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Martin Atock.
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Die fliegenden Pferde

03.08.2016 15:55
von  Dieter Ludwig //

Bei sieben Starts heben die millionenteuren Olympiapferde von belgischen Lüttich aus nonstop nach Brasilien ab, wo eine eigene Zone geschaffen wurde vom ­Flughafen bis zu den Stallungen. Flugzeit jeweils knapp zwölf Stunden, über den Preis wurde nur so viel gesagt: sehr teuer... Der Ire Martin Atock ist der Chef über die «fliegenden Pferde».

Das erste «fliegende Pferd» war nach Erzählungen angeblich 1924 der Wallach Tony des damaligen Filmstars und Wes­ternreiters Tom Mix. Tony wurde von London nach Paris geflogen, wo der Cow­boyheld in verschiedenen Shows seine Künste zeigte. Der erste belegte Transport von Pferden – und zwar von Galoppern – wurde in England festgehalten, bis dahin war man zu den verschiedenen Rennen hingeritten. 1867 zogen Fuhrwerke erstmals Vollblüter von Newmarket nach Epsom, um sie ausgeruht am Start zu haben. Inzwischen werden Pferde in ein Flugzeug verfrachtet und teilweise um die ganze Welt geflogen.

Mit diesen Frachtflugzeugen sind die Vierbeiner nach Rio geflogen.

Marktbeherrscher und wahrlich ohne Konkurrenz ist das 1947 gegründete Unternehmen «Peden Bloodstock», zu den Gründern des Transportunterfangens gehörte auch Dr. Alex Atock. Chef-Manager der bis ins Detail durchorganisierten Pferde-Flugstaffeln ist inzwischen dessen Sohn Martin Atock (53). Ein Ire, sein Vater vertrat beim Weltverband (FEI) die Interessen der Veterinäre im Präsidium, jetzt verbringt er seinen Lebensabend in England, «weil dort Protes­tanten eher willkommen sind.»
Martin Atock war Mitglied der irischen Vielseitigkeits-Equipe der Junioren, bei einem Sturz zog er sich einen Bruch des Rückgrats zu. Er lag monatelang im Krankenhaus. Die Reitkarriere war beendet. 1988 stieg er bei «Peden Bloodstock» ein und ist inzwischen dort der Mann, der alle Fäden zieht, voller Passion, leise, er arbeitet präzise, wie das bekannte Schweizer Uhrwerk, er ist leidensfähig, geduldig, er baute das Unternehmen zu einem unantastbaren Weltkonzern auf (Stammkapital waren 300000 Deutsche Mark). Und er ist ­verschwiegen wie ein Grab. Vor allem über Kosten sagt er nichts. Geflogen oder transportiert werden Tiere jeder Art, nicht nur Pferde, auch Elefanten, über Land, durch die Luft oder über Wasser.
Mit seiner niederländischen Frau Inez van Tienhoven-Atock und den Kindern – Tochter Georgina reitet Springen – wohnt er auf dem ehemaligen Wasserschloss Leyenburg im Kreis Kleve am deutschen Niederrhein. Die Atocks erwarben das ziemlich heruntergekommene Kleinod – erste Erwähnung 1349 – vor 16 Jahren und restaurierten peu à peu die einzelnen Räume. Für ihre Bemühungen erhielten sie 2004 den Rheinischen Denkmalpreis. In einer Galerie sind Skulpturen von Dürer oder Raffel zu sichten. Nichts ist aufgesetzt, protzig. Das viele Grün, die Parkanlagen, dazu ein Reitplatz, müsste Martin Hamilton Atock stets an die heimatliche grüne Insel erinnern.

Lüttich mit eigenem Horse-Hotel

In diesem Jahr war Martin Atock bereits 380000 Flugmeilen unterwegs. Wenn er zurück ist, «verlasse ich mein Grundstück keinen Moment mehr, ich kenne jeden Baum, jedes Tier, rede mit den Enten und Gänsen. Das ist für mich Entspannung.» Für ihn als Spediteur begann die heisse Phase Olympia und Rio am 30. Juli. Mit ganz wenigen Ausnahmen ist das belgische Lüttich der Start- und auch später der Heimatflughafen nach den Spielen. Am dortigen Flugplatz wurde zusätzlich eine Art «Horse-Hotel» gebaut mit 55 Boxen, «damit die Pferde sich nach der Anfahrt ausruhen und vor dem Flug entspannen können», so der Ire.

 

Blick in die leere Frachtmaschine – wenn sie mit den Transportboxen befüllt ist, bleibt nicht mehr viel Platz.

Die Pferde kommen am Zielflughafen an.

Die verschiedenen Transportcontainer mit den wertvollen Vierbeinern werden mit viel Gefühl in das Flugzeug verfrachtet.

Zuerst wurden die Vielseitigkeitspferde nach Brasilien geflogen, darunter auch zwei Schweizer Pferde. Am 1. August folgten die Dressurpferde, dabei eines aus der Schweiz, und den Schluss bilden am 7. August die Springpferde mit den fünf Vierbeinern der Schweizer Equipe. Atock: «Pferde ähneln Menschen, sie leiden genauso unter einem Jetlag durch die Zeitverschiebung zum Beispiel. Deshalb ist es wichtig, dass sie sich an Bord wohlfühlen, sie erhalten vor allem viel Wasser, Stress soll vermieden werden.»
Für die Flüge wurden bei «Emirates» der Vereinigten Arabischen Emirate Maschinen des Typs Boeing 777 unter Vertrag genommen. Geflogen wird nonstop, Flugdauer laut Plan 11 Stunden und 40 Minuten. Insgesamt gehen bis auf ganz wenige Ausnahmen alle gemeldeten 320 Pferde auf den Trip nach Südamerika von Lüttich aus. «Das war noch nie der Fall, dass Pferde ohne Zwischenlandung direkt zu einem Grossereignis ­geflogen wurden», sagt Atock.

Mit der Eisenbahn tagelang unterwegs

Sönke Sönksen (GER) war genau elf Jahre alt, als er beim vierten Internationalen Turnier in Aachen 1949 – der erste CHIO von Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 1952 organisiert – als jemals jüngster Teilnehmer dort startete. Der spätere deutsche Meister und Team-Olympiazweite von 1976 erinnert sich, «dass die Anreise vom heimatlichen Meldorf in Schleswig-Holstein bis Aachen in einem Güterwaggon der Eisenbahn drei Tage dauerte.» Die Waggons seien an Personenzüge angekoppelt worden, «in einem Wagen waren zwischen zwei und sechs Pferde untergebracht, in der Mitte wurden Stroh, Heu, Sattelkis­ten deponiert, und wir Reiter sassen da auch». Aussen an den Waggons hingen Strohbüschel, «damit die Bahnbeamten wussten: Aha, da werden Pferde transportiert. So wurden beim Rangieren die betreffenden Waggons nicht einfach abgestossen, sondern ziemlich sanft auf andere Gleise geschoben.» Angekommen in Aachen, wurden die Pferde über Rampen entladen, gesattelt und durch die Stadt zu den einzelnen Bauernhöfen geritten, wo damals die Tiere untergebracht waren. Dabei hatte der Reiter meist noch ein weiteres Pferd an der Hand. Monica Weier, Ehefrau des inzwischen zu Recht legendären Paul Weier (Elgg), der einmalig in der Welt in allen drei Disziplinen – Springen, Dressur und Vielseitigkeit – Landesmeister war, sie selbst unter dem Mädchennamen Monica Bachmann eine der gröss­ten Springreiterinnen aller Zeiten, 1966 Vize-Europa­meisterin, 1967 und 1973 Dritte, kennt ebenfalls noch jene Zeiten mit der Eisenbahn: «Nach Gijon in Spanien brauchten wir sechs Tage. Wenn der Zugführer Hunger hatte, wurde einfach angehalten – und gegessen...»

Die Pferde wurden 1932 an den Docks in Los Angeles (USA) vom Schiff entladen (Bild oben), um für die Wettkämpfe im Olympiastadion bereit zu sein.

Alles nur noch Erinnerung. Das Tempo der Zeit hat auch den Reitsport mitgerissen. Undenkbar, Pferde per Schiff in andere Erdteile tage- oder gar wochenlang zu transportieren. Pferde als Flugzeugpassagiere sind inzwischen alltäglich. Und das Geschäft beherrscht unvergleichbar Peden-Bloodstock mit Martin Hamilton Atock. Er organisierte zum Beispiel die Pferdeflüge zu den Olympischen Spielen nach Montréal 1976, Los Angeles 1984, Seoul 1988, Barcelona 1992, Atlanta 1996, Sydney 2000. Hong­kong 2008, zu den Weltreiterspielen 2010 nach Kentucky, zu den Weltcupfinals der letzten Jahre, und er sitzt dick drin bei der Global Champions Tour mit Veranstaltungsorten in den USA und Mittelamerika. Und mit Atock fliegen auch die wertvollsten Galopper zu den ganz grossen Rennen auf dem Erdball.

«Fliegen für die Pferde angenehm…»
«Ist das Flugzeug erst einmal in der Luft, ist es durchaus angenehm für die fliegenden Pferde», sagt der bekannte Veterinär Dr. Björn Nolting (GER). Die Luft im Frachtraum sollte zwischen 17 und 18 Grad betragen, um Fieber zu vermeiden. Wichtig sei der Platz im Flugzeug. Wenn möglich, sollten die Pferde breit stehen, damit sie bei Schwankungen ihr Gewicht gut auspendeln könnten. Die auf Tiertransporte geschulten Piloten würden die Maschinen beim Landen nicht zu stark abbremsen, so Nolting, kritische Situationen könnten während eines Fluges entstehen «sollten Koliken, Fieber oder Panik auftreten». Bei Atocks Flugpa-
ket ist alles inbegriffen, natürlich sind an Bord ein Tierarzt und absolut geschulte Grooms.

Für die Grooms hat es nur wenige Sitzplätze.

Die Pferde stehen breit in ihren Boxen, die Bedingungen sind optimal. Das Flugticket pro Pferd – keine Angaben. Kaum unter 10000 Franken. «Die Kos­ten für die vier Equipenpferde der Springreiter übernimmt das Organisationskomittee in Rio, das Reservepferd übernimmt Swiss Olympic», so Evelyne Niklaus, die Delegationsleiterin der Schweizer Pferdesportler. Die Flugzeuge können zwischen 17 und 22 Paletten aufnehmen, auf jeder Palette, eine Art Spezialbox, stehen zwei Pferde, in Lüttich wird siebenmal gestartet. Dem diplomatischen Geschick von Martin Atock ist zu verdanken, dass die Pferde nach der Ankunft nicht in eine Quarantäne müssen.

Vor Ort in Rio werden die Pferde mit Lastwagen von Fritz Johannsmann auf das Gelände in Deodoro in einem separaten «quarantänefreien» Korridor transportiert.

Mit den massgeblichen Behörden handelte er einen Korridor aus, der für die Zeit der Spiele als neutrales Gebiet gilt. Nach der Landung in Rio werden die Pferde entladen und auf Transporter geführt. Dafür wurde das bekannte und erfahrene deutsche Unternehmen Fritz Johannsmann mit vier Fahrzeugen engagiert, das die wertvolle Fracht durch die neutrale Zone in die 28 Kilometer entfernten Stallungen fährt – und sie später nach den Wettkämpfen wieder zum Flughafen bringt. Die Rückflüge nach Europa sind terminiert auf den 12. August (Vielseitigkeitspferde), 17. August (Dressurpferde) und 22. August (Springpferde).

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 30/2016)

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