Die Geriäls in Grabs ist eine Oase der Ruhe. Ein erstklassiges Pferdehotel und Dressur-Ausbildungszentrum im St. Galler Rheintal. Es gehört einer Pferdefamilie und wird geführt von Luzernern. Genauer gesagt von Besitzer Otto J. Hofer und Betriebsleiterin Patricia Schärli, der aktiven Dressurreiterin des Schweizer Elitekaders. Sie hat sich eine Olympiateilnahme 2016 in Rio de Janeiro zum Ziel gesetzt und pusht sich mit Cappucino auf. Nein, nicht mit dem italienischen Kaffeegetränk aus Espresso, heisser Milch und Milchschaum, sondern mit dem elfjährigen, braunen Oldenburger-Wallach von Competent mal Rubina aus der Cor-de-la-Bryère-Linie.
Das idyllische Reitzentrum, unweit der stark befahrenen Autobahn von der Ostschweiz ins Bündnerland, ist kein Ort der Hektik und des Alltagsstresses. Es ist vielmehr ein Raum, eine Stätte der Beschaulichkeit und des Verständnisses, der Einfühlung und der Sensibilität, welche konstruktive Arbeit mit Freude paart. Es ist so, wie man einen erfrischenden Kaffee konsumiert, der anregt, die Aufmerksamkeit fördert und die Stimmung erhellt. Es verwundert daher nicht, dass Otto Josef Hofer etlichen seiner Pferde «Kaffee-Namen» gibt: Cappucino für Patricia Schärlis Olympia-Hoffnung oder Mocca für den neunjährigen Rappen von Weltmayer als Zukunftshoffnung seiner talentierten 14-jährigen Enkelin Léonie Guerra-Hofer aus Schaan, die als liechtensteinisch-schweizerische Doppelbürgerin dem Schweizer Junioren-Kader angehört.
Die Grabser Pferdefamilie
Im Dressurzentrum des ehemaligen Weltklassereiters Otto Hofer vereinigt sich eine Pferdefamilie. Zu dieser zählt auch Patricia Schärli. Die 30-jährige Luzernerin aus Sursee, die seit dem Sommer 2014 die Betriebsleitung in der Geriäls übernommen und im Zentrum selbst eine schmucke, moderne Wohnung eingerichtet hat, weilt seit 18 Jahren in Grabs «und gehört zur Familie», wie Otto Hofer unmissverständlich klarstellt. «Sie ist für uns wie eine weitere Tochter.» Der ehemalige Verpackungsindustrielle Otto und Beatrix Hofer haben mit Simone, verheiratete Guerra, eine leibliche Tochter und einen Sohn, der Physiotherapeut ist. Patricia, die erstmals mit zwölf Jahren in den Schulferien in Grabs bei Hofers weilte, wuchs praktisch als Alleinkind auf. Sie hat früh ihre Mutter verloren. «Ich stamme aus einer Reiterfamilie. Deshalb wurden mir auch die ersten Reitstunden geschenkt. Ich habe die Matura gemacht und ein Architektur-Praktikum begonnen, war aber früh vom Pferdevirus infiziert. Bei Hofers kam ich in den Schoss einer harmonischen Familie, wurde gezielt und ohne Zwang gefördert und konnte mein Steckenpferd zum Beruf machen.»
Otto Hofer auf seinem Lieblingsplatz am Viereck – ausgerüstet mit Zucker für die Pferde und Tee für sich selbst.
V. l.: Léonie Guerra auf Mocca, Otto J. Hofer und Patricia Schärli auf Cappucino.
Die im Sternzeichen des Löwen geborene Patricia ist ambitioniert und steckt sich hohe Ziele. Die EM im August in Aachen kommt für sie und den dynamischen Cappucino wohl noch zu früh, obwohl sie auf der Longlist figuriert. Am CDI im französischen Compiègne, der ersten offiziellen EM-Sichtung, vermochte das hoffnungsvolle Paar sein Leistungspotenzial nicht abzurufen. «Cappucino war total abgelenkt. Er war verspannt und verpatzte unsere normal stärksten Lektionen in Passage und Piaffen völlig. Deshalb wurde ich auch nicht für den CDI Hagen (GER), die zweite EM-Sichtung, aufgeboten. Nun haben wir Rio im Visier. Dafür bleibt ja noch einige Zeit, die wir nutzen werden.»
Patricia in ihrer gemütlichen Wohnung.
Von der Terrasse aus hat sie eine schöne Aussicht, unter anderem auf Cappucinos Weiden und Auslauf.
Patricias Fortschritte wurden in diesem Frühling mit einem zweiten Platz und 73,3 Punkten in der Kür am Dreistern-CDI in Saumur (FRA), einem fünften Platz über Ostern im Grand Prix in Stadl Paura (AUT) und einem vierten Rang im Spécial am Fünfstern-Event in Vidauban (FRA) ersichtlich. Otto Hofer hat den 166 Zentimeter grossen Cappucino als vierjähriges Pferd erworben und gezielt und geschickt mit Patricia zur GP-Reife geformt. Er besticht mit seiner eleganten Reiterin durch Dynamik, Ausdruck, Aufmerksamkeit, Elastizität und den exakt ausgeführten hohen Schwierigkeiten wie Piaffen, Passagen und Traversalen. Es gilt aber, sein Temperament im Zaum zu halten, damit er konzentriert bleibt und die Feinoptik noch besser justiert werden kann.
Der prädestinierte Trainer
Otto Hofer ist ein prädestinierter Ausbildner. Der siebenfache Schweizermeister hat mit seinen einstigen Spitzenpferden Limandus, Andiamo und Renzo international für Aufsehen gesorgt und in seiner Blüte mehrere Einzel- und Teammedaillen gewonnen. Mit Limandus gewann der gebürtige Luzerner Einzel-Bronze und Team-Silber an den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles (USA), EM-Einzelsilber 1985 ebenfalls mit Limandus und einmal Silber sowie zweimal Bronze mit der Schweizer Equipe. 1988 an den Olympischen Spielen in Seoul zeichnete sich Otto Hofer mit Andiamo als Einzel-Sechster aus und steckte in der Silber-Equipe des Schweizer Teams, das damals nur auf dem Papier existierte: Es war von Rivalität und Neid gekennzeichnet. 1988 stand der geduldige «Pferdenarr», wie er sich selbst bezeichnet, als Dritter auf dem Podest am Weltcupfinal in ’s-Hertogenbosch (NED). «Mit meiner Faszination zur Kreatur Pferd, viel Einfühlungsvermögen und Ausdauer habe ich stets versucht, das Pferd in seiner graziösen Bewegung nicht zu hindern und seine Ausstrahlung mit viel Zuneigung zu fördern.» Wenn man die Pferde versteht, dann verstehen sie dich, heisst Hofers gelebtes Motto. Seine Überzeugung gibt er mit viel Geduld und seiner jahrelangen Erfahrung weiter. Und er bekennt: «Patricia und meine Enkelinnen Léonie und Anaïs bereiten mir viel Freude.»
Zukunftshoffnung Léonie
Der grosse Stolz und die ganz grosse Hoffnung im Hause Hofer heisst Léonie. Die 14-jährige Enkelin von «Otti» ist Sekundarschülerin in Triesen und gehört dem schweizerischen Juniorenkader in der Dressur an. Saisonziel sind die Nachwuchs-Europameisterschaften in der ersten Juli-Woche im französischen Vaidauban in der Provence. Der neunjährige Rappe Mocca, den Otto Hofer als Sechsjährigen erworben hat, soll die Fortschritte international am Junioren-Championat bestätigen. Erstes Indiz hierfür lieferten Léonie und Mocca in Saumur mit 73,425 Punkten in der Kür. Sie waren damit nicht nur das beste Schweizer Paar, sondern die Punktzahl reichte sogar für Platz eins und grosse Freude in der Pferdefamilie in der Geriäls. Beim zweiten EM-Test in Hagen konnte Léonie ihr Potenzial bei drei Starts gegen starke internationale Konkurrenz bestätigen.
Léonie (l. auf Mocca) und Patricia (auf Cappucino) haben Spass beim gemeinsamen Training.
Léonie mit Mocca und ihrem Grossvater Otto J. Hofer.
Anäis heisst die jüngere Schwester von Léonie. Die Neunjährige sitzt ebenfalls schon im Dressursattel und eifert ihrer älteren Schwester nach. Sie wird nicht von Otto Hofer selbst, sondern von dessen langjähriger Vertrauten und Ausbildnerin Doris Korrodi trainiert. Anäis verzeichnete beim OKV Tag der Jugend Ende April in Sulgen TG auf dem erfahrenen 20-jährigen Dänen Conterno, dem ehemaligen Spitzenpferd von Patricia Schärli, einen gelungenen Einstand. Die Bewertung fiel bei ihrem ersten Auftritt mit «sehr gut» aus und ein Richter fügte folgende aufbauende Bemerkung an: «Kleines Mädchen mit viel Gefühl und gutem Sitz.» Ende Juli kam sie in Chur GR bei ihrem zweiten Start zum zweiten Sieg. Solche Aufmunterungen beflügeln – wie Cappucino, Mocca oder Ristretto, wie Dressurpferde in der Geriäls heissen.
Das Pferdehotel
34 Wohlfühlboxen mit 20 Allwetter-Paddocks à 40 Quadratmeter gehören in der Geriäls zum Standard. Die zu einem Drittel überdeckten Paddocks bieten den Pferden einen optimalen Schutz bei jedem Wetter. Auch Weiden sind genügend vorhanden. Im gepflegten Sandviereck im Freien (80 mal 25 Meter) oder in der Reithalle, im komfortablen «Longier-Pavillon» oder in der «Longier-Rondelle» lassen es sich Pferde und Reiter wohl ergehen. 20 bis 22 Pferde, darunter sieben eigene Dressurpferde, fühlen sich hier zuhause. Wetten, dass in diesem Pferdehotel weiterhin Kaffee, auch im übertragenenen Sinne, sorgsam geröstet und gemahlen wird und ein weiteres Dressurpferd vielleicht auf den Namen Espresso getauft wird?
Patricia und Cappucino nach getaner Arbeit.
(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 25/2015)
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