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Max E. Ammann
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Standpunkt

Von Gustav Rau und Berlin 1916

14.12.2021 07:39
von  Max E. Ammann //

In einem kürzlichen Standpunkt habe ich, im Zusammenhang mit den olympischen Problemen des Pferdesports, geschrieben, dass das olympische Pferdesportprogramm seit 1912 praktisch unverändert sei. Es sind die gleichen drei Disziplinen, Springen, Dressur und Military, die der schwedische Verantwortliche für Stockholm 1912, Graf Clarence von Rosen, ausgewählt hatte, als der Pferdesport erstmals auf dem Programm der Olympischen Spiele war (die FEI wurde erst 1921 gegründet). Geändert hat sich seither nur, dass es ab 1928 auch eine Mannschaftswertung in der Dressur gibt. Dazu kommt das unglückliche Hin und Her bei der Zahl der Mannschaftsmitglieder: 1912 bis 1924 jeweils vier in Springen und Military; 1928 bis 1956 jeweils drei in den drei Disziplinen; ab 1964 bis 2000 jeweils vier in der Military; noch bis 1968 drei im Springen, dann ab 1972 deren vier; bis 1984 drei in der Dressur, dann 1988 bis 2004 vier, dann wieder nur drei 2008 und 2012, wieder vier 2016; von 2004 bis 2012 fünf in der Military, dann 2016 nur vier; 2021 je drei in den drei Disziplinen.

«Vorläufige Ausschreibungen für die Kämpfe zu Pferde»

Dieser Tage kam mir wieder eine 64-seitige Broschüre unter die Augen: «Vorläufige Ausschreibungen für die Kämpfe zu Pferde» an den sechs­ten Olympischen Spielen Berlin 1916. Das Erstaunlichste daran ist eine Verdoppelung des olympischen Pferdesportprogramms: Je zwei Springen und Dressurprüfungen waren vorgesehen, und neben der Military noch ein Geländeritt. Diese Spiele von 1916 konnten, nachdem 1914 der Erste Weltkrieg ausgebrochen war, nicht durchgeführt werden. Als es zwei Jahre nach Kriegsende 1920 in Antwerpen wieder losging, ignorierte man die für Berlin geplante Erweiterung und beschränkte sich auf eine Wiederholung des Programms von 1912. Dabei blieb es. Das Programm der «Kämpfe zu Pferde» wurde von Gus­tav Rau entworfen. Der wohl bedeutendste Hippologe Deutschlands (1880 bis 1954) hatte die Olympischen Spiele von 1912 in Stockholm besucht und danach ein Buch geschrieben, das erste olympische Pferdesportbuch. Seine Kritik am deutschen Abschneiden führte bereits 1913 zur Gründung des Deutschen Olympischen Komitees für Reiterei, deren Generalsekretär Rau wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg förderte er die deutsche Warmblutzucht und die Gründung vieler ländlicher Reit- und Fahrvereine. 1933 wurde er Oberlandstallmeister der preussischen Gestütsverwaltung. 1936 war er für die Reitwettbewerbe der Olympischen Spiele in Berlin verantwortlich. Rau starb Ende 1954, nachdem er eine deutsche Springreiterequipe bei ihrem ers­ten Nachkriegsbesuch an den nord­amerikanischen Hallenturnieren begleitet hatte.

«Komitee für die Kämpfe zu Pferd»

Nachdem Berlin und Deutschland den Zuschlag für die sechsten Olympischen Spiele von 1916 erhalten hatte, wurde ein «Komitee für die Kämpfe zu Pferd» gegründet. Präsident war der Generalinspekteur der Kavallerie, General Georg von der Marwitz, erster Vizepräsident das spätere FEI-Bureau-Mitglied Graf Edwin von Rothkirch und Trach. Als Generalsekretär amtete Gustav Rau unangefochten. Von Stockholm 1912 übernahm Rau bei seinem Programm für Berlin 1916 die drei Disziplinen Springen, Dressur und Military mit Änderungen nur in der Military.
Für die Military 1916 sah Rau zwei Dressurprüfungen vor. Nach der Dressur am ersten Tag, dem Geländeritt (47 bis 57 Kilometer mit 15 Hindernissen) und der Steeple Chase (3000 Meter mit zehn Hindernissen) sowie dem Springen mit zwölf Hindernissen bis 1.40 Meter hoch und 4.50 Meter breit, sollte unmittelbar danach eine zweite Dressurprüfung folgen, dies zur Prüfung der Kondition. Die Bedeutung dieser zweiten Dressur wird unterstrichen durch die Koeffizienten: Ers­te Dressur = 1; Gelände = 3; Springen = 1; Zweite Dressur = 2. Die Reiter mussten Uniform ohne Waffen tragen, Zäumung: Kandare. Die Geländestrecke blieb bis zum Start geheim. Neben diesen nun klassischen drei olympischen Wettbewerben wollte Rau drei neue einführen.

Schulpferdeprüfung

Dies war gedacht als Dressurprüfung für Schulpferde mit den «High School Figuren» Pirouetten, Passage, Piaffe und Schulsprüngen, die bei der von Stockholm übernommenen Dressur nicht verlangt wurden. In seinen Ausschreibungen war Rau sehr explizit, was er von einem Schulpferd verlangte und was von einer Kampagne Pferd, wie er die Teilnehmer in der «Normaldressur» bezeichnete.
Auch Rekordspringen, wie es vor dem Ersten Weltkrieg bei allen grossen Concours populär war. Beginn bei 1.50 Meter. Ritt über 15 bis 20 Kilometer, mit 30 bis 40 Hindernissen bis 1.40 Meter hoch und fünf Meter breit. Zugelassen waren Herrenreiter (Amateure). «Professionals» waren ausgeschlossen. Als «Professionals» galten solche, die gewerbsmässig mit Pferden handelten, solche verliehen, ritten, arbeiteten oder arbeiten liessen. Dazu gehörten Besitzer und Angestellte von Tattersalls und zivilen Reitinstituten, Zirkusse und Pferdehandlungen. Teilnahmeberechtigt waren aktive Offiziere und Offiziere der Milizarmeen. Pferde durften nicht im Besitz von Profis oder einer Reitschule sein oder gewesen sein. Die Preise gehen an die Reiter, nicht an die Besitzer. Das Schiedsgericht besteht aus einem Deutschen als Präsident und je einem Mitglied der teilnehmenden Nationen. Für die beiden Dressuren und die Dressur der Military werden ausländische Richter aufgeboten. In den andern Prüfungen richten nur Deutsche. Das alles wurde bald zur Makulatur, man kann sagen glücklicherweise. Als 1920 in Antwerpen wieder olympisch geritten wurde, basierte man sich, mit einigen Änderungen, auf Stockholm 1912. Paris 1924 wurde dann bereits unter der Ägide der FEI durchgeführt.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 50/2021)

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