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Max E. Ammann
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Standpunkt

Dr. Jacques Jenny und Hoist the Flag

06.10.2020 10:12
von  Max E. Ammann //

In der Geschichte der Amerikaschweizer gibt es einige Namen, die noch heute bekannt sind. Da war Louis Chevrolet, der in den USA eine Autofabrik gründete und dessen Eigenbau Chevrolet 1918 von General Motors übernommen und zu einer der populärsten Marken wurde. Bereits im 19. Jahrhundert wurden der Goldgräber und Gründer von Neu-Helvetien, Johann August Sutter und Albert Gallatin, langjähriger amerikanischer Finanzminister, bekannt.

Von Wirz bis Kübler-Ross

Eher berüchtigt war Henry Wirz, als Hauptmann Kommandant eines als Todeslager bekannt gewordenen konföderierten Kriegsgefangenenlagers während des Bürgerkrieges. Er war nur einer von zwei Südstaatlern, die wegen Kriegsverbrechen hingerichtet wurden. Henry Clay Frick gehörte in den Jahrzehnten der industriellen Revolution zu den «Robber-Baronen»: Mit dem verdienten Geld kaufte er eine grossartige Kunstsammlung zusammen. Sie kann heute als «Frick Collection» in New York bewundert werden.
Da war der Schaffhauser Ingenieur Othmar Ammann, der einige der berühmtesten Brücken Amerikas baute wie die George Washington Bridge oder die Verrazzano-Narrows Bridge. Dann der Fotograf Robert Frank und die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross. Schliesslich Ben Roethlisberger, gefeierter Quarterback im American Football. Der Letztere war allerdings kein in die USA ausgewanderter Schweizer, wie die zuvor Erwähnten, sondern ein Nachkomme von Auswandern. Nach der Änderung der amerikanischen Einwanderungspraxis in den 70er-Jahren sind Schweizer, die als Auswanderer in die USA kamen, rar geworden.

Tierarzt Jacques Jenny

Im Pferdesport war der wohl bedeutendste Amerikaschweizer der Tierarzt Jacques Jenny (1917 bis 1971). Er gilt heute als der Vater der orthopädischen Operation bei Pferden. Er entwickelte ein System, um Pferden ein sicheres Aufwachen nach einer Anästhesie zu ermöglichen. Bis dahin hatten operierte Pferde des Öfteren beim Aufwachen die reparierten Gliedmassen – so bei einem Beinbruch – derart belas­tet, dass es zu erneuten Brüchen kam. 1965 hatte Dr. Jenny in Philadelphia das heute führende «American College of Veterinary Surgeons» (ACVS) mitbegründet und war ihr erster Präsident. 1971 operierte er erfolgreich den Vollblüter Hoist the Flag, den damals besten Dreijährigen der USA nach einem Beinbruch. Die geglückte Operation wurde amerikaweit nicht nur in Rennsportkreisen bekannt – die «New York Times» widmete Dr. Jenny und Hoist the Flag mehrere Grossartikel.

Triple-Crown-Favorit

Hoist the Flag gewann als Zweijähriger alle sechs Rennen, die er bestritt (von einem wurde er wegen Behinderung disqualifiziert). Dies machte ihn zum Favoriten für die amerikanische «Triple Crown» (Kentucky Derby, Preak­ness Stakes, Belmont Stakes). Hoist the Flag hatte eine beeindruckende Abstammung. Sein Vater war Tom Rolfe, 1965 bester Dreijähriger, und Tom Rolfe stammte von europäischen Superstar Ribot ab. Hoist the Flags Mutter war Wavy Navy, eine Tochter von War Admiral, «Triple Crown»-Sieger 1937. War Admiral war seinerseits ein Sohn des grossen Man o’War. 1971, als Dreijähriger, gewann Hoist the Flag im März die beiden ersten Vorbereitungsrennen für die «Triple Crown», mit 15 respektive sieben Längen. Kurz vor dem wichtigsten Vor-Kentucky-Rennen, dem «Gotham Stakes», brach er das rechte Hinterbein. Er wurde von Jenny erfolgreich operiert. Aber die Rennkarriere war zu Ende. Er wur­de auf die bekannte Claiborne Farm in Kentucky gesandt, wo er bis zu seinem frühen Tod als Zwölfjähriger 254 lebende Fohlen «vaterte». Der bekannteste war Alleged, der 1977 und 1978 zweimal den «Prix de l’Arc de Triomphe» gewann.
Jacques Jenny starb einige Monate nach der Operation, am 20. November 1971, erst 54-jährig nach längerer Krankheit. In den USA wird sein Andenken hochgehalten. Die «Veterinary Orthopedic Society» offeriert alljährlich im Rahmen ihrer Jahresversammlung «Jacques Jenny Lectures», zu denen die bekanntesten Fachleute eingeladen werden.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 40/2020)

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