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Max E. Ammann
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Standpunkt

Harry de Leyer: «The Flying Dutchman»

14.09.2021 15:27
von  Max E. Ammann //

Vor einigen Wochen habe ich in der «PferdeWoche» über den wohl erfolgreichsten amerikanischen Profispringreiter, Rodney Jenkins, geschrieben. Nun ist die Rede vom dieses Jahr verstorbenen Harry de Leyer, ebenfalls Berufsspringreiter und Ausbildner. Nicht so erfolgreich wie Jenkins, aber in den 60er- bis zu den 80er-Jahren der wohl populärste Springreiter an der amerikanischen Ostküste.

Unorthodoxer Reitstil

Harry de Leyer, der am 26. Juni 2021 92-jährig starb, stammte aus den Niederlanden. Sein sehr unorthodoxer Reitstil – so gar nicht im Sinne des US-amerikanischen «Equitation Style» – brachte ihm den Namen «The Flying Dutchman». Wie fast gleichzeitig in Europa der Australier Kevin Bacon ging Harry bei jedem Sprung weit aus dem Sattel, auf dem er nach dem Sprung sicher wieder landete. Ebenso bekannt und geliebt wurde Harry de Leyer, dass er nach jedem Nullfehlerritt die Jagdmütze zog und in die Luft warf. Das war in den 60er-Jahren, als sich kein Reiter, weder in Amerika noch in Europa, getraute, nach einem geglückten Ritt Emotionen zu zeigen. Siegerehrungen zu Pferd zu jener Zeit waren schnurgerade ausgerichtet und glichen oft mehr einem Begräbnis als einer sportlichen Ehrung.

«Harry and Snowman»


Harrys bestes Pferd war Snowman, ein verbrauchtes Wagenpferd, das er für 80 Dollar vor dem Metzger rettete. Wie so viele Schimmel begeisterte Snow­man, mit dem «Showman» Harry de Leyer im Sattel, die amerikanische Pferdeöffentlichkeit. Über das gemeinsame Leben der beiden wurde ein Dokumentarfilm gedreht und ein Buch geschrieben. Der Film «Harry and Snowman», gedreht von Ron Davis, war ein grosser Publikumserfolg. Das Buch «The Eighty Dollar Champion. Snowman, the Horse That Inspired a Nation» wurde von Elizabeth Letts geschrieben.

Stolz auf die Flagge

Mir speziell in Erinnerung bleibt Harrys einziger Start im offiziellen Rock des USET, mit den «Stars and Stripes» auf dem Satteltuch, beim Weltcupfinal 1982 in Göteborg. Obwohl sich der amerikanische Verband (AHSA) und das «United States Eques­trian Team» in den 70er-Jahren öffnete, und auch Berufsreiter in die CSIO-Equipen aufnahm, blieben die von Bert de Némethy betreuten «Amateure» praktisch unter sich. Jenkins und später Bernie Traurig waren die prominentesten Profis, die es zu jener Zeit in die USET-Equipe schafften. Nicht aber Harry de Leyer. Für ihn blieb der 1978 ins Leben gerufene Weltcup der Springreiter, für dessen jährlichen Final man sich qualifizieren konnte.

Einmal am Final

Anders als in den meisten europäischen Ländern, wo eine Weltcupfinalteilnahme eine Angelegenheit des betreffenden qualifizierten Reiters war, koordinierte, ja, kontrollierte das USET die Teilnahmen der US-amerikanischen Reiter am Weltcupfinal. De Leyer qualifizierte sich als Achter der Ligawertung 1981/82 einmal für den Weltcupfinal: für den Vierten von 1982 in Göteborgs Scandinavium Arena. Er war 55 Jahre alt. Man erlebte kaum je einen Reiter, der stolzer war, die Flagge seines Landes auf der Jacke und dem Satteltuch zu tragen, als Harry de Leyer in jenen April-Tagen 1982 in Göteborg.

Sturz in der zweiten Wertungsprüfung

Die erste Prüfung im Weltcupfinal war erstmals Wertung C, also ein Zeitspringen. In dieser Prüfung hatte Jenkins mit Idle Dice an der WM 1974 in Hickstead als hoher Favorit die WM verloren. Dies passierte De Leyer nicht. Zeitgleich siegte er mit Melanie Smith und Paul Schockemöhle und führte damit in der Weltcupfinalwertung. Vor der zweiten Prüfung, Wertung A mit zwei Stechen, in der das Ziel eine Nullfehlerrunde in der Zeit war, zeigte sich Harry de Leyer erregter denn zuvor. Kaum ertönte das Startzeichen, preschte er los wie zu einem Sprint auf der Rennbahn. Nach 20 Metern kam das ers­te Hindernis. Das vom Tempo irritierte Pferd stoppte, De Leyer fiel runter. Mit einem weiteren hinteren Platz in der dritten Wertungsprüfung gab es für ihn bei seinem einzigen Weltcupfinalstart den 27. Schlussrang bei 32 Startern. Melanie Smith gewann mit Calypso den Weltcupfinal, Paul Schockemöhle wurde mit Akrobat Zweiter. Es war nicht mehr der legendäre Snow­man, den Harry de Leyer in Göteborg ritt. Snowman war Jahre zuvor in einer bewegenden Zeremonie während des CSIO New York im Madison Square Garden verabschiedet worden. In Göteborg ritt er Dutch Crown, eines der Handvoll Pferde mit dem Präfix «Dutch», mit dem er auf sein Herkunftsland hinwies.
Harry de Leyer war während vielen Jahren Ausbildner an der «Knox School». Die letzten Jahre verbrachte er in einen Altersheim in Virginia. Er hatte zwei Töchter, Chris­tine und Harriet.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 37/2021)

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