Suche
Max E. Ammann
Previous Next
Standpunkt

Erinnerungen an die Puissance

18.04.2023 09:52
von  Max E. Ammann //

Am 5. März wurde Anthony d’Ambrosio in die «Show Jumping Hall of Fame» der USA aufgenommen. Dies nahm die (allerdings viel ältere) amerikanische Schwester-Wochenzeitschrift der «PferdeWoche» «The Chronicle of the Horse» zum Anlass, die Karriere des heutigen Parcoursbauers und Trainers in Erinnerung zu rufen, vor allem D’Ambrosios zwei Puissance-Rekordsprünge in 1973 und 1983, mit 2.235 Meter respektive 2.325 Meter. Die letztere Höhe ist noch heute – 40 Jahre später – amerikanischer Hallenrekord über die Puissance-Mauer.

Rekordsprung mit Rekordpferd

Als Parcoursbauer wurde d’Ambrosio international vor allem bekannt als Entwerfer der Parcours des Weltcupfinals von 2015 in Las Vegas, wo Steve Guerdat mit Paille seinen ersten von drei Finalsiegen errang. D’Ambrosios Parcours wurden damals von den Reitern – so von Marcus Ehning – als zu schwierig kritisiert. Als Reiter erregte der junge D’Ambrosio erstmals Aufsehen, als Anfang der 70er-Jahre seine Familie für eine Rekorddollarsumme das Pferd Sympatico erwarb. Im November 1973 stellten D’Ambrosio und Sympatico im New Yorker Madison Square Garden mit 2.235 Meter einen neuen amerikanischen Puissance-Rekord auf. Zehn Jahre später, 1983, nun auf Sweet ‘n Low, übersprang er beim Hallen-CSIO in Washington die immer noch bestehende Rekordhöhe von 2.325 Meter. Im Freien übersprang der Amerikaner Will Simpson auf Jolly Good in Kings Mills die Höhe von 2.37 Meter. Den Schweizer Puissance-Rekord hält seit 1988 Markus Fuchs, der beim CHIO im französischen Franconville bei Paris mit Puschkin 2.35 Meter übersprang. Höher sprangen Franke Sloothaak und Leonardo 1991 im belgischen Claudefontaine, als sie die 2.40 Meter hohe Mauer schafften.

1905 erfunden

Die seither von den Turnierplätzen verschwundene, aber noch in den 80er-Jahren populäre Puissance (Mächtigkeit) wurde 1905 im französischen Biarritz «erfunden». Das dortige, zu jener Zeit prominente Turnier schrieb in jenem Jahr eine neue Prüfung aus, Puissance genannt. Sie umfasste drei Hindernisse: eine Mauer von 1.75 Meter Höhe, einen Steilsprung von 1.75 Meter Höhe und einen Wassergraben von 5.50 Meter Breite. Sieger dieser ersten Puissance von 1905 wurde Joseph Jonquères d’Oriola, der Vater des späteren Olympiasiegers von 1952 und 1964, Pierre Jonquères d’Oriola (1920 bis 2011).
Zu jener Zeit, in den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg, dominierte noch das populäre Hochspringen, wo 1912 mit 2.36 Meter ein bis 1933 bestehender Weltrekord aufgestellt wurde. Auch in den Zwischenkriegsjahren 1919 bis 1939 blieb die Puissance im Wettkampf der Militärreitställe eher eine Nebenprüfung.

Puissance wird populär

Dies änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Puissance verbreitete sich auf den Turnieren Europas und Amerikas (in Australien pflegte man immer noch den Hochsprung). In den 80er-Jahren erlebte die Puissance eine ungeahnte Blüteperiode. Eine Handvoll Pferde wie Miss Moët, Wabbs oder Beethoven übersprangen regelmässig die auf 2.20/2.25 Meter erhöhte Mauer. In den 90er-Jahren liess das Interesse an der Puissance nach – die letzte Puissance habe ich vor Jahrzehnten erlebt. Es gab zwei Haupt- und zwei Nebengründe für das Verschwinden der Puissance. Seit jeher hatte man argumentiert: «Warum sollte man ein Pferd mit einer noch höheren Mauer bestrafen, nachdem er im Parcours zuvor fehlerfrei gegangen war?» Dann ärgerte man sich darüber, dass es bei der Mehrheit der Prüfungen keinen Sieger gab. Der ers­te Platz musste geteilt werden, weil auch im letzten Stechen noch zwei oder drei Pferde die Mauer fehlerfrei übersprungen hatten. Dann waren die Veranstalter nicht glücklich darüber, dass viele Reiter nur dann die Puissance bestritten, wenn sie ein viertes Pferd ans Turnier mitnehmen durften. Dieser «Puissance-Spezialist» brachte zusätzliche Kos-ten. Schliesslich ärgerten sich gelegentlich Zuschauer, wenn ein Pferd vor dem Mauersprung einen Fehler bei einen der zwei Nebenhindernisse machte und so vor der Mauer schon aus der Entscheidung fiel.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 15/2023)

[...zurück]