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Max E. Ammann
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Standpunkt

Auto oder Pferdegespann?

16.10.2018 10:32
von  Max E. Ammann //

Vor mir lag ein 100-seitiges Büchlein, 1952 im Verlag Paul Haupt in Bern erschienen: «Auto oder Pferdegespann?». Im Untertitel heisst es: Eine vergleichende Studie über die Wirtschaftlichkeitsgrenzen der Pferdegespanne und der Kraftfahrzeuge im städtischen Güternahverkehr.

Autor der Studie ist Dr. Karl Bodenmüller – in den 70er-Jahren der Gründer der heute noch erfolgreichen Winterthurer Immobilienfirma «Bodag» AG und Equipenchef der Schweizer Springreiter. Karl hat mir seine These damals geschenkt, sie ist noch heute sehr lesbar. Bodenmüller legt dar, dass das Pferdegespann im städtischen Güternahverkehr gegen Traktoren, LKWs oder Lieferwagen auch 1952 wirtschaftlich bestehen kann. Die Zahlen, die er für seine Analysen verwendet, sind ein faszinierendes Erinnern an die Zeiten, wo eine Zeitung am Kiosk noch 20 bis 30 Rappen kostete und der Bubenhaarschnitt beim Coiffeur 1.50 Franken.


Schiene oder Strasse?

Zu jener Zeit wurden nicht nur die Möglichkeiten des Pferdegespanns gegen­über Motorfahrzeugen diskutiert, sondern auch die noch heute aktuelle Fra­ge: Schiene oder Strasse? Zu den Pferdegespannen zählt Bodenmüller den schweren Zweispänner und den leichten Einspänner. Bei den Kraftfahrzeugen die Motorlastwagen, den Traktor und den leichten Lieferwagen.
In diesem Zusammenhang ist eine Statistik interessant, die im Erscheinungsjahr des Bodenmüller Büchleins der Schweizer Kavallerist publizierte. Es geht um die Zahl der Traktoren und Pferde in der Schweiz: 1939 gab es 125000 Pferde und 24000 Traktoren; 1951 waren es 115000 Pferde und 66000 Traktoren. Der Bericht im Schweizer Kavallerist (der Vorgänger des heutigen Kavallo) trägt den Titel «Traktoritis».

Leistungsfähigkeit
In einem ersten Kapitel betrachtet Bodenmüller die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Transportmittel. Im städtischen Güternahverkehr kommt er auf folgende Mittelwerte im normalen Stadtverkehr: Pferdegespanne, Einspänner sechs bis sieben Kilometer pro Stunde; Zweispänner vier bis fünf Kilometer pro Stunde. Motorfahrzeuge: Traktoren zehn bis zwölf Kilometer pro Stunde; LKW 20 bis 25 Kilometer pro Stunde, Lieferwagen 25 bis 30 Kilometer pro Stunde.
Er stellt allerdings fest, dass sich im dichten Stadtverkehr die Geschwindigkeiten für die Pferdegespanne nicht verringern, dagegen für die Motorfahrzeuge bis zu einem Viertel.

Aktionsradius
In Bezug auf den Aktionsradius stellt Bodenmüller fest, dass dieser für Fahrzeuge mit flüssigem Treibstoff am höchsten ist. Beim Gespann sind zwei Grenzen gezogen: die geringere Geschwindigkeit und die Ermüdung der Pferde. Bei einem schweren Zweispänner könne man mit einem täglichen Aktionsradius von 25 bis 35 Kilometer rechnen.

Kosten
Einen wesentlichen Teil des Buches nehmen die Ausführungen über die Kosten ein: das Anlagevermögen (a), Abschreibung und Zinskosten (b), Personalkosten (c), Stallbenützung, Fütterung, Versicherung, Reparaturen, Beschlag, Tierarzt etc. (d). Bei einem Zweispänner rechnet Bodenmüller wie folgt; a: zwei Pferde 5000 Franken, Brückenwagen von fünf Tonnen 1200 Franken, Geschirr etc. 660 Franken; b: 820 Franken für Abschreibungen und Zinsen; c: Lohn des Fuhrmanns 6230 Franken plus Abgaben Krankenkasse etc. 660 Franken; d: Totalkos­ten 4530 Franken für Stallbenützung etc. Das ergibt für einen Zweispänner ein Anlagevermögen von 6860 Franken und Jahreskosten von 12240 Franken. Pro Tag muss man mit 40.15 Franken rechnen (305 Arbeitstage).
Nimmt man eine tägliche Distanz von 20 Kilometern, ergibt das zwei Franken Kosten pro Kilometer. Bei einer Tagesdistanz von 33 Kilometer nur 1.22 Franken pro Fahrkilometer. Bei den Kraftfahrzeugen gibt Bodenmüller folgen­de Ankaufszahlen an: ein Saurer L2C mit einer Nutzlast von drei Tonnen kostet 34000 Franken. Bei den Abschreibungen kalkuliert er mit einer Nutzungsdauer von zehn Jahren, also eine jährliche Abschreibung von zehn Prozent, macht 3400 Franken. Für die Personalkos­ten rechnet er den Chauffeurlohn mit 6530 Franken und 545 Franken für weitere Kosten. Die Fremd­kosten, vor allem Steuern, Versicherungen, Garage, Reinigung, Treibstoff, Motorenöl, Reparatur etc. (Benzin 65 Rappen pro Liter), betragen geschätzte 4315 Franken. Total Jahreskosten somit 14790 Franken. Bodenmüller macht geltend, dass im Gegensatz zu den 305 Arbeitstagen bei Pferdegespannen die Zahl der Arbeitstage bei Motorlastwagen nur 250 bis 280 Tage beträgt. Das ergibt zwischen 53.05 und 59.15 Franken pro Tag. Für die Motorfahrzeuge spricht, dass der Aktionsradius grösser ist: Im Buch geht der Autor auf die verschiedenen Güter ein, also Massen- oder Schüttgüter einerseits sowie Stückgüter andererseits.

Konklusion
In der zusammenfassenden Betrachtung der Stellung des Pferdebetriebes im städtischen Güternahverkehr werden die folgenden Schlüsse gezogen: Beim Transport schwerer Schüttgüter ist in der Regel der Motorlastwagen das wirtschaftlichste Transportmittel. Der Zweispänner erlangt jedoch von dem Augenblick an wirtschaftliche Priorität, wenn die täglich zu transportierende Schüttmenge (zum Beispiel Sand) innerhalb der Leistungsgrenzen des Gespannbetreibers liegen. In Bezug auf den Transport schwerer Stückgüter (zum Beispiel Fabrikate einer Maschinenfabrik) kann dem Pferdegespann in viel weiterem Rahmen die Wirtschaftlichkeitspriorität zugesprochen werden. Beim Transport leichter Güter hingegen zeigt es sich, dass hier in der Regel dem leichten Lieferwagen die Priorität zukommt.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 41/2018)

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