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Max E. Ammann
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Standpunkt

Die 50er-Jahre

27.01.2015 09:59
von  Max E. Ammann //

Beim kürzlichen Concours Hippique in der Genfer Palexpo Halle traf man Susanna Spalletti Trivelli, die ältere Tochter von Raimondo d’Inzeo, dem im November 2013 verstorbenen Spring Olympiasieger von 1960. Man erinnerte sich gemeinsam an Raimondo, der auch zweimal Weltmeister war, und an seinen fast zur gleichen Zeit verstorbenen älteren Bruder Piero – seinerzeit ebenso erfolgreich wie Raimondo.

Man war sich einig, wie unterschiedlich die beiden Brüder waren: Der eine Polizist bei den Carabinieri, der andere ­Kavallerieoffizier. Raimondo, 1925 geboren, der Carabinieri, war der absolute Pragmatiker, Piero, 1923 geboren, der Dogmatiker. Man erinnerte sich an einen CSIO in Aachen, so um 1969, als Piero seinen verweigernden Red Fox keinen Meter vorwärts brachte. Es passierte vor dem Presseturm und bald hörte man von einem Journalisten den Kommentar, dass Raimondo mit pragmatischen Mitteln das Problem bald gelöst hätte.
Bei diesem Genfer Gespräch ging es um die 50er- und 60er-Jahre, als die Brüder d’Inzeo zu den ganz Grossen im internationalen Spring­sport gehörten. Man erinnerte sich, dass damals, vor allem in den 50er-Jahren, die absolute Weltspitze äusserst schmal war und, mit den Brüdern d’Inzeo, aus einem halben Dutzend Reitern bestand: Dem Franzosen Pierre Jonquères d’Oriola, den Deutschen Hans Günter Winkler und Fritz Thiedemann, dem Spanier Francisco Goyoaga sowie den Brüdern d’Inzeo. Dazu kam, als klar dominierende Amazone, die Britin Pat Smythe. Wer kann sich noch an diese glorreichen Jahre erinnern?
Sportgrössen, es sei denn sie bleiben mit Nachfolgetätigkeiten im Geschäft, wie der Fuss­baller Pele oder Bernhard Russi, werden schnell vergessen. Dazu eine Anekdote von zirka 1978, die beiden d’Inzeos betreffend. Es war eine Siegerehrung beim damals bedeutenden Hallenturnier von Brüssel. Nebeneinander, als Dritter und Vierter, sassen David Broome und der damals knapp 20-jährige Franke Sloothaak auf ihren Pferden. Am Ende der Reihe, als Siebter und Achter, die Brüder d’Inzeo. Kurz vor der Gratulationstour dreht sich der junge Franke zum älteren Broome mit der Bemerkung: «David, die beiden alten Herren in Uniform reiten gar nicht schlecht!»

Im Umbruch

Die 50-Jahre waren Jahre des Umbruchs: Noch bei den Olympischen Spielen von 1948 in London waren 41 der 44 startenden Springreiter Offiziere in Uniform gewesen. Die drei Zivilis­ten im roten Rock waren der französische Chevalier Jean d’Orgeix, der Niederländer Jaap Rijks (später Schatzmeister der FEI) und der italienische Graf Alessandro Bettoni.
1952, bei den nächstfolgenden Olympischen Spielen in Helsinki, waren weniger als die Hälfte der 51 Starter Offiziere in Uniform, darunter die chilenische Silber­equipe und der einzige Schweizer, Alexander Stoffel. In Deutschland, nach dem verlorenen Krieg, blieben die in den 30er-Jahren so erfolgreichen Spring-, Dressur- und Vielseitigkeits-Offiziers-Ställe Teil der Geschichte.
In den USA war die Kavallerie noch während des Zweiten Weltkrieges abgeschafft worden und nur ein Spezialbefehl von General Eisenhower erlaubte für 1948 noch US-Reiter in Uniform. 1952 waren es, unter Führung von Bill Steinkraus, lauter Zivilreiter, in schwarzen Röcken, notabene. In jenen 50er-Jahren gab es komplette Offiziersequipen aus Chile, Ägypten und Irland, dazu gemischte Teams aus Spanien, Italien, Frankreich, Portugal und aus der Schweiz.
In den 50er-Jahren wurden von der FEI Welt- und Europameisterschaften eingeführt. Um WM-Spring­ehren ritt man erstmals 1953 im Pariser Parc des Princes – um EM-Medaillen 1957 in Rotterdam. Dazu kamen, ebenfalls ab 1957, separate Springeuropameisterschaften für Ama­zonen. Im belgischen Spa holte sich in jenem Jahr Pat Smythe ihren ers­ten von vier EM-Titeln. Die damals erfolgreichste Amazone hielt auch bei den grossen CSIOs und CSIs mit den Männern mit. 1960 gewann sie den Grossen Preis von Luzern und 1962 das Hickstead Derby, beide Male mit Flanagan. Die Ehrenplätze hinter Pat Smythe belegten bei der ersten EM 1957 drei weitere Top-Amazonen: Giulia Serventi, Michèle Cancre und Anna Clement. Die letztere, die spätere Frau Gössing, war bei den ers­ten vier Amazonen-EM jedes Mal hoch platziert: nach Platz vier 1957 gab es 1958, 59 und 60 eine Silber- und zwei Bronzemedaillen.
Bei den bis 1974 nur den Männern vorbehaltenen WM und EM holten sich die eingangs erwähnten grossen Sechs den Löwenanteil an Titeln und Medaillen. Bei den fünf ersten Weltmeisterschaften, 1953 bis 1960, siegten Paco Goyoaga (1953) Hans Günter Winkler (1954 und 1955) sowie Raimondo d’Inzeo (1956 und 1960). Goyoaga war weiter einmal Zweiter und einmal Dritter, Raimondo 1955 Zweiter. Pierre Jonquères d’Oriola war dreimal im Pferdewechsel-Final (Zweiter 1954), Fritz Thiedemann zweimal im Final (Zweiter 1953) und Piero d’Inzeo einmal. Alles in allem belegten die sechs Grossen von 1953 bis 1960 14 der 20 Finalplätze.
Bei den Europameisterschaften gab es ähnliche Erfolge: Hans Günter Winkler, Fritz Thiedemann und Piero d’Inzeo holten sich die drei ersten Titel 1957, 58 und 59. Für Winkler gab es bis 1962 drei weitere Medaillen, ebenso für Piero d’Inzeo. Thiedemann war 1959 Dritter, hinter Piero d’Inzeo und Pierre Jonquères d’Oriola.

Vierbeinige Stars

Die Pferde waren damals so bekannt und so populär wie man es erst wieder Ende der 80er- anfangs der 90er-Jahren erlebte, dann mit Milton, Jappeloup, Big Ben und Walzerkönig. Raimondo d’Inzeos zwei Top-Pferde der 50er- und frühen 60er-Jahre waren Merano und Posillipo. Mit Merano wurde er Weltmeister 1956 und gewann zweimal den damals prestigeträchtigen GP von Rom. Mit Posillipo wurde Raimondo Olympiasieger 1960 in Rom. Seinen zweiten WM-Titel holte er sich 1960 mit Gowran Girl.
Piero d’Inzeos zwei Spitzenpferde jener Jahre waren Uruguay und The Rock. Mit Uruguay wurde Piero Europameister 1959, mit The Rock gewann er die Grossen Preise von Aachen, Rom und Luzern. Pierre Jonquères d’Oriola wurde 1952 Olympiasieger mit Ali Baba. Mit Voulette gewann er die Grossen Preise von Genf (1953) und Luzern (1954) und mit Arlequin den GP von Rom.
Francisco (Paco) Goyoaga wurde 1953 erster Weltmeister mit Quo­rum. Mit Fahnenkönig gewann der relativ früh verstorbene Paco Goyoage die Grossen Preise von Aachen und Genf (1957), mit Toscanella den Genfer GP (1955).
Hans Günter Winklers Spitzenpferd war natürlich die Stute Halla. Mit ihr wurde er Weltmeister 1954 und 1955 sowie Olympiasieger 1956 und gewann, unter anderem, den GP von Aachen und das Hamburger Derby. Mit Orient gab es einen zweiten Aachener GP-Sieg und mit Fahnenjunker siegte HGW 1958 in Luzern.
Fritz Thiedemann hatte den mächtigen Meteor, mit dem er 1958 Europa­meister wurde sowie den GP Aachen und das Hamburger Derby gewann. Weitere Derby-Siege für Thiedemann gab es mit Diamant, Retina und Finale; mit Godewind den GP-Sieg 1958 in Luzern.
Natürlich gab es damals neben den Grossen Sechs weitere äusserst erfolgreiche Spitzenreiter: Harry Llewellyn, der mit seinem Foxhunter unter anderem zweimal den GP auf der Halde in Luzern gewann. Dann die US-Amerikaner, mit Bill Steinkraus, Frank Chapot, George Morris und Hugh Wiley, die in den späten 50er-Jahren, geführt von Bert de Nemethy, solche Nationenpreise wie London (dreimal), Rom 1959, oder Luzern 1960 gewannen. Dann zwei iberische Offiziere: Den Portugiesen Henrique Callado mit Martingil und den Spanier Jaime Garcia Cruz mit Quoniam. Schliesslich den Argentinier Carlos Delia, der mit Discutido 1956 das Hamburger Derby gewann und 1960 mit Huipil WM-Zweiter wurde. Delia wurde später General und vertrat sein Land als Botschafter in europäischen Ländern.
In jenen 50er-Jahren gab es natürlich noch keinen Weltcup. Dieser wurde erst 1978 eingeführt. Auch der Turnierkalender war anders. Die Hallensaison umfasste nur eine Handvoll CSIs: Paris seit 1947 und Brüssel seit 1949, Berlin und Dortmund in der BRD sowie den Nordamerikanischen Fall Circuit mit Harrisburg, New York und Toronto.
Das heute bedeutende ’s-Hertogenbosch begann erst 1967 – das Weihnachtsturnier in der Londoner Olympiahalle 1972. Die heute unbedeutenden Wien und Ams­terdam wurden 1958 erstmals durchgeführt. Alle andern heutigen Grossturniere in der Halle wie Zürich, Stuttgart, Leipzig, Göteborg, Mechelen, Bordeaux oder Verona begannen viel später.
Genf, ebenfalls seit 1926 in der Halle, in den 50er-Jahren im alten, heute abgerissenen Palais d’Exposition, war damals ein CSIO, der abwechselnd mit Luzern den Schweizer Nationenpreis ausschrieb. Luzern und Genf gehörten zu den grossen CSIOs jener Zeit. Die Saison begann im April/Mai in Nizza und Rom, im Sommer folgten Aachen, London, Dublin, Rotterdam sowie die alternierenden belgischen Seebäder Ostende und Le Zoute.
Beim CHIO in Aachen, der damals noch neun Tage dauerte, gewannen übrigens von 1951 bis 1963 zehnmal die Grossen Sechs den Grossen Preis. Nur gerade 1958 siegten Magnus von Buchwaldt, 1960 George Morris und 1962 Alwin Schocke­möhle. Der Letztere bildete dann in den 60er-Jahren die neue Elite. Und zwar zusammen mit Hermann Schridde, David Broome, Harvey Smith, Graziano Mancinelli und Nelson Pessoa.
Die Schweizer schafften damals mit Paul Weier, Monica Bachmann, Max Hauri und Hans Möhr den Anschluss an die Spitze. Dies mit Nationenpreissiegen in Genf (1963), Luzern (1964 und 1968), Rom (1967) sowie ab 1969 viermal in Lissa­bon.
Individuell gab es in den 60er-Jahren Schweizer GP-Siege durch Hans Möhr auf Troll 1964 in Luzern, Paul Weier auf Junker 1966 in Rom, Monica Weier auf Erbach 1969 in Lissabon und, nicht zu vergessen, den Sensationssieg von Werner Weber auf Lansquenet 1963 im GP von Genf.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 3/2015)

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