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Max E. Ammann
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Standpunkt

Todd und Beerbaum

28.02.2022 15:45
von  Max E. Ammann //

Das Jahrbuch «L’Année Hippique» ernannte Mark Todd im Jahr 2000 zum «Militaryreiter des 20. Jahrhunderts». Der Neuseeländer war zweimal Olympiasieger geworden und hatte Badminton viermal und Burghley fünfmal gewonnen. Ein Palmarès, der in den zwei Jahrzehnten seither nur vom Deutschen Michael Jung mit zwei Olympiasiegen sowie drei EM- und einem WM-Titel erreicht wurde. 2013 wurde Mark Todd von Königin Elizabeth zum Ritter geschlagen. Würde heute eine Weltrangliste der erfolgreichsten Springreiter seit 1900 erstellt werden, so wäre Ludger Beerbaum zweifellos unter den ersten 20, wenn nicht gar unter den ersten zehn. Der Olympiasieger von 1992, Weltcupfinalsieger von 1993 und zweifache Europameister gewann Dutzende von Grossen Preisen und stand in vielen siegreichen deutschen Nationenpreisequipen.

Negative Schlagzeilen

Nun findet man die beiden Grossen des internationalen Pferdesports Jahre nach ihren Rücktritten vom aktiven Sport wieder in den Schlagzeilen. Nicht nur auf den Sportseiten, sondern, fataler, als weltweite News. Beerbaum im Januar wegen angeblichem «Barren», Todd im Februar wegen Prügeln eines Pferdes. In beiden Fällen wird die Angelegenheit untersucht und je nach Schuldspruch bestraft. Das betrifft die beiden Reiter, deren Reputation und deren Geschäfte. Für den Pferdesport sind die beiden durch Videoaufnahmen veröffentlichten angeblichen Missbrauchsfälle eine nicht abzuschätzende Bedrohung. Wenn zwei der erfolgreichsten Reiter der Pferdesportgeschichte des Pferdemissbrauchs überführt werden, mag das eine negative Welle gegen den Pferdesport auslösen, deren Ende unabsehbar ist. Als ich um die Jahrtausendwende nach meinen Ansichten zur Zukunft des internationalen Pferdesports gefragt wurde, antwortete ich: «Der Pferdesport wird sich weiterentwi­ckeln, Reglemente anpassen und neue Formen des Wettkampfes erfinden. Eine Gefahr, diese Entwicklung zu stören, besteht nur darin, dass Missbrauch in jeder Form den Pferdesport in Misskredit bringt.» Es mag sein, dass dieser Punkt erreicht ist.

«Erlaubt ist, was nicht gefunden wird»

Ohne Häme oder Schadenfreude muss man feststellen, dass im Falle von Ludger Beerbaum die vom TV-Sender RTL aufgedeckte «Barr-Affäre» nicht ganz überrascht. Der hochintelligente Beerbaum hatte sich 2008 in einem Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» und am Fernsehen weit auf die Äste hinausgelassen und damit eine Aussage der langjährigen Geschäftsführerin des Internationalen Springreiter Clubs bestätigt: «Beerbaum ist wie ein Sizilianer, er redet, bevor er denkt.» In den FAZ/TV-Interviews sagte Beerbaum: «Erlaubt ist, was nicht gefunden wird. Man muss ausschöpfen und abschätzen, was geht.» Diese Haltung ist vielleicht nicht strafbar, aber doch ethisch/moralisch fragwürdig, vor allem in Bezug auf den Umgang mit Pferden. Beigetragen zum Fall Beerbaum hat die Bestimmung im deutschen Reglement, dass Touchieren erlaubt ist. Bereits die Diskussion anlässlich der Barr-Affäre Schockemöhle im Vorfeld der ersten Weltreiterspiele von 1990 in Stockholm hat gezeigt, dass eine Definition des Erlaubten beim Barren zwar niedergeschrieben werden kann, dass aber in der Praxis kaum eine Grenze zum Unerlaubten gezogen werden kann. In Stockholm 1990 argumentierten die Befürworter des «Barrens» (oder Touchieren) damit, es sei eine erzieherische Massnahme, vergleichbar einer sanften Züchtigung eines Kindes. Dabei wurde übersehen, dass es gerade vor Stockholm nicht um Erziehung ging, sondern um Verkaufsförderung. Was immer der Ausgang der Affäre Beerbaum sein wird, die Folge muss sein, Barren oder Touchieren in jeder Form, international wie national, ist zu verbieten.

Bestrafung, nicht Erziehung

Der Fall von Mark Todd ist anders gelagert. Die zehn Schläge mit einem Stecken waren keine Erziehung, sondern eine Bestrafung. Dass dies dem sanften zurückhaltenden Sir Mark passierte, zeigt, dass auch der Geduldigste überreagieren kann. Im Parcours während einer Prüfung hätte das Folgen – im Training brachte es erst ein Video ans Licht. Obwohl, so heisst es, die Angelegenheit zwei Jahre zurückliegt, wird sie für Mark Todd Folgen haben. Man fordert die Rücknahme des Ritterschlages und anderer Ehrungen. Sein Ruf ist ohnehin schwer beschädigt.
Schwerwiegender sind die möglichen Folgen der beiden Fälle für den Pferdesport. Wie es Sportarten gehen kann, die in Misskredit geraten sind, zeigte kürzlich der Beschluss des IOC, Boxen, Gewichtheben und den Modernen Fünfkampf aus dem Olympiaprogramm von 2028 zu nehmen. Boxen und Gewichtheben als Folge des unkontrollierbaren Dopingmissbrauchs und Korruptionsvorwürfen. Beim Fünfkampf als Konsequenz der Vorkommnisse 2021 in Tokio beim Reiten.

Munition für Tierschutzorganisationen

Die beiden Fälle, Todd und Beerbaum, geben zwangsläufig den Tierschutzorganisationen Munition. Noch an den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta war nur die von der Filmschauspielerin Bo Derek vertretene gemässigte Gesellschaft gegen den Missbrauch bei Tieren (ASPCA) auf dem Olympiagelände präsent. Sie vertrat die These: «Use yes, abuse no». Die radikalere «Humane Society», die jeglichen Gebrauch des Pferdes ablehnt, war auf dem Olympiagelände nicht zugelassen. Heute, bei Kenntnis der zwei Fälle, könnte es anders sein. Die Gefahr, dass der Pferdesport verboten wird, ist gewachsen. Es sei erinnert, dass nach den Olympischen Spielen 1956 in Stockholm, mit den toten Pferden in der Military, der Pferdesport in Schweden jahrzehntelang unter Beobachtung stand. In den 90er-Jahren kam es zu einer ähnlichen Situation in den Niederlanden. Nach Unfällen bei einer internationalen Military kam es zu Debatten im Parlament. Ein Verbot wurde nur abgewendet, als es zu einem Kompromiss (oder Kuhhandel) zwischen den zwei stärksten Parteien kam (eine war für das Verbot der Vielseitigkeit, eine dagegen).

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 8/2022)

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