonquères
d’Oriola und Jean d’Orgeix.

Von Genf nach St. Gallen

Bereits ab 1948 einigten sich Luzern und Genf auf die jahrzehntelange Aufteilung: Luzern in geraden, Genf in ungeraden Jahren. Dies dauerte bis 1983, als sich Genf – unter sanftem Druck der FEI – entschied, ganz auf den Weltcup zu setzen. Den Platz in den ungeraden Jahren übernahm ab 1985 St. Gallen. Diese Aufteilung dauerte bis 2006, als Luzern aufgab und St. Gallen ab 2007 zum jährlichen Anlass wurde – wobei die St. Galler bereits die Jahre zuvor den kriselnden Luzerner Concours organisiert hatten. Zuvor kam allerdings noch das Jahr 1978. Luzern, das als CSIO-Ort an der Reihe gewesen wäre, hatte als Folge der Seeuferweg-Kontroverse die Hausermatte als Austragungsort verloren und die Allmend war noch nicht bereit. Genf sah sich ausserstande, ausserhalb des Turnus in einem geraden Jahr einzuspringen. Der CHI St. Gallen hatte ebenfalls Platzprobleme. Denn das Breitfeld, wo jahrzehntelang international geritten wurde, war eine Autobahnbaustelle und die Zukunftslösung, das Gründenmoos, war noch nicht bereit. So kam Zabi Widmer, der damalige Präsident der St. Galler Pferde­sporttage, auf die Lösung mit dem Fussballstadion des FC St. Gallen, dem Espenmoos. Die Deutschen gewannen den einzigen Schweizer Nationenpreis in einem Fussballstadion.
Von 1927 bis 2015 gab es 88 Nationenpreise in der Schweiz: 42 in Luzern, 26 in Genf und 20 in St. Gallen. Die Schweiz gewann zehn (fünf in Luzern, drei in Genf und zwei in St. Gallen). Mehr Siege gab es für Deutschland (18), Frankreich (15) und Grossbritannien (13). Die Italiener und US-Amerikaner gewannen je sieben, die Iren und Niederländer je sechs. Bemerkenswert die vier Siege in Folge von Frankreich 1986 bis 1990 in Luzern, die Dreifachsiege von Irland in Luzern (1935 bis 1937) und Grossbritannien in Genf (1977 bis 1981). Erstaunlich auch die Erfolgsbilanz der Niederländer in St. Gallen: fünf Siege (1999 – 2007 –
08 – 11 – 12). Dazu kommt noch der niederländische Triumph 2004 in Luzern.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 33/2015)

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