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Max E. Ammann
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Standpunkt

Olympiasieger Schweden

31.08.2021 11:21
von  Max E. Ammann //

Im Winter 1978/79 in Göteborg, an den Zusammenkünften, um die Organisation des ersten Weltcupfinals zu besprechen, waren sich die Anwesenden einig: Kein Schwede würde sich für diesen ersten Weltcupfinal in der Scandinavium Arena in Göteborg qualifizieren können. Anwesend bei diesen Sitzungen waren, neben dem Weltcupdirektor, Vertreter des schwedischen Pferdesportverbandes, des organisierenden Clarebergs Ridklubb, des Hallenbetreibers sowie Vertreter des Weltcupsponsors AB Volvo. Keiner der anwesenden Schweden fand das bedauerlich. Man wollte einen Weltcupfinal der Besten und zu diesen gehörten 1978 die schwedischen Springreiter nicht. Sie waren bestenfalls europäische Mittelklasse.
So ist es in der Retrospektive nicht verwunderlich, dass der spätere Paragraph 657.3 des Weltcupreglements nicht zur Diskussion stand. Dieser Paragraph wurde erst drei Jahre später eingeführt. Es gibt dem Veranstalterland eines Weltcupfinals das Recht, zwei nichtqualifizierte Reiter zu nominieren. Der Schwede Jan-Olof Wannius war so 1982 der erste nichtqualifizierte «home ­rider», der im vierten Weltcupfinal in Göteborg ritt – auf Platz 28 von 32 Startern.
Die wachsende Bedeutung des CSI-W Göteborg in den 80er-Jahren (in den Jahren, in denen der Weltcupfinal nicht im Scandinavium ausgetragen wurde, fand dort die letzte europäische Qualifikation statt) war eine grosse Motivation für die schwedischen Springreiter. Mit Peter Eriksson, Lennart Lindelöw, Royne Zetterman, Rolf-Göran Bengtsson und den Amazonen Ulrika Hedin, Maria Gretzer oder Lena Nilsson kamen in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre junge talentierte Reiter nach vorne. In den 90er-Jahren kam eine neue «Ernte»: Jens Fred­ricson und Pär-Ola Nyström sowie erneut eine grosse Zahl von Amazonen: Maria Bäckström, Anna Danielsson, Helena Persson, Helena Lundbäck, Rigmor Arvidsson und Malin Baryard.
In den 80er-Jahren blieben die Erfolge noch aus. Peter Eriksson mit den Plätzen 22 und 23 in zwei Weltcupfinals, hatte die besten Resultate. Peter Eriksson, der Bruder des Viererzugfahrers Tomas Eriksson, war der herausragende schwedische Springreiter jener Jahre. Man lobte sein stilvolles Reiten, bemängelte aber seinen fehlenden Siegeswillen. 1990 gewann Schweden den ers­ten Nationenpreis seit drei Jahrzehnten, 1992 bis 1995 kamen vier weitere Siege dazu. Darunter, als grosse Überraschung, der Triumph im Nationenpreis des CSIO Luzern 1994. Einer dieser fünf ers­ten Nationenpreise wurde von vier jungen Damen erritten.
Peter Ericksson platzierte sich 1991 als Zehnter und 1995 als Sechster im Weltcupfinal. An den Olympischen Spielen von 1992 in Barcelona wurde Maria Gretzer Sechste. Die schwedische Springreitersensation der 90er-Jahre aber war Malin Baryard. Als sie in der letzten europäischen Qualifikation vor dem Final von 1996 in Genf, im Scandinavium, aufs Podest ritt, hatte sie bei nur zwei Starts zuvor zu wenig Punkte für eine Finalqualifikation. Das Weltcupkomitee gab ihr spontan eine Wildcard, derer sie sich als würdig erwies. In Genf wurde sie mit Cormint Siebte.
Zur Blüte kamen die schwedischen Springreiter im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts. An den Olympischen Spielen von 2004 in Athen holte sich Schweden Teamsilber und 2008 in Hongkong gab es Einzelsilber für Rolf-Göran Bengtsson. Dann kamen etwas später der EM-Titel und zwei olympische Einzelmedaillen 2016 und jetzt 2021 für Peder Fredricson. Dies alles wird überstrahlt von der Mannschaftsgoldmedaille, die Malin Baryard, Peder Fredricson und Henrik von Eckermann in Tokio gewannen. Der heute so erfolgreiche Springreiter Peder Fredricson machte sein Olympiadebüt 1992 in Barcelona als Militaryreiter. Nach kaum erkennbarer Dressur (Platz 88 von 92 Startern) schaffte sich Peder Fredricson im Gelände und Springen noch auf Platz 14 vor.

Dressur, Fahren und CC

Als 1978 die schwedische Springreiterei auf dem Tiefpunkt war, konnten die Schweden in den anderen olympischen Disziplinen gewisse Erfolge verzeichnen. An den Spielen von 1972 in München gewannen drei Dressurdamen die Mannschaftsbronzemedaille und ihre Bes­te, Ulla Håkansson, wurde Einzelsechste. Der nur als Einzelreiter in der Military nach München entsandte Jan Jönsson gewann überraschend die Bronzemedaille. 1983 wurde die schwedische CC-Equipe Europameister in Frauenfeld.
Die schwedischen Viererzugfahrer gewannen ihre erste WM-Medaille 1984. 1998 wurde Christer Påhlsson WM-Zweiter, 1990 gewannen die Schweden gar beide WM-Goldmedaillen, Einzelgold für Tomas Eriksson und Mannschaftsgold.
Die Goldmedaille der schwedischen Springreiter Anfangs August 2021 in Tokio kam 109 respektive 101 Jahre nach den ers­ten grossen Erfolgen der schwedischen Reiter an den Olympischen Spielen von 1912 und 1920. In Stockholm und Antwerpen gewannen schwedische Offiziere acht der zehn Goldmedaillen und 14 der 30 total verteilten Medaillen in Springen, Dressur und Military. Danach ging es abwärts: Noch vier Medaillen 1924, je drei 1928 und 1932 und nur noch eine 1936 in Berlin. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es 1948 zwei Einzelbronzemedaillen in der Dressur und in der Military. Dazu die peinliche Disqualifikation der schwedischen Goldequipe in der Dressur: Sie hatten einen Unteroffizier – damals nicht olympisch startberechtigt – zum Offizier gemacht, dann nach der Rückkehr nach Schweden wieder zurückversetzt. 1952 und 1956 brillierten die schwedische Dressur- und Militaryreiter mit sieben der acht Goldmedaillen. Die Springreiter waren 1952 und 1956 chancenlos. 1972 kam der doppelte Medaillengewinn in der Dressur und der Military und dann der lange Marsch der schwedischen Springreiter an die Weltspitze.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 35/2021)

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