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Markus Jedele präsentiert seine Objekte in einer neuen
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Fasziniert von alten Kutschen und der Pferdepost

23.10.2018 12:51
von  Werner Schönenberger //

Markus Jedele erlebt den beruflichen Alltag als erfolgreicher Architekt in einer modernen Welt. In seiner Freizeit aber taucht er gerne in die Zeit ein, als das Pferd noch der Motor der Wirtschaft war. Seine Faszination ist dabei auf die Kutschen aus Winterthur und der Schweizer Pferdepost fokussiert. Er erhält schweizweit als Sammler, Forscher und Restaurator pferdegezogener Wagen hohe Anerkennung. Wer Markus Jedele kennt, der weiss ihn als stiller Schaffer zu schätzen, der seine Vorwelt erforscht, sein Leben erfüllt und seine Nachwelt beschenkt. Er fordert von sich selbst viel und duldet keine Halbheiten. Im vergangenen Herbst eröffnete er sein eigenes Kutschendepot in einer selbst umgebauten Scheune in Stadel bei Winterthur.

Markus Jedele bezeichnet seine Sammlung auch gerne auch als Kutschen-Depot. Während zwei Jahren hat er mit seinen Söhnen Hannes und Mathis zusammen nun mit viel Holz auch die würdigen Räume für die geschichts­trächtigen Objekte geschaffen. Alles in einem authentischen Umfeld, mit einer neuen Sachlichkeit, harmonisch inszeniert und dokumentiert. Was die beiden geschaffen haben, ist kein Museum, denn im Erdgeschoss fliegen wieder richtig die Späne.

Hannes Jedele nutzt die Räume als Zimmerei und Markus Jedele als Wagnerei und Restaurationswerkstatt. Auf den oberen drei Stockwerken der grossen Scheune sind 18 Kutschen, Postwagen und Schlitten ausgestellt. Die geschichtsträchtigen Objekte haben hier viel Luft und Raum bekommen. Hier sind sie vor Wind und Wetter geschützt und in Holz eingebettet. Ihre Vergangenheit wird auf Video-säulen wieder lebendig und ihre Entstehung ist in Archivschränken, Ordnerregalen, Vitrinen und nicht zuletzt in der Wagnerei dokumentiert. Ein Fest für die Kutschen, getragen von Respekt, Bewunderung und Aufklärung.

Erkennen, erleben, erforschen, erfahren

Markus Jedele wuchs mitten in Winterthur auf und fing in seiner Jugend bei Freunden im Tösstal den Pferde- und Kutschenvirus ein. Den Grundstein für sein Interesse an alten Wagen legte sein Grossvater. Er schenkte ihm vor mehr als 30 Jahren seine ersten Fuhrwerke, ein unspektakulärer Federbockwagen und ein kleines Berner Break. Mit ihnen war er abends dann gelegentlich mit gemieteten Pferden in der Stadt unterwegs. In seinem Ohr dröhnen noch immer die eisenbereiften Räder und die Pferdehufe, mit denen er die Bewohner der Winterthurer Altstadt bei den gelegentlichen Fahrten durch die nächtlichen Gassen aufschreckte. Doch nicht nur der Spass am Fahren, auch die Substanz hinter den Pferden begann ihn zu interessieren. Die grosse Leidenschaft für pferdegezogene Wagen war in ihm entfacht. In seiner Freizeit restaurierte und dokumentierte er diese Objekte. Später nahm er Militär-freiberger ans Futter und machte mit ihnen erste Reisen. Mit der Gründung seiner Familie und der beruflichen Laufbahn merkte er, dass nicht alles unter einen Hut zu bringen war.

Markus Jedele nennt seine Sammlung «Kutschen-Depot».

Die rare Freizeit wurde durch die Pferde noch stärker strapaziert und war neben der Familie fast nicht mehr möglich. So beschränkte er sich auf Forschung, Dokumentation und Restauration und verschob das Gespannfahren auf später. Mit der Zeit schälten sich neben seinen «Familienkutschen» zwei Themenkreise heraus, die ihn besonders interessieren: Die Kutschen aus Winterthur, denen er 2006 ein Buch widmete, und die Postkutschen, Postschlitten und Fourgons aus der Schweiz, deren Geschichte er 2006 bis 2010 erforschte und in zwei dicken Fachbüchern beschrieb. Markus Jedele betrat dabei fast unerforschtes Neuland. Für seinen Wohn- und Wirkungsort Winterthur konnte er beweisen, dass es nicht nur in Basel und Zürich gute Wagenbauer gab. Winterthur war vor einhundert Jahren ein Zentrum der Kaffee-, Textil-, Maschinen- und Brauereiindus­trie. Die Familien Bühler, Reinhard, Volkart und Schöllhorn erlebten damals goldene Zeiten und genossen ihr Leben mit Equipagen. Auch der wenig bekannte Kranken- und Leichenwagenbauer Eduard Thommen und J.C. Raths weckten dabei sein grosses Interesse.

Forschung als Glücksfall

Markus Jedele hat nicht Kunstgeschichte studiert und ist auch nicht Historiker. Er bezeichnet es als Glücksfall, dass die Pferdepost fast unerforscht war. Er entdeckte für sich die Epoche der pferdegezogenen Fahrzeuge. Er war fasziniert davon, dass einem Laien ein noch derart unbeackertes Feld für archäologische Forschungen zu Füsse lag. Da konnte er es nicht lassen, sich grundlegend an dieses Thema zu wagen. Erst suchte er in allen Bibliotheken, doch beim Museum für Kommunikation in Bern fand er fast alles. Zu Karl Kronig, dem Sammlungsverantwortlichen der Schweizer Post ergab sich im Laufe der Zeit eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.  Über die Jahre konnte er unzählige Dokumente und Pläne kopieren und digitalisieren. Damit war Markus Jedele in der Lage, fast uneingeschränkt im stillen Kämmerlein zu forschen und zu dokumentieren.

Markus Jedele will in Zukunft wieder die Leinen vermehrt in die Hand nehmen, um die Fahreigenschaften seiner historischen Wagen wieder zu erleben.

Respekt vor den Kutschern

Das Wort der Entschleunigung hört Markus Jedele nicht gerne, denn er hat immer auch erfahren, dass auch früher nicht alles gemächlicher und vernünftiger erledigt wurde. «Früher waren die Menschen weniger abgelenkt, zerstreut und beeinflusst als heute», bemerkt er, «vieles war schon vor mehr als einhundert Jahren reglementiert und dokumentiert.» Die Zeit der Pioniere war schon damals vorbei. Die Post erteilte schon damals Konzessionen, ohne die kein Personen-, Güter- und Briefverkehr auf den Hauptstrecken der Schweiz möglich war. Die Konzessionäre hatten wenig Entscheidungsspielraum und wurden von der Post hart an die Kandare genommen. «Ihr Leben war nicht immer ein Schleck: Sie mussten ihren Auftrag zu jeder Tageszeit und bei jedem Wetter erfüllen», erzählt er. Die wichtigsten Passstrassen mussten auch im tiefen Winter mit mühsamer Handarbeit und Einsatz von Pferden offengehalten werden. Umweltgefahren wie Lawinen, Hangrutsche oder Hochwasser waren sie ausgesetzt. Auch die nächtliche Überquerung der wichtigs­ten Schweizer Alpenpässe stellte harte Anforderungen an Mensch und Tier.

Entdeckungsreise ins Handwerk

Zurzeit baut Markus Jedele einen Fourgon von der renommierten Basler Kutschenfabrik Heimburger wieder zu einem Jagdwagen – im Fachjargon Break de Chasse bezeichnet – zurück. Der Luxuswagen gehörte ursprünglich Eduard Bühler, einem erfolgreichen Winterthurer Textilfabrikanten, der ihn später zu einem Lieferwagen umbauen liess. «Ich könnte diese Arbeit problemlos und günstig ins Ausland vergeben, doch für mich steckt darin zu viel eigenes Herzblut», meint er. Für ihn sind solche Arbeiten immer wieder kleine Entdeckungsreisen in die Vergangenheit oder Experimente mit alten Techniken. «Aktuell tüftle ich an altbewährten Flachs-Armierungen, um die grossen Holzflächen rissfrei zu halten», erklärt er. Auch viel anderes wie bedruckten Linol, gedämpfte Landen und sogar Holzräder hat er in der Vergangenheit selbst hergestellt. Jeder der mit Markus Jedele diskutiert, der merkt: Dieser Mann weiss ganz einfach, von was er spricht.

Ausgleich zum Beruf

Seine leidenschaftliche Sammler-, Forscher- und Dokumentationstätigkeit bezeichnet er als Ausgleich zur hektischen Arbeit im täglichen Beruf. «So kann es sein, dass ich statt abends eine Sendung anzuschauen, noch ein oder zwei Stunden am Computer sitze und an meinen Dokumentationen arbeite.» Im Gespräch betont er aber auch, dass sein Herzblut nicht nur in alten Kutschen, sondern auch in seinem Beruf steckt. Ungewöhnliche Objekte wie Krematorien, Flüchtlingsunterkünfte oder denkmalpflegerische Inventarobjekte prägen sein Schaffen. Darüber hinaus plant und begleitet er mit seinen Büropartnern und 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch Wohnbauten für institutionelle Investoren. Seine positive Einstellung zum Leben und zur Nachwelt hat ihm bis heute Recht gegeben. Die Erlebnisse zusammen mit Flüchtlingen haben ihn in seiner Lebenseinstellung verändert. «Man wird sich wieder bewusst, was man hat und wie gut es einem geht», erzählt er nachdenklich. Zum seinem erfüllten Leben gehört aber auch der intensive Austausch und die Zusammenarbeit in der Familie: Seine Frau arbeitet als Primarlehrerin, seine Tochter Anna-Tina studiert Anglis­tik, Hannes ist selbständiger Zimmermann und Mathis hat kürzlich die Matura abgeschlossen und beginnt im Herbst ein Studium als Bauingenieur.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 42/2018)

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