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Nach den Olympischen Spielen 2008, bei denen die Reitwettbewerbe in Hongkong ausgetragen wurden, begann der Pferdeboom in China.
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Das Pferd in China: Astrologie oder Realität?

16.12.2014 13:16
von  Annika Sasse //

Das Jahr des Pferdes neigt sich dem Ende zu – gefeiert hat es die ganze Welt, tatsächlich stammt es aber aus der chinesischen Astrologie. Ist das Pferd auch physisch angekommen in der Heimat des «Pferdejahres» oder bleibt es in China ein astrologisches Symbol für Freiheitsliebe, Ehrgeiz und Kreativität? Zum Stand der Dinge des Reitsports im Land des Lächelns.

«2014 ist das Jahr der Abenteuer, des sportlichen Erfolges und wird sicher abwechslungsreich und geladen. So ist es durchaus möglich, dass ein neuer Spitzensportler geboren wird. Allerdings kein Sport wie Radfahren oder dergleichen, das wäre dem Pferd viel zu langweilig.» So ein Zitat aus dem Artikel «Das chinesische Jahr des Pferdes 2014» eines chinesischen Radiosenders, der Silvester 2013 erschien. Könnte mit dem sportlichen Erfolg sogar der Aufstieg des chinesischen Pferdesportes selbst gemeint sein? Vermuten würde man dies nicht. Fragte man verschiedene Personen nach den Ländern, die sie mit Pferde­sport verbinden, würde China wahrscheinlich eher nicht genannt werden. Mit China assoziiert man grosse Städte mit hohen Gebäuden und viele Menschen auf engem Raum. Allerdings hörte man in den letzten Jahren durchaus auch auf europäischem Boden bereits den ein oder anderen chinesisch anmutenden Reiternamen. Bekanntere unter diesen Namen sind beispielsweise Meimei Zhu oder Kenneth Cheng. Das Pferd in China muss also vorhanden sein.

Schwierige Quarantänesituation

Sieht man sich die Sache genauer an, wird allerdings klar, dass allein aufgrund der hierzulande bekannten chinesischen Reiter noch keine Rückschlüsse auf den Reitsport in China zu ziehen sind. Meimei Zhu beispielsweise ist gebürtige Amerikanerin und wuchs in den USA auf, entschied sich aber, ihre Nationalität zu ändern, um für China zu reiten. Sie trainiert seit 2010 in Deutschland, genauer gesagt in Riesenbeck bei Ludger Beerbaum. Dieser Hintergrund und die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, sagen also noch nichts über den Reitsport in China aus. Auch der Name Kenneth Cheng ist in Europa ein Begriff. Auch er trainierte in namhaften Ställen wie dem von Ludger Beerbaum oder zuletzt bei Jos Lansink. Kenneth ist zwar Chinese, stammt jedoch aus Hongkong und reitet auch für die zurzeit so politisch unruhige, ehemalige britische Kolonie, die er bereits mehrfach an Olympischen Spielen vertrat. Diese Tatsache verschafft auch ihm einen grossen Vorteil – nämlich den, mit seinen Pferden ausserhalb seines Heimatlandes trainieren und starten zu können. Dies ist für Reiter aus China aufgrund der chinesischen Quarantänesituation aktuell noch nicht möglich. Zwar dürfen Pferde nach China ein-, aber dann nicht wieder ausgeführt werden, was auch den Besuch internationaler Reiter zum Zweck des Wettkampfes mit den eigenen Pferden unmöglich macht.

Die Teilnehmer des «Beijing Equestrian Masters» vor dem «Bird’s Nest», dem Olmypiastadion der chinesischen Hauptstadt.

Dafür, dass diese Umstände sich bald ändern, kämpft die FEI und verschiedene andere Personen, die Inte­resse am chinesischen Pferdesportmarkt haben, und das sind einige. Die sich rasant entwickelnde chinesische Wirtschaft ermöglicht es immer mehr Menschen, sich Privilegien wie die Ausübung des Pferde­sports zu erlauben. Die Zahl der wirklich Reichen im Land stieg in den letzten Jahren kontinuierlich an – China liegt laut dem «Global Wealth Rekord 2014» mittlerweile auf Platz zwei in Sachen Millionärsdichte, nur geschlagen von den USA. Auch die Zahl der Milliardäre hat sich in den letzten Jahren mehr als verhundertfacht. Gab es im Jahr 2001 noch drei, sind es 2014 bereits über 350 Dollar-Milliardäre.

Reitställe schiessen aus dem Boden

Da in China bisher kaum Infrastruktur in Sachen Pferd besteht, wittern Spezialisten, Pferdezuchtverbände und Reitsportartikelhersteller aus erfolgreichen, vornehmlich europäischen Pferdenationen die Chance, ihre Erfahrung, ihre Pferde und ihr Zubehör an den chinesischen Reiter bringen zu können. «Everyone is making money» (jeder will Geld verdienen) beschreibt Meimei Zhu diese entstehenden Kooperationen als Win-win-Situationen für alle Beteiligten. Auch sie beobachtet den Pferdesport in China seit vielen Jahren und ist immer wieder erstaunt, was sich getan hat, wenn sie ein paar Monate nicht da war. «Die Reitställe schiessen nur so aus dem Boden, die Zahl an aus Europa importierten Pferden steigt zunehmend.» Auch Kenneth Cheng ist zuversichtlich, was die Zukunft des Pferdes in China angeht: «Sicher ist in vielen Bereichen noch einiges an Arbeit zu tun, aber so wie die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft vorangeht, ist auch der Pferde­sport in China etwas, dessen Entwicklung jeder positiv einschätzt.» Aber wie weit ist die Entwicklung zum Ende des Jahr des Pferdes bereits gediehen? Aktuell gibt es nach Schätzungen ungefähr 20 Reitställe in Peking und 120 in ganz China. Die Zahlen beruhen auf Schätzungen. Die Organisation des Reitsportes, wie man sie hierzulande kennt, ist in China noch nicht vorangeschritten, nur 60 Ställe sind bei der Dachorganisation CEA registriert und aktuell ungefähr 300 Turnierreiter angemeldet. Viele der Ställe sind allerdings in privater Hand und nicht der Organisation angeschlossen. Auch die nicht angemeldeten Reiter schätzt man auf eine sehr viel grössere Zahl. Dieser wenig durchorganisierte Status ist nicht verwunderlich, bedenkt man, wie jung der Sport in China ist. Die Dach­organisation des Reit­sports, die «Chinese Eques­trian Association» (CEA), wurde im Jahre 1979 gegründet und 1982 80. Mitgliedsland des weltweiten Dachverbandes FEI.

Turniergelände der Global Champions Tour in Shanghai.

Die innere Mongolei, seit jeher ein Pferdeland, sowie die Regionen Tibet und Xinjiang, in denen der Reitsport bereits früher etabliert war, fungierten als Starthelfer für Chinas pferde­sportliche Entwicklung. Die erste Pferdesportdisziplin, die im Rahmen der chinesischen «National Games» – so etwas wie eine alle vier Jahre stattfindende, China interne Olym­piade – abgehalten wurde, war im Jahre 1987 das Springreiten. Ein Jahr später erkannte man die Dressur und 1990 auch die Vielseitigkeit als Disziplin an. Pekings erster Reitclub wur­de im Jahr 2000 mit dem Equuleus Club gegründet.

Pferdevirus grassiert seit Olympia

So richtig begann der Pferdevirus in China allerdings erst nach den Olympischen Spielen im Jahre 2008 um sich zu greifen. Hier wurde der pferdesportliche Teil der Oympischen Spiele aufgrund der Seuchengefahr auf dem chinesischen Festland zwar in Hongkong abgehalten, trotzdem stand Olympia für die Chinesen so sehr im Fokus, dass der Reitport viel Beachtung fand und in den kommenden Jahren zu einem absoluten Prestige- und Trend­sport wurde. Der Spring­sport liegt im Interesse der Chinesen zurzeit noch deutlich vor den anderen Disziplinen, was eventuell der leichteren Verständlichkeit des Wertungssystems und dem actiongeladenerem Charakter des Springsportes, beispielsweise gegenüber der Dressur, geschuldet ist. Mittlerweile hat China ungefähr 25 auf internationalem Niveau trainierende Springreiter und drei internationale Turnierserien: Eine davon wird vom Dachverband selbst abgehalten, hier erhielt man im Oktober den Zuschlag für eine Zusammenarbeit mit dem weltweit im Pferdesport agierenden Uhrenhersteller Longines. Dieser Sponsor ist in China einer der ers­ten europäischen Platzhirsche. Er holte auch seine eigene Turnierserie, die «Global Champions Tour», nach Shanghai und sponsert ausserdem die beiden internationalen Events, die beide im Jahr 2011 Premiere feierten: Der eine ist das «Longines Beijing Equestrian Mas­ters», veranstaltet von Ludger Beerbaum in Zusammenarbeit mit den «Aachenern» Mi­chael Mronz und Frank Kempermann in Pekings «Bird’s Nest», dem Nationalstadion der be­rühmten Architekten Herzog und de Meuron. Der andere besteht aus drei Events im Jahr: Die «Longines FEI World Cup Jumping China League», die chinesische Liga der FEI. Sie wird von der einheimischen Event-Organisation CNSI (China National Sports International) in Zusammenarbeit mit der deutschen Eventfirma «En Garde Marketing» betreut. En Garde zeichnet in Deutschland verantwortlich für grosse Veranstaltungen wie das Hamburger Derby, das Bundeschampionat oder den Weltcup in Leipzig. Deren Chef ist einer, der schon früh das Potenzial des chinesischen Marktes erkannte, Volker Wulff. So wie er Pionier der Pferdeevents in Deutschland war – er mietete vor vielen Jahren ­beispielsweise mutig die Münch­ner Olympiahalle und rief die «Munich Indoors» ins Leben – streckte er bereits 2009 seine Fühler nach China aus und unterstützt seit den frühesten Schritten die chinesische Event-Organisation CNSI bei der Ausrichtung von Chinas ers­ter Weltcupserie im Bereich des Reitsportes.

Riesiges Wachstumspotenzial

Auch er schätzt den Markt als hochinteressant für Menschen ein, die sich mit Pferden auskennen: «Das Wachstumspotenzial ist riesig, auch die TV-Sender steigen in den Markt ein, da die Pferdebegeisterung der Chinesen gross ist und weiter wächst. So können gute und immer bessere Reichweiten erzielt werden. Eine europäische Firma hat sich mit Longines die Chancen des Marktes bereits zu Nutze gemacht, anderen steht diese Chance noch offen.» Die Klientel in China verfügt mittlerweile über Ressourcen, das merke man allein auf den europäischen Auktionsplätzen. Vor allem sei es wichtig, sagt er, nicht nur Pferde selbst nach China zu exportieren, sondern auch das Wissen, den Pferdeverstand oder das «Horsemanship» zu vermitteln. Hier sieht er vor allem für junge Trainer und Bereiter, die es sich zutrauen, sich einer neuen und anderen Kultur zu stellen, eine grosse Chance, die auf dem heimischen Markt heutzutage nicht immer gegeben ist. Wer diese in den nächsten Jahren am effek­tivs­ten zu nutzen weiss, wird es spannend sein, zu beobachten. Und allen, die uns seit Jahren erzählen, im Pferdebusiness sei kein Geld mehr zu verdienen, straft diese neue Chance einmal mehr Lügen.

(Erschienen in der PferdeWoche Nr. 50/2014)

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