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Max E. Ammann
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Standpunkt

Nochmals das Streichresultat

21.01.2020 14:34
von  Max E. Ammann //

Der deutsche «St. Georg» hat in seiner Dezembernummer das «Streichergebnis» in den olympischen Mannschaftsprüfungen mit dem japanischen «Sayonara» verabschiedet. Japanisch, weil die neue, vom IOC verlangte und von der FEI akzeptierte Drei-Reiter-Regel pro Equipe nächstes Jahr an den Olympischen Spielen in Tokio erstmals seit Jahrzehnten wieder olympisch angewendet wird – und zwar in allen drei olympischen Disziplinen. Und in dieser Uniformität liegt die Hauptproblematik.

Reiter vs. Funktionäre


Beim kürzlichen Weltcupturnier in Helsinki habe ich mich mit Steve Guerdat und Martin Fuchs über die Problematik unterhalten – zwei  Tage später in einem längeren Gespräch mit FEI-Präsident Ingmar De Vos. Die Standpunkte der Reiter einerseits und der FEI andererseits stehen sich diametral gegenüber – die FEI ganz deutlich mit der Befürchtung, bei einem aktiven Widerstand gegen das IOC aus den Olympischen Spielen geworfen zu werden. Dass diese Gefahr durch das unentschuldbare Interview, das der kanadische Olympiasieger von 2008, Eric Lamaze, dem kanadischen Fernsehen gab: «Ich denke, wir Reiter sollten alle die Spiele boykottieren und sagen, wenn ihr das nicht ändert, kommen wir nicht» akuter geworden ist, scheint offensichtlich. Lamaze hat seine Meinung in der Zwischenzeit wieder geändert. Denn erst kürzlich erwarb er ein potenzielles Olympiapferd. Lamaze hat übrigens Erfahrung mit Nichtteilnahmen an Olympischen Spielen. Zwei Mal, 1996 und 2000, flog er kurz vor der kanadischen Olympiaselektion aus dem Kader – wegen Kokainmissbrauchs. Die Hauptproblematik der von der FEI akzeptierten IOC-Forderung nach drei Reitern ohne Streichresultat ist, dass die Regelung für alle drei Disziplinen gilt. Für die Dressur, wo Ausfälle äusserst rar sind, bringt das nun wegfallende Streichresultat keine Härtefälle, höchstens verhindert es den Start eines vierten Spitzenreiters der grossen Dressurnationen wie Deutschland oder die Niederlande.

Härtefall Concours Complet

Anders sieht es in der Military aus. Statistiken der vergangenen Olympischen Spiele zeigen Ausfallquoten (in Prozent) in der Mannschaftswertung von 79 (1928), 72 (1936), 65 (1948), 69 (1952) und 44 (1956), alles an Spielen, in denen nur drei Reiter pro Nation reiten durften. Ab 1960, mit vier Reitern pro Mannschaft mit einem Streichresultat, sank die Ausfallrate vorerst nur bescheiden in Rom auf 65 (1960 ), dann auf 25 (1964), 34 (1968), 34 (1972), 50 (1976), 19 (1984), 30 (1988) und 17 (1992). Ab 1996 erhielten ausgeschiedene Reiter 1000 Strafpunkte und so blieben praktisch alle Mannschaften in der Wertung. Diese Zahlen zeigen, wie wichtig der vierte Mann ist, oder, wie 2004 bis 2012, gar der Vierte und Fünfte, als eine Equipe aus fünf Reitern bestehen konnte. Das Springen bewegt sich zwischen diesen beiden Extremen Dressur und CC. Dazu kommt, dass der internationale Springsport weit mehr am Fernsehen und im Stadion verfolgt wird als die beiden anderen Disziplinen. Das bedeutet, eine differenzierte Lösung zu finden, die allen Gesichtspunkten möglichst gerecht wird.

Schwer verständlich

Auch in den olympischen Nationenpreisen gab es in den Jahren 1928 bis 1968, als eine Equipe nur aus drei Reitern bestand, Ausfälle. Einige, wie 1932, 1948 oder 1968, hatten ihren Ursprung in überforderten Parcoursbauern, die glaubten, bei Olympischen Spielen müssten die Anforderungen höher sein als in einem CSIO-Nationenpreis. Aber selbst bei einem adäquaten Parcoursbau, wie 1956 in Stockholm oder 1960 in Rom, hatten nur 50 res­pektive 33 Prozent der Dreierequipen sechs beendete Parcours. Seither sind ausgeschiedene Reiter seltener geworden. Dass im Interesse eines besseren Verfolgens einer Mannschaftsprüfung im Springen, sei es im Stadion oder vor dem Fernseher, Dreierequipen ohne Streichresultat vorzuziehen sind, ist wohl unbestritten. Die besten Grafiken im Fernsehen können die Schwierigkeiten des Verstehens des Ablaufs bei einem Streichresultat nicht verhindern. Aber dieses Interesse an einem leicht zu verstehenden Ablauf einer Mannschaftsprüfung ist nur eine Überlegung. Das Argument der Sprengung von Equipen zählt nicht, da seit den Spielen von 1960 ausgeschiedene Reiter einen Strafscore erhalten und die Equipe klassiert wird.

Fussball nicht gleich Reiten

Bleibt das Argument der Reiter und Equipenchefs, mit einem vierten Reiter die Möglichkeit zu haben, junge Reiter einzubauen, einem vierten Reiter die Möglichkeit zu geben, für sein Land zu reiten oder gewisse Risiken einzugehen. Man kann argumentieren, dass auch im Fussball seit einigen Jahrzehnten die Möglichkeit besteht, während des Spiels einige Spieler auszuwechseln, eine andere Art eines Streichresultats. Aber eben, beim Fussball muss nicht gerechnet werden, dagegen bei einem Nationenpreis! Beizufügen ist, dass es keine klassische Nationenpreisformel gibt. Als 1909 die beiden ersten Mannschaftsprüfungen ausgetragen wurden, ritten in der Olympiahalle in London drei Reiter pro Equipe hintereinander – einen Monat später im Freien in San Sebas­tian bestand eine Equipe aus fünf Reitern, die in der heute üblichen Reihenfolge ritten. Die heutige Formel: vier Reiter/drei zählen/zwei Umläufe, kam erst in den 30er-Jahren, als die 1921 gegründete FEI (die sich anfänglich nur um olympische Belange gekümmert hatte) sich den wildwuchernden internationalen Turnieren annahm. Den Generälen und Obersten, die damals die FEI führten, gefiel die Möglichkeit des vierten Reiters. In ihrem Berufsleben, der Vorbereitung auf die Entscheidungsschlacht, kann nach unentschiedenem Kampf die letzte Reserve den Sieg bringen. Und dem entsprach im Nationenpreis der vierte Reiter, der ein Streichresultat ermöglichte. Der damals beschränkte Einfluss der FEI zeigte sich allerdings in der Weigerung einiger nationaler Verbände, nicht zuletzt der USA und Kanada, diese 4/3/2-Formel anzuwenden. Im «Madison Square Garden» in New York wurde bis Ende der 60er-Jahre der Nationenpreis über einen Umlauf und mit drei Reitern ausgetragen.

Verschiedene Formate anbieten


Die Schlussfolgerung des Obigen muss sein, verschiedene Formate anzubieten. Dies ist im Pferdesport nichts Neues: Jahrzehntelang, bis zur Abschaffung des Pferdewechselfinals bei der WM, wurden die vier grossen Championate OS, WM, EM, Weltcupfinal nach vier verschiedenen Formeln ausgetragen. Für die Olympischen Spiele sind Dreierequipen in der Dressur vertretbar. Weniger im Springen und schon gar nicht in der Military. Bei den Nationenpreisen der CSIOs ausserhalb des nachstehend behandelten «Super League»-Niveaus sollten vier Reiter pro Nation, mit einem Streichresultat, erlaubt sein. Bleibt die «Superliga». Eine solche wurde 2003 eingeführt – mit acht bis zehn Equipen bei acht grossen CSIOs, mit Abstieg und Aufstieg in oder aus der nächstuntersten Liga. Einige Jahre später wurde die «Superliga» wieder abgeschafft. Ein Argument war, die «Superliga» sei ein «closed shop». Dies ist, mit anhaltendem Erfolg, auch die Formel 1. Die FEI wollte, nicht zuletzt unter dem Druck wechselnder Sponsoren, den Nationenpreis globalisieren. Für die oberste Liga wurde ein neues System eingeführt, mit einem aus dem Hut gezauberten Punktesystem und einem gegen jede Logik restriktiven Teilnahmesystem. Zu Saisonende folgt der sogenannte Final in Barcelona, wo sich die in Europa qualifizierten Topnationen gegen die überforderten Equipen aus fernen Ligen für den «Welt»-Final erneut qualifizieren müssen. Sollte diese Farce in absehbarer Zeit durch die Rückkehr der «Superliga» und entsprechenden B-Ligen ersetzt werden, so könnte man sich überlegen, in der «Superliga» mit Dreierequipen anzutreten. Dabei dürften die «Superliga»-Nationen, wie gehabt, bei allen acht oder zehn Spitzenturnieren starten, womit verhindert wird, dass, wie dieses Jahr in St. Gallen, statt der gewünschten grossen Nationen die Dänen und Norweger am Start sind.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 03/2020)

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