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Max E. Ammann
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Standpunkt

Deutschlands Springgoldmedaille von 1972

23.06.2017 10:43
von  Max E. Ammann //

Die Strässchen und Wege um den Turnierplatz auf dem Maimarkt in Mannheim tragen die Namen von verstorbenen deutschen Spitzenreitern: Josef Neckermann, Hermann Schridde, Hartwig Steenken, Fritz Ligges und Gerd Wiltfang. Es ist eine schöne Ehrung dieser grossen Reiter – alles olympische Goldmedaillengewinner – aber auch eine Erinnerung an die olympischen Reiterspiele von 1972 in München, als drei dieser fünf Reiter, zusammen mit Hans Günter Winkler, im Olympiastadion Mannschaftsgold gewannen.

Die Namen Steenken, Ligges und Wiltfang we­cken nicht nur wegen des Goldmedaillengewinns Erinnerungen. Fast noch gegenwärtiger ist der Hickhack um die Olympiaselektion, mit Wonne ausgetragen in Deutschlands Sportpresse, die sich damals, vor 45 Jahren, weit mehr für den Pferdesport interessier­te als heute.
Das Ganze begann mit dem Fall Hugo Simon. Der erst kürzlich als 75-Jähriger vom grossen Sport zurückgetretene geborene Deutsche hatte mit Fair Lady eine Spitzenstute. Die deutschen Verbandsoberen schauten mit Begierde auf das Pferd – aber den Reiter, der damals vor allem in der «Reiter Revue» seines unorthodoxen Reitstils wegen angegriffen wurde, wollten sie nicht. So erinnerte sich Hugo Simon seiner österrei­chischen Grossmutter und ritt in der Folge für Österreich. In München wurde er, obwohl er auf seine Wunderstute verzichtete und den Schimmel Lavendel ritt, als Vierter gleich gut platziert wie der beste Deutsche.

Alle gegen Winkler

Auch ohne Simon blieben im deutschen Kandidatenangebot noch immer solche Springstars wie Hermann Schridde, Kurt Jarasinski, Alwin Scho­ckemöhle, Hartwig Steen­ken, Fritz Ligges, Gerd Wiltfang und, na­türlich, Hans Günter Winkler – Olympiasieger von 1956, und 1956, 1960, 1964, 1968 fünffacher Olympiamedaillengewinner, davon viermal Gold. Es waren sechs relativ junge Reiter (vier 34- res­pektive 35-Jährige sowie einer von 31 und einer von 26 Jahren). Dazu der 46-jäh­rige Winkler.
Gegen den Altmeister formierte sich eine Abwehrfront: «Alle gegen Winkler» war der Tenor. Las man in deutschen Zeitungen, hatte man das Gefühl, niemand wolle HGW in der Münchner Equipe. Beim CHIO Aachen kam es zum Show­down; genauer gesagt im Grossen Preis am Schlusssonntag. Die triumphale Schlussgeste Winklers nach dem letzten Sprung gegen das Richter- und Pressehaus bleibt in Erinnerung; mit einem Nullfehlerritt wurde Winkler Grand-Prix-Zweiter hinter dem Brasilianer Nelson Pessoa. «HGW» war in der Olympiaequipe!

Wiltfang, Steenken und Ligges

In München-Riem durften nur die drei «Jungen» im Einzelspringen antreten: Der haushohe Favorit, Gerd Wiltfang mit Askan, enttäuschte als 16.; Steenken und Ligges wurden immerhin Vierte respektive Achte. Im Olympiastadion acht Tage später (wegen des Anschlags auf die israelischen Athleten fand das Mannschaftsspringen erst am Montag statt) gewannen dann die Deutschen – allerdings mit dem kleinstmöglichen Vorsprung: 32 Fehlerpunkte gegen 32 1/2 für die US-Amerikaner. Die Schweiz wurde mit 61 1/2 Fehlerpunkten Fünfte. Ligges (auf Robin) mit 4+4, Wiltfang (Askan) mit 8+4 und Steenken (Simona) mit 4+8 ritten erfolgreicher als Winkler mit zweimal acht Fehlerpunkten.
Hans Günter Winkler wird am 24. Juli 91 Jahre alt, als Einziger noch Lebender der Goldequipe von München: Am 10. Januar 1978 starb Hartwig Steenken 47-jährig an den Folgen eines Autounfalls als Beifahrer. Er lag ein halbes Jahr im Koma. Fritz Ligges starb am 21. Mai 1996 als 57-jähriger an einem Herzinfarkt und Gerd Wiltfang folgte am 1. Juli 1997, 51-jährig, nach plötzlichem Herzstillstand. Zwei weitere der München-Kandidaten sind verstorben: Hermann Schridde stürzte am 18. Mai 1985 mit seinem Sportflugzeug ab. Er war 47 Jahre alt. Kurt Jarasinski starb 2005 67-jährig.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 24/2017)

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