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Max E. Ammann
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Standpunkt

Die guten alten Zeiten

10.04.2018 10:24
von  Max E. Ammann //

So gut waren sie auch wieder nicht, die alten Zeiten. Sie waren anders. Man fühlte sich geborgener in der Dorf- oder Quartiergemeinschaft, erlebte aber auch Neid, Missgunst und Eifer­sucht in einem Masse, wie es heute nicht mehr denkbar ist. In jener Zeit, in den Nachkriegs-40er- und 50er Jahren, gab es bis 1954 noch kein Fernsehen, keine Computer, die AHV entstand 1948 und die ersten Autobahnen wurden geplant.

Für die Sportbegeisterten gab es den «Tip», den «Sport» und die Nummer 64, um übers Telefon die letzten Sportresultate zu erfahren. Der «Sport» kos­tete am Kiosk beim Bahnhof 30 Rappen, genauso viel wie ein Cornetglace. Billiger war der Fünfermocken (Karamell). Dieser wurde allerdings immer kleiner, bis er, einige Jahre später, die alte Grösse erreichte, nun aber zehn Rappen kostete. Der «Tip» war eine illustrierte Sportwochenzeitschrift, mit der Sporttoto-Gesellschaft verbunden. Der «Tip» stellte schon vor vielen Jahren sein Erscheinen ein.

«Sport» auch für den Reitsport wichtig

Der «Sport» erschien dreimal wöchentlich. Die Montagnummer brachte die aktuellen Berichte vom Wochenende – am Mittwoch gab es vertiefte Kommentare und Analysen und in der Freitagausgabe die Vorschau aufs kommende Wochenende. Es war eine wunderbare Informationsquelle für die Sportinteressierten. Während meiner zehn Jahre als Auslandskorrespondent in New York von 1964 bis 1973 schrieb ich für den «Sport». Da ich auch Beiträge für die «Neue Zürcher Zeitung» verfasste, schrieb ich im «Sport» unter dem Pseu­donym Walter T. Schweizer. Bei Besuchen in der Schweiz lernte ich den legendären Chefredaktor Walter Lutz kennen und den Reitsportverantwortlichen Fridolin Luchsinger, der später als Chef­redaktor von Blick, Sonntagsblick, Schweizer Illus­trierte und Sonntagszeitung an die Spitze des Schweizer Journalismus kam. Um die Jahrtausendwende musste der «Sport» sein Erscheinen einstellen. Als ich zu jener Zeit den Zürcher Künstler Uwe Wittwer in seinem Atelier in der Staffelstrasse besuch­te, erkannte ich die Redaktionsräumlichkeiten des einstigen «Sport». Nachfolger von Fridolin Luchsinger als Pferdesportberichterstatter wurde Martin Born, heute beim «Tages-Anzeiger» vor allem am Velo interessiert.
Der «Sport» spielte auch für den Pferdesport eine wichtige Rolle. Ich erinnere mich, dass, es war wohl Mitte der 50er-Jahre, über eine nationale Military in Basel mehrspaltig auf der Frontseite des «Sport» berichtet wurde. Die für uns Thurgauer wichtigsten Pferdesportanlässe, das Osterspringen in Amriswil und die Pfingstrennen in Frauenfeld, waren gesamtschweizerisch beachtete Sportanlässe. Noch mehr natürlich die benachbarten St. Galler Pferdesporttage. Aber auch die kleineren Thurgauer Springkonkurrenzen in Berg, Egnach, Weinfelden oder Eschlikon wurden beachtet. Vor allem natürlich in der Thurgauer Zeitung, aber auch in den mehr lokalen Blättern, wie Thurgauer Volksfreund, Bote am Untersee oder Amriswiler Anzeiger. Für Ermatingen am Untersee, wo ich aufwuchs, war der Volksfreund im zehn Kilometer östlich entfernten Kreuzlingen weit wichtiger als der Bote vom Untersee, im ebenfalls zehn Kilometer westlich entfernten Steckborn.

Punktewertung, Pferdewechsel, Final

Die erwähnten Thurgauer Anlässe in Amriswil und Frauenfeld (zum Pfingst­rennen gehörte auch das Springen) waren deshalb so wichtig, weil sie zum Punktechampionat Kategorie S gehörten. Schweizermeister wurde bis 1956 der Reiter, der Ende der Sommersaison am meis­ten Punkte gesammelt hatte. 1957 bis 1959 wurde der Schweizermeistertitel in einem Pferdewechselfinal entschieden, ab 1960 kam es zur heutigen Formel. Durch diese Konzentration auf den Final ab 1957 verloren die einst hochgeschätzten Championatsplätze an Bedeutung – nun lieferten sie nur noch Qualifikationspunkte für den Final. Brugg, Morges, Yverdon, Schaffhausen, etc. litten auch darunter, dass die Schweizer Springreiter vermehrt ins Ausland fuhren und zu Hause fehlten.

Fahrsport, Military und Dressur

In den eingangs erwähnten eineinhalb Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg waren Fahrprüfungen Bestandteil vieler Springkonkurrenzen. In der Ostschweiz dominierte der St. Galler Jakob Ruckstuhl, der dann Ende der 60er-Jahre mit an vorders­ter Front stand, als unter Prinz Philips Führung 1970 der Fahrsport in die FEI aufgenommen wurde. In der Schweiz erlebte man zwischen 1955 und 1965 eine fast totale Abwesenheit von Fahrprüfungen als, nicht zuletzt als Folge der Mechanisierung der Landwirtschaft, kaum mehr Veranstalter bereit waren, Fahrkonkurrenzen auszuschreiben. 1965 wurde mit einem ersten nationalen Fahrturnier im solothurnischen Nennigkofen ein Neuanfang gemacht. Para­l­­lel mit dieser zehnjährigen Funkstille auf nationaler Fahrebene blieben auch die EMPFA-Gespanne zu Hause. Nach dem er­folg­reichen Start 1957 und 1958 in Aachen durfte erst wieder 1964 ein EMPFA-Viererzug ins Ausland.
In der Military dagegen erfreute man sich während dieser Jahre an grossen Schweizer Erfolgen. 1948, bei den Olympischen Spielen in London, die ich als neunjähriger «Schweizer Kavallerist»-Leser verfolgte, wurden die Schweizer Vierte in der Teamwertung. Drei Jahr später gewann Hasi Schwarzenbach in Badminton und weitere zwei Jahre später wurde er EM-Dritter. Dann kam die Silbermedaille bei der EM 1955 in Windsor – die vier Glücklichen zierten die Titelseite des «Schweizer Kavalleristen».
In der Dressur freute man sich über das Unteroffizierstrio Chammartin, Trachsel, Fischer, das in Nachfolge des Olympiasieges von 1948, Hptm. Moser, auch 1952 und 1956 Olympische Medaillen gewann. Alles in allem waren die Jahre von 1948, als ich begann, Zeitungen zu lesen, bis 1957, als ich den Thurgau verliess, eine interessante Zeit. Dass es in diesen Jahren auch einige Skandale gab, so das unsensible Abtun des Olympiagoldpferdes Hummer in der aufgelösten Regie in Thun oder der Ausschluss von Anton Bühler aus der Armee, trübte das Wohlbefinden wenig.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 14/2018)

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