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Anspruchsvolles Geben und Nehmen

24.11.2015 13:52
von  Melina Haefeli //

Existiert das perfekte Geschenk? Sicherlich, aber dafür gibt es kein Generalrezept.
Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, wieso das richtige Präsent zu finden, für so manch einen mit einer Belastung ver­bunden ist. Zumindest dann, wenn eine Gabe zu einem bestimmten Zeitpunkt überreicht werden soll. Das Schenken ist eine seit eh und je bedeutende zwischen­menschliche Geste. Es gilt als notwendiges Kommuni­kations­mittel und als unumgänglich für eine intakte Gesellschaft. Doch das Beschenken bleibt kein rein menschliches Phänomen – auch im Tierreich ist es eine unverzichtbare Tat.

«Es ist schön, den Augen dessen zu begegnen, dem man soeben etwas geschenkt hat», sagte einst der französische Schriftsteller Jean de La Bruyère. Wenn das perfekte Geschenk gelingt, dann mögen diese Worte stimmen. Ein gelungenes Präsent be­reitet sowohl dem Schenkenden als auch dem Beschenkten eine gros­se Freu­de. Wenn hingegen der Empfänger nicht nachvollziehen kann, was das Geschenk mit ihm zu tun haben soll, dann ist die gut gemeinte Tat miss­lungen. Denn für ein geglücktes Geschenk müsse man sich mit dem Gegenüber auseinandersetzen. Es erfordert also viel Einfühlungsvermögen und ist keine Glückssache. Und die Personen wie auch die zwischenmenschlichen Beziehungen verändern sich ständig. Diese wandelnde Individualität macht das Schen­ken zu einer komplexen Gepflogenheit, die zwar spannend ist, aber viel zu oft unterschätzt wird – da scheinen sich die Soziologen einig zu sein. Dennoch ist die Geste eine gesellschaftliche Pflicht. Denn die Schenktheorien besagen, dass sie unter Freunden und Verwandten erwartet wird.

 

 



Schenken ist Kommunizieren

«Man muss die schwierige Eigenschaft beherrschen, sich in den anderen einzufühlen», sagt Holger Schwai­ger, einer der im Zusammenhang mit dem Schenken meistzitierten Soziologen im deutschsprachigen Raum. «Schenken ist Kommunizieren.» Wer schen­ke, der überbringe unverweigerlich eine Botschaft. Man vermittle mit dem Geschenk allerdings nicht nur seine Haltung gegenüber dem anderen, sondern mache auch eine Aussage über sich selbst. Früher habe man Geschenke nicht gekauft, sondern selbst gefertigt. Der Schmied schenkte sein hübschestes Messer, der Töpfer sein schönstes Geschirr. «Die Menschen haben etwas von sich gegeben, im eigentlichen Sinne des Wortes.» Mit den meis­ten Berufsfeldern von heu­te ist das nicht möglich. «Wo man früher sein handwerkliches Geschick unter Beweis stellte, inszeniert sich der Mensch heute, indem er sein Wissen um die Persönlichkeit des Beschenkten ausdrückt.»

Eine einseitige Tat ohne Erwartungshaltung?

Andere Soziologen sind überzeugt, dass das Schenken nicht nur ein Kommunikationsmittel darstelle. Eine Gesellschaft könne ohne Geben und Nehmen nicht bestehen. Marcel Mauss, der sich schon vor fast 100 Jahren mit diesem Thema beschäftigte, glaub­te sogar, dass das Schenken zur Natur des Menschen ge­höre. Im Mittelpunkt sei­ner Erforschung der Gabe steht die Frage, wa­rum man Geschenke erwidern muss. Seine Antwort liegt darin begründet, dass man beim Geben einen Teil von sich gibt und beim Nehmen der Gabe insofern eine Fremderfahrung des anderen macht. Dies bestätigt auch Schwaiger: «Es wird nie völlig selbstlos geschenkt.» Selbst eine «reine» Gabe – also ein Geschenk ohne Tauschprozess – gebe dem Schenker zumindest das Gefühl des Gewinns. Damit stellt der Vorgang nicht mehr nur für den Schenkenden eine Belastung dar, sondern auch für den Beschenkten: Er soll sich darüber freuen, er soll dankbar sein und es entstehe automatisch eine Schuld, die abgetragen werden muss.

Vom Zweig bis zu ganzen Schätzen

Alle Kulturen von überall auf der Welt beschenken sich – schon seit langer Zeit. Bescherungen waren schon damals das, was sie auch heute sind: Botschaften. Vielleicht haben Gaben ihren Ursprung in religiösen Opferritualen, mit denen man schon in der Steinzeit die Götter milde stimmen woll­te. Später im alten Rom habe man sich beispielsweise einen Zweig eines auserlesenen Baumes oder Früchte des eigenen Gartens mitgebracht. Zur Jahreswende sollten die Mitbringsel Glück im neuen Jahr bringen. In gewissen Indianerstämmen war es unter Häuptlingen unerlässlich, Geschenke in noch reicherem Masse zu erwidern. Der Geschenk­rausch hatte nicht selten zur Folge, dass sie sich selbst fast ruinierten. Vor lauter gegenseitigem Über­bieten brachten sie sich gegenseitig fast um ihre Existenz. Die Indianer wollten zeigen, dass sie es sich leisten können, alles zu verschenken – Schätze, Besitztümer, sogar Essensvorräte. Sie lebten auch den Brauch, dass die Älteren den Jüngeren bei ihrer Initiation einen Gegenstand überreichten. Dieses Geschenk war eine Aufgabe oder eine Herausforderung. Es war also stets  mit einer Handlungsaufforderung und der Frage verbunden: Wie kann es dem Beschenkten helfen, das in ihm schlummernde Potenzial zu we­cken?

Fliege, Maus, Steinchen oder ein ganzes Herz

Das Geben und Nehmen bleibt jedoch kein rein menschliches Phänomen. Auch im Tierreich wird die Tat ausgiebig zelebriert. Doch gestaltet es sich hier meist weniger kompliziert als bei uns Menschen. Denn ihre Geschenke sind stets praktischer Natur und deshalb garantiert ein Erfolg – sei es etwas Essbares, Häusliches oder ein Stein­chen von unschätzbar grossem Wert. Grundsätzlich sind es immer die Männchen, die dem Weibchen das Nützliche überreichen. Und immer erwarten und erhalten sie eine Gegenleistung: den sexuellen Akt.
Bei Spinnen, Heuschre­cken, Vögeln und auch Affen ist das Überreichen von Nahrungsmitteln für den Liebesakt bekannt. Laubvögel zum Beispiel bauen für die Paarung ein Nest und erwarten das Weibchen mit einer Beere im Schnabel. Pinguin-weib­chen geben sich ihren Artgenossen hin, sofern diese sich zuvor mit einem Steinchen erkenntlich gezeigt hatten. Denn im Lebensraum vol­ler Eis und Schnee sind Steine überlebensnotwenig, gleichzeitig sehr rar und dadurch eine Kostbarkeit. Damit wird eine Unterlage für das Ei kreiert, um zu verhindern, dass bei Tauwetter mit anschliessendem Frost das Ei gefriert. Die Katze beweist, dass Tiere auch uneigennützig schenken können. Sie erwartet – abgesehen von Aufmerksamkeit – wohl keine Gegenleistung, wenn sie ihrem Herrchen die frisch gefangene, wo­möglich noch halb lebendige Maus präsentiert.
Bei Pferden werden keine Gaben im engeren Sinne be­schrieben. Doch wie vie­le andere Herdentiere sind auch sie gekonnte Teiler. Und jeder kennt das Sprichwort, wenn man seinen Vierbeiner nachsichtig umsorgt: Gib deinem Pferd, was es braucht und es schenkt dir sein Herz.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 46/2015)

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