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Eng geladen und ohne Schutz vor Witterungseinflüssen auf einem argentinischen Transporter: Während der extrem langen Fahrt zum Schlachthof werden die Pferde weder gefüttert noch getränkt. Fotos: Tierschutzbund Zürich TSB
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Der eigentliche Pferdefleisch-Skandal

26.02.2013 10:29
von  Melina Haefeli //

Pferdefleisch – ein grosses Thema in den vergangenen Wochen. Aus dem Betrug am Konsumenten mit falschen Deklarationen von Fleisch aus dem Ausland wird ein Skandal der tierquälerischen Haltung von Schlachtpferden. Der «Kassensturz» vom Schweizer Fernsehen SRF deckte vor einer Woche anhand von Recherchen des Tierschutzbundes Zürich TSB eine schlimmere Tragödie auf als «nur» die Etiketten-Schwindeleien: Welche Qualen die Pferde ausstehen müssen, deren Fleisch in die Schweiz importiert wird und von den Anbietern und Importeuren aktiv und im vollen Ernst als tiergerecht, nachhaltig und ethisch korrekt beworben wird. Die aus­führliche Dokumentation dieser Recherchen liegt nun auch der «PferdeWoche» vor.

Was die Pferde vor ihrer Schlachtung durchmachen, bis sie in unseren Läden und Restaurants zum Verzehr angeboten werden, ist mehr als grausam. Vor lauter Etiketten-Schwin­del wurde vergessen, wie auch das richtig deklarierte Fleisch auf unseren Tellern landet. Diese Lücke schloss der TSB mit seinen umfangreichen Recherchen über die Pferdefleisch-Importe aus den USA, Kanada, Argentinien und Mexiko. Aus diesen Ländern stammt der gröss­te Teil des Pferdefleisches, das bei uns in der Schweiz angeboten wird. Wir können mit einheimischem Pferdefleisch lediglich acht Prozent des Bedarfs abdecken. Alle grossen Verteiler behaupten nicht nur, sondern werben auch noch damit, wie tiergerecht, nach­hal­tig und ethisch korrekt das Fleisch produziert wird. Die Produktionsbetriebe würden ausserdem «regelmässig kontrolliert». Leider geht es hierbei nicht um einen schlechten Witz. Denn nicht weniger als 90 Prozent des verarbeiteten Pferdefleisches in der Schweiz, rund 5000 Tonnen, kommt aus ausländischen Betrieben, in denen der Tierschutzbund Zürich TSB ausnahmslos tierquälerische Haltung fest­stell­te.

Qualproduktion bewiesen

Die Ergebnisse dieser Recherchen, die zwischen März und Oktober 2012 in den besagten Ländern vorgenommen wurden, sind einschneidend. Kontrolliert wurden Sammelstellen, Pferdeauktionen, Mast­an­lagen, Transporte, Grenz­übergänge sowie Schlachthöfe. «Es gibt keinen Ort, wo wir nicht tierquälerische Verhältnisse vorfanden», so Sabrina Gurt­ner, zuständige Projektleiterin bei TSB. «Weder Haltung, Transport und Umgang mit den Pferden noch deren Schlachtung entsprechen den EU-Richtlinien.» Obwohl viele Händler hierzulande behaupten, dass die Produktionsbedingungen den EU-Standards entsprechen, die den Schweizer Standards gleichwertig sind, haben sie aber keinen Einfluss darauf. Der Sortimentsmanager eines Gross­verteilers gibt gegenüber TSB sogar zu: «Für den ­internationalen Pfer­de­fleisch­markt sind die CH-Mengen ein Tropfen auf den heissen Stein. Somit wird für die Schweiz nichts an einer Ethik geändert, sowohl beim Transport wie auch bei der Schlachtung.»

Stark überfütterte «Mast-Pferde» in Pferchen einer Export-Firma in Kanada. Tausende von Pferden stehen und liegen in überfüllten und dreckigen Paddocks, ohne Unterstand und genügend Bewegungsmöglichkeiten.

In Schlacht- und Mastbetrieben sowie in den Sammelstellen, wo tausende von Pferden wochenlang ausharren müssen, geht es übel zu und her. Trotz EU-Zulassung werden die Tierschutzstandards bei weitem nicht erfüllt. Die Pfer­de, die ohne jeglichen Witterungsschutz in überfüllten und dreckigen Paddocks auf ihren Tod warten, sind noch die harmlosesten Bilder auf den Videoaufnahmen und Fotografien von TSB. Die Aufzeichnungen zeigen grau­sames Leiden: kranke, verletzte und sterbende Pferde, die sich selbst überlassen werden. Reglos herumliegende Pferde; eine Kolik mit Darmvorfall; eine gebärende Stute, die im Sterben liegt, weil ihr Fohlen, das bereits tot ist, im Geburtskanal stecken geblieben ist; Beinbrüche, die aus weiter Ferne nicht zu übersehen sind… Dies sind nur einige der Bilder der vor Ort dokumentierten Aufnahmen, die hängen bleiben und auf den Magen schlagen. Man kennt Vergleichbares zum Beispiel von Asien im Zusammenhang mit anderen Tieren. Doch Kanada? Ein Land, von dem man sich eine kulturell moderne und naturnahe Gesellschaft vorstellt? Das keineswegs unter Armut leidet? Von dort kommen gemäss «Kassensturz» die meisten Pferdefleisch-Importe.

Schlachtverbot der USA ein Problem

In den USA wurde 2007 ein Schlachtstopp für das edle Tier verhängt. Doch dieser Entscheid hat den Pferden wohl mehr geschadet als geholfen. Sie finden ihren Tod im benachbarten Ausland wie Kanada oder Mexiko und müssen Schlachttransporte unter katastrophalen Bedingungen durchstehen. Denn immer noch 60 Prozent der Pferde, die in Kanada geschlachtet werden, stammen aus den USA; in Mexiko sind es sogar 80 Prozent.

«Unser Filmmaterial beweist, dass die Pferde auf tierquälerische Weise transportiert werden. Bei den Verladungen werden sie mit Stöcken geschlagen oder von Hunden gebissen. Verletzte und kranke Tiere werden nicht medizinisch versorgt und auch transport­unfähige Pferde werden verladen», erzählt Sabrina Gurtner. Die Lastwagen haben teilweise kein Dach – die Tiere sind stunden- bis tagelang der Hitze oder Kälte ausgeliefert, sind so zusammengepfercht, dass sie von Artgenossen zu Tode getrampelt werden. «Wir zählten bis zu 35 Pferde pro LKW.» Die Vorschriften für die Länge der Transporte sind miserabel: In den USA dürfen Pferde bis zu 28 Stunden, in Kanada und Argentinien gar bis zu 36 Stunden ohne Wasser, Nahrung oder Ruhepausen transportiert werden. Völlig erschöpft, verletzt oder tot kommen sie im Schlachtbetrieb an, wo sie unter Umständen noch­mals Wochen bis zur Schlachtung verharren müs­sen.

Zertifizierung auf Schlachtung beschränkt

Um in die Schweiz oder in EU-Länder zu exportieren, müssen die Schlachtbetriebe im Grunde zwei Kriterien erfüllen. Die Zulassung bezieht sich lediglich auf die Schlachtung und auf die Sicherheit des Fleisches bezüglich Lebensmittelhygiene und Rück­stände, die für Menschen gesundheitsschädlich sind. Die Bestimmungen zur Haltung vor der Schlachtung oder zu Schlachttransporten haben ausserhalb der EU keine Bedeutung. Trotz EU-Zulassung zeigen Aufnahmen, dass nicht einmal die Schlachtung mit rechten Dingen zu und her geht: Viele Pferde werden fehlbetäubt und müssen mehrfach geschossen werden, bis sie bewusstlos sind. Teilweise gibt es keine für Pferde konzipierten Be­täubungsboxen. Blutverschmierte und rutschige Böden sowie der Einsatz von Elektrotreibern, Peitschenschläge auf den Kopf oder zwei Pferde zusammen in der Betäubungsbox wurden mehrmals gesichtet und dokumentiert.

Thomas Jemmi, Stellvertretender Direktor des Bundesamtes für Ve­te­ri­när­we­sen BVET, schildert: «Für eine tierschutzgerechte Schlachtung gilt es, dass der anwesende Tierarzt das Pferd bereits bei der Ankunft im Schlachthof begutachtet, ob die Transportbestimmungen erfüllt wurden und ob das Pferd in einem guten körperlichen Zustand ist. Auch wird beobachtet, ob es Verhaltensauffälligkeiten zeigt.» Währenddem das Tier von der Wartebucht zur Tötebucht geführt wird, müsse es so ruhig und naturgemäss wie möglich ablaufen. «Eine Schlachtung darf das Tier weder in Hektik noch in Leiden versetzen. Zum Antreiben darf es nicht mit Schlägen versetzt werden und elektrische Treibhilfen sind ebenso verboten. Zum Zeitpunkt der Schlachtung gilt, dass jedes Tier ordnungsgemäss be­täubt wird. Die Betäubung muss sofort einwirken. Bei Pferden geschieht das mit einem Bolzenschuss, wobei der Bolzen den Schädel durchschlägt und ins Hirn eindringt.» Bei richtiger Ausführung sei das Tier sofort bewusstlos – ohne Schmerz oder Angst. Das anschliessende Ausbluten-lassen, was zum eigentlichen Tod führt, muss sogleich erledigt werden. «Mit der EU-Zertifizierung wird genau dieses Vorgehen verlangt und anhand von Zeugnissen bestätigt.»

Auf die Importeure zugehen

Es ist äusserst problematisch, dass sich die EU-Zulassung auf die Schlachtung, nicht aber auf die Haltung oder die Transportwege bezieht. Doch wie können wir diesem Treiben entgegenwirken? Leider ist es nicht einfach bis fast unmöglich, das Leben vor der Schlachtung und die Transporte miteinzubeziehen. «Das Grundprinzip der Welthandelsorganisation ist der freie Handel ohne Grenzen. Es gibt gewisse Ausnahmen, bei denen sich ein Land vor Importen schützen kann, sofern man ein gerechtfertigtes Interesse geltend machen kann», führt Jemmi aus. Doch ein «gerechtfertigtes Interesse» sei eigentlich die Gesundheit von Mensch und Tier. Wobei es beim Tier in erster Linie um die Einschleppung von Seuchen und Krankheiten gehe. Der Tierschutz sei von der WTO (World Trade Organization) kein berechtigter Grund, um Importe eines Landes zu untersagen. «Das Lieferland könnte die Schweiz deswegen sogar verklagen.» Den Tierschutz in diese Regeln aufzunehmen, versuche die Schweiz und auch die EU seit Jahren zu ändern. Doch es brauche die Mehrheit aller Staaten der Welt und dies sei innert nützlicher Frist nicht zu erreichen. «Wir sind darauf angewiesen, dass unsere Importeure sich ihrer Selbstverantwortung bewusst sind und diese auch leben. Sie müssen das liefern, was die Konsumenten wollen», so Thomas Jemmi weiter. Er und das BVET sind lösungsorientiert, doch «die­se Dinge passieren in Ländern, wo wir keinen direkten Einfluss auf die Tierschutzgesetzgebung haben. Aber wir können auf unsere Importeure einwirken. Wir brauchen nun zuerst einmal mehr Material, dass wir uns ein besseres Bild machen können.» Es könne ja in niemands Interesse sein, dass Fleisch aus solchen Verhältnissen in die Schweiz importiert wird. «Sobald wir ein Gesamtbild haben, werden wir natürlich auch das Gespräch zu den Ve­te­ri­när­ämtern dieser Länder suchen. Es kann ebenso nicht in ihrem Interesse sein, dass solche Tätigkeiten ausgeübt werden. Wir möchten den Tierschutz-Standard der Schweiz hochhalten und ihn auch in die Welt hinaus tragen. Im grösseren Sinn sehe ich das auch im Rahmen unseres Auftrags.»

Leider nicht die ersten Bilder

Eins steht fest: Nicht nur in Kanada, Mexiko, Argentinien und den USA wird unter dramatischen Umständen produziert. Pferde sind auch nicht die einzigen Tiere, die darunter leiden. Solche Bilder haben schon oft erschüttert und werden es auch immer wieder tun. Doch Fakt ist, dass unser Land Fleisch aus Qualproduktionen importiert und die Verteiler es anbieten, währenddem sie mit Nachhaltigkeit, Tiergerechtigkeit, Kontrollen und anderen Floskeln werben. Wenn wir direkt nicht helfen können, sollten wir wenigstens auf dieses Fleisch aus dem Ausland verzichten und es nicht in einigen Wochen wieder vergessen haben. Gemäss den Statistiken von Proviande, der Branchen­organisation der Schweizer Fleisch­wirtschaft, wird 80 Prozent unseres Bedarfs mit Schweizer Fleisch abgedeckt. Wenn man Geflügel, Kaninchen und Wild nicht berücksichtigt, da die Schweiz im Vergleich davon wenig hat, sind es sogar rund 90 Prozent. Während der Fleischkonsum bei allen Fleischarten ziemlich genau zweigeteilt ist auf Detailhandel und Gastronomie, ist beim Pferdefleisch die Gastro­nomie mit 60 bis 70 Prozent überschwänglich. Man sollte also auch die Deklarationen im Restaurant oder der Kantine beachten. Obwohl wir ja inzwischen wissen, dass auch Deklarationen nicht sicher sind.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 08/2013)

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