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Patricia Schärli mit Cappucino.
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Aufschwung mit «Kaffee-Pferden»

30.06.2015 14:55
von  Peter Wyrsch //

Die Geriäls in Grabs ist eine Oase der Ruhe. Ein erstklassiges Pferdehotel und Dressur-Ausbildungszentrum im St. Galler Rheintal. Es gehört einer Pferdefamilie und wird geführt von Luzernern. Genauer gesagt von Besitzer Otto J. Hofer und Betriebsleiterin Patricia Schärli, der aktiven Dressurreiterin des Schweizer Elitekaders. Sie hat sich eine Olympiateilnahme 2016 in Rio de Janeiro zum Ziel gesetzt und pusht sich mit Cappucino auf. Nein, nicht mit dem italienischen Kaffeegetränk aus Espresso, heisser Milch und Milchschaum, sondern mit dem elfjährigen, braunen Oldenburger-Wallach von Competent mal Rubina aus der Cor-de-la-Bryère-Linie.

Das idyllische Reit­zentrum, unweit der stark befahrenen Autobahn von der Ost­schweiz ins Bündnerland, ist kein Ort der Hektik und des Alltagsstresses. Es ist vielmehr ein Raum, eine Stätte der Beschaulichkeit und des Verständnisses, der Einfühlung und der Sensibilität, welche kons­truktive Arbeit mit Freu­de paart. Es ist so, wie man einen erfrischenden Kaffee konsumiert, der anregt, die Aufmerksamkeit fördert und die Stimmung erhellt. Es verwundert daher nicht, dass Otto Josef Hofer etlichen seiner Pferde «Kaf­fee-Namen» gibt: Cappucino für Patricia Schärlis Olympia-Hoffnung oder Mocca für den neunjährigen Rappen von Weltmayer als Zukunftshoffnung seiner talentierten 14-jährigen Enkelin Léo­nie Guerra-Hofer aus Schaan, die als liechtensteinisch-schweizerische Doppelbürgerin dem Schweizer Junioren-Kader angehört.

Die Grabser Pferdefamilie

Im Dressurzentrum des ehemaligen Weltklasse­reiters Otto Hofer vereinigt sich eine Pferdefamilie. Zu dieser zählt auch Patricia Schärli. Die 30-jährige Luzernerin aus Sursee, die seit dem Sommer 2014 die Betriebsleitung in der Geriäls übernommen und im Zentrum selbst eine schmucke, moderne Wohnung eingerichtet hat, weilt seit 18 Jahren in Grabs «und gehört zur Familie», wie Otto Hofer unmissverständlich klarstellt. «Sie ist für uns wie eine weitere Tochter.» Der ehemalige Verpackungsindustrielle Otto und Beatrix Hofer haben mit Simone, verheiratete Guerra, eine leibliche Tochter und einen Sohn, der Physiotherapeut ist. Patricia, die erstmals mit zwölf Jahren in den Schulferien in Grabs bei Hofers weilte, wuchs praktisch als Alleinkind auf. Sie hat früh ihre Mutter verloren. «Ich stamme aus einer Reiterfamilie. Deshalb wur­den mir auch die ersten Reitstunden geschenkt. Ich habe die Matura gemacht und ein Architektur-Praktikum begonnen, war aber früh vom Pferdevirus infiziert. Bei Hofers kam ich in den Schoss einer harmonischen Familie, wurde gezielt und ohne Zwang gefördert und konn­te mein Steckenpferd zum Beruf machen.»

Otto Hofer auf seinem Lieblingsplatz am Viereck – ausgerüstet mit Zucker für die Pferde und Tee für sich selbst.

V. l.: Léonie Guerra auf Mocca, Otto J. Hofer und Patricia Schärli auf Cappucino.

Die im Sternzeichen des Löwen geborene Patricia ist ambitioniert und steckt sich hohe Ziele. Die EM im August in Aachen kommt für sie und den dynamischen Cappucino wohl noch zu früh, obwohl sie auf der Longlist figuriert. Am CDI im französischen Compiègne, der ersten offiziellen EM-Sichtung, vermochte das hoffnungsvolle Paar sein Leistungspotenzial nicht abzurufen. «Cappucino war total abgelenkt. Er war verspannt und ­verpatzte unsere normal stärks­ten Lektionen in Passage und Piaffen völlig. Deshalb wurde ich auch nicht für den CDI Hagen (GER), die zweite EM-Sichtung, aufgeboten. Nun haben wir Rio im Visier. Dafür bleibt ja noch einige Zeit, die wir nutzen werden.»

Patricia in ihrer gemütlichen Wohnung.

Von der Terrasse aus hat sie eine schöne Aussicht, unter anderem auf Cappucinos Weiden und Auslauf.

Patricias Fortschritte wurden in diesem Frühling mit einem zweiten Platz und 73,3 Punkten in der Kür am Dreistern-CDI in Saumur (FRA), einem fünften Platz über Ostern im Grand Prix in Stadl Paura (AUT) und einem vierten Rang im Spécial am Fünfstern-Event in Vidauban (FRA) ersichtlich. Otto Ho­fer hat den 166 Zentimeter grossen Cappucino als vierjähriges Pferd erworben und gezielt und geschickt mit Patricia zur GP-Reife geformt. Er besticht mit seiner eleganten Reiterin durch Dynamik, Ausdruck, Aufmerksamkeit, Elastizität und den exakt ausgeführten hohen Schwierigkeiten wie Piaffen, Passagen und Traversalen. Es gilt aber, sein Temperament im Zaum zu halten, damit er konzentriert bleibt und die Feinoptik noch besser jus­tiert werden kann.

Der prädestinierte Trainer

Otto Hofer ist ein prädestinierter Ausbildner. Der siebenfache Schweizermeister hat mit seinen eins­ti­gen Spitzenpferden Limandus, Andiamo und Renzo international für Aufsehen gesorgt und in seiner Blüte mehrere Einzel- und Teammedaillen gewonnen. Mit Limandus gewann der gebürtige Luzerner Einzel-Bronze und Team-Silber an den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles (USA), EM-Einzelsilber 1985 eben­falls mit Limandus und einmal Silber sowie zweimal Bron­ze mit der Schweizer Equipe. 1988 an den Olympischen Spielen in Seoul zeichnete sich Otto Hofer mit Andiamo als Einzel-Sechster aus und steckte in der Silber-Equipe des Schweizer Teams, das damals nur auf dem Papier existierte: Es war von Rivalität und Neid gekennzeichnet. 1988 stand der geduldige «Pferdenarr», wie er sich selbst bezeichnet, als Dritter auf dem Podest am Weltcupfinal in ’s-Hertogenbosch (NED). «Mit meiner Faszination zur Kreatur Pferd, viel Einfühlungsvermögen und Aus­dauer habe ich stets versucht, das Pferd in seiner graziösen Bewegung nicht zu hindern und seine Ausstrahlung mit viel Zuneigung zu fördern.» Wenn man die Pferde versteht, dann verstehen sie dich, heisst Hofers gelebtes Mot­to. Seine Überzeugung gibt er mit viel Geduld und seiner jahrelangen Erfahrung weiter. Und er bekennt: «Patricia und meine Enkelinnen Léonie und Anaïs bereiten mir viel Freude.»

Zukunftshoffnung Léonie

Der grosse Stolz und die ganz grosse Hoffnung im Hau­se Hofer heisst Léonie. Die 14-jährige Enkelin von «Otti» ist Sekundarschülerin in Triesen und gehört dem schweizerischen Juniorenkader in der Dressur an. Saisonziel sind die Nachwuchs-Europa­meis­ter­schaften in der ers­ten ­Juli-Woche im französischen Vaidauban in der Provence. Der neunjährige Rappe Mocca, den Otto Hofer als Sechsjährigen erworben hat, soll die Fortschritte international am Junioren-Championat bestätigen. Erstes Indiz hierfür lieferten Léonie und Mocca in Saumur mit 73,425 Punkten in der Kür. Sie waren damit nicht nur das beste Schweizer Paar, sondern die Punktzahl reichte sogar für Platz eins und grosse Freude in der Pferdefamilie in der Geriäls. Beim zweiten EM-Test in Hagen konnte Léonie ihr Potenzial bei drei Starts gegen starke internationale Konkurrenz bestätigen.

Léonie (l. auf Mocca) und Patricia (auf Cappucino) haben Spass beim gemeinsamen Training.

Léonie mit Mocca und ihrem Grossvater Otto J. Hofer.

Anäis heisst die jüngere Schwester von Léonie. Die Neunjährige sitzt ebenfalls schon im Dressursattel und eifert ihrer älteren Schwes­ter nach. Sie wird nicht von Otto Hofer selbst, sondern von dessen langjähriger Vertrauten und Ausbildnerin Doris Korrodi trainiert. Anäis verzeichnete beim OKV Tag der Jugend Ende April in Sulgen TG auf dem erfahrenen 20-jährigen Dänen Conterno, dem ehemaligen Spitzenpferd von Patricia Schärli, einen gelungenen Einstand. Die Bewertung fiel bei ihrem ers­ten Auftritt mit «sehr gut» aus und ein Richter fügte folgende aufbauende Bemerkung an: «Kleines Mäd­chen mit viel Gefühl und gutem Sitz.» Ende Juli kam sie in Chur GR bei ihrem zweiten Start zum zweiten Sieg. Solche Aufmunterungen beflügeln – wie Cappucino, Mocca oder Ristretto, wie Dressurpferde in der Geriäls heissen.

Das Pferdehotel

34 Wohlfühlboxen mit 20 Allwetter-Paddocks à 40 Quadratmeter gehören in der Geriäls zum Standard. Die zu einem Drittel überdeckten Paddocks bieten den Pferden einen optimalen Schutz bei jedem Wetter. Auch Weiden sind genügend vorhanden. Im gepflegten Sandviereck im Freien (80 mal 25 Meter) oder in der Reithalle, im komfortablen «Longier-Pavillon» oder in der «Longier-Rondelle» lassen es sich Pferde und Reiter wohl ergehen. 20 bis 22 Pferde, darunter sieben eigene Dressurpferde, füh­len sich hier zuhause. Wetten, dass in diesem Pferdehotel weiterhin Kaffee, auch im übertragenenen Sin­ne, sorgsam geröstet und gemahlen wird und ein weiteres Dressurpferd vielleicht auf den Namen Espresso getauft wird?

Patricia und Cappucino nach getaner Arbeit.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 25/2015)

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