Suche
Max E. Ammann
Previous Next
Standpunkt

Depot – EMPFA – NPZ: Überbauung oder Kulturerbe?

26.10.2021 08:59
von  Max E. Ammann //

Es ist wohl unbestritten: die Anlagen des einstigen Depot (1890–1950), der EMPFA (1950–1996) und des heutigen NPZ sind als Ganzes erhaltungswürdig. Sie sind ein nationales Kulturerbe von internationalem Interesse. Dies gilt für die Grünanlagen links der Reiterstrasse: der Paddock mit dem wunderbaren Springgarten mit seinen Gräben und Wällen. Es gilt auch für die Gebäude auf der anderen Seite der Strasse: die beiden Reithallen, die Ställe, die Kuranstalt, die Wagenremise und das Werkstattgebäude.
Die Gebäude gehören der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Armasuisse Immobilien. Die Grünflächen, inklusive des Springgartens, gehören der Burgergemeinde Bern. Seit über zehn Jahren ist ein Grossteil als Bauland eingezont. So ist es nicht verwunderlich, dass immer wieder Pläne für eine Überbauung dieser grünen Oase in der Stadt Bern geäussert werden. Zuletzt im März dieses Jahres. Die Burgergemeinde Bern will eine Teilüberbauung der 77 000 Quadratmeter. Sie strebt eine durchmischte und breite Nutzung an, mit Wohnungen und Dienstleistungen. Der Berner Gemeinderat, mit dem Stadtpräsidenten, begrüsst das Projekt der Burgergemeinde. «Es bestehe ein Bedarf an zusätzlichem Wohnraum. In der Gegend Guisanplatz/Wankdorf werden neue Arbeitsplätze geschaffen», heisst es.
Das NPZ – ehemals Depot und EMPFA – wäre von einer solchen Überbauung betroffen. Denn der Paddock mit dem Springgarten würde massiv verkleinert. Zwar wurde der Mietvertrag zwischen der Burgergemeinde und dem NPZ 2019 bis Ende 2026 verlängert. Aber der verkleinerte Paddock würde, auch mit einem neuen Vertrag ab 2026, den Betrieb des NPZ essenziell einschränken. Heute wird der Paddock von Reitern und Pferden täglich benutzt. Sowohl im Springgarten wie daneben auf dem Dressurviereck finden immer wieder reitsportliche Veranstaltungen statt, so zweimal die Dressur-EM der Jungen Reiter und Junioren. Auch für die vielfältige Ausbildung von Lehrlingen und für die Durchführung von Kursen ist der heutige Paddock unabdingbar.
Nun gibt es ernstzunehmende Stimmen, die meinen, dass das NPZ nicht unbedingt in der ehemaligen EMPFA operieren muss. Ein alternativer Standort ausserhalb einer Stadt sei doch eine bessere Lösung: mit grosszügigeren Anlagen und mehr Land. Aber dieses Argument ignoriert die Erhaltungswürdigkeit des gesamten Komplexes als lebendiges Denkmal der grossen pferdesportlichen Vergangenheit der Schweiz.

Patriotische Pflicht

Alles zusammengenommen: die angekündigte Teilüberbauung der Grünflächen sowie das Verbleiben oder der Wegzug des NPZ von der Papiermühlestrasse muss man im Hinblick auf die Erhaltung des ganzen Komplexes sehen. Es geht um ein einmaliges Erbe der Schweizer Geschichte, das als Kulturerbe erhalten werden muss. Als Ganzes: Vom Springgarten beim Rosengarten bis zur Kuranstalt am Guisanplatz. Die ganze Anlage ist, abgesehen von ihrer wichtigen Stellung in der Geschichte des Schweizer Militärs, die bedeutendste Erinnerung an die Schweizer Kavallerie und die grossen Erfolge der Schweizer Reiter und Fahrer im letzten Jahrhundert. Dies zu erhalten ist eine selbstverständliche patriotische Pflicht gegenüber unseren Nachkommen.
Bereits beim Bau des Pentagon um 1977, des heutigen Hauptquartiers des Schweizer Militärs an der Papiermühlestrasse, wurden Gebäude der damaligen EMPFA abgerissen, und zwar zwölf Ställe und eine der drei Reitbahnen. Ich erinnere mich, dass anlässlich einer Zusammenkunft um 1977 mit dem EMPFA-Fahrer Gustav A. Frey (der erste Schweizer Fahrer beim CHIO Aachen 1957), er mir mit Tränen in den Augen Fotos der abgerissenen Ställe zeigte. Umso wichtiger ist es, dass die verbleibenden Gebäude mit fünf Ställen, zwei Reithallen, dem Werkstattgebäude, der grossen Wagenremise und der Kuranstalt erhalten bleiben.

Geschichte seit 1890

Die Geschichte von Depot, EMPFA, NPZ geht auf das Jahr 1890 zurück. Es war in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts, als der damalige Oberinspektor der Kavallerie, Ulrich Wille (der spätere General im Ersten Weltkrieg), den Antrag stellte, in Bern ein «Centrales Remontendepot» zu erstellen. 1890 fand die Eröffnung statt, mit 4 «Baracken» als Ställen (die Nr. 1 bis 4). Von 1904 bis 1908 wurden, nun mit Backstein, neun weitere Ställe gebaut (die Nr. 5 bis 13) und schliesslich 1923/24 die Ställe Nr. 14 bis 17. Dies war der Bestand bis 1977. 1907 wurde die Reitbahn 1 erstellt, 1928 die Reitbahn 2 und 1941 die Reitbahn 3. Das Werkstattgebäude mit Schmiede, Sattlerei und Wagnerei kam 1927, die grosse Wagenremise 1932.
Heute ist das NPZ ein Dreiklang von Natur, eine eigentliche Biodiversität, mit lebenden Tieren und Museum. Das Letztere allerdings in noch bescheidenem Rahmen, mit der Kutschen- und Geschirrsammlung und dem Museum mit den Medaillen und anderen Erinnerungsobjekten der einstigen Dressurgrössen Henri Chammartin und Gustav Fischer. Mit den Grünflächen des Paddocks, dem Reitbetrieb des NPZ und den noch ausbaufähigen Museumssammlungen wäre das Areal ein wunderbares Naherholungsgebiet und ein Pilgerort für Pferde und Pferdesportbegeis­terte aus aller Welt!
Neben den drei erwähnten Sammlungen (Kutschen, Geschirr, Bücher, Medaillen etc.) in der Wagenremise des NPZ gibt es in der Schweiz über ein Dutzend weitere Sammlungen, die meis­ten von der Öffentlichkeit kaum beachtet. In Bezug auf die Kutschen sind es die grossartigen Sammlungen des verstorbenen Robert Sallmann in Amriswil und die vor wenigen Jahren in Rothenburg eröffnete Sammlung von Franz Knüsel. Dann gibt es die Kutschen im Eidgenössischen Gestüt in Avenches sowie private Sammlungen von Markus Jedele in Winterthur, Walter Gasser in Hallau und Toni Meier in Oberrohrdorf.
An generellen Pferdemuseen sei in erster Linie das Schweizer Pferdemuseum in der Scheune von Schloss La Sarraz erwähnt. Dann das von Ueli Lehmann betreute Kavalleriemuseum der Schwadron 72 in Aarau und das Armeemuseum in Thun, wo bis 1950 die Eidgenössische Pferderegieanstalt zu Hause war. Dann gibt es die pferdesportlichen Sammlungsstücke des einstigen, 1945 gegründeten Schweizerischen Sportmuseums in Basel – 2018 wegen Geldmangel geschlossen. Diese Werke aus Basel sind heute durch Vermittlung des SVPS in La Sarraz. Schliesslich die beiden wunderbaren Privatsammlungen von Paul Weier in Elgg und von William de Rham in La Garance.

Erweitertes Museum

Man könnte Teile dieser Schätze, die in Museen lagern, die in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt und grossmehrheitlich unterfinanziert sind, in einen zentralen Schau in einem erweiterten Museum im NPZ zusammenführen. Dabei wäre es denkbar, die Sammlungen von Paul Weier oder von William de Rham unverändert als Gesamtes in separaten Räumen innerhalb des NPZ Museums zu zeigen.
Es wäre zweifellos auch lohnenswert, sich aktiv um museumswürdige Stücke bei den Reitern und Fahrern und deren Familien zu bemühen. Ich erinnere mich, wie glücklich Söhne und Töchter früherer Reitergrössen waren, als ich – beim Schreiben eines neuen Buches – mich bei ihnen meldete: Fotoalben, Bücher, Zeitungsausschnitte, Ehrenpreise wurden mir präsentiert.
Bleibt die bisher in Bern ignorierte Kunst. Die Schweiz hatte in Iwan E. Hugentobler (1886–1972) einen der bedeutendsten Pferdemaler der Kunstgeschichte. Dazu mit Hugo Laubi, Max de Rham, Hans E. Bühler oder Hans Erni weitere Künstler, die im 20. Jahrhundert mit Pferdemotiven bekannt wurden. Nicht zu vergessen die Schweizer Malergrössen früherer Jahrhunderte, wie Jacques Agasse, Frank Buchser oder Rudolf Koller, und die heutigen Pferdemaler. Deren Werke verdienen es, im Rahmen einer Gesamtdarstellung des Pferdes und des Pferdesports gezeigt zu werden. Deren Arbeiten sind heute in Museen, in Privatsammlungen oder sind noch im Familienbesitz früheren Kavalleristen, die sie zum Teil als Ehrenpreise an Springkonkurrenzen gewonnen haben. Aber mit einigem Aufwand könnte man eine repräsentative Auswahl zur Ausstellung im NPZ zusammenbringen.

«Hall of Fame»

Eine weitere publikumswirksame Nutzung könnte eine «Hall of Fame» des Schweizer Pferdesports sein. Solche Ehrenhallen wurden in den USA erfunden und es gibt dort solche praktisch für alle Sportarten. In Europa, in der Schweiz, sind sie kaum vorhanden. Dabei ist es unbestritten, dass sie in den USA einen wesentlichen Anteil an der Popularität der betreffenden Sportart haben. Der Schweizer mag den Personenkult ablehnen. Aber auch hier waren es Ferdi Kübler, Freddy Bickel, Bibi Torriani, Bernhard Russi oder jetzt Roger Federer, die einen wesentlichen Anteil am sportlichen Interesse einer breiten Öffentlichkeit haben.
Alle diese Initiativen, Projekte und Pläne brauchen Trägerschaften. Dazu infrage kommen die bestehenden Organisationen wie der SVPS oder andere mit dem Pferd verbundene Verbände. Noch wichtiger sind die Neugründungen, die sich der Planung, der Organisation und der Finanzierung eines Projekts annehmen.
Schön wäre es, wenn sich die noch lebenden Vertreter der schweizerischen Pferdesportgeschichte wie Hans Britschgi, William de Rham oder Paul Weier engagieren würden. Mit ihnen die Nachkommen der grossen Reiter, der Blaser Bühler, Fehr, Haecky, Koechlin. Mange, Mettler, Musy, Mylius, Sarasin, Schwarzenbach, Stoffel und weitere.
Mit den 77000 Quadratmetern Grünfläche, dem lebendigen Betrieb des Nationalen Pferdezentrums mit seinen 250 Pferden und einem umfassenden Museumsangebot wäre das zu schaffenden Kulturerbe ein Bijou für die Berner, die Schweizer und für internationale Besucher.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 43/2021)

[...zurück]